W i n n e t o u I Illustriert von C l a u s B e r g e n Freiburg i. Br. F r i e d r i c h E r n s t F e h s e n f e l d Erstes bis fnftes Tausend Erschienen im Oktober 1908 - 1 - [unpag.] Einleitung. Immer f„llt mir, wenn ich an den Indianer denke, der Trke ein; dies hat, so sonderbar es erscheinen mag, doch seine Berechtigung. Mag es zwischen beiden noch so wenig Punkte des Vergleichs geben, sie sind einander „hnlich in dem einen, daá man mit ihnen, allerdings mit dem Einen weniger als mit dem Andern, abgeschlossen hat: Man spricht von dem Trken kaum anders als von dem "kranken Mann", w„hrend Jeder, der die Verh„ltnisse kennt, den Indianer als den "sterbenden Mann" bezeichnen muá. Ja, die rote Nation liegt im Sterben! Vom Feuerlande bis weit ber die nordamerikanischen Seen hinauf liegt der riesige Patient ausgestreckt, niedergeworfen von einem unerbittlichen Schicksale, welches kein Erbarmen kennt. Er hat sich mit allen Kr„ften gegen dasselbe gestr„ubt, doch vergeblich; seine Kr„fte sind mehr und mehr geschwunden; er hat nur noch wenige Atemzge zu tun, und die Zuckungen, die von Zeit zu Zeit seinen nackten K”rper bewegen, sind die Konvulsionen, welche die N„he des Todes verkndigen. Ist er schuld an diesem seinem frhen Ende? Hat er es verdient? Wenn es richtig ist, daá alles, was lebt, zum Leben berechtigt ist, und dies sich ebenso auf die Gesamtheit wie auf das Einzelwesen bezieht, so besitzt der Rote das Recht zu existieren, nicht weniger als der Weiáe und darf wohl Anspruch erheben auf die Befugnis, sich in sozialer, in staatlicher Beziehung nach seiner Individualit„t zu entwickeln. Da behauptet man nun freilich, der Indianer besitze nicht die notwendigen staatenbildenden Eigenschaften. Ist das wahr? Ich sage: nein! will aber keine Behauptungen aufstellen, da es nicht meine Absicht ist, eine hierauf bezgliche gelehrte Abhandlung zu schreiben. Der - 2 - Weiáe fand Zeit, sich naturgem„á zu entwickeln; er hat sich nach und nach vom J„ger zum Hirten, von da zum Ackerbauer und Industriellen entwickelt; darber sind viele Jahrhunderte vergangen; der Rote aber hat diese Zeit nicht gefunden, denn sie wurde ihm nicht gew„hrt. Er soll von der ersten und untersten Stufe, also als J„ger, einen Riesensprung nach der obersten machen, und man hat, als man dieses Verlangen an ihn stellte, nicht bedacht, daá er da zum Falle kommen und sich lebensgef„hrlich verletzen muá. Es ist ein grausames Gesetz, daá der Schw„chere dem St„rkeren weichen muá; aber da es durch die ganze Sch”pfung geht und in der ganzen irdischen Natur Geltung hat, so mssen wir wohl annehmen, daá diese Grausamkeit entweder eine nur scheinbare oder einer christlichen Milderung f„hig ist, weil die ewige Weisheit, welche dieses Gesetz gegeben hat, zugleich die ewige Liebe ist. Drfen wir nun behaupten, daá in Beziehung auf die aussterbende indianische Rasse eine solche Milderung stattgefunden hat? Es war nicht nur eine gastliche Aufnahme, sondern eine beinahe g”ttliche Verehrung, welche die ersten "Bleichgesichter" bei den Indsmen fanden. Welcher Lohn ist den Letzteren dafr geworden? Ganz unstreitig geh”rte diesen das Land, welches sie bewohnten; es wurde ihnen genommen. Welche Str”me Blutes dabei geflossen und welche Grausamkeiten vorgekommen sind, das weiá ein Jeder, der die Geschichte der "berhmten" Conquistadores gelesen hat. Nach dem Vorbilde derselben ist dann sp„ter weiter verfahren worden. Der Weiáe kam mit sáen Worten auf den Lippen, aber zugleich mit dem gesch„rften Messer im Grtel und dem geladenen Gewehre in der Hand. Er versprach Liebe und Frieden und gab Haá und Blut. Der Rote muáte weichen, Schritt um Schritt, immer weiter zurck. Von Zeit zu Zeit gew„hrleistete man ihm "ewige" Rechte auf "sein" Territorium, jagte ihn aber schon nach kurzer Zeit wieder aus demselben hinaus, weiter, immer weiter. Man "kaufte" ihm das Land ab, bezahlte ihn aber entweder gar nicht oder mit wertlosen Tauschwaren, welche er nicht gebrauchen konnte. Aber das schleichende Gift des "Feuerwassers" brachte man ihm desto sorgf„ltiger bei, dazu die Blattern und andere, noch viel - 3 - schlimmere und ekelhaftere Krankheiten, welche ganze St„mme lichteten und ganze D”rfer entv”lkerten. Wollte der Rote sein gutes Recht geltend machen, so antwortete man ihm mit Pulver und Blei, und er muáte den berlegenen Waffen der Weiáen wieder weichen. Darber erbittert, r„chte er sich nun an dem einzelnen Bleichgesichte, welches ihm begegnete, und die Folgen davon waren dann stets f”rmliche Massacres, welche unter den Roten angerichtet wurden. Dadurch ist er, ursprnglich ein stolzer, khner, tapferer, wahrheitsliebender, aufrichtiger und seinen Freunden stets treuer J„gersmann, ein heimlich schleichender, miátrauischer, lgnerischer Mensch geworden, ohne daá er dafr kann, denn nicht er, sondern der Weiáe ist schuld daran. Die wilden Mustangherden, aus deren Mitte er sich einst khn sein Reitpferd holte, wo sind sie hingekommen? Wo sieht man die Bffel, welche ihn ern„hrten, als sie zu Millionen die Prairien bev”lkerten? Wovon lebt er heut? Von dem Mehle und dem Fleische, welches man ihm liefert? Schau zu, wie viel Gips und andere sch”ne Dinge sich in diesem Mehl befinden; wer kann es genieáen! Und werden einem Stamme einmal hundert "extra fette" Ochsen zugesprochen, so haben diese sich unterwegs in zwei oder drei alte, abgemagerte Khe verwandelt, von welchen kaum ein Aasgeier einen Bissen herunterreiáen kann. Oder soll der Rote vom Ackerbaue leben? Kann er auf seine Ernte rechnen, er, der Rechtslose, den man immer weiter verdr„ngt, dem man keine bleibende St„tte l„át? Welch eine stolze, sch”ne Erscheinung war er frher, als er, von der M„hne seines Mustangs umweht, ber die weite Savanne flog, und wie elend und verkommen sieht er jetzt aus in den Fetzen, welche nicht seine Bl”áe decken k”nnen! Er, der in berstrotzender Kraft einst dem schrecklichen grauen B„ren mit den F„usten zu Leibe ging, schleicht jetzt wie ein r„udiger Hund in den Winkeln umher, um sich, hungrig, einen Fetzen Fleisch zu betteln oder zu stehlen! Ja, er ist ein kranker Mann geworden, ein sterbender Mann, und wir stehen mitleidig an seinem elenden Lager, um ihm die Augen zuzudrcken. An einem Sterbebette zu stehen, ist eine ernste Sache, hundertfach ernst aber, wenn dieses Sterbebette dasjenige einer ganzen Rasse ist. Da steigen - 4 - viele, viele Fragen auf, vor allem die: Was h„tte diese Rasse leisten k”nnen, wenn man ihr Zeit und Raum geg”nnt h„tte, ihre inneren und „uáeren Kr„fte und Begabungen zu entwickeln? Welche eigenartige Kulturformen werden der Menschheit durch den Untergang dieser Nation verloren gehen? Dieser Sterbende lieá sich nicht assimilieren, weil er ein Charakter war; muáte er deshalb get”tet, kann er nicht gerettet werden? Gestattet man dem Bison, damit er nicht aussterbe, ein Asyl da oben im Nationalpark von Montana und Wyoming, warum nicht auch dem einstigen, rechtm„áigen Herren des Landes einen Platz, an dem er sicher wohnen und geistig wachsen kann? Aber was ntzen solche Fragen angesichts des Todes, der nicht abzuwenden ist! Was k”nnen Vorwrfe helfen, wo berhaupt nicht mehr zu helfen ist! Ich kann nur klagen, aber nichts „ndern; ich kann nur trauern, doch keinen Toten ins Leben zurckrufen. Ich? Ja, ich! Habe ich doch die Roten kennen gelernt w„hrend einer ganzen Reihe von vielen Jahren und unter ihnen einen, der hell, hoch und herrlich in meinem Herzen, in meinen Gedanken wohnt. Er, der beste, treueste und opferwilligste aller meiner Freunde, war ein echter Typus der Rasse, welcher er entstammte, und ganz so, wie sie untergeht, ist auch er untergegangen, ausgel”scht aus dem Leben durch die m”rderische Kugel eines Feindes. Ich habe ihn geliebt wie keinen zweiten Menschen und liebe noch heut die hinsterbende Nation, deren edelster Sohn er gewesen ist. Ich h„tte mein Leben dahingegeben, um ihm das seinige zu erhalten, so wie er dieses hundertmal fr mich wagte. Dies war mir nicht verg”nnt; er ist dahingegangen, indem er, wie immer, ein Retter seiner Freunde war; aber er soll nur k”rperlich gestorben sein und hier in diesen Bl„ttern fortleben, wie er in meiner Seele lebt, er, W i n n e t o u , d e r g r o á e H „ u p t l i n g d e r A p a c h e n . Ihm will ich hier das wohlverdiente Denkmal setzen, und wenn der Leser, welcher es mit seinem geistigen Auge schaut, dann ein gerechtes Urteil f„llt ber das Volk, dessen treues Einzelbild der H„uptling war, so bin ich reich belohnt. Der Verfasser. - 5 - [unpag.] Erstes Kapitel. Ein Greenhorn. Lieber Leser, weiát du, was das Wort Greenhorn bedeutet? eine h”chst „rgerliche und despektierliche Bezeichnung fr denjenigen, auf welchen sie angewendet wird. Green heiát grn, und unter horn ist Fhlhorn gemeint. Ein Greenhorn ist demnach ein Mensch, welcher noch grn, also neu und unerfahren im Lande ist und seine Fhlh”rner behutsam ausstrecken muá, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen will, ausgelacht zu werden. Ein Greenhorn ist ein Mensch, welcher nicht von seinem Stuhle aufsteht, wenn eine Lady sich auf denselben setzen will; welcher den Herrn des Hauses grát, ehe er der Mistreá und Miá seine Verbeugungen gemacht hat; welcher beim Laden des Gewehres die Patrone verkehrt in den Lauf schiebt oder erst den Propfen, dann die Kugel und zuletzt das Pulver in den Vorderlader st”át. Ein Greenhorn spricht entweder gar kein oder ein sehr reines und geziertes Englisch; ihm ist das Yankee-Englisch oder gar das Hinterw„lder-Idiom ein Greuel; es will ihm nicht in den Kopf und noch viel weniger ber die Zunge. Ein Greenhorn h„lt ein Racoon fr ein Opossum und eine leidlich hbsche Mulattin fr eine Quadroone. Ein Greenhorn raucht Cigaretten und verabscheut den tabakssaftspeienden Sir. Ein Greenhorn l„uft, wenn er von Paddy *) eine Ohrfeige erhalten hat, mit seiner Klage zum Friedens- *) Irl„nder. - 6 - richter [Friedensrichter], anstatt, wie ein richtiger Yankee tun soll, den Kerl einfach und auf der Stelle niederzuschieáen. Ein Greenhorn h„lt die Stapfen eines Turkey fr eine B„renf„hrte und eine schlanke Sportjacht fr einen Mississippisteamer. Ein Greenhorn geniert sich, seine schmutzigen Stiefel auf die Kniee seines Mitpassagiers zu legen und seine Suppe mit dem Schnaufen eines verendenden Bffels hinabzuschlrfen. Ein Greenhorn schleppt der Reinlichkeit wegen einen Waschschwamm von der Gr”áe eines Riesenkrbis und zehn Pfund Seife mit in die Prairie und steckt sich dazu einen Kompaá bei, welcher schon am dritten oder vierten Tag nach allen m”glichen andern Richtungen, aber nie mehr nach Norden zeigt. Ein Greenhorn notiert sich achthundert Indianerausdrcke, und wenn er dem ersten Roten begegnet, so bemerkt er, daá er diese Notizen im letzten Couvert nach Hause geschickt und dafr den Brief aufgehoben hat. Ein Greenhorn kauft Schieápulver, und wenn er den ersten Schuá tun will, erkennt er, daá man ihm gemahlene Holzkohle gegeben hat. Ein Greenhorn hat zehn Jahre lang Astronomie studiert, kann aber ebenso lang den gestirnten Himmel angucken, ohne zu wissen, wie viel Uhr es ist. Ein Greenhorn steckt das Bowiemesser so in den Grtel, daá er, wenn er sich bckt, sich die Klinge in den Schenkel sticht. Ein Greenhorn macht im wilden Westen ein so starkes Lagerfeuer, daá es baumhoch emporlodert, und wundert sich dann, wenn er von den Indianern entdeckt und erschossen worden ist, darber, daá sie ihn haben finden k”nnen. Ein Greenhorn ist eben ein Greenhorn und ein solches Greenhorn war damals auch ich. Aber man denke ja nicht etwa, daá ich die šberzeugung oder auch nur die Ahnung gehabt h„tte, daá diese kr„nkende Bezeichnung auf mich passe! O nein, denn es ist ja eben die hervorragendste Eigentmlichkeit jedes Greenhorns, eher alle andern Menschen, aber nur nicht sich selbst fr "grn" zu halten. Ich glaubte ganz im Gegenteile, ein auáerordentlich kluger und erfahrener Mensch zu sein; hatte ich doch, so was man zu sagen pflegt, studiert und nie vor einem Examen Angst gehabt! Daá dann das Leben die eigentliche und richtige Hochschule ist, deren Schler t„glich und stndlich geprft werden und vor - 7 - der Vorsehung zu bestehen haben, daran wollte mein jugendlicher Sinn damals nicht denken. Unerquickliche Verh„ltnisse in der Heimat und ein, ich m”chte sagen, angeborener Tatendrang hatten mich ber den Ozean nach den Vereinigten Staaten getrieben, wo die Bedingungen fr das Fortkommen eines strebsamen jungen Menschen damals weit bessere und gnstigere waren als heutzutage. Ich h„tte in den Oststaaten recht wohl ein gutes Unterkommen gefunden, aber es trieb mich nach dem Westen. Bald auf diese und bald auf jene Weise fr kurze Zeit t„tig, verdiente ich mir so viel, daá ich, „uáerlich wohl ausgerstet und innerlich von frohem Mute erfllt, in St. Louis ankam. Dort fhrte mich das Glck in eine deutsche Familie, in welcher ich einen einstweiligen Unterschlupf als Hauslehrer fand. In dieser Familie verkehrte Mr. Henry, ein Original und Bchsenmacher, welcher sein Handwerk mit der Hingebung eines Knstlers betrieb und sich mit altv„terischem Stolze Mr. Henry, the Gunsmith nannte. Dieser Mann war ein auáerordentlicher Menschenfreund, obgleich er das Gegenteil zu sein schien, da er auáer der erw„hnten Familie mit keinem Menschen verkehrte und selbst seine Kunden so kurz und schroff behandelte, daá sie nur der Gte seiner Ware wegen zu ihm kamen. Er hatte seine Frau und Kinder durch ein grausiges Ereignis verloren, ber welches er nie sprach, doch vermutete ich infolge einiger seiner Žuáerungen, daá sie bei einem šberfalle ermordet worden waren. Das hatte ihn „uáerlich rauh gemacht; er wuáte es vielleicht gar nicht, daá er eigentlich ein perfekter Grobian war; der Kern aber war mild und gut, und ich habe oft sein Auge feucht gesehen, wenn ich von der Heimat und den Meinen erz„hlte, an denen ich mit ganzem Herzen hing und auch heut noch h„nge. Warum er, der alte Mann, grad fr mich, den jungen, fremden Menschen, eine solche Vorliebe zeigte, das wuáte ich nicht, bis er es mir einmal sagte. Seit ich da war, kam er ”fters als vorher, h”rte dem Unterrichte zu, nahm mich, wenn dieser beendet war, fr sich in Beschlag und lud mich schlieálich sogar ein, ihn zu besuchen. Ein solcher Vorzug war noch keinem Andern zu teil geworden, und ich htete mich daher, die mir gewordene Erlaubnis auszubeuten. Diese Zurckhal- - 8 - tung [Zurckhaltung] schien ihm aber keineswegs lieb zu sein; ich erinnere mich noch heut des zornigen Gesichtes, welches er mir eines Abends, als ich zu ihm kam, zeigte, und des Tones, in welchem er mich empfing, ohne auf mein "good evening" zu antworten: ¯Wo habt Ihr denn gestern gesteckt, Sir?® ¯Zu Hause.® ¯Und vorgestern?® ¯Auch zu Hause.® ¯Macht mir doch nichts weis!® ¯Es ist wahr, Mr. Henry.® ¯Pshaw! Solche grne V”gel, wie Ihr einer seid, bleiben nicht im Neste hocken; die stecken die Schn„bel berall hin, nur da nicht, wo sie hingeh”ren!® ¯Und wo geh”re ich hin, wenn es Euch beliebt, es mir zu sagen?® ¯Hierher zu mir, verstanden! Habe Euch schon lange einmal nach etwas fragen wollen.® ¯Warum habt Ihr es nicht getan?® ¯Weil ich nicht wollte. H”rt Ihr es?® ¯Und wann wollt Ihr denn?® ¯Heute vielleicht.® ¯So fragt getrost nur zu,® forderte ich ihn auf, indem ich mich hoch auf die Schraubenbank setzte, an welcher er arbeitete. Er sah mir ganz verwundert in das Gesicht, schttelte miábilligend den Kopf und rief aus: ¯Getrost! Als ob ich so ein Greenhorn, wie Ihr seid, erst um Erlaubnis fragen máte, wenn ich mit ihm reden will!® ¯Greenhorn?® antwortete ich, die Stirn in Falten ziehend, denn ich fhlte mich bedeutend verletzt. ¯Ich will annehmen, Mr. Henry, daá dieses Wort Euch ohne Absicht und nur so herausgefahren ist!® ¯Bildet Euch doch nichts ein, Sir! Ich habe mit vollem Bedacht gesprochen; Ihr seid ein Greenhorn, und was fr eins! Den Inhalt Eurer Bcher habt Ihr gut im Kopfe, das ist wahr. Es ist ganz erstaunlich, was ihr Leute da drben lernen mát! Dieser junge Mensch weiá genau, wie weit die Sterne - 9 - von hier entfernt sind, was der K”nig Nebukadnezar auf Ziegelsteine geschrieben hat und wie schwer die Luft wiegt, die er doch nicht sehen kann! Und weil er dies weiá, bildet er sich ein, ein gescheiter Kerl zu sein! Aber steckt die Nase ins Leben, versteht Ihr mich, so ungef„hr fnfzig Jahre ins Leben hinein; dann werdet Ihr, aber auch nur vielleicht, erfahren, worin die richtige Klugheit besteht! Was Ihr bis jetzt wiát, ist nichts ist gar nichts. Und was Ihr bis jetzt k”nnt, ist noch viel weniger. Ihr k”nnt ja nicht einmal schieáen!® Er sagte dies in einem auáerordentlich ver„chtlichen Tone und mit einer solchen Bestimmtheit, als ob er seiner Sache f”rmlich sicher sei. ¯Nicht schieáen? Hm!® antwortete ich l„chelnd. ¯Ist dies vielleicht die Frage, welche Ihr mir vorlegen wolltet?® ¯Ja, die ist es. Nun antwortet doch einmal!® ¯Gebt mir ein gutes Gewehr in die Hand, so will ich antworten, eher nicht.® Da legte er den Bchsenlauf, an welchem er schraubte, weg, stand auf, trat nahe an mich heran, fixierte mich mit verwunderten Augen und rief aus: ¯Ein Gewehr in die Hand, Sir? Wird mir nicht einfallen, ganz und gar nicht! Meine Gewehre kommen nur in solche H„nde, in denen ich mit ihnen Ehre einlegen kann!® ¯Solche hab ich,® nickte ich ihm zu. Er sah mich noch einmal, und zwar von der Seite an, setzte sich wieder nieder, begann wieder an dem Laufe zu arbeiten und brummte vor sich hin: ¯So ein Greenhorn! K”nnte mich wirklich wild machen mit seiner Dreistigkeit!® Ich lieá ihn gew„hren, denn ich kannte ihn, zog eine Zigarre hervor und brannte sie an. Dann blieb es wohl eine Viertelstunde lang still zwischen uns. L„nger aber konnte er es nicht aushalten; er hielt den Lauf gegen das Licht, sah hindurch und bemerkte dabei: ¯Schieáen ist n„mlich schwerer als nach den Sternen gucken oder alte Ziegelsteine von Nebukadnezar lesen. Verstanden? Habt Ihr denn jemals ein Gewehr in der Hand gehabt?® - 10 - ¯Ich denke.® ¯Wann?® ¯Schon l„ngst und oft.® ¯Auch angelegt und abgedrckt?® ¯Ja.® ¯Und getroffen?® ¯Natrlich!® [Illustration Nr. 1: Zum erstenmal den B„rent”ter in der Hand] Da lieá er den Lauf, den er geprft hatte, rasch sinken, sah mich wieder an und meinte: ¯Ja, getroffen, natrlich, aber was?® ¯Das Ziel, ganz selbstverst„ndlich.® ¯Was? Wollt Ihr mir das im Ernste aufbinden?® ¯Behaupten, aber nicht aufbinden; es ist wahr.® ¯Hol Euch der Teufel, Sir! Aus Euch wird man nicht klug. Ich bin berzeugt, daá Ihr an einer Mauer vorbei- - 11 - schieáen [vorbeischieáen] wrdet, und wenn sie zwanzig Ellen hoch und fnfzig Ellen lang w„re, und doch macht Ihr bei Eurer Behauptung ein so ernstes und zuversichtliches Gesicht, daá einem darber die Galle berlaufen k”nnte. Ich bin kein Knabe, dem Ihr Stunde gebt, verstanden! So ein Greenhorn und Bcherwurm, wie Ihr seid, will schieáen k”nnen! Hat sogar in trkischen, arabischen und andern dummen Scharteken herumgest”bert und will dabei Zeit zum Schieáen gefunden haben! Nehmt doch einmal das alte Gun *) da hinten vom Nagel, und legt es an, als ob Ihr zielen wolltet! Es ist ein B„rent”ter, der beste, den ich jemals in den H„nden gehabt habe.® Ich ging hin, langte die Bchse herab und legte sie an. ¯Halloo!® rief er aus, indem er aufsprang. ¯Was ist denn das? Ihr geht ja mit diesem Gun wie mit einem leichten Spazierstocke um, und doch ist es das schwerste Gewehr, welches ich kenne! Besitzt Ihr denn eine solche K”rperkraft?® Anstatt der Antwort nahm ich ihn unten bei der zugekn”pften Jacke und bei dem Hosenbund und hob ihn mit dem rechten Arm empor. ¯Thunder-storm!® schrie er auf. ¯Laát mich los! Ihr seid ja noch weit kr„ftiger als mein Bill.® ¯Euer Bill? Wer ist das?® ¯Er war mein Sohn, der lassen wir das! Er ist tot, wie die Andern auch. Er versprach, ein tchtiger Kerl zu werden, wurde aber w„hrend meiner Abwesenheit mit ihnen ausgel”scht. Ihr seid ihm „hnlich von Gestalt, habt beinahe dieselben Augen und auch denselben Zug um den Mund; darum bin ich Euch na, das geht Euch ja doch nichts an!® Der Ausdruck tiefer Trauer hatte sich ber sein Gesicht gebreitet; er fuhr mit der Hand ber dasselbe und fuhr dann in munterem Tone fort: ¯Aber, Sir, bei Eurer Muskelkraft ist es wirklich jammerschade, daá Ihr Euch so auf die Bcher geworfen habt. H„ttet Euch k”rperlich ben sollen!® ¯Habe ich auch.® *) Gewehr, Bchse. - 12 - ¯Wirklich?® ¯Ja.® ¯Boxen?® ¯Wird drben bei uns nicht getrieben. Aber im Turnen und Ringen mache ich mit.® ¯Reiten?® ¯Ja.® ¯Fechten?® ¯Habe ich Unterricht erteilt.® ¯Mann, schneidet nicht auf!® ¯Wollt Ihr es versuchen?® ¯Danke; habe genug von vorhin! Muá berhaupt arbeiten. Setzt Euch wieder nieder!® Er kehrte zu seiner Schraubenbank zurck, und ich tat dasselbe. Die nun folgende Unterhaltung war eine h”chst einsilbige; Henry schien sich in Gedanken mit irgend etwas Wichtigem zu besch„ftigen. Pl”tzlich sah er von der Arbeit auf und fragte: ¯Habt Ihr Mathematik getrieben?® ¯War eine meiner Lieblingswissenschaften.® ¯Arithmetik, Geometrie?® ¯Natrlich.® ¯Feldmesserei?® ¯Sogar auáerordentlich gern. Bin sehr oft, ohne daá ich es notwendig hatte, mit dem Theodolit drauáen herumgelaufen.® ¯Und k”nnt messen, wirklich messen?® ¯Ja. Ich habe mich sowohl an Horizontal-, als auch an H”henmessungen oft beteiligt, obgleich ich nicht behaupten will, daá ich mich als ausgelernten Geod„ten betrachte.® ¯Well sehr gut, sehr gut!® ¯Warum fragt Ihr danach, Mr. Henry?® ¯Weil ich eine Ursache dazu habe. Verstanden! Braucht es jetzt nicht zu wissen; werdet es schon noch erfahren. Muá vorher wissen hm, ja, muá vorher wissen, ob Ihr schieáen k”nnt.® ¯So stellt mich auf die Probe!® ¯Werde es auch tun; ja, werde es tun; darauf k”nnt - 13 - Ihr Euch verlassen. Wann beginnt Ihr morgen frh den Unterricht?® ¯Um acht Uhr.® ¯So kommt um sechs zu mir. Wollen hinauf auf den Schieástand gehen, wo ich meine Gewehre einschieáe.® ¯Warum so frh?® ¯Weil ich nicht l„nger warten will. Bin ganz begierig darauf, Euch zu zeigen, daá Ihr ein Greenhorn seid. Jetzt genug davon, habe Anderes zu tun, was weit, weit wichtiger ist.® Er schien mit dem Gewehrlaufe fertig zu sein und nahm aus einem Kasten ein polygones Eisenstck, dessen Ecken er abzufeilen begann. Ich sah, daá jede Fl„che desselben ein Loch hatte. Er war mit solcher Aufmerksamkeit bei dieser Arbeit, daá er meine Gegenwart ganz vergessen zu haben schien. Seine Augen funkelten, und wenn er sein Werk von Zeit zu Zeit betrachtete, so sah ich, daá es, ich m”chte beinahe sagen, mit einem Ausdrucke von Liebe geschah. Dieses Eisenstck muáte einen groáen Wert fr ihn haben. Ich war neugierig, zu erfahren, warum; darum fragte ich ihn: ¯Soll das auch ein Gewehrteil werden, Mr. Henry?® ¯Ja,® antwortete er, als ob er sich besinne, daá ich noch da sei. ¯Aber ich kenne kein Gewehrsystem, das einen derartigen Teil besitzt.® ¯Glaube es. Soll erst noch werden. Wird wohl System Henry werden.® ¯Ah, eine neue Erfindung?® ¯Yes.® ¯Dann bitte ich um Entschuldigung, daá ich gefragt habe! Es ist natrlich Geheimnis.® Er guckte eine l„ngere Zeit in alle die L”cher hinein, drehte das Eisen nach verschiedenen Richtungen, hielt es einige Male an das hintere Ende des Laufes, den er vorhin fortgelegt hatte, und sagte endlich: ¯Ja, es ist ein Geheimnis; aber ich traue Euch, denn ich weiá, daá Ihr Verschwiegenheit besitzt, obgleich Ihr ein aus- - 14 - gemachtes [ausgemachtes], richtiges Greenhorn seid; darum will ich Euch sagen, was es werden soll. Es wird ein Stutzen, ein Repetierstutzen mit fnfundzwanzig Schssen.® ¯Unm”glich!® ¯Haltet Euren Schnabel! Ich bin nicht so dumm, mir etwas Unm”gliches vorzunehmen.® ¯Aber da mátet Ihr doch Kammern zur Aufnahme der Munition fr fnfundzwanzig Schsse haben!® ¯Habe ich auch!® ¯Die wrden aber so groá und unhandlich sein, daá sie genierten.® ¯Nur eine Kammer; ist ganz handlich und geniert gar nicht. Dieses Eisen ist die Kammer.® ¯Hm! Ich verstehe mich auf Euer Fach ja gar nicht; aber wie steht es mit der Hitze? Wird der Lauf zu heiá?® ¯F„llt ihm nicht ein. Material und Behandlung des Laufes sind mein Geheimnis. šbrigens, ist es denn immer n”tig, die fnfundzwanzig Schsse alle gleich hintereinander abzugeben?® ¯Schwerlich.® ¯Also! Dieses Eisen wird eine Kugel, welche sich exzentrisch bewegt; fnfundzwanzig L”cher darin enthalten ebensoviele Patronen. Bei jedem Schusse rckt die Kugel weiter, die n„chste Patrone an den Lauf. Habe mich lange Jahre mit dieser Idee getragen; wollte nicht gelingen; jetzt aber scheint es zu klappen. Habe schon jetzt als Gunsmith einen guten Namen, werde dann aber berhmt, sehr berhmt werden und viel, sehr viel Geld verdienen.® ¯Und ein b”ses Gewissen dazu!® Er sah mir eine Weile ganz erstaunt in das Gesicht und fragte dann: ¯Ein b”ses Gewissen? Wie so?® ¯Meint Ihr, daá ein M”rder kein b”ses Gewissen zu haben braucht?® ¯Zounds! Wollt Ihr etwa sagen, daá ich ein M”rder bin?® ¯Jetzt noch nicht.® ¯Oder ein M”rder werde?® - 15 - ¯Ja, denn die Beihilfe zum Morde ist grad so schlimm wie der Mord selbst.® ¯Hole Euch der Teufel! Ich werde mich hten, Beihilfe zu einem Morde zu leisten.® ¯Zu einem einzelnen freilich nicht, aber sogar zum Massenmorde.® ¯Wie so? Ich verstehe Euch nicht.® ¯Wenn Ihr ein Gewehr fertigt, welches fnfundzwanzigmal schieát, und es in die H„nde jedes beliebigen Strolches gebt, so wird drben auf den Prairien, in den Urw„ldern und den Schluchten des Gebirges sich bald ein grausiges Morden erheben; man wird die armen Indianer niederschieáen wie Cojoten, und in einigen Jahren wird es keinen Indsman mehr geben. Wollt Ihr das auf Euer Gewissen laden?® Er starrte mich an und antwortete nicht. ¯Und,® fuhr ich fort, ¯wenn jedermann dieses gef„hrliche Gewehr fr Geld bekommen kann, so werdet Ihr allerdings in kurzer Zeit tausende absetzen, aber die Mustangs und die Bffel werden ausgerottet werden und mit ihnen jede Art von Wild, dessen Fleisch die Roten zum Leben brauchen. Es werden hundert und tausend Aasj„ger sich mit Eurem Stutzen bewaffnen und nach dem Westen gehen. Das Blut von Menschen und Tieren wird in Str”men flieáen, und sehr bald werden die Gegenden diesseits und jenseits der Felsenberge von jedem lebenden Wesen entv”lkert sein.® ¯'sdeath!® rief er jetzt aus. ¯Seid Ihr wirklich erst vor kurzem aus Germany herbergekommen?® ¯Ja.® ¯Und vorher noch nie hier gewesen?® ¯Nein.® ¯Und im wilden Westen erst recht noch nicht?® ¯Nein.® ¯Also ein vollst„ndiges Greenhorn. Und doch nimmt dieses Greenhorn den Mund so voll, als ob es der Urgroávater aller Indianer w„re und schon seit tausend Jahren hier gelebt h„tte und heute noch lebte! M„nnchen, bildet Euch ja nicht ein, mir warm zu machen! Und selbst wenn alles so w„re, wie Ihr sagt, so wird es mir niemals in den Sinn kommen, - 16 - eine Gewehrfabrik anzulegen. Ich bin ein einsamer Mann und will einsam bleiben; ich habe keine Lust, mich mit hundert oder gar noch mehr Arbeitern herumzu„rgern.® ¯Aber Ihr k”nntet doch, um Geld zu verdienen, Patent auf Eure Erfindung nehmen und dies verkaufen?® ¯Das wartet ruhig ab, Sir! Bis jetzt habe ich stets gehabt, was ich brauche, und ich denke, daá ich auch fernerhin und ohne Patent keine Not leiden werde. Und nun schert Euch fr heut nach Hause! Ich habe keine Lust, einen Vogel piepen zu h”ren, der erst flgge werden muá, ehe er pfeifen oder singen kann.® Es fiel mir gar nicht ein, ihm diese derben Ausdrcke bel zu nehmen; er war nun einmal so, und ich wuáte recht gut, wie er es meinte. Er hatte mich liebgewonnen und war ganz gewiá gewillt, mir in jeder Beziehung, so weit er es vermochte, f”rderlich und dienlich zu sein. Ich gab ihm die Hand und ging, nachdem er mir dieselbe kr„ftig gedrckt und geschttelt hatte. Ich ahnte nicht, wie wichtig dieser Abend fr mich werden sollte, und ebensowenig kam es mir in den Sinn, daá dieser schwere B„rent”ter, den Henry ein altes Gun nannte, und der noch unfertige Henrystutzen in meinem sp„teren Leben eine so groáe Rolle spielen wrden. Aber auf den n„chsten Morgen freute ich mich, denn ich hatte wirklich schon viel und gut geschossen und war vollst„ndig berzeugt, daá ich vor den Augen meines alten, sonderbaren Freundes gut bestehen wrde. Ich fand mich pnktlich morgens sechs Uhr bei ihm ein. Er wartete schon auf mich, gab mir die Hand und sagte, indem ein ironisches L„cheln ber seine alten, guten, derben Zge glitt: ¯Welkome [Welcome], Sir! Ihr macht doch ein recht siegesgewisses Gesicht? Meint Ihr, daá Ihr die Mauer, von der ich gestern abend sprach, treffen wrdet?® ¯Ich hoffe es.® ¯Well, so wollen wir gleich sehen. Ich nehme ein leichteres Gewehr mit, und Ihr tragt den B„rent”ter; ich mag mich mit so einer Last nicht schleppen.® Er hing sich eine leichte, doppell„ufige Rifle um, und ich - 17 - nahm das "alte Gun", welches er nicht tragen wollte. Auf seinem Schieástande angekommen, lud er beide Gewehre und tat zun„chst aus der Rifle selbst zwei Schsse. Dann kam ich an die Reihe mit dem B„rent”ter. Ich kannte dieses Gewehr noch nicht und traf infolgedessen beim ersten Schusse nur grad den Rand des Schwarzen in der Scheibe; der zweite Schuá saá besser; der dritte nahm die genaue Mitte des Schwarzen, und die n„chsten Kugeln gingen alle durch das Loch, welches die dritte durchgeschlagen hatte. Das Erstaunen Henrys wuchs von Schuá zu Schuá; ich muáte auch die Rifle probieren, und als dies ganz denselben Erfolg hatte, rief er schlieálich aus: ¯Entweder Ihr habt den Teufel, Sir, oder Ihr seid zum Westmann rein geboren. So habe ich noch kein Greenhorn schieáen sehen!® ¯Den Teufel habe ich nicht, Mr. Henry,® lachte ich. ¯Von einem solchen Bndnisse m”chte ich nichts wissen.® ¯So ist es Eure Aufgabe und sogar Eure Pflicht, Westmann zu werden. Habt Ihr keine Lust dazu?® ¯Warum nicht!® ¯Well, werden sehen, was sich aus dem Greenhorn machen l„át. Also reiten k”nnt Ihr auch?® ¯Zur Not.® ¯Zur Not? Hm! Also doch nicht so gut, wie Ihr schieát?® ¯Pshaw! Was ist das Reiten weiter! Das Aufsteigen ist das Schwierigste. Wenn ich dann erst oben sitze, bringt mich wohl kein Pferd herunter.® Er sah mich forschend an, ob ich im Ernste oder im Scherze gesprochen hatte; ich machte ein h”chst unbefangenes Gesicht, und so meinte er: ¯Denkt Ihr wirklich? Wollt Euch wohl an der M„hne anhalten? Da seid Ihr im Irrtum. Ihr habt ganz richtig gesagt: Das Hinaufkommen ist das Schwierigste, denn das muá man selber machen; das Herabkommen ist viel leichter: das besorgt der Gaul, und darum geht es viel, viel schneller.® ¯Bei mir besorgt es der Gaul aber nicht!® ¯So? Wollen sehen! Habt Ihr Lust, eine Probe zu zeigen?® - 18 - ¯Gern.® ¯So kommt! Es ist erst sieben Uhr, und Ihr habt noch eine Stunde Zeit. Wir gehen zu Jim Korner, dem Pferdeh„ndler; der hat einen Rotschimmel, der es Euch schon besorgen wird.® Wir kehrten in die Stadt zurck und suchten den Pferdeh„ndler auf, bei dem es einen weiten Reithof gab, welcher rings von Stallungen umgeben war. Korner kam selbst herbei und fragte nach unserm Begehr. ¯Dieser junge Sir behauptet, daá ihn kein Pferd aus dem Sattel bringe,® antwortete Henry. ¯Was meint Ihr dazu, Mr. Korner? Wollt Ihr ihn einmal auf Euern Rotschimmel klettern lassen?® Der H„ndler maá mich mit prfendem Blicke, nickte dann befriedigt vor sich hin und antwortete: ¯Das Knochengestell scheint gut und elastisch zu sein; brigens brechen junge Menschen den Hals nicht so leicht wie „ltere Leute. Wenn der Gentleman den Schimmel versuchen will, so habe ich nichts dagegen.® Er gab den betreffenden Befehl, und nach einiger Zeit brachten zwei Knechte das gesattelte Pferd aus dem Stall gefhrt. Es war h”chst unruhig und strebte, sich loszureiáen. Meinem alten Mr. Henry wurde Angst um mich; er bat mich, von dem Versuche abzustehen; aber erstens war mir gar nicht bange, und zweitens betrachtete ich die Angelegenheit nun als Ehrensache. Ich lieá mir eine Peitsche geben und Sporen anschnallen; dann schwang ich mich, allerdings nach einigen vergeblichen Versuchen, gegen welche das Pferd sich wehrte, in den Sattel. Kaum saá ich oben, so sprangen die Knechte eilends fort, und der Schimmel tat einen Satz mit allen Vieren in die Luft und einen zweiten zur Seite. Ich behielt den Sattel, obgleich ich noch nicht in den Bgeln war, beeilte mich aber, hineinzukommen. Kaum war dies geschehen, so begann der Gaul, zu bocken; als dies nichts fruchtete, ging er zur Wand, um mich an derselben abzustreifen; die Peitsche aber brachte ihn rasch von derselben fort. Hierauf gab es einen b”sen, beinahe fr mich gef„hrlichen Kampf zwischen Reiter und Pferd. Ich bot alles auf, das wenige Geschick und die unzureichende Uebung, - 19 - welche ich damals nur besaá, und die Kraft der Schenkel, die mich schlieálich doch zum Sieger machte. Als ich abstieg, zitterten mir die Beine vor Anstrengung; aber das Pferd triefte vor Schweiá und sch„umte groáe, schwere Flocken; es gehorchte nun jedem Drucke und Rucke. Dem H„ndler war Angst um sein Pferd geworden; er lieá es in Decken wickeln und langsam hin und her fhren; dann wendete er sich an mich: [Illustration Nr. 2: Ein Rotschimmel wird zugeritten] ¯Das h„tte ich nicht gedacht, junger Mann; ich glaubte, Ihr wrdet schon beim ersten Sprunge unten liegen. Ihr habt natrlich nichts zu bezahlen, und wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, so kommt wieder und bringt mir die Bestie vollends zu Verstand. Es soll mir auf zehn Dollars nicht ankommen, denn es ist kein billiges Pferd, und wenn es gehorchen lernt, so mache ich ein Gesch„ft.® ¯Wenn es Euch recht ist, soll es mir ein Vergngen sein,® antwortete ich. - 20 - Henry hatte, seit ich abgestiegen war, noch nichts gesagt, sondern mich nur immer kopfschttelnd angesehen. Jetzt schlug er die H„nde zusammen und rief aus: ¯Dieses Greenhorn ist wirklich ein ganz auáerordentliches oder vielmehr ungew”hnliches Greenhorn! Hat das Pferd halb tot gedrckt, anstatt sich in den Sand werfen zu lassen! Wer hat Euch das gelehrt, Sir?® ¯Der Zufall, der mir einen halbwilden, ungarischen Puátenhengst, der niemand aufsitzen lassen wollte, zwischen die Beine gab. Ich habe ihn nach und nach bezwungen, dabei aber fast das Leben riskiert.® ¯Danke fr solche Kreaturen! Da lobe ich mir meinen alten Polsterstuhl, der nichts dagegen hat, wenn ich mich auf ihn setze. Kommt, wir wollen gehen. Es ist mir ganz schwindelig geworden. Aber umsonst habe ich Euch nicht schieáen und reiten sehen; darauf k”nnt Ihr Euch verlassen.® Wir gingen nach Hause, er zu sich und ich in meine Wohnung. W„hrend dieses und der beiden n„chsten Tage lieá er sich nicht sehen, und ich hatte auch keine Gelegenheit, ihn aufzusuchen; aber am darauffolgenden Tage kam er des Nachmittags zu mir; er wuáte, daá ich da frei hatte. ¯Habt Ihr Lust, einen Spaziergang mit mir zu machen?® fragte er. ¯Wohin?® ¯Zu einem Gentleman, der Euch gern kennen lernen will.® ¯Warum mich?® ¯Das k”nnt Ihr Euch doch denken: weil er noch kein Greenhorn gesehen hat.® ¯So gehe ich mit; er soll uns kennen lernen.® Henry machte heut so ein pfiffiges, unternehmendes Gesicht, und wie ich ihn kannte, hatte er irgend eine šberraschung vor. Wir schlenderten durch einige Straáen und dann fhrte er mich in ein Bureau, in welches von der Straáe aus eine breite Glastr fhrte. Er nahm den Zutritt so schnell, daá ich die goldenen Lettern, welche auf den Glasscheiben standen, nicht mehr lesen konnte, doch glaubte ich, die beiden Worte Office und surveying gesehen zu haben. Bald stellte es sich heraus, daá ich mich nicht geirrt hatte. - 21 - Es saáen drei Herren da, welche ihn sehr freundlich und mich h”flich und mit nicht zu verbergender Neugierde empfingen. Karten und Pl„ne lagen auf den Tischen; dazwischen gab es allerlei Meáinstrumente. Wir befanden uns in einem geod„tischen Bureau. Welchen Zweck mein Freund mit diesem Besuche verfolgte, war mir unklar; er hatte keine Bestellung, keine Erkundigung vorzubringen; er schien nur der freundschaftlichen Unterhaltung wegen gekommen zu sein. Diese kam allerdings sehr bald in einen lebhaften Gang, und es konnte nicht auffallen, daá sie sich schlieálich auch auf die Gegenst„nde, welche sich hier befanden, erstreckte; dies war mir lieb, denn da konnte ich mich besser beteiligen, als wenn von amerikanischen Dingen oder Verh„ltnissen gesprochen worden w„re, die ich noch nicht kannte. Henry schien sich heut auáerordentlich fr die Feldmeákunst zu interessieren; er wollte alles wissen, und ich lieá mich gern so tief in das Gespr„ch ziehen, daá ich endlich immer nur Fragen zu beantworten, den Gebrauch der verschiedenen Instrumente zu erkl„ren und das Zeichnen von Karten und Pl„nen zu beschreiben hatte. Ich war wirklich ein tchtiges Greenhorn, denn ich merkte nicht die Absicht heraus. Erst als ich mich ber das Wesen und die Unterschiede der Aufnahme durch Koordinaten, der Polar- und Diagonalmethode, der Perimetermessung, des Repetitionsverfahrens, der trigonometrischen Triangulation ausgesprochen hatte und die Bemerkung machte, daá die drei Herren dem Bchsenmacher heimlich zuwinkten, wurde mir die Sache auff„llig, und ich stand von meinem Sitz auf, um Henry anzudeuten, daá ich zu gehen wnsche. Er weigerte sich nicht, und wir wurden jetzt auch ich noch freundlicher entlassen, als der Empfang gewesen war. Als wir dann so weit gegangen waren, daá man uns von dem Bureau aus nicht mehr sehen konnte, blieb Henry stehen, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte, indem sein Gesicht in heller Genugtuung leuchtete: ¯Sir, Mann, Mensch, Jngling, Greenhorn, aber habt Ihr mir eine Freude gemacht! Ich bin ja f”rmlich stolz auf Euch!® ¯Warum?® - 22 - ¯Weil Ihr meine Empfehlung und die Erwartung dieser Leute noch bertroffen habt!® ¯Empfehlung? Erwartung? Ich verstehe Euch nicht.® ¯Ist auch nicht n”tig. Die Sache ist aber sehr einfach. Ihr behauptetet krzlich, etwas von der Feldmesserei zu verstehen, und um zu erfahren, ob dies etwa nur Flunkerei gewesen sei, habe ich Euch zu diesen Gentlemen, die gute Bekannte von mir sind, gefhrt und Euch von ihnen auf den Zahn fhlen lassen. Es ist ein sehr gesunder Zahn, denn Ihr habt Euch h”chst ehrenvoll herausgebissen.® ¯Flunkerei? Mr. Henry, wenn Ihr mich solcher Dinge fr f„hig haltet, werde ich Euch nicht mehr besuchen!® ¯Laát Euch nicht auslachen! Ihr werdet mich alten Kerl doch nicht der Freude berauben, die mir Euer Anblick macht. Wiát schon, wegen der Žhnlichkeit mit meinem Sohne! Seid Ihr vielleicht einmal beim Pferdeh„ndler gewesen?® ¯T„glich des Morgens.® ¯Und habt den Rotschimmel geritten?® ¯Ja.® ¯Wird etwas aus dem Pferde?® ¯Will es meinen. Nur bezweifle ich, daá der, welcher es kauft, so gut mit ihm auskommen wird wie ich. Es hat sich nur an mich gew”hnt und wirft jeden Andern ab.® ¯Freut mich, freut mich ungeheuer; es will also, wie es scheint, nur Greenhorns tragen. Kommt einmal mit durch diese Seitenstraáe! Weiá da drben ein famoses dining-house, in welchem man sehr gut speist und noch besser trinkt. Das Examen, welches Ihr heut so vortrefflich bestanden habt, muá gefeiert werden.® Ich konnte Henry nicht begreifen; er war wie umgetauscht. Er, der einsame, zurckhaltende Mann, wollte in einem dining-house essen! Auch sein Gesicht war ein anderes als gew”hnlich, und seine Stimme klang heller und froher als sonst. Examen hatte er gesagt. Das Wort fiel mir auf, konnte hier aber ein ganz bedeutungsloser Ausdruck sein. Von diesem Tage an besuchte er mich t„glich und behandelte mich wie einen lieben Freund, den man bald zu verlieren befrchtet. Aber einen Stolz ber diese Bevorzugung lieá er - 23 - in mir nicht aufkommen; er hatte stets einen D„mpfer bereit, welcher in dem fatalen Wort Greenhorn bestand. Sonderbarerweise hatte sich zu derselben Zeit auch das Verhalten der Familie, in der ich wirkte, ver„ndert. Die Eltern hatten sichtlich mehr Aufmerksamkeit fr mich, und die Kinder waren z„rtlicher geworden. Ich berraschte sie bei heimlichen Blicken auf mich, die ich nicht verstehen konnte; ich h„tte sie liebevoll und auch bedauernd nennen m”gen. Ungef„hr drei Wochen nach unserm sonderbaren Besuche im Bureau bat mich die Lady, am Abend, der heut fr mich ein freier war, nicht auszugehen, sondern das supper mit der Familie zu nehmen. Als Grund dieser Einladung gab sie an, daá Mr. Henry kommen werde, und auáerdem habe sie zwei Gentlemen geladen, von denen der eine Sam Hawkens heiáe und ein berhmter Westmann sei. Ich als Greenhorn hatte diesen Namen noch nicht geh”rt, freute mich aber doch darauf, den ersten wirklichen und sogar berhmten Westmann kennen zu lernen. Da ich Hausgenosse war, brauchte ich nicht bis Punkt zum Glockenschlage zu warten, sondern stellte mich einige Minuten vorher in dem dining-room ein. Dort sah ich zu meiner Verwunderung nicht das gew”hnliche Arrangement, sondern es war wie zu einem Feste gedeckt worden. Die kleine, fnfj„hrige Emmy hatte sich allein in dem Raume befunden und den Finger, um zu naschen, in das Beerenkompott gesteckt. Sie zog ihn, als ich eintrat, schnell zurck und wischte ihn spornstreichs an ihrem hochblonden Frisurchen ab. Als ich nun mit strafendem Winke den meinigen erhob, kam sie auf mich zugesprungen und flsterte mir einige Worte zu. Um ihr Vergehen gut zu machen, teilte sie mir das Geheimnis der letzten Tage, welches ihr das kleine Herzchen fast abgedrckt hatte, mit. Ich glaubte, falsch verstanden zu haben; sie aber wiederholte auf meine Aufforderung dieselben Worte: ¯Your farewell-feast.® Mein Abschiedsschmaus! Das konnte doch unm”glich sein! Wer weiá, durch welches Miáverst„ndnis das Kind auf diese jedenfalls irrige Meinung gekommen war. Ich l„chelte darber. Dann h”rte ich Stimmen im Parlour; die G„ste kamen, und ich ging hinber, sie zu begráen. Sie waren alle drei - 24 - zu gleicher Zeit gekommen, auf Verabredung hin, wie ich sp„ter erfuhr. Henry stellte mir einen jungen, etwas stumpf und ungelenk aussehenden Mann als einen Mr. Black und dann Sam Hawkens, den Westmann, vor. Den Westmann! Ich gestehe offen zu, daá ich, als mein Auge verwundert auf ihm ruhte, wohl nicht sehr geistreich ausgesehen haben mag. Eine solche Gestalt hatte ich denn doch noch nicht gesehen; sp„ter freilich habe ich noch ganz andere kennen gelernt. War der Mann schon an sich auff„llig genug, so wurde dieser Eindruck dadurch erh”ht, daá er hier in dem feinen Parlour ganz genau so stand, wie er drauáen in der Wildnis gestanden haben wrde, n„mlich ohne die Kopfbedeckung abzunehmen und mit dem Gewehre in der Hand. Man denke sich folgendes Žuáere: Unter der wehmtig herabh„ngenden Krempe eines Filzhutes, dessen Alter, Farbe und Gestalt selbst dem sch„rfsten Denker einiges Kopfzerbrechen verursacht haben wrden, blickte zwischen einem Walde von verworrenen, schwarzen Barthaaren eine Nase hervor, die von fast erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer h„tte dienen k”nnen. Infolge dieses gewaltigen Bartwuchses waren auáer dem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den brigen Gesichtsteilen nur die zwei kleinen, klugen Žuglein zu bemerken, welche mit einer auáerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit einem Ausdrucke von schalkhafter List auf mir ruhten. Der Mann betrachtete mich ebenso aufmerksam wie ich ihn; sp„ter erfuhr ich den Grund, warum er sich so fr mich interessierte. Diese Oberpartie ruhte auf einem K”rper, welcher bis auf die Knie herab unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrocke stak, der augenscheinlich fr eine bedeutend st„rkere Person angefertigt worden war und dem kleinen Manne das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergngen einmal in den Schlafrock des Groávaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zul„nglichen Umhllung guckten zwei drre, sichelkrumme Beine hervor, welche in ausgefransten Leggins steckten, die so hochbetagt waren, daá sie das M„nnchen schon vor zwei Jahrzehnten ausgewachsen haben muáte, und die dabei einen - 25 - umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in denen zur Not der Besitzer in voller Person h„tte Platz finden k”nnen. In der Hand trug dieser berhmte "Westmann" eine Flinte, welche ich wohl nur mit der „uáersten Vorsicht angefaát h„tte; sie war einem Knppel viel „hnlicher als einem Gewehre. Ich konnte mir in diesem Augenblicke keine gr”áere Karikatur eines Pr„riej„gers denken, doch sollte keine lange Zeit vergehen, bis ich den Wert dieses originellen M„nnchens vollauf erkennen lernte. Nachdem er mich genau betrachtet hatte, fragte er den Bchsenmacher mit einer dnnen Stimme, die wie eine Kinderstimme klang: ¯Ist dies das junge Greenhorn, von dem Ihr mir erz„hlt habt, Mr. Henry?® ¯Yes,® nickte dieser. ¯Well! Gef„llt mir gar nicht bel. Hoffe, daá Sam Hawkens ihm auch gefallen wird, hihihihi!® Mit diesem feinen, ganz eigenartigen Lachen, welches ich sp„ter noch tausendmal von ihm geh”rt habe, wendete er sich nach der Tr, die sich in diesem Augenblicke ”ffnete. Der Herr und die Dame des Hauses traten ein und begráten den J„ger in einer Weise, welche vermuten lieá, daá sie ihn schon einmal gesehen hatten. Das war hinter meinem Rcken geschehen. Dann luden sie uns ein, in das Speisezimmer zu treten. Wir folgten dieser Aufforderung, wobei Sam Hawkens zu meinem Erstaunen gar nicht vorher ablegte. Erst als wir unsere Pl„tze an der Tafel angewiesen erhielten, sagte er, indem er auf seinen alten Schieáprgel deutete: ¯Ein richtiger Westmann l„át sein Gewehr niemals aus den Augen und ich meine brave Liddy erst recht nicht. Werde sie dort an die Gardinenrosette h„ngen.® Also Liddy nannte er sein Gewehr! Sp„ter erfuhr ich freilich, daá es die Gewohnheit vieler Westl„ufer ist, ihr Gewehr wie ein lebendes Wesen zu behandeln und ihm einen Namen zu geben. Er hing es an die genannte Stelle und wollte den famosen Hut hinzufgen; als er ihn abnahm, blieb zu meinem Entsetzen sein ganzes Kopfhaar an demselben h„ngen. - 26 - Es war wirklich zum Erschrecken, welchen Anblick nun sein hautloser, blutigroter Sch„del bot. Die Lady schrie laut auf, und die Kinder kreischten, was sie konnten. Er aber wandte sich zu uns um und sagte ruhig: ¯Erschreckt nicht, Myladies und Mesch'schurs; es ist ja weiter nichts! Hatte meine eigenen Haare mit vollem Rechte und ehrlich von Kindesbeinen an getragen, und kein Advokat wagte es, sie mir streitig zu machen, bis so ein oder zwei Dutzend Pawnees ber mich kamen und mir die Haare samt der Haut vom Kopfe rissen. War ein verteufelt st”rendes Gefhl fr mich, habe es aber glcklich berstanden, hihihihi! Bin dann nach Tekama gegangen und habe mir einen neuen Skalp gekauft, wenn ich mich nicht irre; wurde Percke genannt und kostete mich drei dicke Bndel Biberfelle. Schadet aber nichts, denn die neue Haut ist viel praktischer als die alte, besonders im Sommer; kann sie abnehmen, wenn mich schwitzt, hihihihi.® Er hing den Hut zur Flinte und stlpte sich die Percke wieder auf den Kopf. Dann zog er den Rock aus und legte ihn ber einen Stuhl. Dieser Rock war viele, viele Male geflickt und ausgebessert worden, immer ein Lederfetzen wieder auf den andern gen„ht, und dadurch hatte dieses Kleidungsstck eine Steifheit und Dicke erlangt, daá wohl kaum ein Indianerpfeil hindurchkommen konnte. Nun sahen wir seine dnnen, krummen Beine ganz. Der Oberk”rper stak in einer ledernen Jagdweste. Im Grtel hatte er ein Messer und zwei Pistolen stecken. Als er seinen Stuhl an der Tafel wieder erreichte, warf er erst auf mich und dann auf die Dame des Hauses einen listigen Blick und fragte: ¯Mag Mylady nicht, bevor wir an das Essen gehen, diesem Greenhorn sagen, um was es sich handelt, wenn ich mich nicht irre?® Der Ausdruck "wenn ich mich nicht irre" war bei ihm zur stehenden Redensart geworden. Die Lady nickte, drehte sich mir zu, deutete auf den jngeren Gast und sagte: ¯Ihr werdet vielleicht noch nicht wissen, daá Mr. Black hier Euer Nachfolger ist, Sir.® - 27 - ¯Mein Nach folger?® stieá ich ganz betroffen hervor. ¯Jawohl. Da wir heut Euern Abschied von uns feiern, waren wir gezwungen, uns nach einem neuen Lehrer umzusehen.® ¯Meinen Abschied ?® Heute preise ich das Schicksal, daá ich in jenem Augenblick nicht photographiert worden bin, denn ich habe jedenfalls wie die personifizierte Verblfftheit ausgesehen. ¯Ja, Euern Abschied, Sir,® nickte sie mit einem wohlwollenden L„cheln, welches ich aber nicht fr am Platze fand, denn mir selbst war keineswegs zum L„cheln. Sie fgte hinzu: ¯Es h„tte eigentlich gekndigt werden sollen, doch wollen wir Euch, den wir so lieb gewonnen haben, nicht hinderlich sein, Euer Glck so bald wie m”glich zu ergreifen. Es tut uns innig leid, Euch von uns gehen zu sehen, doch geben wir Euch unsere besten Wnsche mit. Reist in Gottes Namen morgen ab!® ¯Abreisen? Morgen? Wohin denn?® brachte ich mhsam hervor. Da schlug mir Sam Hawkens, der neben mir stand, mit der Hand auf die Achsel und antwortete lachend: ¯Wohin? Nach dem wilden Westen mit mir. Ihr habt ja Euer Examen gl„nzend bestanden, hihihihi! Die andern Surveyors reiten morgen fort und k”nnen nicht auf Euch warten; Ihr mát unweigerlich mit. Ich und Dick Stone und Will Parker, wir sind als Fhrer engagiert, immer den Kanadian hinauf und ins New Mexiko hinein. Denke doch nicht, daá Ihr hier und ein Greenhorn bleiben wollt!® Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das alles war abgekartete Sache gewesen! Surveyor, Feldmesser, vielleicht gar fr eine der groáen Bahnen, welche geplant wurden. Welch ein froher Gedanke! Ich brauchte gar nicht zu fragen; ich erhielt die Auskunft unaufgefordert, denn mein alter, guter Henry trat zu mir, faáte mich bei der Hand und sagte: ¯Hab's Euch ja schon gesagt, weshalb ich Euch gern habe. Ihr seid hier bei braven Menschen, aber ein Hauslehrerposten ist nichts fr Euch, Sir, gar nichts. Ihr mát nach dem Westen. Habe mich darum an die Atlantik und Pazifik Company gewendet und Euch examinieren lassen, ohne daá Ihr es wuátet. Habt gut bestanden. Hier ist die Installation.® - 28 - Er gab mir das Dokument. Als ich einen Blick in dasselbe warf und da mein wahrscheinliches Einkommen verzeichnet fand, gingen mir die Augen ber. Er aber fuhr fort: ¯Es wird geritten; Ihr braucht also ein gutes Pferd. Habe den Rotschimmel gekauft, den Ihr selbst zugeritten habt; sollt ihn bekommen. Und Waffen mát Ihr auch haben; werde Euch den B„rent”ter mitgeben, das alte, schwere Gun, welches ich nicht brauchen kann, mit dem aber Ihr bei jedem Schusse in das Schwarze trefft. Was sagt Ihr dazu, Sir, he?® Ich sagte zun„chst gar nichts; dann, als ich die Sprache wiederfand, wollte ich die Gaben von mir weisen, hatte aber keinen Erfolg. Diese guten Menschen hatten beschlossen, mich glcklich zu machen, und es h„tte sie tief gekr„nkt, wenn ich bei meiner Ablehnung geblieben w„re. Um, wenigstens fr einstweilen, alle Weiterungen abzuschneiden, nahm die Lady an der Tafel Platz, und wir Andern waren gezwungen, ihrem Beispiele zu folgen; es wurde gegessen, und das Thema durfte nicht gleich wieder aufgenommen werden. Erst nach Tische erfuhr ich, was ich wissen muáte. Die Bahn sollte von St. Louis aus durch das Indian-Territory, New Mexiko, Arizona und Kalifornien nach der Pazifikkste gehen, und man hatte den Plan gefaát, diese weite Strecke in einzelnen Sektionen erforschen und ausmessen zu lassen. Diejenige Sektion, welche mir und noch drei andern Surveyors unter einem Oberingenieur zugefallen war, lag zwischen dem Quellgebiete des Rio Pecos und des sdlichen Kanadian. Die drei bew„hrten Fhrer Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker sollten uns dorthin bringen, wo wir eine ganze Schar von wackeren Westm„nnern vorfinden wrden, die fr unsere Sicherheit zu sorgen hatten. Natrlich waren wir auáerdem auch des Schutzes aller Fortsbesatzungen sicher. Um mich so recht zu berraschen, war mir dies alles erst heut gesagt worden, freilich etwas sehr sp„t. Doch beruhigte mich die Mitteilung, daá fr meine vollst„ndige Ausrstung bis auf das Kleinste gesorgt worden sei. Es blieb mir nichts weiter zu tun, als mich meinen Kollegen vorzustellen, welche in der Wohnung des Oberingenieurs auf mich warteten. Ich ging in Begleitung von Henry und Sam Hawkens hin und wurde auf das freund- - 29 - lichste [freundlichste] begrát. Sie wuáten, daá ich hatte berrascht werden sollen, und konnten mir also die Versp„tung nicht belnehmen. Als ich am andern Morgen zun„chst von der deutschen Familie Abschied genommen hatte, ging ich zu Henry. Er schnitt meine Dankesworte dadurch ab, daá er, mir die H„nde herzlich schttelnd, in seiner derben Weise mich unterbrach: ¯Haltet den Schnabel, Sir! Ich habe Euch doch nur deshalb hinausgeschickt, damit mein altes Gun wieder einmal mitreden kann. Kehrt Ihr zurck, so sucht mich auf und erz„hlt, was Ihr erlebt und erfahren habt. Dann wird es sich zeigen, ob Ihr das noch seid, was Ihr heute seid und doch nicht glauben wollt, n„mlich ein Greenhorn, wie es im Buche steht!® Damit schob er mich zur Tr hinaus, doch ehe er sie schloá, sah ich, daá ihm das Wasser in den Augen stand. - 30 - [unpag.] Zweites Kapitel. Kleki-petra. [Klekih-petra.] Wir befanden uns beinahe am Ende des herrlichen nordamerikanischen Herbstes und waren schon ber drei Monate in T„tigkeit, hatten unsere Aufgabe aber noch nicht gel”st, w„hrend die andern Sektionen meist schon nach Hause zurckgekehrt waren. Hierfr gab es zwei Grnde. Der erste Grund lag in dem Umstande, daá wir eine sehr schwierige Gegend zu bearbeiten hatten. Die Bahn sollte durch die Pr„rieen dem Laufe des sdlichen Kanadian folgen; die Richtung war also bis zum Quellgebiete desselben vorgezeichnet, w„hrend sie von New Mexiko an durch die Lage der T„ler und P„sse ebenso vorgeschrieben wurde. Unsere Sektion aber lag zwischen dem Kanadian und New Mexiko, und wir hatten die geeignete Richtung also erst zu entdecken. Dazu waren zeitraubende Ritte, anstrengende Wanderungen und viele vergleichende Messungen n”tig, ehe wir an die eigentliche Arbeit gehen konnten. Erschwert wurde dies alles noch dazu dadurch, daá wir uns in einer gef„hrlichen Gegend befanden, denn es trieben sich da die Kiowa-, Komanche- und Apache-Indianer herum, welche von einer Bahn durch das Terrain, welches sie als ihr Eigentum bezeichneten, nichts wissen wollten. Wir muáten uns ungemein in acht nehmen und stets auf unserer Hut sein, wodurch unsere T„tigkeit selbstverst„ndlich auáerordentlich erschwert und verlangsamt wurde. In Rcksicht auf diese Indianer muáten wir darauf verzichten, uns durch die Ertr„gnisse der Jagd zu ern„hren, denn - 31 - wir h„tten die Roten dadurch auf unsere Spur gelenkt. Wir bezogen vielmehr alles, was wir brauchten, durch Ochsenwagen aus Santa F‚. Leider war aber dieser Transport auch ein sehr unsicherer, und wir konnten wiederholt mit unseren Messungen nicht vorw„rts schreiten, weil wir auf die Ankunft der Wagen warten muáten. Die zweite Ursache lag in der Zusammensetzung unserer Gesellschaft. Ich habe erw„hnt, daá ich in St. Louis von dem Oberingenieur und den drei Surveyors sehr freundlich begrát worden sei. Diese Aufnahme, welche ich bei ihnen fand, lieá mich ein gutes und erfolgreiches Zusammenwirken erwarten; darin sollte ich mich aber leider get„uscht haben. Meine Kollegen waren echte Yankees, welche in mir das Greenhorn, den unerfahrenen Dutchman sahen, dieses letztere Wort als Schimpfwort genommen. Sie wollten Geld verdienen, ohne viel danach zu fragen, ob sie ihre Aufgabe auch wirklich gewissenhaft erfllten. Ich war als ehrlicher Deutscher ihnen dabei ein Hemmschuh, dem sie die erst gezeigte Gunst sehr bald entzogen. Ich lieá mich dies nicht anfechten und tat meine Pflicht. Es war noch nicht viel Zeit vergangen, so machte ich die Bemerkung, daá es mit ihren Kenntnissen eigentlich nicht sehr weit her war; sie warfen mir die schwierigsten Arbeiten zu und machten sich das Leben so leicht wie m”glich. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, denn ich bin stets der Ansicht gewesen, daá man um so st„rker wird, je mehr man leisten muá. Mr. Bancroft, der Oberingenieur, war der unterrichtetste von ihnen; leider aber stellte es sich heraus, daá er den Branntwein liebte. Es waren einige F„áchen dieses verderblichen Getr„nkes aus Santa F‚ gebracht worden, und seitdem besch„ftigte er sich weit mehr mit dem Brandy als mit den Meáinstrumenten. Es kam vor, daá er halbe Tage lang total betrunken an der Erde lag. Riggs, Marcy und Wheeler, die drei Surveyors, hatten, ebenso wie auch ich, den Schnaps mit bezahlen mssen, und sie tranken, um ja nicht zu kurz zu kommen, mit ihm um die Wette. Es l„át sich denken, daá auch diese Gentlemen sich oft nicht in der besten Verfassung befanden. Da ich keinen Tropfen trank, so war ich natrlich - 32 - der Arbeitsmann, w„hrend sie sich in steter Abwechslung zwischen dem Trinken und dem Ausschlafen ihres Rausches hielten. Wheeler war mir noch der liebste von ihnen, denn er hatte so viel Verstand, einzusehen, daá ich mich fr sie plagte, ohne im mindesten dazu verpflichtet zu sein. Daá unsere Arbeit unter diesen Verh„ltnissen litt, versteht sich ganz von selbst. Die brige Gesellschaft lieá nicht weniger zu wnschen brig. Wir hatten bei unserer Ankunft auf der Sektion zw”lf auf uns wartende "Westm„nner" angetroffen. Ich als Neuling hegte in der ersten Zeit ganz bedeutenden Respekt vor ihnen, erkannte aber nur zu bald, daá ich es mit Leuten von sehr niederem moralischem Range zu tun hatte. Sie sollten uns beschtzen und bei unsern Arbeiten Hilfe leisten. Glcklicherweise kam volle drei Monate lang nichts vor, was mir Veranlassung gegeben h„tte, mich in diesen sehr zweifelhaften Schutz zu begeben, und was ihre Hilfeleistungen betraf, so konnte ich mit vollem Rechte behaupten, daá hier die zw”lf gr”áten Faulenzer der Vereinigten Staaten sich ein Stelldichein gegeben hatten. Wie traurig muáte es unter solchen Umst„nden mit der Disziplin beschaffen sein! Bancroft war dem Namen und dem Auftrage nach der Kommandierende, und er geb„rdete sich auch ganz so, es zu sein, doch kein Mensch gehorchte ihm. Wenn er einen Befehl erteilte, so lachte man ihn aus; dann fluchte er, wie ich selten einen Menschen habe fluchen h”ren, und ging zum Brandyfasse, um sich fr diese Anstrengung zu belohnen. Riggs, Marcy und Wheeler handelten nicht viel anders. Da h„tte nun wohl ich allen Grund gehabt, mich der Zgel zu bem„chtigen, und ich tat dies auch, doch so, daá man es nicht bemerkte. So ein junger und unerfahrener Mensch konnte von solchen Leuten unm”glich fr voll angesehen werden. W„re ich so unklug gewesen, einmal im gebieterischen Tone zu sprechen, so h„tte der Erfolg ganz gewiá in einem schallenden Gel„chter bestanden. Nein, ich muáte leise und vorsichtig verfahren, ungef„hr so wie eine kluge Frau, welche ihren widerhaarigen Mann zu lenken und zu leiten weiá, ohne daá er eine Ahnung davon hat. Ich wurde von diesen halbwilden, schwer zu - 33 - zgelnden Westm„nnern t„glich wohl zehnmal ein Greenhorn genannt, und doch richteten sie sich unbewuát nach mir, indem ich sie bei der Meinung lieá, daá sie ihrem eigenen Willen folgten. Hierbei hatte ich einen vorzglichen Beistand an Sam Hawkens und seinen beiden Gef„hrten Dick Stone und Will Parker. Diese drei M„nner waren durch und durch ehrlich und dabei, was ich dem kleinen Sam bei unserm ersten Zusammentreffen in St. Louis nicht hatte ansehen k”nnen, erfahrene, kluge und khne Westl„ufer, deren Namen weithin einen guten Klang besaáen. Sie hielten sich meist zu mir und zogen sich von den Andern zurck, doch so, daá diese sich nicht etwa beleidigt fhlen konnten. Besonders verstand es Sam Hawkens trotz seiner komischen Eigentmlichkeiten, dem, was er wollte, bei der widerspenstigen Gesellschaft Achtung zu verschaffen, und so oft er in seiner halb strengen und halb drolligen Tonart etwas durchsetzte, so geschah dies stets, um mir zur Erringung dessen, was ich wollte, behilflich zu sein. Es hatte sich zwischen ihm und mir im Stillen ein Verh„ltnis herausgebildet, welches ich am besten mit dem Worte Suzer„nit„t, Oberlehnsherrlichkeit, bezeichnen m”chte. Er hatte mich unter seinen Schutz genommen, und zwar wie einen Menschen, den man gar nicht danach zu fragen braucht, ob er damit einverstanden ist. Ich war das Greenhorn und er der erfahrene Westmann, dessen Worte und Taten fr mich unfehlbar zu sein hatten. Er gab mir, so oft sich Zeit und Gelegenheit bot, theoretischen und praktischen Unterricht in allem, was man im wilden Westen wissen und auch k”nnen muá, und wenn ich heut der Wahrheit nach sagen muá, daá ich sp„ter an Winnetous Seite die hohe Schule durchmachte, so muá ich billig eingestehen, daá Sam Hawkens mein Elementarlehrer gewesen ist. Er fertigte mir sogar h”chst eigenh„ndig einen Lasso an und erlaubte mir, mich im Werfen dieser gef„hrlichen Waffe an seiner eignen kleinen Person und seinem Pferde zu ben. Als ich es dann so weit gebracht hatte, daá die Schlinge bei jedem Wurfe ihr Ziel unfehlbar faáte, freute er sich herzlich und rief aus: ¯Sch”n so, mein junger Sir; so ist's recht! Doch bildet - 34 - Euch auf dieses Lob ja nicht etwas ein! Ein Schulmeister muá selbst den dmmsten Jungen zuweilen loben, wenn dieser nicht ganz und gar sitzen bleiben soll. Ich bin der Lehrer schon manches jungen Westmannes gewesen, und sie alle haben viel, viel leichter gelernt und mich viel rascher begriffen als Ihr, doch wenn Ihr Euch so weiter bt, so ist es vielleicht m”glich, daá man Euch nach sechs oder acht Jahren nicht mehr ein Greenhorn zu nennen braucht. Bis dahin m”gt Ihr Euch mit der alten Erfahrung tr”sten, daá ein Dummer es zuweilen ebenso weit oder wohl gar noch weiter bringt als ein Gescheiter, wenn ich mich nicht irre!® Er brachte dies scheinbar im gr”áten Ernste vor, und ich nahm es mit demselben Ernste hin, wuáte aber recht wohl, wie ganz anders er es meinte. Von diesen Unterweisungen waren mir besonders die praktischen willkommen, denn die Berufsarbeit nahm mich so in Anspruch, daá ich, wenn Sam Hawkens nicht gewesen w„re, mir wohl nicht die Zeit genommen h„tte, mich in den Fertigkeiten zu ben, welche ein Prairiej„ger besitzen muá. šbrigens hielten wir diese šbungen geheim; sie wurden stets in solcher Entfernung vom Lager vorgenommen, daá man uns nicht beobachten konnte. Sam wollte es so, und als ich ihn einmal nach dem Grunde fragte, antwortete er: ¯Geschieht Euch zuliebe, Sir. Ihr habt so wenig Geschick fr solche Sachen, daá ich mich in Eure Seele hinein sch„men máte, wenn diese Kerls uns dabei s„hen. So, nun wiát Ihr es, hihihihi. Nehmt es Euch zu Herzen!® Die Folge davon war, daá die ganze Gesellschaft mir in Beziehung auf Waffenfhrung und k”rperliche Geschicklichkeit nichts zutraute, was mich aber nicht im mindesten kr„nken konnte. Trotz aller vorhin erw„hnten Hindernisse waren wir schlieálich doch so weit gekommen, daá wir den Anschluá an die n„chste Sektion nach Verlauf von vielleicht einer Woche erreichen konnten. Um dies dort zu melden, muáte ein Bote abgesandt werden. Bancroft erkl„rte, daá er diesen Ritt selbst machen und einen der Westm„nner als Fhrer mitnehmen wolle. Diese Absendung einer Nachricht war nicht die erste, welche geschah, denn wir hatten sowohl mit der hinter als auch mit der vor - 35 - uns liegenden Sektion in einem immerw„hrenden Botenverkehr stehen mssen. Infolge dessen wuáte ich, daá der vor uns befehligende Ingenieur ein sehr tchtiger Mann war. Es war an einem Sonntage frh, als Bancroft aufbrechen wollte. Er hielt es fr n”tig, vorher einen Abschiedstrunk zu tun, an welchem sich alle beteiligen sollten. Ich allein wurde nicht dazu eingeladen, und Hawkens, Stone und Parker folgten der an sie ergangenen Aufforderung nicht. Der Trunk zog sich, wie ich gleich geahnt hatte, so sehr in die L„nge, daá er erst dann aufh”rte, als Bancroft kaum mehr lallen konnte. Seine Zechgenossen hatten gleichen Schritt mit ihm gehalten und waren nicht minder betrunken als er. Von dem beabsichtigten Ritte konnte fr jetzt keine Rede sein. Die Kerls taten, was sie in diesem Zustande stets getan hatten: sie krochen hinter die Bsche, um auszuschlafen. Was nun tun? Der Bote muáte fort, und diese Menschen schliefen nun jedenfalls bis weit in den Nachmittag hinein. Es war am besten, ich unternahm den Ritt; aber konnte ich fort? Ich war berzeugt, daá bis zu meiner Rckkehr nach voraussichtlich vier Tagen von Arbeit keine Rede sein werde. W„hrend ich mit Sam Hawkens mich darber beriet, deutete er mit der Hand nach Westen und sagte: ¯Wird nicht n”tig sein, daá Ihr reitet, Sir. K”nnt die Botschaft den Beiden mitgeben, welche dort kommen.® Als ich in die angegebene Richtung blickte, sah ich zwei Reiter, welche sich uns n„herten. Es waren Weiáe, und in dem einen erkannte ich einen alten Scout *), welcher schon einige Male bei uns gewesen war, um uns von der n„chsten Sektion Nachricht zu bringen. Neben ihm ritt ein jngerer Mann, welcher nicht wie ein Westl„ufer gekleidet war. Den hatte ich noch nicht gesehen. Ich ging ihnen entgegen; als ich sie erreichte, hielten sie ihre Pferde an, und der Unbekannte fragte mich nach meinem Namen. Als ich ihm denselben genannt hatte, betrachtete er mich mit freundlich forschendem Blicke und sagte: ¯So seid Ihr also der junge, deutsche Gentleman, der hier *) Pfadfinder. - 36 - alle Arbeit tut, w„hrend die Andern auf der faulen Haut liegen. Ihr werdet wissen, wer ich bin, wenn ich Euch meinen Namen sage, Sir. Ich heiáe White.® Das war der Name des Dirigenten der westlich n„chsten Sektion, zu welchem der Bote hatte geschickt werden sollen. Daá er selbst kam, muáte einen Grund haben. Er stieg vom Pferde, gab mir die Hand und lieá sein Auge suchend ber unser Lager schweifen. Als er die Schl„fer hinter den Bschen und dann auch das Branntweinfaá erblickte, ging ein verst„ndnisvolles, aber keineswegs freundliches L„cheln ber sein Gesicht. ¯Sind wohl betrunken?® fragte er. Ich nickte. ¯Alle?® ¯Ja. Mr. Bancroft wollte zu Euch, und da hat es einen kleinen Abschiedstrunk gegeben. Ich werde ihn wecken und ® ¯Halt!® fiel er mir in die Rede. ¯Laát sie schlafen! Es ist mir lieb, daá ich mit Euch reden kann, ohne daá sie es h”ren. Gehen wir zur Seite, und wecken sie nicht auf! Wer sind die drei M„nner, die dort bei Euch standen?® ¯Sam Hawkens, Will Parker und Dick Stone, unsere drei zuverl„ssigen Scouts.® ¯Ah, Hawkens, der kleine, sonderbare J„ger. Tchtiger Kerl; habe von ihm geh”rt. Die Drei m”gen mit uns kommen.® Ich folgte dieser Aufforderung, indem ich sie zu uns winkte, und erkundigte mich dann: ¯Ihr kommt selbst, Mr. White. Ist's etwas Wichtiges, was Ihr uns bringt?® ¯Nichts weiter, als daá ich hier einmal nach dem Rechten sehen und mit Euch, grad mit Euch reden wollte. Wir sind mit unserer Sektion fertig, Ihr mit der Eurigen noch nicht.® ¯Daran tragen die Schwierigkeiten des Terrains die Schuld, und ich will ® ¯Weiá, weiá!® unterbrach er mich. ¯Weiá leider alles. Wenn Ihr Euch nicht dreifach angestrengt h„ttet, so st„nde Bancroft noch da, wo er angefangen hat.® ¯Das ist keineswegs der Fall, Mr. White. Ich weiá zwar nicht, wie Ihr zu der irrtmlichen Ansicht gekommen seid, - 37 - daá ich allein fleiáig gewesen sein soll, doch ist es meine Pflicht ® ¯Still, Sir, still! Es sind Boten zwischen Euch und uns hin und her gegangen; die habe ich ausgehorcht, ohne daá sie es bemerkten. Es ist sehr edelmtig von Euch, daá Ihr diese S„ufer hier in Schutz nehmen wollt, aber ich will die Wahrheit h”ren. Und da ich sehe und h”re, daá Ihr zu nobel seid, sie mir zu sagen, werde ich nicht Euch, sondern Sam Hawkens fragen. Setzen wir uns hier nieder!® Wir waren nach unserm Zelte gegangen. Er setzte sich vor demselben in das Gras und winkte uns, dasselbe zu tun. Als wir dieser Aufforderung nachgekommen waren, begann er, Sam Hawkens, Stone und Parker auszufragen. Sie erz„hlten ihm alles, ohne zur Wahrheit ein berflssiges Wort zu fgen; dennoch warf ich hier und da eine Bemerkung ein, um gewisse H„rten zu mildern und meine Kollegen zu verteidigen, doch verfehlte dies den beabsichtigten Eindruck auf White. Er bat mich im Gegenteil wiederholt, diese meine Bemhungen einzustellen, da sie vollst„ndig erfolglos seien. Dann, als er alles wuáte, forderte er mich auf, ihm unsere Zeichnungen und das Tagebuch zu zeigen. Ich brauchte ihm diesen Wunsch nicht zu erfllen, tat es aber dennoch, weil ich ihn sonst beleidigt h„tte, und ich sah doch, daá er es gut mit mir meinte. Er sah alles sehr aufmerksam durch, und als er mich danach fragte, konnte ich nicht leugnen, daá ich allein der Zeichner und Verfasser war, denn keiner von den Andern hatte einen Strich getan oder einen Buchstaben geschrieben. ¯Aber aus diesem Tagebuche ersieht man nicht, wie viel oder wie wenig Arbeit auf den Einzelnen kommt,® sagte er. ¯Ihr seid in Eurer l”blichen Kollegialit„t viel zu weit gegangen.® Da bemerkte Hawkens mit pfiffigem Gesichte: ¯Greift ihm doch mal in die Brusttasche, Mr. White! Da steckt ein blechernes Dings, worin ™lsardinen gewesen sind. Die Sardinen sind heraus, aber dafr steckt etwas Papiernes drin. Wird wohl sein Privattagebuch sein, wenn ich mich nicht irre. In diesem wird es ganz anders lauten als hier in dem offiziellen Berichte, in dem er die Faulheit seiner Kollegen vertuscht.® - 38 - Sam wuáte, daá ich mir private Aufzeichnungen gemacht hatte und sie in der leer gewordenen Sardinenbchse bei mir trug. Es war mir unangenehm, daá er es sagte. White bat mich, ihm auch das zu zeigen. Was sollte ich tun? Verdienten es meine Kollegen, daá ich mich fr sie plagte, ohne Dank zu finden, und dies dann auch noch verschwieg? Ich wollte ihnen keineswegs schaden, aber auch nicht unh”flich gegen White sein. Darum gab ich ihm mein Tagebuch, doch unter der Bedingung, daá er zu niemand von dem Inhalte spreche. Er las es durch, gab es mir dann zurck und sagte: ¯Eigentlich sollte ich die Bl„tter mitnehmen und an der betreffenden Stelle abgeben. Eure Kollegen sind ganz unf„hige Menschen, denen kein einziger Dollar mehr ausbezahlt werden sollte; Euch aber máte man dreifach bezahlen. Doch, wie Ihr wollt. Nur mache ich Euch darauf aufmerksam, daá es gut fr Euch sein wird, diese Privatnotizen gut aufzuheben. Sie k”nnen Euch sp„ter leicht von groáem Nutzen sein. Und nun wollen wir die famosen Gentlemen wecken.® Er stand auf und schlug L„rm. Die "Gentlemen" kamen mit stieren Augen und verst”rten Gesichtern hinter ihren Bschen hervor. Bancroft wollte darber, daá man ihn im Schlafe gest”rt hatte, grob werden, zeigte sich aber h”flich, als ich ihm sagte, daá Mr. White von der n„chsten Sektion angekommen sei. Die Beiden hatten sich noch nicht gesehen. Das Erste war, daá er ihm einen Becher Brandy anbot; aber damit kam er an den unrechten Mann. White benutzte dieses Anerbieten sofort als Anknpfungspunkt zu einer Strafrede, wie Bancroft gewiá noch keine geh”rt oder gar selbst erhalten hatte. Dieser h”rte sie, vor Erstaunen wortlos, eine Weile an, dann fuhr er auf den Redner los, faáte ihn am Arme und schrie ihn an: ¯Herr, wollt Ihr mir wohl gleich sagen, wie Ihr heiát?® ¯White heiáe ich; das habt Ihr ja geh”rt.® ¯Und was Ihr seid?® ¯Oberingenieur der benachbarten Sektion.® ¯Hat jemand von uns Euch dort etwas zu befehlen?® ¯Ich denke, nein.® ¯Nun wohl! Ich heiáe Bancroft und bin Oberingenieur - 39 - der hiesigen Sektion. Es hat mir kein Mensch etwas zu befehlen, am allerwenigsten aber Ihr, Mr. White.® ¯Es ist richtig, daá wir uns vollst„ndig gleichstehen,® antwortete dieser ruhig. ¯Befehle von dem Andern anzunehmen, hat keiner von uns Beiden n”tig. Aber wenn der Eine sieht, daá der Andere das Unternehmen, an welchem beide arbeiten sollen, sch„digt, so ist es seine Pflicht, den Betreffenden auf seinen Fehler aufmerksam zu machen. Eure Lebensaufgabe scheint im Brandyfasse zu stecken. Ich z„hle hier sechszehn Menschen, welche alle betrunken waren, als ich vor zwei Stunden hier ankam, und so ® ¯Vor zwei Stunden?® fiel ihm Bancroft in die Rede. ¯So lange seid Ihr schon hier?® ¯Allerdings. Ich habe mir die Aufnahmen angesehen und mich darber unterrichtet, wer sie gemacht hat. Das ist ja das reine Schlaraffenleben hier gewesen, w„hrend ein Einziger und noch dazu der Jngste von Euch allen, die ganze Arbeit zu bew„ltigen hatte!® Da fuhr Bancroft zu mir herum und zischte mich an: ¯Das habt Ihr gesagt, Ihr und kein Anderer! Leugnet es einmal, Ihr niedertr„chtiger Lgner, Ihr heimtckischer Verr„ter!® ¯Nein,® antwortete ihm White. ¯Euer junger Kollege hat als Gentleman gehandelt und nur Gutes ber Euch gesprochen. Er hat Euch in Schutz genommen, und ich rate Euch, ihn um Verzeihung zu bitten, daá Ihr ihn einen Lgner und Verr„ter nanntet.® ¯Um Verzeihung bitten? F„llt mir nicht ein!® lachte Bancroft h”hnisch auf. ¯Dieses Greenhorn weiá kein Dreieck von einem Vierecke zu unterscheiden und bildet sich trotzdem ein, Surveyor zu sein. Wir sind nicht vorw„rts gekommen, weil er alles verkehrt gemacht und uns aufgehalten hat, und wenn er nun, anstatt dies einzusehen und zuzugeben, uns bei Euch verleumdet und anschw„rzt, so ® Er kam nicht weiter. Ich war monatelang geduldig gewesen und hatte diese Leute nach ihrem Belieben ber mich denken lassen. Jetzt war der Augenblick da, ihnen zu zeigen, daá sie sich in mir geirrt hatten. Ich ergriff Bancroft beim - 40 - Arme, drckte ihn so, daá er vor Schmerz den angefangenen Satz unausgesprochen lieá, und sagte: ¯Mr. Bancroft, Ihr habt zuviel Schnaps getrunken und nicht ausschlafen k”nnen. Ich nehme an, daá Ihr noch betrunken seid, und es mag also so sein, als ob Ihr nichts gesagt h„ttet.® ¯Ich, betrunken? Ihr seid verrckt!® antwortete er. ¯Jawohl, betrunken! Denn wenn ich wáte, daá Ihr nchtern seid und die Beschimpfungen mit Ueberlegung ausgesprochen habt, so w„re ich gezwungen, Euch wie einen Buben zu Boden zu schlagen. Verstanden! Habt Ihr nun noch das Herz, Euren Rausch abzuleugnen?® Ich hielt seinen Arm noch fest in meiner Hand. Er hatte gewiá nie geglaubt, jemals vor mir Angst haben zu mssen; jetzt aber frchtete er sich; das sah ich ihm an. Er war keineswegs ein schwacher Mann; aber der Ausdruck meines Gesichtes schien ihn zu erschrecken. Er wollte nicht sagen, daá er noch betrunken sei, getraute sich aber auch nicht, seine Beschuldigungen aufrecht zu erhalten; darum wendete er sich um Hilfe an den Anfhrer der zw”lf Westm„nner, die uns zur Untersttzung beigegeben waren: ¯Mr. Rattler, duldet Ihr es, daá dieser Mensch sich an mir vergreift? Seid Ihr nicht hier, um uns zu beschtzen?® Dieser Rattler war ein hoch und breit gebauter Kerl, welcher die Kraft von drei, vier Menschen zu besitzen schien, ein rohes Subjekt und zugleich Bancrofts liebster Trinkkumpan. Er konnte mich nicht leiden und nahm jetzt mit Freuden die Gelegenheit wahr, dem Grolle, den er gegen mich hegte, Luft machen zu drfen. Er trat schnell herbei, faáte mich am Arme, so wie ich Bancroft noch immer bei dem seinigen hatte, und antwortete: ¯Nein, das kann ich nicht dulden, Mr. Bancroft. Dieses Kind hat seine ersten Strmpfe noch nicht abgelaufen und will hier erwachsenen M„nnern drohen, sie versch„nden und verleumden. Tu' die Hand von Mr. Bancroft weg, Junge, sonst zeige ich dir, was fr ein Greenhorn du bist!® Diese Aufforderung war an mich gerichtet. Er schttelte mir bei derselben den Arm. Das muáte mir noch lieber sein, - 41 - denn er war ein st„rkerer Gegner als der Oberingenieur. Wenn ich ihn Mores lehrte, muáte es besser wirken, als wenn ich diesem zeigte, daá ich kein Feigling sei. Ich riá meinen Arm aus seiner Hand und entgegnete: ¯Ich ein Junge, ein Greenhorn? Widerruft das augenblicklich, Mr. Rattler, sonst schmettere ich Euch zu Boden!® [Illustration Nr. 3: Rattler am Boden] ¯Ihr mich?® lachte er. ¯So ein Greenhorn ist wirklich so albern, zu glauben, daá ® Er konnte nicht weiter reden, denn ich schlug ihm die Faust an die Schl„fe, daá er steif wie ein Sack niederstrzte und bet„ubt liegen blieb. Einige kurze Augenblicke herrschte tiefes Schweigen; dann rief einer von Rattlers Kameraden: ¯All devils! Sollen wir ruhig zusehen, wenn so ein hergelaufener Dutchman unsern Anfhrer schl„gt? Drauf auf den Halunken!® - 42 - Er sprang auf mich ein. Ich empfing ihn mit einem Fuátritte in die Magengegend. Dies ist ein sichres Mittel, den Gegner zum Fall zu bringen, nur muá man dabei sehr fest auf dem andern Beine stehen. Der Kerl strzte nieder. In demselben Momente kniete ich auf seinem Leibe und gab ihm den bet„ubenden Fausthieb an die Schl„fe. Dann sprang ich schnell auf, riá die beiden Revolver aus dem Grtel und rief: ¯Wer noch? Der mag kommen!® Rattlers ganze Bande h„tte wohl nicht bel Lust gehabt, die Niederlage ihrer beiden Kameraden zu r„chen. Einer blickte den Andern fragend an. Ich warnte aber: ¯H”rt mein Wort, ihr Leute: Wer einen Schritt nach mir tut oder mit der Hand nach der Waffe greift, bekommt augenblicklich eine Kugel in den Kopf! Denkt meinetwegen von den Greenhorns im allgemeinen, was und wie ihr wollt; von den deutschen Greenhorns aber will ich euch beweisen, daá ein einziges es recht gut mit zw”lf solchen Westm„nnern aufnimmt, wie ihr seid!® Da stellte sich Sam Hawkens an meine Seite und sagte: ¯Und ich, Sam Hawkens, will euch auch warnen, wenn ich mich nicht irre. Dieses junge, deutsche Greenhorn steht unter meinem ganz besondern Schutze. Wer es wagen sollte, ihm nur ein Haar zu krmmen, dem schieáe ich sofort ein Loch durch die Gestalt. Ist mein voller Ernst; k”nnt es euch merken, hihihihi!® Dick Stone und Will Parker hielten es fr angezeigt, sich auch neben mir aufzupflanzen, um anzudeuten, daá sie ganz der Meinung von Sam Hawkens seien. Das imponierte den Gegnern. Diese wendeten sich von mir ab, murmelten unterdrckte Flche und Drohungen in die B„rte und besch„ftigten sich dann angelegentlich mit den beiden Gefallenen, um sie zum Bewuátsein zurckzubringen. Bancroft hielt es fr das Klgste, nach dem Zelte zu gehen und in demselben zu verschwinden. White hatte mit groáen, verwunderten Augen auf mich geblickt. Jetzt schttelte er den Kopf und sagte im Tone ungeknstelten Erstaunens: ¯Aber, Sir, das ist ja frchterlich! In Eure Finger m”chte ich auf keinen Fall geraten. Man sollte Euch wahr- - 43 - haftig [wahrhaftig] Shatterhand nennen, weil Ihr einen baumlangen und baumstarken Menschen mit einem einzigen Fausthiebe niederschmettert. So etwas habe ich noch nie gesehen.® Dieser Vorschlag schien dem kleinen Hawkens zu gefallen. Er kicherte fr”hlich: ¯Shatterhand, hihihihi! Ein Greenhorn, und schon einen Kriegsnamen, und nun gar einen solchen! Ja, wenn Sam Hawkens seine Augen auf ein Greenhorn wirft, so kommt etwas dabei heraus, wenn ich mich nicht irre. Shatterhand, Old Shatterhand! Ganz „hnlich wie Old Firehand, der auch ein Westmann ist, stark wie ein B„r. Was sagt ihr dazu, Dick, Will, zu diesem Namen?® Ich bekam nicht zu h”ren, was sie antworteten, denn ich hatte meine Aufmerksamkeit auf White zu richten, welcher, meine Hand ergreifend und mich beiseite fhrend, sagte: ¯Ihr gefallt mir auáerordentlich, Sir. Habt Ihr keine Lust, mit mir zu gehen?® ¯Lust oder nicht, Mr.White, ich darf nicht.® ¯Warum?® ¯Weil meine Pflicht mich hier bindet.® ¯Pshaw! Ich verantworte es.® ¯Das nutzt mir nichts, wenn ich es nicht selbst verantworten kann. Ich bin hierher geschickt worden, um diese Sektion vermessen zu helfen, und darf nicht fort, weil wir noch nicht fertig sind.® ¯Bancroft wird es mit den drei Andern fertig machen.® ¯Ja, aber wann und wie! Nein, ich muá bleiben.® ¯Aber bedenkt, daá dies gef„hrlich fr Euch ist!® ¯Warum?® ¯Das fragt Ihr noch? Ihr mát doch einsehen, daá Ihr Euch diese Leute spinnefeind gemacht habt.® ¯Ich nicht. Ich habe ihnen nichts getan.® ¯Das ist wahr, oder vielmehr es war bis vorhin wahr. Nun Ihr aber zwei von ihnen niedergeworfen habt, ist es aus zwischen Euch und ihnen.® ¯Mag sein; ich frchte mich nicht vor ihnen. Und grad diese beiden Fausthiebe haben mich in Respekt gesetzt; es wird - 44 - sich nicht gleich jemand an mich wagen. Uebrigens stehen mir Hawkens, Stone und Parker zur Seite.® ¯Wie Ihr wollt. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, doch oft auch seine H”lle. Ich h„tte Euch gebrauchen k”nnen. Aber wenigstens ein Stck zurckbegleiten werdet Ihr mich doch?® ¯Wann?® ¯Jetzt.® ¯Ihr wollt gleich aufbrechen, Mr. White?® ¯Ja, ich habe die Verh„ltnisse hier so gefunden, daá es mich nicht gelsten kann, l„nger, als notwendig ist, hier zu bleiben.® ¯Aber etwas essen mát Ihr doch, ehe Ihr aufbrecht, Sir?® ¯Ist nicht n”tig. Wir haben in unsern Satteltaschen, was wir brauchen.® ¯Wollt Ihr Euch nicht von Bancroft verabschieden?® ¯Habe keine Lust dazu.® ¯Aber Ihr seid doch wohl gekommen, um Gesch„ftliches mit ihm zu besprechen!® ¯Allerdings. Doch kann ich Euch das auch sagen. Bei Euch findet es sogar besseres Verst„ndnis als bei ihm. Vor allen Dingen wollte ich ihn vor den Roten warnen.® ¯Habt Ihr welche gesehen?® ¯Nicht direkt, sondern nur ihre F„hrten. Es ist jetzt die Zeit, in welcher die wilden Mustangs und Bffel sdw„rts ziehen; da verlassen die Roten ihre D”rfer, um zu jagen und Fleisch zu machen. Die Kiowas sind nicht zu frchten, denn mit ihnen haben wir uns wegen der Bahn geeinigt; die Komanchen und Apachen aber wissen noch nichts davon, und so drfen wir uns vor ihnen ja nicht sehen lassen. Was mich betrifft, so bin ich mit meiner Sektion fertig und verlasse diese Gegend. Macht, daá Ihr auch zu Ende kommt! Der hiesige Boden wird von Tag zu Tag gef„hrlicher fr Euch. Sattelt jetzt Euer Pferd und fragt Sam Hawkens, ob er Lust hat, mitzukommen.® Natrlich hatte Sam Lust. Eigentlich hatte ich heut arbeiten wollen; aber es war - 45 - Sonntag, der Tag des Herrn, an welchem jeder Christ, selbst wenn er sich in der Wildnis befindet, sich sammeln und mit seinen geistlichen Pflichten besch„ftigen soll. Dazu hatte ich wohl einmal einen Ruhetag verdient. Ich ging also zu Bancroft in das Zelt und sagte ihm, daá ich heut nicht arbeiten, sondern White mit Sam Hawkens ein Stck begleiten wrde. ¯Geht in des Teufels Namen, und laát euch von ihm die H„lse brechen!® antwortete er, und ich dachte nicht, daá dieser rohe Wunsch in kurzer Zeit beinahe in Erfllung gehen wrde. Ich war seit einigen Tagen nicht in den Sattel gekommen, und mein Rotschimmel wieherte freudig auf, als ich ihm das Zeug auflegte. Er hatte sich als ein vortreffliches Pferd bew„hrt, und ich freute mich schon im voraus darauf, dies meinem alten ¯Gunsmith® Henry sagen zu drfen. Wir ritten munter in den sch”nen Herbstmorgen hinein, sprachen ber das geplante, groáartige Bahnunternehmen und ber alles, was uns auf dem Herzen lag. White gab mir die n”tigen Winke, welche sich auf den Anschluá an seine Sektion bezogen, und zu Mittag machten wir an einem Wasser Halt, um ein frugales Mahl zu genieáen. Dann ritt White mit seinem Scout weiter, und wir blieben noch ein Weilchen liegen, um uns ber religi”se Dinge zu unterhalten. Hawkens war n„mlich ein frommer Mensch, wenn er dies auch gegen Andere nicht zutage treten lieá. Kurz, bevor wir aufbrachen, um zurckzukehren, bckte ich mich zum Wasser nieder, um mit der Hand zu sch”pfen und zu trinken. Da sah ich durch die kristallhelle Flssigkeit auf dem Boden einen Eindruck, welcher von einem Fuáe herzurhren schien. Natrlich machte ich Sam darauf aufmerksam. Er betrachtete den Eindruck aufmerksam und sagte dann: ¯Dieser Mr. White hatte ganz recht, als er uns vor den Indianern warnte.® ¯Meint Ihr, Sam, daá diese Spur von einem Indianer herrhrt?® ¯Ja, von einem indianischen Mokassin. Wie wird Euch dabei zu Mute, Sir?® ¯Gar nicht.® ¯Fi! Ihr mát doch etwas denken oder fhlen?® - 46 - ¯Was soll ich anderes denken, als daá ein Roter hier gewesen ist?® ¯Also habt Ihr keine Angst?® ¯F„llt mir nicht ein!® ¯Wenigstens Sorge?® ¯Auch nicht.® [Illustration Nr. 4: Entdeckung im Wasser] ¯Ja, Ihr kennt die Roten nicht!® ¯Hoffe sie aber kennen zu lernen. Sie werden wohl grad so wie andere Menschen sein, n„mlich die Feinde ihrer Feinde und die Freunde ihrer Freunde. Und da es nicht meine Absicht ist, sie feindlich zu behandeln, so nehme ich an, daá ich nichts von ihnen zu befrchten habe.® ¯Ihr seid eben ein Greenhorn und werdet es ewig bleiben. - 47 - Nehmt Euch noch so fest vor, wie Ihr die Roten behandeln wollt, es wird doch ganz, ganz anders kommen. Die Ereignisse sind doch nicht von Eurem Willen abh„ngig. Ihr werdet das erfahren, und ich will wnschen, daá diese Erfahrung Euch nicht einen tchtigen Fetzen Menschenfleisch aus Eurem eigenen Leib oder gar das Leben kostet.® ¯Wann mag dieser Indsman hier gewesen sein?® ¯Vor ungef„hr zwei Tagen. Wir wrden seine Spuren hier im Grase sehen, wenn es sich nicht w„hrend der Zeit wieder aufgerichtet h„tte.® ¯Ein Kundschafter wohl?® ¯Ein Kundschafter auf Bffelfleisch, ja; denn da jetzt Friede zwischen den hiesigen St„mmen herrscht, kann es kein Kriegskundschafter gewesen sein. Der Kerl war auáerordentlich unvorsichtig, also sehr wahrscheinlich jung.® ¯Wieso?® ¯Ein erfahrener Krieger tritt nicht mit dem Fuáe in ein Wasser wie dieses hier, wo die Spur auf dem seichten Grunde zurckbleibt und noch lange gesehen werden kann. So eine Dummheit kann nur von einem Dummkopfe begangen werden, der gerade so ein rotes Greenhorn ist, wie Ihr ein weiáes seid, hihihihi. Und weiáe Greenhorns pflegen sogar noch viel dmmer zu sein als rote. K”nnt Euch das mit merken, Sir!® Er kicherte leise in sich hinein und stand dann auf, um sein Pferd zu besteigen. Der gute Sam liebte es eben, mir seine herzliche Zuneigung dadurch zu verstehen zu geben, daá er mich fr dumm erkl„rte. Wir h„tten auf dem Wege, den wir gekommen waren, zurckkehren k”nnen; aber als Surveyor war es meine Aufgabe, unsere Strecke kennen zu lernen; darum bogen wir erst ein Stck ab und schlugen dann die Parallele ein. Dabei kamen wir in ein ziemlich breites Tal, welches mit saftigem Grase bewachsen war; die Lehnen, von denen es hben und drben einges„umt wurde, trugen unten Gebsch und weiter oben Wald. Das Tal war vielleicht eine halbe Wegstunde lang und so schnurgerade, daá man von dem Anfange desselben bis an das Ende sehen konnte. Wir waren nur wenige Schritte in dieser freundlichen Bodensenkung vorw„rts - 48 - gekommen, da hielt Sam sein Pferd an und blickte aufmerksam nach vorn. ¯Heig-day [Heigh-day]!® stieá er hervor. ¯Da sind sie! ja [Ja] wirklich, da sind sie, die allerersten!® ¯Was?® fragte ich. Ich sah ganz fern, weit vor uns, vielleicht achtzehn bis zwanzig dunkle Punkte, welche sich langsam bewegten. ¯Was?® wiederholte er meine Frage, indem er lebhaft im Sattel hin und her rutschte. ¯Sch„mt Euch doch, eine solche Frage auszusprechen! Ach so, Ihr seid ja ein Greenhorn, und zwar ein ganz gewaltiges! Solche Kerls, wie Ihr, pflegen mit offenen Augen nicht zu sehen. Habt doch einmal die freundliche Gewogenheit, verehrtester Sir, zu raten, was das fr Dinger sind, auf denen dort Eure sch”nen Augen ruhen!® ¯Raten? Hm! Ich wrde sie fr Rehe halten, wenn ich nicht wáte, daá diese Wildgattung in Rudeln oder Sprngen von nicht ber zehn Stck beisammen lebt. Auch muá ich, wenn ich die Entfernung in Betracht ziehe, sagen, daá die Tiere dort, so klein sie von hier aus zu sein scheinen, bedeutend gr”áer als Rehe sein mssen.® ¯Rehe, hihihihi!® lachte er. ¯Rehe hier oben an den Quellen des Kanadian! Das ist ein Meisterstck von Euch! Aber das andere, was Ihr sagtet, war gar nicht so bel berlegt. Ja, gr”áer sind sie, diese Tiere, viel, viel gr”áer als Rehe!® ¯Ach, lieber Sam, doch nicht etwa gar Bffel?® ¯Natrlich Bffel! Bisons sind es, echte, wahre Bisons, die sich auf der Wanderung befinden, die ersten, die ich heuer sehe. Nun wiát Ihr, daá Mr. White recht gehabt hat: Bisons und Indianer. Von den Roten sahen wir nur eine Fuáspur; die Bffel aber haben wir in Lebensgr”áe vor den Augen. Was sagt Ihr dazu, he, wenn ich mich nicht irre?® ¯Wir mssen hin!® ¯Natrlich!® ¯Sie beobachten!® ¯Beobachten? Wirklich beobachten?® fragte er, indem er mich ganz erstaunt von der Seite her anblickte. [Tafel Nr. 1: "Bd. VII. Die ersten Bisons. (Zu S. 48.)"] - 49 - ¯Ja. Ich habe noch nie Bisons gesehen und m”chte diese hier so gerne belauschen.® Ich fhlte jetzt nur das Interesse des Zoologen; das war dem kleinen Sam vollst„ndig unbegreiflich. Er schlug die H„nde zusammen, und meinte: ¯Belauschen, nur belauschen. Grad so, wie ein kleiner Junge seine Augen neugierig an eine Ritze des Kaninchenstalles legt, um die Karnickels zu belauschen! O, Greenhorn, was muá ich alles an Euch erleben! Nicht beobachten und belauschen, sondern jagen werde ich sie, wirklich jagen!® ¯Heut, am Sonntage!® Das fuhr mir so unbedacht heraus. Er wurde wirklich zornig darber und herrschte mich an: ¯Haltet gef„lligst Euren Schnabel, Sir! Was fr„gt ein richtiger Westmann nach dem Sonntage, wenn er die ersten Bffel vor sich sieht! Das gibt Fleisch, verstanden, Fleisch, und was fr welches, wenn ich mich nicht irre! Ein Stck Bisonlende ist noch herrlicher als das himmlische Ambrosius oder Ambrosianna, oder wie das Zeug hieá, von welchem die alten griechischen G”tter lebten. Ich muá eine Bffellende haben, und wenn es mich das Leben kosten sollte! Die Luft ist uns entgegen; das ist gut. Hier, an der linken, n”rdlichen Talwand ist nur Sonne; drben rechts aber gibt es Schatten. Wenn wir uns in diesem halten, werden uns die Tiere nicht vorzeitig bemerken. Kommt!® Er sah nach seiner "Liddy", ob die beiden L„ufe derselben in Ordnung seien, und trieb sein Pferd nach der sdlichen Talwand hinber. Diesem Beispiele folgend, untersuchte ich auch meinen B„rent”ter. Er sah dies, hielt sofort sein Pferd an und fragte: ¯Wollt Ihr Euch etwa gar beteiligen, Sir?® ¯Natrlich!® ¯Das laát hbsch bleiben, wenn Ihr nicht binnen jetzt und zehn Minuten zu Brei zerstampft sein wollt! Ein Bison ist kein Kanarienvogel, den man auf den Finger nimmt und singen l„át. Ehe Ihr Euch an so gef„hrliches Wild wagen drft, muá noch viel sch”nes und viel schlechtes Wetter ber die Felsenberge gehen.® - 50 - ¯Aber ich will doch ® ¯Schweigt und gehorcht!® unterbrach er mich in einem Tone, den er noch nie gegen mich angewendet hatte. ¯Ich will Euer Leben nicht auf dem Gewissen haben, und es ist der Rachen des sichersten Todes, in den Ihr reiten wrdet. Macht zu andern Zeiten, was Ihr wollt; jetzt aber dulde ich keine Widersetzlichkeit!® H„tte nicht ein so gutes Verh„ltnis zwischen uns bestanden, es w„re ihm gewiá eine sehr kr„ftige Antwort geworden, so aber schwieg ich und ritt langsam im Schattenstreifen, den der Wald herniederwarf, hinter ihm her. Dabei erkl„rte er mir, nun wieder in milderem Tone sprechend: ¯Es sind zwanzig Stck, wie ich sehe. Aber seid einmal dabei, wenn tausend und noch mehr Stck ber die Savanne brausen! Ich habe frher Herden von zehntausend und darber gesehen. Das war des Indianers Brot; die Weiáen haben es ihm genommen. Der Rote schonte das Wild, weil es ihm Nahrung gab; er erlegte nur so viel, wie er brauchte. Der Weiáe aber hat unter den ungez„hlten Herden gewtet wie ein grimmiges Raubtier, welches auch dann, wenn es ges„ttigt ist, weiter mordet, nur um Blut zu vergieáen. Wie lange wird es dauern, so gibt es keinen Bffel und dann nach kurzer Zeit auch keinen Indianer mehr. Gott sei es geklagt! Und grad so ist's auch mit den Pferdeherden. Es gab Trupps von tausend Mustangs und noch h”her. Jetzt ist man ganz entzckt, wenn man das Glck hat, einmal so ein hundert Stck beisammen zu sehen.® Wir waren indessen bis auf ungef„hr vierhundert Schritt an die Bffel gekommen, ohne daá sie uns bemerkten, und Hawkens hielt sein Pferd an. Die Tiere grasten langsam talaufw„rts. Am weitesten vorgerckt war ein alter Bulle, dessen Riesenleib ich mit Erstaunen betrachtete. Er war ganz gewiá gegen zwei Meter hoch und wohl drei Meter lang; damals verstand ich das Gewicht eines Bisons noch nicht zu taxieren; heute sage ich, daá dieser hier wohl an die dreiáig Zentner wiegen konnte, eine ganz erstaunliche Fleisch- und Knochenmasse. Er war auf eine Schlammlache gestoáen und w„lzte sich behaglich in derselben. - 51 - ¯Das ist der Leitstier,® flsterte Sam, ¯der gef„hrlichste der ganzen Gesellschaft. Wer mit dem anbindet, muá sein Testament unterschrieben haben. Ich nehme die junge Kuh rechts dahinten. Paát auf, wohin ich ihr die Kugel gebe! Hinter dem Schulterblatte von der Seite schr„g in das Herz hinein; das ist der beste, ja der einzig sichre Schuá auáer dem in das Auge; aber welcher nicht wahnsinnige Mensch wird einen Bison von vorn nehmen, um ihn in das Auge zu treffen! Bleibt hier halten, und drckt Euch mit dem Pferde ins Gestr„uch! Wenn sie mich sehen und dann fliehen, wird die wilde Jagd grad hier vorbergehen. Laát es Euch aber ja nicht einfallen, diese Stelle zu verlassen, ehe ich wiederkomme oder Euch rufe!® Er wartete, bis ich mich zwischen zwei Bsche gedrckt hatte, und ritt dann, zun„chst langsam und leise weiter. Mir war ganz sonderbar zu Mute. Wie man den Bison jagt, das hatte ich sehr oft gelesen; darber konnte man mir nichts Neues sagen; aber es ist ein Unterschied zwischen dem Papiere, auf welches man solche Beschreibungen druckt, und der Wildnis, in der man diese Jagden erlebt. Heute sah ich zum erstenmal in meinem Leben Bffel. Was fr Wild hatte ich bisher geschossen? Im Verh„ltnisse zu diesen riesigen, gef„hrlichen Tieren keins, gar keins. Da sollte man meinen, ich sei ganz einverstanden gewesen mit Sams Befehle, mich ja nicht zu beteiligen; aber es fand das gerade Gegenteil statt. Vorhin hatte ich nur beobachten, belauschen wollen, jetzt fhlte ich einen m„chtigen, ja unwiderstehlichen Drang, mitzutun. An eine junge Kuh wollte Sam sich machen, pfui! dachte ich, dazu geh”rt kein Mut; ein rechter Mann w„hlt grad den st„rksten Bullen! Mein Pferd war auáerordentlich unruhig geworden; es tanzte mit den Hufen; es hatte auch noch keine Bffel gesehen, frchtete sich und wollte fliehen; kaum vermochte ich, es zurckzuhalten. War es da nicht besser, wenn ich es zwang, den Bullen anzunehmen? Ich war nicht etwa erregt, sondern berlegte, innerlich ganz ruhig, zwischen Ja und Nein. Da entschied der Eindruck des Augenblickes. Sam hatte sich den Bisons bis auf dreihundert Schritte - 52 - gen„hert; dann gab er seinem Pferde die Sporen und galoppierte auf die Herde zu und an dem m„chtigen Bullen vorbei, um an die Kuh zu kommen, welche er mir bezeichnet hatte. Sie stutzte und vers„umte die Flucht; er erreichte sie; ich sah, daá er im Vorberjagen auf sie schoá. Sie zuckte zusammen und senkte den Kopf. Ob sie zusammenbrach, das sah ich nicht, denn mein Auge wurde durch einen andern Anblick gefesselt. Der Riesenbulle war aufgesprungen; er stierte nach Sam Hawkens hin. Welch ein m„chtiges Tier! Dieser dicke Kopf mit dem gew”lbten Sch„del, der breiten Stirn und den zwar kurzen, aber starken, aufw„rts gekrmmten H”rnern, diese dichte, zottige M„hne um Hals und Brust! Dem Bilde ursprnglichster, rohester Kraft wurde durch den hohen Widerrist die h”chste Vollendung gegeben. Ja, das war ein h”chst gef„hrliches Gesch”pf; aber sein Anblick reizte f”rmlich zu dem Verlangen, menschliches K”nnen an dieser tierischen St„rke zu messen. Wollte ich, oder wollte ich nicht? Ich weiá es nicht. Oder ging mein Rotschimmel mit mir durch? Er schoá aus den Bschen heraus und wollte nach links; ich riá ihn aber nach rechts herum und flog auf den Bullen zu. Er h”rte mich kommen und wendete sich nach mir um; mich sehend, senkte er den Kopf, um Roá und Reiter mit den H”rnern zu empfangen. Ich h”rte Sam aus allen Kr„ften schreien, hatte aber keine Zeit, den Blick nach ihm zu richten. Dem Bison eine Kugel geben, war unm”glich, denn erstens stand er mir nicht schuágerecht und zweitens wollte mir das Pferd nicht gehorchen; es schoá vor Angst grad auf die drohenden H”rner zu. Um es aufzuspieáen, warf der Bffel seine Hinterbeine zur Seite und den Kopf mit einem gewaltigen Stoáe in die H”he; mit Anstrengung aller Kr„fte gelang es mir, den Schimmel ein wenig abzubringen; er flog in einem weiten Satze ber das Hinterteil des Bullen hinweg, w„hrend in demselben Augenblicke dessen H”rner ganz nahe an meinem Beine vorbeistieáen. Unser Sprung ging grad in die Schlammlache hinein, in welcher der Bffel sich gew„lzt hatte; ich sah es und nahm die Fáe aus den Bgeln, zu meinem Glcke, denn das Pferd glitt aus und wir strzten. Wie das so schnell geschehen konnte, ist mir heut noch unbe- - 53 - greiflich [unbegreiflich], doch stand ich schon im n„chsten Augenblicke aufrecht neben der Lache, das Gewehr noch fest in der Hand. Der Bffel hatte sich nach uns umgedreht und sprang in ungelenken S„tzen auf das Pferd zu, welches sich auch aufgerafft hatte und im Begriffe stand, zu entfliehen. Dabei bot er mir seine Flanke zum Schusse; ich legte an; jetzt sollte sich der schwere B„rent”ter zum erstenmal im Ernste bew„hren. Noch einen Sprung, so hatte der Bison den Rotschimmel erreicht; ich drckte ab er blieb mitten im Laufe stehen, ob vor Schreck ber den Schuá oder weil ich gut getroffen hatte, das wuáte ich nicht; ich gab ihm sofort auch die zweite Kugel. Er hob langsam den Kopf, stieá ein mir durch alle Glieder gehendes Brllen aus, wankte einigemal hin und her und brach dann auf derselben Stelle, wo er stand, zusammen. Ich h„tte vor Freude ber diesen schweren Sieg hell aufjubeln m”gen, hatte aber Notwendigeres zu tun. Mein Pferd setzte reiterlos nach rechts hinunter, w„hrend ich Sam Hawkens am jenseitigen Talrande dahingaloppieren sah, von einem Stiere verfolgt, welcher nicht viel kleiner als mein Bulle war. Man muá wissen, daá der Bison, einmal gereizt, nicht von seinem Gegner l„át und es dabei an Schnelligkeit mit dem Pferde aufnimmt. Er entwickelt dann einen Mut, eine List und eine Ausdauer, die ihm vorher gewiá niemand zutraut. So war auch dieser Stier dem Reiter hart auf den Fersen. Um ihm zu entgehen, muáte Hawkens die gewagtesten Wendungen machen, welche das Pferd ermdeten; es hielt jedenfalls nicht so lange aus wie der Bffel; da war also Hilfe dringend n”tig. Ich hatte keine Zeit, nachzusehen, ob mein Bulle wirklich tot sei oder nicht; ich lud schnell beide L„ufe des B„rent”ters und sprang dann ber das Tal hinber. Sam sah dies; er wollte der Hilfe entgegenkommen und warf sein Pferd in die Richtung nach mir herum. Das war ein groáer Fehler, denn der Stier, welcher eng hinter ihm war, bekam dadurch das Pferd quer vor sich; ich sah, daá er die H”rner senkte; ein Stoá und er hob das Pferd samt dem Reiter empor und lieá, als sie dann zur Erde strzten, mit wtenden und schttelnden St”áen nicht von ihnen ab. Sam schrie um Hilfe, was er schreien konnte. Ich war wohl noch hundertfnfzig - 54 - Schritte entfernt und durfte keinen Augenblick z”gern. Der Schuá w„re zwar aus gr”áerer N„he sicherer gewesen, aber wenn ich zauderte, konnte Sam verloren sein, und wenn ich ja nicht gut traf, hatte ich doch hoffentlich den Erfolg, das Untier von dem Freunde abzulenken. Ich blieb also stehen, zielte hinter das linke Schulterblatt und schoá. Der Bffel hob den Kopf mit einer Bewegung, als ob er horchen wolle, und drehte sich langsam um. Da sah er mich und kam auf mich zugerannt, doch mit sich verringernder Schnelligkeit; dadurch glckte es mir, den abgeschossenen Lauf mit fiebernder Eile wieder zu laden, und ich war damit fertig, als das Tier h”chstens noch dreiáig Schritte zu mir zu machen hatte. Es konnte nicht mehr rennen; seine Bewegungen waren nur noch ein langsames Laufen; aber mit tief gesenktem Kopfe und blutunterlaufenen, grausam vorw„rts glotzenden Augen kam es auf mich zu, n„her und n„her wie ein schweres Verh„ngnis, welches nicht aufzuhalten ist. Da kniete ich nieder und legte das Gewehr an. Diese Bewegung verursachte den Bison, stehen zu bleiben und den Kopf ein wenig zu heben, um mich besser oder voller sehen zu k”nnen. Das brachte die tckischen Augen vor meine beiden L„ufe; ich schickte eine Kugel in das rechte und die andere in das linke ein kurzes Zittern ging durch den Leib, dann strzte die Bestie nieder. Ich sprang auf, um zu Sam zu eilen, doch war dies nicht notwendig, denn ich sah ihn gelaufen kommen. ¯Halloo!® rief ich ihm zu. ¯Ihr lebt? Ihr seid nicht schwer verletzt?® ¯Gar nicht,® antwortete er. ¯Nur die rechte Hfte tut mir weh vom Sturze, oder ist's die linke, wenn ich mich nicht irre; ich kann es nicht genau wegbekommen.® ¯Und Euer Pferd?® ¯Ist hin. Es lebt zwar noch, doch hat ihm der Bffel den ganzen Leib aufgerissen. Um seine Leiden abzukrzen, mssen wir es erschieáen, das arme Tier. Ist der Bison tot?® ¯Hoffe es; wollen ihn untersuchen.® Wir taten dies und berzeugten uns, daá kein Leben mehr in ihm war. Da sagte Hawkens mit einem tiefen, tiefen Atemzuge: - 55 - ¯Hat mir dieser alte, brutale Ochse zu schaffen gemacht! Eine Kuh w„re zarter mit mir umgegangen. Freilich, Ochsen darf man nicht zumuten, ladylike zu sein, hihihihi!® ¯Wie ist er denn auf den dummen Gedanken gekommen, mit Euch anzubinden?® ¯Habt Ihr das nicht gesehen?® ¯Nein.® ¯Nun, ich schoá die Kuh nieder, und konnte, da mein Pferd im Galoppieren war, es grad erst in dem Augenblick anhalten, als es an diesen Ochsen anrannte. Das nahm er bel und nahm mich aufs Korn. Ich gab ihm zwar schnell die zweite Kugel, die ich in meiner Liddy hatte, sie scheint ihn aber nicht vernnftiger gemacht zu haben, denn er bewies mir eine Zuneigung, welche ich ihm nicht erwidern konnte. Er hat mich so gehetzt, daá es mir unm”glich war, das Gewehr wieder zu laden; ich habe es weggeworfen, weil es mir doch nichts ntzte und ich dadurch die H„nde zur besseren Leitung des Pferdes frei bekam, wenn ich mich nicht irre. Der arme Gaul hat sein M”glichstes getan, sich aber doch nicht retten k”nnen.® ¯Weil Ihr die letzte schnelle, verh„ngnisvolle Wendung machtet. Ihr h„ttet einen Bogen reiten sollen; dadurch w„re das Pferd gerettet worden.® ¯Gerettet worden? Ihr sprecht doch wie ein Alter. Das sollte man von einem Greenhorn nicht erwarten.® ¯Pshaw! Greenhorns haben auch ihr Gutes!® ¯Ja, denn wenn Ihr nicht gewesen w„ret, so l„ge ich jetzt ebenso zerstochen und zerfetzt dort wie mein Pferd. Wollen doch einmal hin zu ihm.® Wir fanden es in einem traurigen Zustande. Die Eingeweide hingen ihm aus dem aufgeschlitzten Leibe; es schnaubte vor Schmerzen. Sam holte seine weggeworfene Bchse, lud sie und gab ihm den Gnadenschuá. Dann schnallte er ihm die Zgel und den Sattel ab und sagte dabei: ¯Jetzt kann ich mein eigenes Pferd machen und den Sattel auf meinen Rcken nehmen. Das hat man davon, wenn man mit einem Ochsen zusammenrennt.® ¯Ja. Wo werdet Ihr nun ein anderes Pferd herbekommen?® fragte ich. - 56 - ¯Das ist mein geringster Kummer. Ich fange mir eins, wenn ich mich nicht irre.® ¯Einen Mustang?® ¯Ja. Die Bffel sind da; sie haben ihre Wanderung nach Sden angetreten; da werden sich auch bald die Mustangs sehen lassen; ich kenne das.® ¯Darf ich dabei sein, wenn Ihr Euch einen fangt?® ¯Natrlich. Ihr mát auch das kennen lernen. Doch kommt jetzt. Wir wollen uns den alten Bullen ansehen. Vielleicht lebt er noch. Solche Methusalems pflegen ein auáerordentlich z„hes Leben zu haben.® Wir gingen hin. Das Tier war tot. Jetzt, da es still dalag, konnte man die kolossalen Formen noch besser mit den Augen messen als vorher. Sam lieá seine Augen zwischen dem Bullen und mir hin und her gehen, zog ein ganz unbeschreibliches Gesicht, schttelte den Kopf und meinte: ¯Es ist unerkl„rlich, ganz und gar unerkl„rlich! Wiát Ihr denn, wo Ihr ihn getroffen habt?® ¯Nun, wo?® ¯Grad an der richtigen Stelle. Es ist ein uralter Kerl, und ich h„tte es mir gewiá vorher zehnmal berlegt, ehe ich so verwegen gewesen w„re, mit ihm anzubinden. Wiát Ihr, was Ihr seid, Sir?® ¯Was?® ¯Der leichtsinnigste Mensch, den es gibt.® ¯Oho!® ¯Ja, der leichtsinnigste Mensch, den es auf Erden geben kann.® ¯Leichtsinn ist mein Fehler nie gewesen.® ¯So habt Ihr Euch jetzt mit ihm befreundet. Verstanden! Ich hatte Euch doch befohlen, Eure H„nde von den Bffeln zu lassen und in den Bschen stecken zu bleiben. Warum habt Ihr mir nicht gehorcht?® ¯Weiá es selber nicht.® ¯So! Ihr tut etwas, ohne den Grund davon zu kennen. Ist denn das nicht leichtsinnig?® ¯Glaube nicht. Es wird wohl ein triftiger Grund vorhanden gewesen sein.® - 57 - ¯So mátet Ihr ihn kennen!® ¯Vielleicht ist's der, daá Ihr mir einen Befehl erteilt habt, und ich lasse mir nichts befehlen.® ¯So! Wenn man es gut mit Euch meint und Euch vor einer Gefahr warnt, so seid Ihr nun erst recht so obstinat, Euch in dieselbe zu werfen?® ¯Ich bin nicht nach dem Westen gekommen, um den Gefahren, welche es da gibt, auszuweichen.® ¯Ganz gut. Aber Ihr seid noch ein Greenhorn und habt Euch in acht zu nehmen. Und wenn Ihr mir nicht folgen wolltet, warum habt Ihr Euch da grad an dieses Riesenvieh und nicht an eine Kuh gemacht?® ¯Weil es ritterlicher war.® ¯Ritterlicher! Dieses Greenhorn will den Ritter spielen, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!® Er lachte, daá er sich den Bauch halten muáte, und fuhr dann, noch immer lachend, fort: ¯Wenn Ihr es Euch wirklich in den Kopf gesetzt habt, als Ritter aufzutreten, so spielt den Ritter Toggenburg, aber keinen andern. Zu einem Bayard oder Roland fehlt Euch das Zeug. Verliebt Euch in eine Bffelkuh und setzt Euch t„glich in die Abendsonne, um zu warten, "bis die Liebliche sich zeigt und ins Tal herniederneigt." Und sogar auch dann k”nnt Ihr eines Abends als Leiche dasitzen und von den Coyoten und Aasgeiern aufgefressen werden. Wenn ein richtiger Westmann etwas tut, so fragt er nicht, ob es ritterlich, sondern ob es ntzlich fr ihn ist.® ¯Das ist doch hier der Fall.® ¯Hier? Wie so?® ¯Ich w„hlte den Bffel, weil er viel, viel mehr Fleisch hat, als eine Kuh.® Er sah mir einen Augenblick lang verst„ndnislos in das Gesicht und rief dann aus: ¯Viel mehr Fleisch? Dieser junge Mann hier hat den Bullen des Fleisches wegen geschossen, hihihihi! Ich glaube gar, Ihr habt an meinem Mute gezweifelt, weil ich es nur auf eine Kuh absah?® - 58 - ¯Das nicht, obgleich ich es fr mutiger hielt, sich ein starkes Tier auszuw„hlen.® ¯Und Bullenfleisch zu essen? Was seid Ihr doch fr ein ausnehmend kluger Mensch, Sir! Dieser Bulle hat sicher seine achtzehn bis zwanzig Jahre auf dem Rcken; er besteht aus einem Felle und vielen Knochen und Flechsen und Sehnen. Und das Fleisch, welches er dabei hat, ist nicht mehr Fleisch zu nennen, denn es ist so hart wie gegerbtes Leder, und wenn Ihr es tagelang bratet oder kocht, so k”nnt Ihr es doch nicht kauen. Jeder erfahrene Westmann zieht eine Kuh dem Ochsen vor, weil ihr Fleisch zarter und saftiger ist. Da seht Ihr nun wieder, was fr ein Greenhorn Ihr seid. Ich hatte keine Zeit, auf Euch aufzupassen. Wie hat sich denn Euer leichtsinniger Angriff auf den Bffel abgespielt?® Ich erz„hlte es ihm. Als ich fertig war, maá er mich mit groáen Augen, schttelte abermals den Kopf und forderte mich auf: ¯Geht da hinunter, und holt Euer Pferd! Wir brauchen es, denn es soll das Fleisch tragen, welches wir mitnehmen werden.® Ich folgte dieser Aufforderung. Aufrichtig gestanden, fhlte ich mich entt„uscht ber sein Verhalten. Er hatte meine Darstellung angeh”rt, ohne dann auch nur ein Wort zu sagen. Ich glaubte aber, eine, wenn auch noch so kleine Anerkennung erwarten zu drfen. Anstatt dessen sagte er gar nichts, sondern schickte mich fort, mein Pferd zu holen. Ich war ihm trotzdem nicht b”s, denn ich bin niemals ein Mensch gewesen, der um des Lobes willen etwas tut. Als ich das Pferd brachte, kniete Sam bei der von ihm erlegten Bffelkuh, hatte von dem einen Hinterschenkel kunstgerecht das Fell entfernt und sch„lte nun die Lende heraus. ¯So,® sagte er; ¯das gibt fr heut abend einen Braten, wie wir lange Zeit keinen gegessen haben. Diese Lende laden wir mit dem Sattel und dem Zaume auf Euer Pferd. Sie ist bloá fr mich, Euch, Will und Dick. Wenn die Andern auch etwas haben wollen, so m”gen sie hierher reiten und sich die Kuh holen.® - 59 - ¯Wenn sie nicht inzwischen von Aasv”geln und andern wilden Tieren weggefressen wird.® ¯So? Wie klug Ihr da wieder seid! Es versteht sich ganz von selbst, daá wir sie mit Zweigen bedecken und dann Steine darauf legen. Es máte schon ein B„r oder ein anderes groáes Raubtier sein, das nachher dazu k”nnte.® Ich schnitt also starke Zweige aus dem nahen Gebsch und holte schwere Steine herbei. Wir bedeckten die Kuh damit und beluden dann mein Pferd. Dabei erkundigte ich mich: ¯Was wird denn mit dem Bullen?® ¯Mit dem? Was soll aus ihm werden?® ¯K”nnen wir denn nichts von ihm brauchen?® ¯Gar nichts.® ¯Auch nicht das Leder?® ¯Seid Ihr ein Lohgerber? Ich bin keiner!® ¯Ich habe aber doch gelesen, daá die H„ute der erlegten Bffel in sogenannten Caches versteckt und aufgehoben werden!® ¯So, das habt Ihr gelesen? Na, wenn Ihr es gelesen habt, so muá es ja wahr sein, denn alles, was man ber den wilden Westen liest, ist wahr, ganz auáerordentlich wahr, ganz unumst”álich wahr, hihihihi! Es gibt allerdings Westm„nner, welche die Tiere um der Felle willen erlegen; ich habe es auch schon getan; aber jetzt geh”ren wir nicht dazu und werden uns hten, uns mit dieser schweren Haut zu schleppen.® Wir brachen auf und kamen, obgleich wir laufen muáten, schon nach einer halben Stunde im Lager an, denn weiter war dieses nicht von dem Tale entfernt, in welchem ich meinen ersten oder vielmehr meine zwei ersten Bffel erlegt hatte. Daá wir zu Fuáe kamen und Sams Pferd nicht mitbrachten, erregte Aufsehen. Wir wurden nach der Ursache gefragt. ¯Haben Bffel gejagt, und mein Pferd ist dabei von einem Bullen aufgeschlitzt worden,® antwortete Sam Hawkens. ¯Bffel gejagt, Bffel, Bffel, Bffel!® erklang es aus aller Mund. ¯Wo denn, wo?® ¯Eine kleine halbe Stunde von hier. Haben uns die Lende mitgebracht; k”nnt euch das brige holen.® ¯Das werden wir; ja, das werden wir,® rief Rattler, - 60 - welcher so tat, als ob zwischen ihm und mir nichts vorgefallen sei. ¯Wo ist der Ort?® ¯Reitet auf unserer F„hrte zurck, so werdet ihr ihn finden; habt ja Augen genug, wenn ich mich nicht irre.® ¯Wieviel Stck sind es denn gewesen?® ¯Zwanzig.® ¯Und wieviel habt ihr denn erlegt?® ¯Eine Kuh.® ¯Bloá? Wo sind die andern hin?® ¯Fort. K”nnt sie euch suchen. Habe mich nicht darum gekmmert, wohin sie spazieren wollten, und sie auch nicht danach gefragt, hihihihi!® ¯Aber bloá eine Kuh! Zwei J„ger und von zwanzig Bffels nur einen zu schieáen!® meinte Einer in geringsch„tzigem Tone. ¯Macht es besser, wenn Ihr k”nnt, Sir! Ihr h„ttet sie wahrscheinlich alle zwanzig erlegt und auch noch einige mehr. Ihr werdet brigens, wenn Ihr hinkommt, noch zwei alte, zwanzigj„hrige Bullen sehen, auf welche hier dieser junge Gentleman geschossen hat.® ¯Bullen, alte Bullen!® rief es rundum. ¯Auf zwanzigj„hrige Bullen zu schieáen, welch ein Greenhorn geh”rt dazu, eine solche Dummheit zu begehen!® ¯Lacht ihn meinetwegen aus, Mesch'schurs; aber seht euch die Bullen nachher an! Ich sage euch, daá er mir dadurch das Leben gerettet hat.® ¯Das Leben? Wieso?® Sie waren begierig, das Abenteuer erz„hlt zu bekommen; er aber wies sie zurck: ¯Habe keine Lust, darber jetzt zu reden. Laát es euch von ihm selbst erz„hlen, wenn ihr es fr klug haltet, euch das Fleisch erst dann zu holen, wenn es dunkel geworden ist.® Er hatte recht. Die Sonne hatte sich geneigt, und in kurzer Zeit muáte es Abend werden. Da sie sich brigens sagen konnten, daá ich erst recht keine Lust haben wrde, den Erz„hler zu machen, so stiegen sie auf ihre Pferde und ritten alle fort. Ich sage, alle, denn keiner wollte zurckbleiben. Sie trauten einander nicht. Bei anst„ndigen J„gern und da, wo - 61 - ein freundschaftliches Verh„ltnis vorliegt, geh”rt jedes Wild, welches von einem Mitgliede erlegt wird, den Andern auch; dieser Gemeinsinn war aber bei diesen Leuten nicht vorhanden. Als sie zurckkamen, h”rte ich dann auch, daá sie sich wie Wilde auf die Kuh geworfen hatten, und jeder war unter Zanken und Fluchen bemht gewesen, sich mit dem Messer ein m”glichst groáes und gutes Fleischstck herunterzureiáen. Als sie fort waren, luden wir die Lende und den Sattel von meinem Pferde und ich fhrte dieses zur Seite, um es abzuz„umen und dann anzupflocken. Ich nahm mir dabei Zeit, wodurch Sam Gelegenheit fand, unser Abenteuer Parker und Stone zu erz„hlen. Sie standen so, daá das Zelt zwischen ihnen und mir lag und sie mich also nicht sahen, als ich mich ihnen wieder n„herte. Schon war ich beinahe an das Zelt gekommen, da h”rte ich Sam sagen: ¯K”nnt mir's glauben; es ist so, wie ich sage: Nimmt der Kerl grad den gr”áten und st„rksten Bullen an und schieát ihn nieder wie ein alter, erfahrener Bffelj„ger! Hab' freilich getan, als ob ich es fr Leichtsinn hielte, und habe ihn geh”rig ausgescholten; aber ich weiá, woran ich mit ihm bin.® ¯Ich auch,® stimmte Stone bei. ¯Es wird ein tchtiger Westmann aus ihm werden.® ¯Und zwar sehr bald,® h”rte ich Parker sagen. ¯Yes,® best„tigte Hawkens. ¯Wiát ihr, Gents, er ist dazu geboren, wahrhaftig und ganz regelrecht dazu geboren. Und dabei die K”rperkraft! Hat er nicht gestern unsern schweren Ochsenwagen fortgezogen, ganz allein und ohne daá ihm dabei jemand geholfen hat? Wo der hinhaut, da w„chst jahrelang kein Gras. Aber, wollt ihr mir eins versprechen?® ¯Was?® fragte Parker. ¯Laát's ihn nicht wissen, wie wir von ihm denken.® ¯Warum nicht?® ¯Weil es ihm in den Kopf steigen k”nnte.® ¯O nein!® ¯O doch! Er ist ein ganz bescheidener Kerl und gar nicht zum Hochmut angelegt; aber es ist stets ein Fehler, wenn man einen Menschen lobt; man kann den besten Charakter damit verderben. K”nnt ihn also getrost Greenhorn nennen; er ist - 62 - ja auch wirklich eins, denn wenn er auch alle Eigenschaften besitzt, welche ein tchtiger Westmann haben muá, so sind sie doch noch nicht ausgebildet, und er muá noch viel erfahren und sich noch viel ben.® ¯Hast du dich denn dafr bedankt, daá er dir das Leben gerettet hat?® ¯Ist mir nicht eingefallen!® ¯Nicht? Was muá er da von dir denken!® ¯Ist mir ganz egal, was er von mir denkt, vollst„ndig egal, wenn ich mich nicht irre. Natrlich h„lt er mich fr einen unverst„ndigen und undankbaren Halunken; aber das ist Nebensache; die Hauptsache ist, daá er sich nicht berhebt, sondern so bleibt, wie er ist. H„tte ihn freilich am liebsten umarmen und kssen m”gen.® ¯Fi!® rief Stone aus. ¯Dich kssen! Das Um„rmeln k”nnte man noch riskieren, aber kssen, nein!® ¯So? Etwa nicht? Warum?® fragte Sam. ¯Warum? Hast du denn noch nicht einen Spiegel in der Hand gehabt oder in einem klaren Wasser dein holdes Konterfei gesehen? Dieses Gesicht, dieser Bart und diese Nase! Mensch, wer auf den unsinnigen Gedanken kommen k”nnte, seine Lippen dahin zu plazieren, wo man die deinigen zu suchen hat, der hat entweder den Sonnenstich oder der Verstand ist ihm eingefroren.® ¯So! Ah! Hm! Das klingt ja recht freundschaftlich von dir. Bin also ein h„álicher Kerl! Wofr h„ltst du denn dich? Etwa fr einen sch”nen Menschen? Das laá dir ja nicht einfallen! Ich gebe dir mein Wort, wenn wir beide uns an einer Sch”nheitskonkurrenz beteiligen wollten, so wrde ich den ersten Preis erhalten; du aber bek„mst eine Niete, hihihihi! Aber das geh”rt nicht hierher. Wir sprachen von unserm Greenhorn. Ich habe mich nicht bei ihm bedankt und werde es auch nicht tun; aber wenn nachher unsere Lende gebraten ist, soll er das beste und saftigste Stck bekommen; ich schneide es ihm selbst herab; er hat es verdient. Und wiát ihr, was ich morgen mache?® ¯Was?® fragte Stone. ¯Ihm eine groáe Freude.® ¯Womit?® - 63 - ¯Er soll einen Mustang fangen drfen.® ¯Du willst auf Mustangs gehen?® ¯Ja. Ich muá doch ein neues Pferd haben. Du borgst mir das deinige zur Jagd. Da sich heut die Bffel gezeigt haben, werden auch die Mustangs kommen. Ich denke, daá ich nur nach der Prairie hinunter zu reiten brauche, wo wir noch vorgestern die Bahn abgesteckt und vermessen haben. Dort muá es Mustangs geben, sobald diese wilden Pferde hier in dieser Breite angekommen sind.® Ich lauschte nicht weiter, sondern ging wieder zurck und durch ein Buschwerk, um mich den drei J„gern von einer andern Seite zu n„hern. Sie durften nicht erfahren, daá ich geh”rt hatte, was ich doch nicht h”ren sollte. Es wurde ein Feuer angebrannt, neben welchem zwei Gabel„ste in die Erde gesteckt wurden. Sie gaben die Unterlage fr den Bratspieá, der aus einem starken, geraden Aste bestand. Die drei befestigten an ihm die ganze Lende, und dann begann Sam Hawkens den Spieá langsam und mit knstlerischem Verst„ndnisse zu drehen. Das wonnevolle Gesicht, welches er dabei machte, machte mir heimlich Spaá. Als die Andern mit dem Fleische zurckkehrten, folgten sie unserm Beispiele, indem sie sich auch einige Feuer anbrannten. Freilich ging es da bei ihnen nicht so ruhig und friedlich her wie bei uns. Da jeder fr sich braten wollte, so mangelte es an Platz, und die Folge war, daá sie ihre Portionen halb roh verzehrten. Ich bekam wirklich das beste Stck; es mochte drei Pfund wiegen, und ich aá es auf. Man halte mich ja nicht infolgedessen fr einen Vielesser; ich habe im Gegenteile immer weniger gegessen als Andere, die sich in meinen Verh„ltnissen befanden; aber es ist fr Einen, der es nicht weiá oder nicht selbst erlebt und mitgemacht hat, kaum zu glauben, was fr Fleischmengen ein Westmann zu sich nehmen kann und auch zu sich nehmen muá, wenn er bestehen will. Der Mensch braucht zu seiner Ern„hrung auáer den anorganischen Stoffen eine gewisse Menge von Eiweiá und von Kohlenstoff und vermag sich beides gar wohl in der richtigen Mischung zu verschaffen, wenn er in einer zivilisierten Gegend - 64 - lebt. Der Westmann, welcher viele Monate lang in keine bewohnte Gegend kommt oder kam, lebte nur vom Fleische, welches wenig Kohlenstoff enth„lt; er muáte also groáe Portionen essen, um seinem K”rper die notwendige Menge Kohlenstoff zuzufhren. Daá er dabei unn”tig viel Eiweiá genoá, welches seiner Ern„hrung nicht zugute kam, muáte ihm gleichgltig sein. Ich habe einen alten Trapper acht Pfund Fleisch auf einmal essen sehen, und als ich ihn dann fragte, ob er satt sei, antwortete er schmunzelnd: ¯Muá es wohl sein, denn ich habe nicht mehr; wenn Ihr mir aber ein Stck von dem Euren geben wollt, so sollt Ihr nicht ewig zu warten brauchen, bis Ihr es nicht mehr seht.® W„hrend des Essens unterhielten sich unsere ¯Westm„nner® von unserer Bffeljagd. Sie hatten, wie ich h”rte, als sie die beiden Bullen sahen, denn doch einen andern Begriff von der ¯Dummheit® erhalten, die ich begangen haben sollte. Am andern Morgen tat ich, als ob ich an die Arbeit gehen wolle; da kam Sam zu mir und sagte: ¯Laát Eure Instrumente nur immer liegen, Sir; es gibt etwas zu tun, was interessanter ist.® ¯Was?® ¯Werdet es erfahren. Macht Euer Pferd fertig; wir reiten aus.® ¯Spazieren? Da geht die Arbeit vor!® ¯Pshaw! Habt Euch genug geplagt. Ich denke brigens, daá wir schon zu Mittag zurck sein werden. Dann k”nnt Ihr meinetwegen messen und rechnen, so viel Ihr wollt.® Ich machte Bancroft die n”tige Mitteilung, und dann ritten wir fort. Sam tat unterwegs sehr geheimnisvoll, und ich sagte ihm nicht, daá ich seine Absicht bereits kannte. Der Ritt ging auf der von uns vermessenen Strecke zurck, bis wir die Prairie erreichten, welche Sam gestern bezeichnet hatte. Sie war wohl zwei englische Meilen breit und doppelt so lang und wurde von bewaldeten H”hen umrandet. Da sie von einem ziemlich breiten Bach durchflossen wurde, gab es Feuchtigkeit genug und infolgedessen einen saftigen Graswuchs. Im Norden konnte man zwischen zwei Bergen hervor auf diese Prairie gelangen, und im Sden endete sie in einem Tale, - 65 - welches nach dieser Richtung weiterfhrte. Als wir hier angelangt waren, blieb Hawkens halten und berflog die Ebene mit einem forschenden Blicke; dann ritten wir weiter, nordw„rts und am Bache hin. Pl”tzlich stieá er einen Ruf aus, parierte sein Pferd, welches freilich nicht das seinige, sondern ein geborgtes war, stieg ab, sprang ber den Bach und ging auf eine Stelle zu, wo das Gras niedergetreten war. Er untersuchte den Ort, kam zurck, stieg wieder in den Sattel und ritt weiter, doch nicht wie bisher in n”rdlicher Richtung, sondern er bog von dieser in einem rechten Winkel ab, so daá wir nach kurzer Zeit den westlichen Rand der Prairie erreichten. Hier stieg er wieder ab und lieá sein Pferd grasen, band es aber sorgf„ltig an. Seit er die Spur untersucht hatte, war kein Wort aus seinem Munde gekommen, aber ber sein b„rtiges Gesicht war der Ausdruck der Zufriedenheit ausgebreitet wie Sonnenschein ber eine waldige Gegend. Jetzt forderte er mich auf: ¯Steigt auch ab, Sir, und bindet Euer Pferd fest an! Wir werden hier warten.® ¯Warum fest anbinden?® fragte ich, obgleich ich es recht gut wuáte. ¯Weil Ihr es sonst leicht verlieren k”nntet. Habe wiederholt gesehen, daá die Pferde bei solchen Gelegenheiten durchgegangen sind.® ¯Was fr Gelegenheiten?® ¯Ahnt Ihr das nicht?® ¯Hm!® ¯Ratet einmal!® ¯Mustangs?® ¯Wie kommt Ihr darauf?® fragte er, indem er mich rasch und verwundert anblickte. ¯Weil ich es gelesen habe.® ¯Was?® ¯Daá die zahmen Pferde, wenn sie nicht fest angebunden werden, gern mit den wilden Mustangs durchgehen.® ¯Hol Euch der Teufel! Alles habt Ihr gelesen, und da ist es nicht gut m”glich, Euch zu berraschen. Da lobe ich mir die Leute, welche gar nicht lesen k”nnen!® - 66 - ¯Wollt Ihr mich berraschen?® ¯Natrlich.® ¯Mit einer Mustangjagd?® ¯Ja.® ¯Das wrde nicht gut m”glich sein. Eine Ueberraschung setzt doch voraus, daá man nicht vorher unterrichtet ist; Ihr aber h„ttet es mir, ehe die Pferde kommen, sagen mssen.® ¯Das ist richtig, hm! Also h”rt, die Mustangs sind schon dagewesen.® ¯War das vorhin ihre Spur?® ¯Ja; sie sind gestern hier durch. Es war ein Vortrab, wiát Ihr, so die Kundschafter. Ich muá Euch n„mlich sagen, daá diese Tiere ungeheuer klug sind. Sie senden immer kleine Trupps voraus und nach den Seiten. Sie haben ihre Offiziere, grad wie das Milit„r, und der Hauptanfhrer ist stets ein erfahrener, starker und mutiger Hengst. M”gen sie weiden oder sich in Bewegung befinden, stets wird die Peripherie der Herde von den Hengsten gebildet; dann folgen nach innen die Stuten, und ganz in der Mitte befinden sich die Jungen. Dies geschieht darum, daá die Hengste die Stuten und Fllen verteidigen k”nnen. Ich habe Euch schon wiederholt beschrieben, wie man einen Mustang mit dem Lasso f„ngt. Habt Ihr es Euch gemerkt?® ¯Selbstverst„ndlich.® ¯Habt Ihr Lust, einen zu fangen?® ¯Ja.® ¯Dann werdet Ihr heute vormittag Gelegenheit dazu finden, Sir.® ¯Danke! Ich werde sie nicht benutzen.® ¯Nicht? All devils! Warum nicht?® ¯Weil ich kein Pferd brauche.® ¯Aber, ein Westmann fragt doch nicht danach, ob er ein Pferd braucht oder nicht!® ¯Dann ist er keineswegs so, wie ich mir einen braven Westmann vorstelle.® ¯Wie soll er denn sein?® ¯Ihr habt gestern von Aasj„gern gesprochen, von Weiáen, welche die Bffel in Masse t”ten, ohne daá sie ihr Fleisch - 67 - brauchen. Ich halte das fr eine Versndigung an den Tieren und an den roten Menschen, denen dadurch Ihre Nahrung geraubt wird. Ihr doch auch?® ¯Freilich!® ¯Grad so ist's auch mit den Pferden. Ich mag keinem dieser herrlichen Mustangs die Freiheit rauben, ohne mich damit entschuldigen zu k”nnen, daá ich ein Pferd brauche.® ¯Das ist brav gedacht, Sir, sehr brav. Grad so, wie Ihr denkt und redet, muá jeder Mensch und Christ denken, reden und handeln. Aber wer hat denn gesagt, daá Ihr einem Mustang die Freiheit rauben sollt? Ihr habt Euch im Werfen des Lasso gebt und sollt nur die Probe machen. Ich will sehen, ob Ihr Euer Examen besteht. Verstanden?® ¯Das ist etwas Anderes; ja, da mache ich mit.® ¯Sch”n! Bei mir handelt es sich freilich um den Ernst. Ich brauche ein Pferd und werde mir eins holen. Ich habe es Euch schon oft gesagt und sage es Euch jetzt wieder: Sitzt ja recht fest im Sattel, und stemmt Euer Pferd gut ein in dem Augenblicke, an welchem sich der Lasso straff zieht und der Ruck erfolgt. Wenn Ihr das nicht tut, werdet Ihr umgerissen, und der Mustang rennt davon und zieht Euer Pferd am Lasso mit sich fort. Dann habt Ihr kein Pferd mehr und seid ein gemeiner Infanterist, so wie ich jetzt einer bin.® Er wollte weiter sprechen, hielt aber inne und deutete mit der Hand nach den bereits erw„hnten beiden Bergen am Nordende der Prairie. Dort erschien ein Pferd, ein einzelnes, lediges Pferd. Es lief langsam und ohne zu grasen vorw„rts, warf den Kopf bald auf diese, bald auf jene Seite und sog die Luft durch die Nstern ein. ¯Seht Ihr es?® flsterte Sam. Er sprach vor Erregung nicht laut, sondern leise, obwohl das Pferd uns unm”glich h„tte h”ren k”nnen. ¯Habe ich es nicht gesagt, daá sie kommen! Das ist der Sp„her, welcher vorausgesprungen ist, um zu sehen, ob die Gegend sicher ist. Ein schlauer Hengst. Wie er nach allen Richtungen „ugt und windet! Uns bekommt er nicht weg, denn wir haben den Wind im Gesicht; ich habe deshalb diese Stelle gew„hlt.® Jetzt schlug der Mustang einen Trab ein; er rannte ge- - 68 - radeaus [geradeaus], dann nach rechts, hierauf nach links, warf sich schlieálich herum und verschwand da, wo wir ihn hatten erscheinen sehen. ¯Habt Ihr ihn beobachtet?® fragte Sam. ¯Wie klug er sich benimmt und jeden Busch zur Deckung benutzt hat, um nicht gesehen zu werden! Ein indianischer Sp„her kann es kaum besser machen.® [Illustration Nr. 5: Ein Mustang] ¯Das ist richtig. Ich bin ganz erstaunt darber.® ¯Nun ist er zurck, um seinem vierbeinigen Generale zu melden, daá die Luft rein ist. Sollen sich aber get„uscht haben, hihihihi! Ich wette, in h”chstens zehn Minuten sind sie da; paát einmal auf. Wiát Ihr, wie wir es machen?® ¯Nun?® ¯Ihr reitet jetzt schnell bis an den Ausgang der Prairie zurck und wartet dort. Ich aber reite bis in die N„he des - 69 - Einganges hinunter und verstecke mich dort im Walde. Kommt die Herde, so lasse ich sie vorber und jage dann hinter ihr her. Sie wird zu Euch hinauf fliehen; dann laát Ihr Euch sehen, und da flieht sie wieder zurck. So treiben wir sie zwischen uns hin und her, bis wir uns die zwei besten Pferde ausgew„hlt haben; die fangen wir; ich lese mir da wieder das beste aus, und das andere lassen wir laufen. Seid Ihr einverstanden?® ¯Wie k”nnt Ihr so fragen! Ich verstehe ja gar nichts von der Pferdejagd, in welcher Ihr jedenfalls ein Meister seid, und habe mich also ganz nach Euren Anordnungen zu verhalten.® ¯Well, habt recht. Habe schon manchen wilden Mustang unter mir gehabt und ihn bezwungen und kann wohl behaupten, daá Ihr mit dem "Meister" nichts Dummes gesagt habt. Also, macht Euch davon, sonst vergeht die Zeit und wir sind dann nicht an Ort und Stelle.® Wir stiegen wieder auf und ritten auseinander, er nordw„rts und ich nach Sden, bis dahin, wo wir die Prairie betreten hatten. Da mir mein schwerer B„rent”ter bei dem, was wir vorhatten, hinderlich war, h„tte ich mich gern einstweilen seiner entledigt; aber ich hatte gelesen und geh”rt, daá ein vorsichtiger Westmann sich nur dann von seinem Gewehre trennt, wenn er ganz sicher weiá, daá er nichts zu befrchten hat und es also nicht brauchen wird. Dies war aber hier nicht der Fall; es konnte in jedem Augenblick ein Indianer oder gar ein Raubtier erscheinen; darum sorgte ich nur dafr, daá das "alte Gun" fest am Riemen hing und mich nicht schlagen konnte. Nun wartete ich mit Spannung auf das Erscheinen der Pferde. Ich hielt zwischen den ersten B„umen des Waldes, an den die Prairie stieá, band das eine Ende des Lasso am Sattelknopfe fest und legte ihn dann in Schlingen so vor mich hin, daá ich ihn nur zu erfassen brauchte. Das untere Ende der Prairie war so weit von mir entfernt, daá ich die Mustangs, wenn sie dort erschienen, nicht sehen konnte. Sie konnten mir erst dann, wenn Sam sie getrieben brachte, sichtbar werden. Ich war noch keine Viertelstunde - 70 - am Platze, als ich da unten eine Menge von dunklen Punkten sah, welche sich schnell vergr”áerten, indem sie sich aufw„rts bewegten. Erst von der Gr”áe von Sperlingen, schienen sie hierauf Katzen, Hunde, K„lber zu sein, bis sie sich so weit gen„hert hatten, daá ich sie in ihrer wirklichen Gr”áe sah. Es waren die Mustangs, welche im wilden Jagen auf mich zugesprengt kamen. Welch einen Anblick boten diese herrlichen Tiere! Die M„hnen wehten um die H„lse, und die Schw„nze flogen wie Federbsche im Winde. Es waren h”chstens dreihundert Stck, und doch schien die Erde unter ihren Hufen zu zittern. Ein Schimmelhengst flog allen voran, ein pr„chtiges Tier, welches man sich h„tte fangen m”gen, aber es wird keinem Prairiej„ger einfallen, einen Schimmel zu reiten. So ein helles Tier wrde ihn jedem Feinde schon von weitem verraten. Jetzt war es Zeit, mich ihnen zu zeigen. Ich lenkte unter den B„umen heraus ins Freie, und die Wirkung trat augenblicklich ein: der fhrende Schimmel prallte zurck, als ob er eine Kugel in den Leib bekommen habe; die Herde hielt an und stutzte; ein lautes „ngstliches Schnauben; dann hieá es: ganze Schwadron kehrt! und, den Schimmel schnell wieder an der jenseitigen Spitze, jagten die Tiere dahin zurck, woher sie gekommen waren. Ich folgte ihnen langsam; ich hatte keine Eile, denn ich war sicher, daá Sam Hawkens sie mir wieder zutreiben wrde. Dabei suchte ich mir einen Umstand zurecht zu legen, welcher mir aufgefallen war. Obgleich n„mlich die Pferde nur einen kurzen Augenblick vor mir gehalten hatten, war es mir doch vorgekommen, als ob eins von diesen Tieren kein Pferd, sondern ein Maultier sei. Ich konnte mich zwar irren, aber ich glaube [glaubte] doch, richtig gesehen zu haben. Beim zweitenmal wollte ich besser aufpassen. Dieses Maultier hatte sich in der vordersten Reihe, und zwar gleich hinter dem Leitschimmel befunden; es war also von den Pferden nicht nur als ihresgleichen anerkannt, sondern es besaá sogar einen Rang unter ihnen. Nach einiger Zeit kam die Herde wieder aufw„rts und kehrte bei meinem Anblicke abermals um. Das wiederholte sich noch einmal, und da sah ich, daá ich mich nicht geirrt hatte; - 71 - es war ein Maultier unter ihnen, ein ziemlich hellbraunes Maultier mit dunklem Rckenstreifen. Es machte auf mich einen h”chst vorteilhaften Eindruck und war trotz des groáen Kopfes und der langen Ohren doch ein sch”nes Tier. Maultiere sind gengsamer als Pferde, haben einen viel sicherern Tritt und schwindeln nicht vor Abgrnden. Das sind Vorzge, welche in die Wage fallen. Freilich sind sie auch st”rrisch. Ich habe Maultiere gesehen, welche sich lieber totprgeln lieáen, als daá sie einen Schritt vorw„rts gingen, und doch hatte man ihnen gar nichts aufgeladen, und der Weg war pr„chtig. Sie wollten eben nicht. Es war mir vorgekommen, als ob dieses Maultier viel Feuer zeige, als ob seine Augen heller gl„nzten und intelligenter blickten als diejenigen der Pferde, und ich nahm mir vor, es zu fangen. Es war jedenfalls seinem Besitzer beim Vorberjagen einer wilden Pferdeherde entflohen und dann bei den Mustangs geblieben. Jetzt brachte Sam den Trupp wieder getrieben. Wir waren einander so nahe gekommen, daá ich ihn sah. Nun konnten die Mustangs weder vor noch zurck; sie brachen nach der Seite aus. Wir folgten ihnen. Die Herde teilte sich, und ich sah, daá das Maultier bei der Hauptabteilung blieb; es jagte jetzt an der Seite des Schimmels dahin; es war ein auáerordentlich schnelles und ausdauerndes Tier. Ich hielt mich also zu diesem Trupp, und Sam schien es auch auf denselben abgesehen zu haben. ¯In die Mitte nehmen, ich links, Ihr rechts!® rief er mir zu. Wir gaben unsern Pferden die Sporen und hielten nun nicht nur gleichen Schritt mit den Mustangs, sondern kamen ihnen so schnell n„her, daá wir sie eingeholt hatten, noch ehe sie den Wald erreichten. Da hinein gingen sie nicht; sie kehrten also wieder um und wollten zwischen uns durch. Um das zu verhindern, jagten wir schnell aufeinander zu; da stoben sie nach allen Seiten auseinander wie eine Hhnerschar, in welche der Habicht gestoáen ist. Der Schimmel und das Maultier schossen, von den andern abgesondert, zwischen uns hindurch; wir jagten ihnen nach. Dabei rief mir Sam, der seinen Lasso zum Wurfe schon ber dem Kopfe wirbelte, zu: - 72 - ¯Wieder Greenhorn! Werdet es auch ewig bleiben!® ¯Warum?® ¯Weil Ihr nach dem Schimmel trachtet, und das kann doch nur ein Greenhorn tun, hihihihi!® Ich antwortete ihm, aber er h”rte es nicht, weil sein lautes Lachen meine Worte bert”nte. Also er dachte, ich h„tte es auf den Schimmel abgesehen. Meinetwegen! Ich berlieá ihm also das Maultier und lenkte zur Seite, wo die Mustangs nun „ngstlich schnaubend und wiehernd regellos durcheinanderjagten. Sam war dem Maultiere so nahe gekommen, daá er den Lasso warf. Die Schlinge fiel richtig; sie legte sich um den Hals des Tieres. Nun muáte Sam anhalten und, wie er mir ja so sorgsam angeraten hatte, sein Pferd nach rckw„rts werfen, um den Ruck aushalten zu k”nnen, wenn der abgelaufene Lasso sich straff spannte. Er tat dies auch, aber um einen Augenblick zu sp„t; sein Pferd hatte sich noch nicht umgedreht, noch nicht eingestemmt und wurde von dem gewaltigen Rucke umgerissen. Sam Hawkens flog, einen unendlich brillanten Purzelbaum schlagend, weit durch die Luft und auf die Erde nieder. Das Pferd raffte sich rasch wieder auf und rannte weiter. Dadurch verlor der Lasso die Spannung, und das Maultier, welches festgestanden hatte und nicht umgerissen worden war, bekam Luft; es galoppierte auch fort und riá das Pferd, weil der Lasso am Sattelknopfe befestigt war, ber die Prairie dahin. Ich eilte zu Sam, um nachzusehen, ob er verletzt sei. Er war aufgestanden und rief mir erschrocken zu: ¯Alle Wetter! Da reiát mir Dick Stones Gaul mitsamt dem Maultiere aus, ohne auch nur Adieu zu sagen, wenn ich mich nicht irre!® ¯Habt Ihr Euch besch„digt?® ¯Nein. Steigt schnell ab, und gebt mir Euer Pferd. Ich muá es haben!® ¯Wozu?® ¯Ich will natrlich den beiden Ausreiáern nach. Also steigt schnell herunter!® ¯F„llt mir nicht ein! K”nntet wieder einen Purzelbaum riskieren, und dann w„ren alle beide Pferde zum Teufel.® Bei diesen Worten trieb ich mein Pferd weiter, dem Maul- - 73 - tiere [Maultiere] nach. Dieses war schon eine bedeutende Strecke fort, kam aber jetzt mit dem Pferde in Konflikt. Dieses wollte hierhin und jenes dorthin, und dadurch hielten sie einander auf, weil sie mit dem Lasso zusammenhingen. Darum holte ich sie bald ein. Es kam mir gar nicht in den Sinn, meinen Lasso zu gebrauchen, sondern ich griff nach dem andern, welcher die beiden Tiere verband, wickelte ihn mir einigemal um die Hand und war nun sicher, das Maultier b„ndigen zu k”nnen. Ich lieá es zun„chst weiterlaufen und galoppierte mit den beiden Pferden hinterdrein, zog aber den Riemen nach und nach kr„ftiger an, so daá die Schlinge sich immer mehr verengte. Dabei konnte ich das Tier ganz leidlich lenken; ich brachte es durch scheinbares Nachgeben soweit, daá es in einem Bogen dahin zurckkehrte, wo Sam Hawkens stand. Dort zog ich die Schlinge pl”tzlich so stark an, daá dem Maultiere der Hals zugeschnrt wurde; es verlor den Atem und strzte zu Boden. ¯Haltet fest, bis ich den Racker festhabe, und laát dann los!® rief Sam. Er sprang hinzu und stellte sich, obgleich das auf dem Boden liegende Tier mit den Beinen um sich schlug, hart neben dasselbe. ¯Jetzt!® sagte er. Ich lieá den Lasso los; das Maultier bekam Luft und sprang auf; ebenso schnell hatte sich Sam auf seinen Rcken geschwungen. Es blieb einige Augenblicke bewegungslos stehen, wie vor Schreck erstarrt; dann aber ging es in die Luft, bald vorn, bald hinten; dann sprang es pl”tzlich mit allen Vieren auf die Seite, machte einen Katzenbuckel, aber der kleine Sam saá fest. ¯Bringt mich nicht herunter!® rief er mir zu. ¯Jetzt wird es das Letzte versuchen und mit mir davonrasen. Wartet hier auf mich; ich bring es gez„hmt zurck!® Aber da hatte er sich geirrt. Es ging keineswegs mit ihm durch, sondern es warf sich pl”tzlich nieder und w„lzte sich. Es konnte dem kleinen Kerl alle Rippen brechen; er muáte aus dem Sattel. Ich sprang aus dem Sattel, ergriff den am Boden schleifenden Lasso wieder und schlang ihn schnell zweimal um die starke Wurzel eines daneben stehenden Busches. - 74 - Da hatte das Maultier seinen Reiter abgestreift und sprang auf. Es wollte fortstrmen, aber die Wurzel hielt fest; der Lasso wurde angespannt und die Schlinge zog sich wieder scharf zusammen; das Tier strzte abermals nieder. Sam Hawkens hatte sich auf die Seite retiriert, betastete sich die Rippen und die Schenkel, zog ein Gesicht, als ob er Sauerkraut mit Pflaumenmus gegessen h„tte, und sagte: ¯Laát die Bestie laufen; die b„ndigt kein Mensch, wenn ich mich nicht irre.® ¯Das w„re! M”chte mich von keinem Maultiere besch„men lassen, dessen Vater kein Gentleman, sondern ein Esel gewesen ist. Es wird gehorchen mssen. Paát auf!® Ich schlang den Lasso von der Wurzel ab und stellte mich mit weit ausgespreizten Beinen ber das Tier. Sobald es Luft bekam, sprang es auf. Jetzt kam es vor allen Dingen auf den kr„ftigsten Schenkeldruck an, und da war ich dem kleinen Sam wohl ber. Eine Pferderippe muá sich unter dem Schenkel des Reiters biegen; das drckt die Eingeweide zusammen und macht Todesangst. W„hrend das Maultier dieselben Mittel, mich abzuwerfen, wie vorher bei Sam versuchte, nahm ich den Lasso auf, welcher, vom Halse herabh„ngend, auf der Erde lag, wand ihn zusammen und faáte ihn dann hart hinter der Schlinge fest. Diese zog ich an, sobald ich bemerkte, daá sich das Tier niederwerfen wollte; durch diese Manipulation und den Schenkeldruck wurde es auf den Beinen gehalten. Es war ein b”ser Kampf, ich m”chte sagen, Kraft gegen Kraft; ich begann aus allen Poren zu schwitzen; aber das Maultier schwitzte noch weit mehr; der Schweiá rann ihm vom Leibe, und vom Maule troff der Schaum in groáen Flocken. Seine Bewegungen wurden schw„cher und mehr unwillkrlich; sein erst wtendes Schnauben ging in ein kurzes Husten ber, dann endlich brach es unter mir zusammen, nicht mit Willen, sondern weil es von seiner letzten Kraft verlassen worden war. Da blieb es bewegungslos und mit verdrehten Augen liegen. Ich holte tief, tief Atem; es war mir, als ob in meinem K”rper alle Sehnen und B„nder zerrissen w„ren. ¯Heavens, was seid Ihr fr ein Mensch!® rief Sam. - 75 - ¯Ihr habt ja mehr Kr„fte als das Tier gehabt! K”nntet Ihr Euer Gesicht sehen, so wrdet Ihr erschrecken!® ¯Glaube es.® ¯Eure Augen sind herausgetreten, Eure Lippen geschwollen und Eure Wangen f”rmlich blau!® ¯Das kommt daher, daá man ein Greenhorn ist und sich nicht abwerfen lassen will, w„hrend ein Anderer, der Meister in der Mustangjagd ist, klger war und sich abstreifen lieá, nachdem es ihm vorher gar passierte, daá er sein eigenes Pferd ans Maultier hing und beide dann spazierenlaufen lieá.® Er machte ein doppelt j„mmerliches Gesicht und bat im kl„glichsten Tone: ¯Schweigt davon, Sir! Ich sage Euch, es kann dem tchtigsten J„ger einmal so etwas passieren. Ihr habt gestern und heut zwei gute Tage gehabt.® ¯Hoffe, noch mehr solche Tage zu erleben. Dafr waren sie fr Euch um so schlimmer. Wie steht es denn mit Euren Rippen und den andern Kn”chelchens?® ¯Weiá nicht. Werde sie nachher einmal zusammensuchen und z„hlen, sobald mir besser ist. Jetzt klappern sie mir allberall im Leib herum. Das war eine Bestie, wie ich noch keine zwischen den Beinen gehabt habe! Hoffe, daá sie nun zu Verstand kommen wird!® ¯Das ist sie schon. Seht, wie matt sie daliegt, grad wie zum Erbarmen. Wollen ihr den Sattel auf- und den Zaum anlegen. Ihr reitet sie nach Hause.® ¯Da wird sie wieder zu bocken anfangen!® ¯F„llt ihr nicht ein! Die hat genug. Sie ist ein gescheites Viehzeug, und Ihr werdet ganz glcklich sein, sie gefangen zu haben.® ¯Ja, das glaube ich. Hatte es aber auch von allem Anfang gleich auf sie abgesehen. Ihr auf den Schimmel, was eine sehr groáe Dummheit war.® ¯Wiát Ihr das so genau?® ¯Natrlich war es eine Dummheit!® ¯Das meine ich nicht, sondern daá ich es auf den Schimmel abgesehen hatte.® ¯Auf was denn?® - 76 - ¯Auch auf das Maultier.® ¯Wirklich?® ¯Ja. Wenn ich auch ein Greenhorn bin, so viel weiá ich doch, daá ein Schimmel nichts fr einen Westmann taugt. Das Maultier gefiel mir gleich, als ich es sah.® ¯Ja, einen guten Pferdeverstand habt Ihr, das muá man zugeben.® ¯Will wnschen, daá bei Euch der Menschenverstand ebenso gut ist, lieber Sam! Jetzt kommt, und helft mir, das Tier von der Erde aufzubringen!® Wir zogen das Maultier empor. Es stand still und zitterte an allen Gliedern. Es str„ubte sich auch nicht, als wir ihm den Sattel aufschnallten und den Zaum anlegten. Und als Sam aufgestiegen war, gehorchte es dem Zgel willig und so feinfhlig wie ein zugerittenes Pferd. ¯Es hat schon einen Herrn gehabt,® meinte der Kleine, ¯der ein guter Reiter gewesen sein muá; das merke ich schon. Wird ihm davongelaufen sein. Wiát Ihr, wie ich es nennen werde?® ¯Nun?® ¯Mary. Habe schon frher einmal ein Maultier geritten, welches Mary hieá, und brauche mir nicht die Mhe zu geben, einen andern Namen auszusinnen.® ¯Also das Maultier Mary und das Gewehr Liddy!® ¯Ja. Sind zwei allerliebste Namen. Nicht? Und nun muá ich Euch bitten, mir einen groáen Gefallen zu tun.® ¯Gern. Welchen?® ¯Sprecht nicht ber das, was hier geschehen ist! Werde es Euch hoch anrechnen.® ¯Unsinn! Etwas, was sich ganz von selbst versteht, braucht gar nicht angerechnet zu werden.® ¯Dieses doch. M”chte die Bande da oben im Lager lachen h”ren, wenn sie erfhre, wie Sam Hawkens zu seiner neuen, holden Mary gekommen ist! Wrde ein Gaudium fr sie sein, ein groáes Gaudium. Wenn Ihr den Mund haltet, werde ich ® ¯Bitte, seid still!® unterbrach ich ihn. ¯Es ist gar nicht notwendig, ein Wort darber zu verlieren. Ihr seid mein - 77 - Lehrer und mein Freund. Mehr brauch ich doch nicht zu sagen.® Da wurden seine kleinen, listigen Aeuglein feucht, und er rief begeistert aus: ¯Ja, Euer Freund bin ich, Sir, und wenn ich wáte, daá Ihr mir auch ein klein wenig Liebe schenken wolltet, so wrde das fr mein altes Herz eine groáe, aufrichtige Freude und Wonne sein.® Ich reichte ihm die Hand und antwortete: ¯Diese Freude kann ich Euch machen, lieber Sam. Ihr k”nnt versichert sein, daá ich Euch lieb habe, so lieb, wie wie na, so, wie man ungef„hr einen recht guten, braven und ehrlichen Onkel liebt. Ist Euch das genug?® ¯Vollauf, Sir, vollauf! Ich bin so entzckt darber, daá ich Euch dafr, wom”gleich [wom”glich] gleich hier auf der Stelle, eine recht groáe Gegenfreude bereiten m”chte. Sagt mir, was ich tun soll! Soll ich soll ich zum Beispiel hier diese neue Mary vor Euern Augen mit Haut und Haar auffressen? Oder soll ich, falls Euch das lieber ist, mich selbst marinieren, frikassieren und verschlingen? Oder soll ich ® ¯Haltet ein!® lachte ich. ¯In jedem dieser beiden F„lle wrde ich Euch verlieren, denn in dem einen wrdet Ihr zerplatzen und in dem andern an einer b”sen Indigestion zugrunde gehen, da Ihr doch Eure Percke mit verschlingen mátet, die Euer Magen doch unm”glich verdauen k”nnte. Ihr habt mir schon genug Gefallen getan und werdet mir wohl auch fernerhin noch manche Liebe zu erweisen haben. Laát also vorderhand die Mary und auch Euch selbst am Leben, und macht, daá wir bald wieder in das Lager kommen. Ich m”chte arbeiten.® ¯Arbeiten! Das habt Ihr doch auch hier getan, denn wenn das keine Arbeit war, so weiá ich nicht, was ich Arbeit nennen soll.® Ich band Dick Stones Pferd mit dem Lasso an das meinige, dann ritten wir fort. Die Mustangs waren indessen natrlich schon l„ngst entwichen; das Maultier gehorchte seinem Reiter willig, und Sam rief unterwegs mehreremal freudig aus: ¯Sie hat Schule, diese Mary, eine sehr gute Schule! Ich fhle und bemerke bei jedem Schritte immer mehr, daá ich von - 78 - heut an vortrefflich beritten sein werde. Sie besinnt sich jetzt auf das, was sie frher gelernt und dann unter den Mustangs wieder vergessen hat. Hoffentlich hat sie nicht bloá Temperament, sondern auch Charakter.® ¯Wenn sie ihn nicht hat, so k”nnt Ihr in [ihn] ihr noch beibringen. Sie ist noch nicht zu alt dazu.® ¯Wie alt denkt Ihr, daá sie ist?® ¯Fnf Jahre, mehr nicht.® ¯Das ist auch meine Ansicht. Werde sie nachher genau untersuchen, ob dies richtig ist. Habe das Tier Euch zu verdanken, nur Euch. Waren zwei b”se Tage fr mich, sehr b”se, fr Euch aber sehr ehrenvoll. H„ttet Ihr geglaubt, die Bison- und auch die Mustangjagd so schnell hintereinander kennen zu lernen?® ¯Warum nicht? Man muá hier im Westen auf alles gefaát sein. Ich hoffe auch noch andere Jagden kennen zu lernen.® ¯Hm, ja. Will wnschen, daá Ihr dann ebenso davon kommt wie gestern und heut. Gestern besonders hing Euer Leben an einem Haare. Habt zuviel gewagt. Ihr drft nie vergessen, daá Ihr ein Greenhorn seid. L„át dieser Mensch den Bffel ruhig an sich kommen und schieát ihn dann in die Augen! Hat man je so etwas erlebt! Ihr seid noch unerfahren und habt die Bisons untersch„tzt. Nehmt Euch in Zukunft mehr in acht, und traut Euch nicht zuviel zu! Die Jagd auf den Bison ist h”chst gef„hrlich. Es gibt nur eine einzige, welche noch gef„hrlicher ist.® ¯Welche?® ¯Auf den B„ren.® ¯Da meint Ihr doch nicht etwa den schwarzen B„ren mit gelber Schnauze?® ¯Den Baribal? F„llt mir nicht ein! Der ist ein sehr gutmtiges und friedfertiges Viehzeug, welchen man W„schepl„tten und Filetstricken lehren k”nnte. Nein, ich meine den Grizzly, den grauen B„ren der Felsengebirge. Da Ihr von allem gelesen habt, so wohl auch von ihm?® ¯Ja.® ¯So seid froh, wenn Ihr keinen zu sehen bekommt. Wenn er sich aufrichtet, ist er ber zwei Fuá l„nger als Ihr; mit - 79 - einem einzigen Bisse verwandelt er Euern Kopf in Knochenbrei, und wenn er einmal angegriffen und in Wut versetzt worden ist, so ruht er nicht, bis er seinen Feind zerrissen und vernichtet hat.® ¯Oder dieser ihn!® ¯Oho! Seht, da tritt schon wieder Euer groáer Leichtsinn zutage! Ihr redet von dem m„chtigen, unberwindlichen grauen B„ren mit einer Geringsch„tzung, als ob es sich um einen kleinen, ungef„hrlichen Waschb„ren handle.® ¯Das nicht. Es f„llt mir gar nicht ein, ihn gering zu sch„tzen; aber unberwindlich, wie Ihr sagt, ist er jedenfalls nicht. Kein Raubtier ist unberwindlich, auch der Grizzly nicht.® ¯Das habt Ihr wohl auch gelesen?® ¯Ja.® ¯Hm! Ich glaube, die Bcher, welche Ihr gelesen habt, sind an Euerm Leichtsinn schuld. Ihr seid doch sonst ein ganz verst„ndiger Kerl, wenn ich mich nicht irre. Ihr w„ret imstande und gingt auf einen grauen B„ren grad so los wie gestern auf die Bisons.® ¯Wenn ich nicht anders k”nnte ja.® ¯Nicht anders k”nnte! Unsinn! Was meint Ihr mit diesen Worten? Jeder Mensch kann anders, wenn er will!® ¯Das heiát, er kann ausreiáen, wenn er feig ist. Das meint Ihr doch?® ¯Ja; aber von feig sein ist dabei keine Rede. Es ist keine Feigheit, den Grizzly zu fliehen; im Gegenteile, es ist geradezu Selbstmord, der reinste Selbstmord, ihn anzugreifen.® ¯Da gehen unsere Ansichten auseinander. Wenn er mich berrascht und mir keine Zeit zur Flucht l„át, muá ich mich wehren. Wenn er sich ber einen Kameraden von mir hermacht, muá ich diesem zu Hilfe kommen. Das sind zwei F„lle, in denen ich nicht fliehen kann oder darf. Und auáerdem kann ich es mir ganz gut denken, daá ein khner Westmann es mit dem grauen B„ren auch ohne Not aufnimmt, um seinen Mut zu bet„tigen, ein so gef„hrliches Raubtier unsch„dlich zu machen und nebenbei sich dann die Schinken und die Tatzen ausgezeichnet schmecken zu lassen.® ¯Ihr seid ein ganz unverbesserlicher Mensch, und es wird - 80 - mir himmelangst um Euch. Dankt lieber Gott, wenn Ihr diese Schinken und Tatzen niemals kennen lernt! Dabei will ich freilich nicht verhehlen, daá es keine gr”áere Delikatesse gibt, soweit die Erde reicht; sie gehen sogar noch weit ber die feinste Bffellende.® ¯Wahrscheinlich braucht Ihr jetzt noch nicht um mich besorgt zu sein. Oder sollte es auch hier in dieser Gegend graue B„ren geben?® ¯Warum nicht? Der Grizzly kommt im ganzen Gebirge vor; er folgt den Flssen und geht zuweilen sogar weit in die Pr„rie hinein. Wehe dem, auf den er trifft! Reden wir nicht mehr davon!® Er ahnte ebensowenig wie ich, daá schon am n„chsten Tage dieses Thema wieder und noch ganz anders als heut zur Sprache kommen und dieses so gefrchtete Tier uns in den Weg treten werde. Es gab berhaupt keine Zeit, das Gespr„ch fortzufhren, denn wir waren jetzt bei dem Lager angelangt. Man hatte es eine ziemliche Strecke vorgeschoben, weil dieselbe w„hrend unserer Abwesenheit vermessen worden war. Bancroft hatte sich mit den drei Surveyors auáerordentlich ins Zeug gelegt, um endlich auch einmal zu zeigen, was er leisten konnte. Wir erregten Aufsehen. ¯Ein Maultier, ein Maultier!® wurde gerufen. ¯Wo habt Ihr es her, Hawkens, woher?® ¯Direkt geschickt bekommen,® antwortete er im ernsthaftesten Tone. ¯Nicht m”glich! Von wem, von wem?® ¯Durch die Eilpost, per Kreuzband fr zwei Cents. Wollt ihr den Umschlag vielleicht sehen?® Einige lachten, die Andern schimpften; aber er hatte seinen Zweck erreicht; man fragte ihn nicht weiter. Ob er gegen Dick Stone und Will Parker jetzt gleich mitteilsamer war, konnte ich nicht beobachten, weil ich mich sofort an der Vermessungsarbeit beteiligte. Diese schritt bis zum Abend so weit fort, daá wir morgen frh das Tal in Angriff nehmen konnten, in welchem wir gestern das Zusammentreffen mit den Bisons gehabt hatten. Als wir am Abende davon sprachen, fragte ich Sam, ob wir da vielleicht von den Bffeln gest”rt werden [Tafel Nr. 2: "Bd. VII. Seite Arme hielten den Baum fest umschlungen ... (Zu S. 87.)"] - 81 - k”nnten, da diese, wie es ja scheinen wollte, ihre Richtung durch das Tal einschlagen wrden. Wir hatten es mit einem Vortrupp zu tun gehabt und konnten uns nun wohl auf das Erscheinen der Hauptherde gefaát machen. Da antwortete er: ¯Denkt das ja nicht, Sir! Die Bisons sind nicht weniger klug als die Mustangs. Die von uns verjagten Vorposten sind zurckgekehrt und haben die Herde gewarnt; diese schl„gt nun sicher eine ganz andere Richtung ein und wird sich hten, durch dieses Tal zu kommen.® Als der Morgen anbrach, verlegten wir unser Lager nach dem oberen Teil desselben. Hawkens, Stone und Parker beteiligten sich nicht daran, denn der Erstere wollte seine neue "Mary" zureiten, und die beiden Andern begleiteten ihn, als er sich nach der Pr„irie entfernte, auf welcher wir das Maultier gefangen hatten; dort gab es fr sein Vorhaben Platz genug. Wir Surveyors besch„ftigten uns zun„chst mit dem Anbringen der Meástangen, wobei uns einige Untergebene von Rattler halfen; dieser selbst schlenderte mit den Andern nichtstuend in der Umgebung herum. Dabei kamen wir und auch er der Stelle n„her, an welcher ich die beiden Bffels erlegt hatte. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich da, daá der alte Bulle nicht mehr da war. Wir gingen hin und sahen, daá von dem Punkte, wo er gelegen hatte, eine breite Spur nach den Bschen fhrte; das Gras war gegen zwei Ellen breit niedergeschleift. ¯Alle Wetter! Ist so etwas m”glich?® rief Rattler aus. ¯Ich habe, als wir das Fleisch holten, die beiden Bullen doch genau untersucht; sie waren tot, und doch hat dieser hier noch Leben in sich gehabt.® ¯Meint Ihr das?® fragte ich ihn. ¯Jawohl. Oder denkt Ihr, daá ein toter Bffel sich entfernen kann?® ¯Muá er sich selbst entfernt haben? Er kann doch auch entfernt worden sein.® ¯So? Von wem denn?® ¯Von Indianern zum Beispiel. Wir haben weiter oben die Spur eines Indianerfuáes entdeckt.® - 82 - ¯So! Wie klug und weise doch so ein Greenhorn reden kann! Wenn er von Indianern fortgeschafft worden w„re, woher sollen diese gekommen sein?® ¯Irgend woher.® ¯Das ist sehr richtig. Vielleicht sogar vom Himmel herunter! Denn von da herunter mssen sie gefallen sein, weil man sonst ihre F„hrte sehen máte. Nein, es ist noch Leben in dem Bffel gewesen, und er hat sich, als er erwachte, von hier fort und in die Bsche geschleppt; dort ist er natrlich inzwischen verendet. Wollen gleich einmal nachsuchen.® Er ging mit seinen Leuten der Spur nach. Vielleicht hatte er geglaubt, ich wrde mitgehen; ich tat dies aber nicht, denn die h”hnische Art und Weise, in der er mit mir gesprochen hatte, gefiel mir nicht, und ich hatte zu arbeiten; brigens konnte es mir auch sehr gleichgltig sein, wohin die Leiche des alten Bullen gekommen war. Ich wendete mich also meiner Besch„ftigung wieder zu, hatte aber noch nicht zur Meástange gegriffen, als aus dem Gebsch ein vielstimmiges Angstgeschrei erscholl; zwei, drei Schsse krachten, und dann h”rte ich Rattler rufen: ¯Auf die B„ume, schnell auf die B„ume, sonst seid ihr verloren! Er kann nicht klettern.® Wen meinte er, der nicht klettern konnte? Da kam einer seiner Leute aus dem Gebsch gesprungen, und zwar in S„tzen, wie man sie nur in der Todesangst zu machen vermag. ¯Was ist's, was gibt's?® rief ich ihm zu. ¯Ein B„r, ein gewaltiger B„r, ein grauer Grizzlyb„r!® keuchte er, indem er an mir vorberrannte. Zu gleicher Zeit schrie eine zeternde Stimme: ¯Zu Hilfe, zu Hilfe! Er hat mich fest! Oh, oh!® In dieser Weise konnte ein Mensch nur dann brllen, wenn er den offenen Rachen des Todes vor sich g„hnen sah. Der Mann befand sich jedenfalls in der „uáersten Gefahr; es muáte ihm Hilfe werden. Aber wie? Ich hatte mein Gewehr beim Zelte gelassen, weil es mich bei der Arbeit hinderte. Dies war keine Unvorsichtigkeit von mir gewesen, da wir Surveyors ja die Westm„nner zu unserem Schutze bei uns hatten. Wollte ich erst nach dem Zelte laufen, so wurde der Mann, ehe ich - 83 - zurckkam, von dem B„ren zerrissen; ich muáte also hin zu ihm, so wie ich war; ich hatte nur das Messer und die beiden Revolver im Grtel. Was sind aber das fr Waffen gegen einen Grizzlyb„ren! Der Grizzly ist ein naher Verwandter des ausgestorbenen H”hlenb„ren und geh”rt eigentlich mehr der Urzeit als der Gegenwart an. Er wird bis neun Fuá lang, und ich habe Exemplare erlegt, welche ebenso viel Zentner schwer waren. Seine Muskelkraft ist so riesig, daá er, einen Hirsch, ein Fohlen oder eine Bisonf„rse im Rachen, mit Leichtigkeit davontrabt. Ein Reiter kann ihm nur dann entfliehen, wenn er ein sehr kr„ftiges und ausdauerndes Pferd besitzt, sonst holt ihn der graue B„r sicher ein. Bei der riesigen St„rke, der absoluten Furchtlosigkeit und nie ermdenden Ausdauer des Grizzlyb„ren gilt seine Erlegung unter den Indianern natrlich fr eine ungeheuer khne Tat. Also ich sprang ins Gebsch. Die Spur fhrte noch weiter, bis dahin, wo die B„ume begannen. Dorthin hatte der B„r den Bullen geschleppt. Von dorther war er vorher gekommen; darum hatten wir seine Spur nicht sehen k”nnen, da sie durch das Fortschleifen des Bisons ausgel”scht worden war. Es war ein b”ser Augenblick. Hinter mir riefen die Surveyors, welche nach dem Zelte zu ihren Waffen flohen; vor mir schrien die Westleute, und dazwischen ert”nte das unbeschreibliche Schmerzgeheul desjenigen von ihnen, den der B„r in seinen Tatzen hatte. Ich kam mit jedem Sprunge, den ich tat, n„her; jetzt h”rte ich die Stimme des B„ren, oder vielmehr nicht die Stimme, denn auch dadurch, daá es keine Stimme hat, unterscheidet sich dieses gewaltige Tier von den andern B„renarten; es brummt nicht, sondern sein einziger Laut in Zorn oder Schmerz ist ein eigentmliches, lautes und rasches Schnauben und Fauchen. Nun war ich da. Vor mir lag der vollst„ndig zerfleischte Leib des Bisons; rechts und links schrien mir die Westm„nner zu, welche sich rasch auf die B„ume retiriert hatten und sich dort ziemlich sicher fhlten, denn man hat wohl selten oder gar nie einen Grizzly aufb„umen sehen. Gradaus, jenseits der Bffelleiche, hatte einer der Westm„nner einen Baum erklimmen wollen, war aber von dem B„ren dabei berrascht worden. Er - 84 - lag mit dem Oberleib, sich mit beiden Armen am Stamme festhaltend, auf dem ersten, niedrigen Aste, und der Grizzly, welcher sich hoch aufgerichtet hatte, whlte ihm mit den Vorderpranken in den Schenkeln und dem Unterleibe. Der Mann war dem Tode geweiht, unrettbar verloren; ich konnte ihm nicht helfen, und niemand h„tte, wenn ich wieder fortgelaufen w„re, das Recht gehabt, mir darber einen Vorwurf zu machen; aber der Anblick, welcher sich mir bot, wirkte mit unwiderstehlicher Gewalt. Ich raffte eins der weggeworfenen Gewehre auf; es war leider abgeschossen. Ich drehte es um, sprang ber den Bffel hinber und versetzte dem B„ren aus allen mir zu Gebote stehenden Kr„ften einen Kolbenhieb gegen den Sch„del. L„cherlich! Das Gewehr zerplitterte wie Glas in meinen H„nden; so einem Sch„del ist nicht einmal mit einem Schlachtbeile beizukommen; aber ich hatte doch den Erfolg, den Grizzly von seinem Opfer abzulenken. Er drehte den Kopf nach mir um, nicht etwa schnell, wie es bei einem katzen- oder hundeartigen Raubtiere der Fall gewesen w„re, sondern langsam, als ob er ber meinen dummen Angriff ganz verwundert sei. Mich mit seinen kleinen Augen messend, schien er zu berlegen, ob er bei seinem bisherigen Opfer bleiben oder mich anpacken solle; diese wenige [wenigen] Augenblicke retteten mir das Leben, denn es kam mir ein Gedanke, der einzige, der mir in der Lage, in welcher ich mich befand, Hilfe bringen konnte. Ich riá den einen Revolver heraus, sprang ganz nahe zu dem B„ren heran, welcher mir zwar seinen Kopf, sonst aber den Rcken zukehrte, und schoá ihn ein-, zwei-, drei-, viermal in die Augen, so wie ich nicht weit von hier dem zweiten Bffelbullen zwei Schsse in die Augen gegeben hatte. Dies geschah natrlich so schnell, wie es mir m”glich war; dann sprang ich weit zur Seite und blieb da beobachtend stehen, indem ich nun das Bowiemesser zog. W„re ich stehen geblieben, so h„tte ich es mit dem Leben bezahlt, denn das geblendete Raubtier lieá rasch vom Baume ab und warf sich nach der Stelle, an welcher ich mich einen Moment vorher befunden hatte. Ich war weg, und nun begann der B„r, unter giftigem Fauchen und wtenden Tatzenschl„gen nach mir zu suchen. Er geb„rdete sich wie wahnsinnig, drehte sich mit allen Vieren um sich selbst, riá die Erde auf, - 85 - machte, mit den Vorderpranken weit um sich langend, Sprnge nach allen Seiten, um mich zu finden, konnte mich aber nicht erwischen, da ich zu meinem Glcke gut getroffen hatte. Vielleicht h„tte ihm der Geruch als Fhrer zu ihm [mir] dienen k”nnen; aber er war rasend vor Wut, und dies verhinderte ihn, ruhig seinen Sinnen, seinem Instinkt zu folgen. [Illustration Nr. 6: Ein Grizzly b„umt sich auf] Endlich richtete er seine Aufmerksamkeit mehr auf seine Verletzungen als auf denjenigen, dem er sie zu verdanken hatte. Er setzte sich nieder, richtete sich in dieser Stellung auf und fuhr sich schnaubend und z„hnefletschend mit den Vordertatzen ber die Augen. Schnell stand ich neben ihm, holte aus und stieá ihm das Messer zweimal zwischen die Rippen. Er griff - 86 - augenblicklich nach mir, aber ich war schon wieder fort. Ich hatte das Herz nicht getroffen, und das Suchen nach mir begann mit erneuter und verdoppelter Wut. Dies dauerte wohl zehn Minuten lang. Er verlor dabei viel Blut und wurde sichtlich matt. Dann setzte er sich wieder aufrecht hin, um sich nach den Augen zu langen. Dies gab mir Gelegenheit zu zwei weiteren, schnell aufeinander folgenden Messerst”áen, und diesmal traf ich besser; er sank, w„hrend ich rasch wieder zur Seite gesprungen war, vorn nieder, lief taumelnd und fauchend einige Schritte vorw„rts, dann zur Seite und wieder zurck, wollte sich abermals aufrichten, hatte aber nicht die Kraft dazu, sondern fiel hin und kollerte im vergeblichen Bemhen, auf die Beine zu kommen, einige Male hin und her, bis er sich lang ausstreckte und dann ruhig liegen blieb. ¯Gott sei Dank!® schrie Rattler von seinem Baume herab. ¯Die Bestie ist tot. Das war eine schreckliche Gefahr, in der wir uns befanden.® ¯Wáte nicht, worin das Schreckliche fr Euch liegen sollte,® antwortete ich. ¯Ihr hattet ja sehr gut fr Eure Sicherheit gesorgt. Jetzt k”nnt Ihr herunterkommen.® ¯Nein, nein, noch nicht. Untersucht vorher den Grizzly, ob er wirklich tot ist.® ¯Er ist tot.® ¯Das k”nnt Ihr nicht behaupten. Ihr habt gar keine Ahnung, welch ein z„hes Leben so ein Vieh hat. Also untersucht ihn doch!® ¯Fr Euch etwa? Wenn Ihr wissen wollt, ob er noch lebt, so untersucht ihn selbst; Ihr seid ja ein berhmter Westmann, w„hrend ich nur ein Greenhorn bin.® Ich wendete mich nun zu seinem Kameraden, welcher noch immer in der vorhin beschriebenen Lage an dem Baume hing. Er hatte zu heulen aufgeh”rt, und bewegte sich nicht mehr. Sein Gesicht war verzerrt, und seine weit offenen Augen stierten verglast zu mir herab. Das Fleisch war ihm bis auf die Knochen von den Schenkeln gerissen, und die Eingeweide quollten [quollen] ihm aus dem Unterleibe. Ich beherrschte mein Grauen und rief ihm zu: ¯Laát fahren, Sir! Ich werde Euch herunternehmen.® - 87 - Er antwortete nicht, und keine noch so leise Bewegung verriet, daá er mich verstanden habe. Ich bat seine Kameraden, von den B„umen herabzusteigen und mir zu helfen. Diese berhmten "Westm„nner" waren nicht eher dazu zu bewegen, als bis ich den B„ren einige Male hin- und hergewendet und ihnen dadurch bewiesen hatte, daá er wirklich tot sei. Dann erst getrauten sie sich herunter und halfen mir, den so gr„álich Verstmmelten auf die Erde zu bringen. Dies hatte seine Schwierigkeiten, denn seine Arme hielten den Baum so fest umschlungen, daá wir sie nur mit Anwendung von Gewalt losbringen konnten. Er war tot. Dieses schreckliche Ende schien aber seine Kameraden nicht im geringsten anzugreifen, denn sie wendeten sich gleichgltig von ihm ab und dem B„ren zu, und ihr Anfhrer sagte: ¯Jetzt wird es umgekehrt: Vorhin hat der B„r uns fressen wollen, nun wird er von uns gefressen werden. Rasch, ihr Leute, das Fell herunter, daá wir zu dem Schinken und den Tatzen kommen!® Er zog sein Messer und kniete nieder, um seinen Worten die Tat folgen zu lassen; da aber bemerkte ich ihm: ¯Es w„re jedenfalls rhmlicher gewesen, wenn Ihr Euer Messer an ihm versucht h„ttet, als er noch am Leben war. Jetzt ist's zu sp„t dazu. Gebt Euch keine Mhe.® ¯Was?® fuhr er auf. ¯Wollt Ihr mich etwa hindern, mir einen Braten herunter zu schneiden?® ¯Das will ich allerdings, Mr. Rattler.® ¯Mit welchem Rechte?® ¯Mit dem besten, unbestreitbarsten Rechte. Ich habe den B„ren erlegt.® ¯Das ist nicht war [wahr]. Ihr werdet doch nicht behaupten wollen, daá ein Greenhorn einen Grizzly mit dem Messer t”ten kann! Wir haben, als wir ihn erblickten, auf ihn geschossen.® ¯Und Euch dann schleunigst auf die B„ume retiriert; ja, das ist wahr, sehr wahr!® ¯Aber unsere Kugeln haben getroffen; an ihnen ist er schlieálich verendet, nicht aber an den paar Nadelstichen, die Ihr ihm, als er schon halb tot war, mit Eurem Messer bei- - 88 - gebracht [beigebracht] habt. Der B„r ist unser, und wir machen mit ihm, was wir wollen. Verstanden?® Er wollte sich wirklich an die Arbeit machen; ich aber warnte ihn: ¯Laát augenblicklich ab von ihm, Mr. Rattler; sonst lehre ich Euch, meine Worte zu achten! Auch verstanden?® Da er trotzdem mit dem Messer in den Pelz des B„ren fuhr, faáte ich ihn so, wie er niedergebckt vor demselben kniete, mit beiden H„nden bei den Hften, hob ihn empor und warf ihn an den n„chsten Baum, daá es krachte. Es war mir in diesem Augenblicke des Zornes ganz gleichgltig, ob er dabei etwas brach oder nicht. Noch w„hrend er durch die Luft flog, riá ich meinen zweiten, noch geladenen Revolver heraus, um etwaigen Angriffen schnell zuvorzukommen. Er richtete sich wieder auf, blitzte mich mit vor Wut funkelnden Augen an[,] zog sein Messer und rief: ¯Das sollt Ihr mir bezahlen! Ihr habt mich schon einmal geschlagen, und ich werde dafr sorgen, daá Ihr Euch nicht zum drittenmal an mir vergreifen k”nnt.® Er wollte einen Schritt auf mich zu tun; da hielt ich ihm meinen Revolver entgegen und drohte: ¯Noch einen weiteren Schritt, und ich jage Euch eine Kugel in den Kopf! Weg mit dem Messer! Bei "drei" schieáe ich, wenn Ihr es in der Hand behaltet. Also: eins zwei und ® Er hielt das Messer fest, und ich h„tte wirklich geschossen, wenn auch nicht ihm in den Kopf, sondern ich h„tte ihm zwei oder drei Kugeln durch die Hand gejagt, denn es galt, mir Respekt zu verschaffen; aber ich kam glcklicherweise nicht dazu, denn in diesem kritischen Augenblicke erscholl eine laute Stimme: ¯Gents, seid ihr toll! Was k”nnte es fr einen guten Grund geben, daá Weiáe sich einander die H„lse brechen! Haltet ein!® Wir blickten in die Richtung, in welcher diese Worte gesprochen wurden, und sahen einen Mann hinter einem Baume hervortreten. Er war klein, hager und buckelig und fast wie ein Roter gekleidet und bewaffnet. Man konnte nicht recht unterscheiden, ob er ein Weiáer oder ein Indianer war. Sein - 89 - scharf geschnittenes Gesicht deutete auf das letztere, w„hrend die Farbe seines jetzt allerdings von der Sonne verbrannten Gesichtes wahrscheinlich frher weiá gewesen war. Er trug den Kopf unbedeckt; das dunkle Haar hing ihm bis auf die Schultern herab. Sein Anzug bestand aus einer indianischen Lederhose, einem Jagdhemde aus demselben Stoffe und einfachen Mokassins. Bewaffnet war er nur mit einem Gewehre und einem Messer. Sein Auge blickte auáerordentlich intelligent, und er brachte trotz seiner Miágestalt keineswegs einen l„cherlichen Eindruck hervor. Es sind ja berhaupt nur rohe und unverst„ndige Menschen, welche ber einen unverdienten k”rperlichen Fehler oder Mangel die Nase rmpfen k”nnen. Zu dieser Sorte geh”rte Rattler, denn als er den Ank”mmling erblickte, rief er lachend aus: ¯Halloo, was kommt denn da fr ein Zwerg und Miágesch”pf gelaufen! Darf es denn hier im sch”nen Westen auch solche Leute geben?® Der Fremde maá ihn von unten bis oben und antwortete in ruhigem, berlegenem Tone: ¯Dankt Gott, wenn Ihr gesunde Glieder habt! Uebrigens kommt es nicht auf den K”rper, sondern auf das Herz und den Geist an, und da sage ich Euch, daá ich eine Vergleichung mit Euch nicht zu scheuen brauche.® Er machte eine geringsch„tzige Bewegung mit der Hand und wendete sich dann an mich: ¯Habt Ihr Kraft in den Knochen, Sir! Das Experiment, einen so schweren Menschen so weit durch die Luft fliegen zu lassen, macht Euch so leicht niemand nach. Es war wirklich eine Wonne, zuzuschauen.® Dann stieá er den Grizzly mit dem Fuáe an und fuhr in bedauerndem Tone fort: ¯Also das ist der Kerl, den wir haben wollten. Wir sind zu sp„t gekommen; das ist schade!® ¯Ihr wolltet ihn erlegen?® fragte ich. ¯Ja. Wir fanden gestern seine F„hrte und sind ihr nach, kreuz und quer, durch dick und dnn, und nun wir an Ort und Stelle kommen, mssen wir leider sehen, daá die Arbeit schon getan ist.® - 90 - ¯Ihr redet in der Mehrzahl, Sir; seid Ihr nicht allein?® ¯Nein. Es sind zwei Gentlemen bei mir.® ¯Wer?® ¯Werde es Euch dann sagen, wenn ich erfahren habe, wer Ihr seid. Ihr wiát, daá man in dieser Gegend nicht vorsichtig genug sein kann. Man st”át da mehr auf b”se als auf gute Menschen.® Er streifte dabei Rattler und dessen Leute mit seinem Blicke und fuhr dann freundlich fort: ¯Uebrigens sieht man es einem Gentleman gleich an, daá man ihm trauen darf. Habe den letzten Teil eurer Unterhaltung geh”rt und weiá also so leidlich, woran ich bin.® ¯Wir sind Surveyors, Sir,® erkl„rte ich ihm. ¯Ein Oberingenieur, vier Surveyors, drei Scouts und zw”lf Westm„nner, welche uns gegen etwaige Angriffe zu beschtzen haben.® ¯Hm, was dieses anbelangt, so scheint Ihr ein Mann zu sein, der keinen Beschtzer braucht. Also Surveyors seid Ihr. Ihr befindet Euch hier in T„tigkeit?® ¯Ja.® ¯Was vermeát Ihr da?® ¯Eine Bahn.® ¯Die hier vorbergehen soll?® ¯Ja.® ¯So habt Ihr das Gebiet gekauft?® Sein Auge war w„hrend dieser Frage stechend und sein Gesicht ernster geworden. Er schien Grund zu diesen Erkundigungen zu haben; darum antwortete ich: ¯Ich bin beauftragt, mich an den Vermessungen zu beteiligen, und dies tue ich, ohne mich um das brige zu bekmmern.® ¯Hm, ja! Denke aber, Ihr wiát trotzdem sehr wohl, woran Ihr seid. Der Boden, auf welchem Ihr Euch befindet, geh”rt den Indianern, und zwar den Apachen vom Stamme der Mescaleros. Ich kann ganz bestimmt behaupten, daá sie dieses Land weder verkauft noch sonst in irgend einer Weise an irgend jemand abgetreten haben.® ¯Was geht das Euch an!® rief ihm da Rattler zu. ¯Bekmmert Euch nicht um fremde Angelegenheiten, sondern um die Eurigen.® - 91 - ¯Das tue ich auch, Sir, das tue ich, denn ich bin ein Apache, sogar ein Mescalero.® ¯Ihr? Laát Euch nicht auslachen! Man máte ja blind sein, um Euch nicht anzusehen, daá Ihr ein Weiáer seid.® ¯Ihr irrt Euch doch! Ihr drft Euch nicht nach meiner Haut, sondern nach meinem Namen richten. Ich werde Klekih-petra genannt.® Dieser Name bedeutet in der Sprache der Apachen, deren Dialekte ich damals noch nicht kannte, so viel wie weiáer Vater. Rattler schien diesen Namen schon geh”rt zu haben, denn er trat in ironischer Verwunderung einen Schritt zurck und sagte: ¯Ah, Klekih-petra, der berhmte Schulmeister der Apachen! Schade, daá Ihr buckelig seid; es muá Euch da auáerordentlich schwer werden, von den roten Bengels nicht ausgelacht zu werden.® ¯O, das tut nichts, Sir. Ich bin es gewohnt, von Bengels verlacht zu werden, denn vernnftige Leute tun das nicht. Und nun ich weiá, wer Ihr seid und was Ihr hier treibt, kann ich Euch auch sagen, wer meine Begleiter sind. Es wird am besten sein, ich zeige sie Euch.® Er rief ein Indianerwort, welches ich nicht verstand, in den Wald zurck, worauf zwei auáerordentlich interessante Gestalten erschienen und langsam und wrdevoll auf uns zukamen. Es waren Indianer, und zwar Vater und Sohn, wie man gleich auf den ersten Blick erkennen muáte. Der Aeltere war von etwas mehr als mittlerer Gestalt, dabei sehr kr„ftig gebaut; seine Haltung zeigte etwas wirklich Edles, und aus seinen Bewegungen konnte man auf groáe k”rperliche Gewandtheit schlieáen. Sein ernstes Gesicht war ein echt indianisches, doch nicht so scharf und eckig, wie es bei den meisten Roten ist. Sein Auge besaá einen ruhigen, beinahe milden Ausdruck, den Ausdruck einer stillen, innern Sammlung, die ihn seinen gew”hnlichen Stammesgenossen gegenber berlegen machen muáte. Sein Kopf war unbedeckt; das dunkle Haar hatte er in einen helmartigen Schopf aufgebunden, in welchem eine Adlerfeder, das Zeichen der H„uptlingswrde, steckte. Der Anzug bestand aus Mokassins, ausgefransten Leggins und einem ledernen Jagdrocke, dies alles sehr einfach und - 92 - dauerhaft gefertigt. Im Grtel steckte ein Messer, und an demselben hingen mehrere Beutel, in denen alle die Kleinigkeiten steckten, welche einem Westmanne n”tig sind. Der Medizinbeutel hing an seinem Halse, daneben die Friedenspfeife mit dem aus heiligem Tone geschnittenen Kopfe. In der Hand hielt er ein doppell„ufiges Gewehr, dessen Holzteile dicht mit [Illustration Nr. 7: Erste Begegnung mit Winnetou und Intschu tschuna] silbernen N„geln beschlagen waren. Dies war das Gewehr, welches sein Sohn Winnetou sp„ter unter dem Namen Silberbchse zu so groáer Berhmtheit bringen sollte. Der Jngere war genau so gekleidet wie sein Vater, nur daá sein Anzug zierlicher gefertigt worden war. Seine Mokassins waren mit Stachelschweinsborsten und die N„hte seiner Leggins und des Jagdrockes mit feinen, roten N„hten geschmckt. Auch er trug den Medizinbeutel am Halse und das Kalumet dazu. Seine Bewaffnung bestand wie bei seinem Vater aus einem Messer und einem Doppelgewehre. Auch er - 93 - trug den Kopf unbedeckt und hatte das Haar zu einem Schopfe aufgewunden, aber ohne es mit einer Feder zu schmcken. Es war so lang, daá es dann noch reich und schwer auf den Rcken niederfiel. Gewiá h„tte ihn manche Dame um dieses herrliche, blauschimmernde Haar beneidet. Sein Gesicht war fast noch edler als dasjenige seines Vaters und die Farbe desselben ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch. Er stand, wie ich jetzt erriet und sp„ter dann erfuhr, mit mir in gleichem Alter und machte gleich heut, wo ich ihn zum erstenmal erblickte, einen tiefen Eindruck auf mich. Ich fhlte, daá er ein guter Mensch sei und auáerordentliche Begabung besitzen msse. Wir betrachteten einander mit einem langen, forschenden Blicke, und dann glaubte ich, zu bemerken, daá in seinem ernsten, dunklen Auge, welches einen sammetartigen Glanz besaá, fr einen kurzen Augenblick ein freundliches Licht aufgl„nzte, wie ein Gruá, den die Sonne durch eine Wolken”ffnung auf die Erde sendet. ¯Das sind meine Freunde und Begleiter,® sagte Klekih-petra, indem er erst auf den Vater und dann auf den Sohn deutete. ¯Dieser ist Intschu tschuna *), der groáe H„uptling der Mescaleros, welcher auch von allen brigen Apachenst„mmen als H„uptling anerkannt wird. Und hier steht sein Sohn Winnetou, welcher trotz seiner Jugend schon mehr khne Taten verrichtet hat, als sonst zehn alte Krieger in ihrem ganzen Leben ausgefhrt haben. Sein Name wird einst genannt und gerhmt werden, so weit die Savannen und die Felsengebirge reichen.® Das klang berschw„nglich, war aber, wie ich sp„ter erfuhr, gar nicht zu viel gesagt. Rattler lachte h”hnisch auf und rief aus: ¯So ein junger Kerl und soll schon solche Taten begangen haben? Ich sage mit Absicht "begangen", denn was er ausgefhrt hat, werden doch nur Diebereien, Spitzbbereien und R„ubereien gewesen sein. Man kennt das schon. Die Roten stehlen und rauben alle.® Dies war eine schwere Beleidigung. Die drei Fremden *) Gute Sonne. - 94 - taten so, als ob sie sie nicht geh”rt h„tten. Sie traten zu dem B„ren und betrachteten denselben. Klekih-petra bckte sich nieder und untersuchte ihn. ¯Er ist an den Messerstichen und nicht an einer Kugel gestorben,® sagte er, zu mir gewendet. Er hatte meinen Streit mit Rattler heimlich angeh”rt und wollte mir nun konstatieren, daá ich recht gehabt hatte. ¯Wird sich finden,® sagte Rattler. ¯Was versteht so ein buckeliger Schulmeister von der B„renjagd. Wenn wir nachher dem Tiere das Fell abgezogen haben, so werden wir ganz deutlich sehen, welche Wunde t”dlich gewesen ist. Von einem Greenhorn lasse ich mich nicht um mein Recht betrgen.® Da bckte sich auch Winnetou zu dem B„ren nieder, betastete ihn an den Stellen, wo er blutig war, und fragte mich, als er sich wieder aufgerichtet hatte: ¯Wer hat dieses Tier mit dem Messer angegriffen?® Er sprach ein sehr reines Englisch. ¯Ich,® antwortete ich. ¯Warum hat mein junger, weiáer Bruder nicht auf ihn geschossen?® ¯Weil ich kein Gewehr bei mir hatte.® ¯Hier liegen doch Flinten!® ¯Die geh”ren nicht mir. Diejenigen, deren Eigentum sie sind, warfen sie weg und kletterten auf die B„ume.® ¯Als wir der Spur des B„ren folgten, h”rten wir in der Ferne ein groáes Angstgeschrei. Wo ist das gewesen?® ¯Hier.® ¯Uff! Die Eichh”rnchen und Stinktiere sind da, um auf die B„ume zu fliehen, wenn ein Feind sich ihnen naht. Der Mann aber soll k„mpfen, denn wenn er Mut besitzt, so ist ihm die Macht gegeben, selbst das st„rkste Tier zu berwinden. Mein junger, weiáer Bruder hat solchen Mut besessen. Warum wird er da ein Greenhorn genannt?® ¯Weil ich zum erstenmal und nur erst kurze Zeit im Westen bin.® ¯Die Bleichgesichter sind sonderbare Menschen. Bei ihnen wird ein Jngling, welcher sich nur mit dem Messer an den schrecklichen Grizzly wagt, Greenhorn geschimpft; diejenigen - 95 - aber, welche aus Furcht auf die B„ume klettern und da oben vor Entsetzen heulen, drfen sich fr tchtige Westm„nner halten. Die roten M„nner sind gerechter. Bei ihnen kann ein Tapferer nie als Feigling und ein Feigling nie als Tapferer gelten.® ¯Mein Sohn hat sehr richtig gesprochen,® stimmte sein Vater in einem etwas weniger guten Englisch bei. ¯Dieses junge Bleichgesicht ist kein Greenhorn mehr. Wer den Grizzly in dieser Weise erlegt, der ist ein groáer Held zu nennen. Und wer es gar noch tut, um Andere zu retten, die auf die B„ume entwichen sind, der kann von ihnen Dank aber nicht Schimpfreden erwarten. Howgh! Gehen wir hinaus ins Freie, um zu sehen, warum die Bleichgesichter sich hier in dieser Gegend befinden.® Welch ein Unterschied zwischen meinen weiáen Begleitern und diesen von ihnen verachteten Indianern! Der Gerechtigkeitssinn der Roten trieb sie, ohne daá sie es n”tig hatten, sich zu meinen Gunsten auszusprechen. Es war sogar ein Wagnis, daá sie dies taten. Sie waren nur zu dreien und wuáten nicht, wieviel K”pfe wir z„hlten; sie begaben sich gewiá in eine Gefahr, wenn sie sich unsere Westm„nner zu Feinden machten. Daran schienen sie aber gar nicht zu denken. Sie gingen langsam und mit stolzen Schritten an uns vorber und dann aus dem Gebsch hinaus. Wir folgten ihnen. Da sah Intschu tschuna die Meápf„hle stecken, blieb stehen, wendete sich zu mir zurck und fragte: ¯Was wird hier getrieben? Wollen die Bleichgesichter etwa dieses Land vermessen?® ¯Ja.® ¯Wozu?® ¯Um einen Weg fr das Feuerroá zu bauen.® Sein Auge verlor den ruhigen, sinnenden Blick; es leuchtete zornig auf, und fast hastig erkundigte er sich: ¯Du geh”rst zu diesen Leuten?® ¯Ja.® ¯Und hast mit vermessen?® ¯Ja.® ¯Du wirst bezahlt dafr?® ¯Ja.® - 96 - Da war es ein ver„chtlicher Blick, den er ber mich hinweggleiten lieá, und ebenso ver„chtlich klang sein Ton, als er zu Klekih-petra sagte: ¯Deine Lehren klingen sehr sch”n, aber sie treffen nicht oft zu. Da hat man endlich einmal ein junges Bleichgesicht gesehen mit einem tapferen Herzen, offenem Gesicht und ehrlichen Augen, und kaum hat man gefragt, was es hier tut, so ist es gekommen, um uns gegen Bezahlung unser Land zu stehlen. Die Gesichter der Weiáen m”gen gut sein oder b”s, im Innern ist doch Einer wie der Andere!® Wenn ich ehrlich sein will, so muá ich sagen, daá ich keine Worte zu meiner Verteidigung h„tte finden k”nnen; ich fhlte mich innerlich besch„mt. Der H„uptling hatte recht; es war so, wie er sagte. Konnte ich etwa stolz auf meinen Beruf sein, ich streng moralischer, christlicher Landesvermesser? Der Oberingenieur hatte sich mit den drei Surveyors in das Zelt versteckt. Sie blickten durch ein Loch desselben nach dem gefrchteten B„ren aus. Als sie uns kommen sahen, wagten sie sich hervor, nicht wenig erstaunt oder vielleicht auch betroffen darber, daá sie die Indianer bei uns sahen. Sie empfingen uns natrlich mit der Frage, wie wir uns des B„ren erwehrt h„tten. Da antwortete Rattler schnell: ¯Wir haben ihn erschossen, und zu Mittag wird es B„rentatzen, heut abend aber B„renschinken zu essen geben.® Unsere drei G„ste sahen mich an, ob ich mir dies gefallen lassen wrde; darum machte ich die Bemerkung: ¯Und ich behaupte, daá ich ihn erstochen habe. Hier stehen drei Sachverst„ndige, welche mir recht gegeben haben; das soll aber gar nicht entscheidend sein. Wenn nachher Hawkens, Stone und Parker kommen, m”gen sie ihre Urteile abgeben, nach denen wir uns richten werden. Bis dahin bleibt der B„r unangerhrt liegen.® ¯Den Teufel werde ich mich nach diesen dreien richten!® murrte Rattler. ¯Ich gehe mit meinen Leuten hin, um den B„ren aufzubrechen, und wer uns da hindern will, dem jagen wir ein halbes Dutzend Kugeln in den Leib!® ¯Tut nicht so dick, sonst mache ich Euch dnn, Mr. Rattler! Vor Euren Kugeln frchte ich mich nicht so, wie Ihr Euch vor - 97 - dem B„ren gefrchtet habt. Ihr jagt mich auf keinen Baum; das laát Euch nur gesagt sein! Daá Ihr hingeht, dagegen habe ich nichts, erwarte aber, daá Ihr es nur Eures toten Kameraden wegen tut, den Ihr begraben m”gt. So liegen lassen drft Ihr ihn doch nicht.® ¯Es ist einer tot?® fragte Bancroft erschrocken. ¯Ja, Rollins,® antwortete Rattler. ¯Dieser arme Teufel hat auch nur wegen der Dummheit eines Andern sein Leben lassen mssen, sonst h„tte er sich retten k”nnen.® ¯Wieso? Wessen Dummheit?® ¯Nun, er machte es grad so wie wir und sprang nach einem Baum; er w„re ganz gut hinaufgekommen, aber da kam dieses Greenhorn alberner Weise gerannt und reizte den B„ren, welcher sich dann wtend auf Rollins strzte und ihn zerfleischte.® Das war die Schlechtigkeit denn doch zu weit getrieben; ich stand beinahe sprachlos vor Erstaunen. Die Sache in dieser Weise darzustellen, und noch dazu in meiner Gegenwart, das durfte ich denn doch nicht dulden! Darum wandte ich mich schnell mit der Frage an ihn: ¯Das ist Eure Ueberzeugung, Mr. Rattler?® ¯Yes,® nickte er entschlossen. Er zog seinen Revolver heraus, denn er erwartete eine T„tlichkeit von mir. ¯Rollins h„tte sich retten k”nnen und wurde nur durch mich verhindert?® ¯Yes.® ¯Ich meine aber, daá der B„r ihn schon gefaát hatte, ehe ich kam!® ¯Das ist eine Lge!® ¯Well, so sollt Ihr jetzt die Wahrheit h”ren oder fhlen.® Bei diesen Worten riá ich ihm mit der Linken den Revolver aus der Hand und gab ihm mit der Rechten eine so gewaltige Ohrfeige, daá er wohl sechs bis acht Schritte weit fort und da zur Erde flog. Er sprang auf, riá sein Messer heraus und kam, wie ein wtendes Tier brllend, auf mich zugerannt. Ich parierte den Messerstich mit der linken Hand und schlug ihn mit der rechten Faust nieder, daá er zu meinen Fáen ohne Besinnung liegen blieb. - 98 - ¯Uff, uff!® rief Intschu tschuna erstaunt, indem er vor Bewunderung dieses Jagdhiebes die gebotene indianische Zurckhaltung vergaá. Im n„chsten Augenblicke jedoch sah man ihm schon an, daá er diese Anerkennung bereute. ¯Das war wieder Shatterhand,® sagte der Surveyor Wheeler. Ich achtete nicht auf diese Worte, sondern hielt mein Auge auf Rattlers Kameraden gerichtet. Sie waren sichtlich wtend, aber es wagte keiner, mit mir anzubinden. Sie murrten und fluchten unter sich; aber das war auch alles, was sie taten. ¯Nehmt Rattler doch einmal ernstlich vor, Mr. Bancroft,® forderte ich den Oberingenieur auf. ¯Ich habe ihm nichts getan, und doch sucht er sich stets an mir zu reiben. Ich frchte, es kommt noch Mord und Totschlag hier im Lager vor. Lohnt ihn ab, und wenn Euch das nicht beliebt, nun, so kann ich ja gehen.® ¯Oho, Sir, so schlimm ist die Sache denn doch wohl nicht!® ¯Ja, so schlimm ist sie. Hier habt Ihr sein Messer und seinen Revolver. Gebt ihm diese Waffen nicht eher, als bis er sich beruhigt hat, nachdem er wieder zu sich gekommen ist. Denn ich sage Euch, ich wehre mich meiner Haut, und wenn er mir noch einmal mit einer Waffe kommt, so schieáe ich ihn nieder. Ihr nennt mich ein Greenhorn, aber ich kenne doch die Gesetze der Prairie. Wer mir mit dem Messer oder der Kugel droht, den darf ich augenblicklich erschieáen.® Dies galt natrlich nicht nur Rattlern, sondern auch seinen "Westm„nnern", von denen keiner ein Wort dazu sagte. Jetzt wendete sich der H„uptling Intschu tschuna an den Oberingenieur: ¯Mein Ohr hat jetzt vernommen, daá du unter den hiesigen Bleichgesichtern derjenige bist, welcher den Befehl fhrt. Ist dies so?® ¯Ja,® antwortete der Gefragte. ¯So habe ich mit dir zu reden.® ¯Was?® ¯Das sollst du h”ren. Du stehst auf deinen Fáen; aber M„nner sollen sitzen, wenn sie sich beraten.® - 99 - ¯Willst du unser Gast sein?® ¯Nein, das ist unm”glich. Wie kann ich dein Gast sein, wenn du dich bei mir auf meinem Boden, in meinem Walde, meinem Tale, meiner Prairie befindest? Die weiáen M„nner m”gen sich setzen. Was sind das fr Bleichgesichter, welche da noch kommen?® ¯Sie geh”ren zu uns.® ¯So m”gen sie sich auch mit zu uns setzen.® Sam, Dick und Will kamen n„mlich jetzt von ihrem Ritte zurck. Sie als erfahrene Westleute wunderten sich nicht ber die Anwesenheit der Indianer, wurden aber besorgt, als sie h”rten, wer die beiden seien.® [seien.] ¯Und wer ist der dritte?® fragte mich Sam. ¯Er heiát Klekih-petra, und Rattler hat ihn Schulmeister genannt.® ¯Klekih-petrah [Klekih-petra], der Schulmeister? Ach, von dem habe ich geh”rt, wenn ich [mich] nicht irre. Das ist ein sehr geheimnisvoller Mensch, ein Weiáer, welcher schon lange bei den Apachen lebt und so eine Art von Mission„r zu sein scheint, wenn er auch kein Priester ist. Freut mich, ihn zu sehen. Werde ihm einmal auf den Zahn fhlen, hihihihi.® ¯Wenn er sich darauf fhlen l„át!® ¯Wird mich doch nicht in die Finger beiáen? Ist sonst noch etwas vorgekommen?® ¯Ja.® ¯Was?® ¯Etwas sehr Wichtiges.® ¯Dann heraus damit!® ¯Ich habe das getan, wovor Ihr mich gestern warntet.® ¯Weiá nicht, was Ihr meint. Habe Euch vor vielem gewarnt.® ¯Grizzlyb„r.® ¯Wie wo waaaaas? Etwa gar ein grauer B„r dagewesen?® ¯Und was fr einer!® ¯Wo denn, wo? Ihr macht doch nur Spaá!® ¯F„llt mir gar nicht ein. Da unten hinter dem Gebsch im Walde. Hat den alten Bullen hineingeschafft.® - 100 - ¯Wirklich, wirklich? Alle Wetter, muá das grad dann passieren, wenn unsereiner nicht da ist! Hat es Tote gegeben?® ¯Einen n„mlich Rollins.® ¯Und Ihr? Was habt Ihr getan? Habt Euch doch fern gehalten?® ¯Ja.® ¯Recht so! M”chte es aber fast nicht glauben.® ¯K”nnt es getrost glauben. Habe mich grad so fern von ihm gehalten, daá er mir nichts tun, ich ihm aber mein Messer viermal zwischen die Rippen stoáen konnte.® ¯Seid Ihr gescheit! Habt ihn mit dem Messer angegriffen?® ¯Ja. Hatte die Bchse nicht da.® ¯Welch ein Kerl! Ein echtes, richtiges Greenhorn. Hat extra einen schweren B„rent”ter mitgebracht, und nun der B„r kommt, schieát er mit dem Messer anstatt mit der Bchse. Sollte man so etwas fr m”glich halten? Wie ist es denn gekommen?® ¯So, daá Rattler behauptet, ich h„tte ihn nicht erlegt, sondern er.® Ich erz„hlte ihm, wie sich der Vorgang abgespielt hatte, auch daá ich dann wieder mit Rattler zusammengeraten war. ¯Mensch, Ihr seid wirklich ein ganz unglaublich leichtsinniger Kerl!® rief er aus. ¯Hat noch nie einen Grizzly gesehen und geht darauf los, als ob es sich um einen alten Pudelhund handelte! Ich muá mir das Tier ansehen, sofort ansehen. Kommt, Dick und Will! Ihr mát doch auch sehen, was dieses Greenhorn hier abermals fr dumme Streiche gemacht hat.® Er wollte fort, da aber in diesem Augenblicke Rattler wieder zu sich kam, wendete er sich zuvor an diesen: ¯H”rt, Mr. Rattler, ich habe Euch etwas mitzuteilen. Ihr habt abermals mit meinem jungen Freunde angebunden. Wenn Ihr dies noch einmal wagen solltet, so werde ich dafr sorgen, daá es berhaupt nicht wieder geschehen kann. Meine Geduld ist nun zu Ende. Merkt Euch das!® Er entfernte sich mit Stone und Parker. Rattler machte ein grimmiges Gesicht, warf mir haáerfllte Blicke zu, sagte - 101 - aber nichts, doch war ihm anzusehen, daá er einer Mine glich, welche im n„chsten Augenblicke platzen konnte. Die beiden Indianer und Klekih-petra hatten sich in das Gras niedergelassen. Der Oberingenieur saá ihnen gegenber, doch begannen sie ihre Unterhaltung noch nicht. Sie wollten die Rckkehr Sams abwarten, um zu h”ren, was fr ein Urteil er abgeben werde. Er kam schon nach kurzer Zeit wieder und rief schon von weitem aus: ¯Welch eine Dummheit ist es gewesen, auf den Grizzly zu schieáen und dann zu fliehen. Wenn man ihm nicht standhalten will, so schieát man berhaupt nicht, sondern l„át ihn in Ruhe; dann tut er einem nichts. Dieser Rollins sieht gr„álich aus! Und wer soll den B„r erlegt haben?® ¯Ich,® rief Rattler rasch. ¯Ihr? Womit denn?® ¯Mit meiner Kugel.® ¯Well, das stimmt ist richtig.® ¯Dachte es!® ¯Ja, der B„r ist an einer Kugel gestorben.® ¯Also geh”rt er mir. H”rt ihr es, ihr Leute! Sam Hawkens hat sich fr mich erkl„rt,® schrie Rattler triumphierend. ¯Ja, fr Euch. Eure Kugel ist ihm am Kopf vorbeigegangen und hat ihm ein Spitzchen vom Ohre weggenommen. Und an so einem Ohrenspitzchen stirbt so ein Grizzlyb„rchen natrlich auf der Stelle, hihihihi! Wenn es wirklich so ist, daá mehrere geschossen haben, so haben sie in ihrer Angst eben grad vorbeigeschossen; nur eine Kugel hat das Ohr gestreift; sonst ist keine Spur von einer Kugel vorhanden. Aber vier tchtige Messerstiche sind da, zwei neben das Herz und zwei dann grad hinein. Wer aber hat gestochen?® ¯Ich,® antwortete ich. ¯Ihr allein?® ¯Weiter niemand.® ¯So geh”rt der B„r Euch. Das heiát, da wir eine Gesellschaft bilden, so ist der Pelz Euer, und das Fleisch geh”rt allen; aber Ihr habt zu bestimmen, wie es verteilt wird. Das ist so Brauch im wilden Westen. Was sagt Ihr nun dazu, Mr. Rattler?® - 102 - ¯Hol Euch der Teufel!® Er lieá noch einige grimmige Flche h”ren und ging dann zum Wagen, auf welchem das Brandyfaá lag. Ich sah, daá er sich Branntwein in den Becher laufen lieá, und wuáte, daá er nun so lange trinken wrde, bis er nicht mehr konnte. Diese Angelegenheit war nun geordnet, und so forderte Bancroft den H„uptling der Apachen auf, seinen Wunsch vorzutragen. ¯Es ist kein Wunsch, sondern ein Befehl, welchen ich aussprechen will,® antwortete Intschu tschuna stolz. ¯Wir nehmen keine Befehle an,® versicherte der Oberingenieur ebenso stolz. Ueber das Gesicht des H„uptlings wollte es wie Aerger gleiten; er beherrschte sich aber und sagte in ruhigem Tone: ¯Mein weiáer Bruder mag mir einige Fragen beantworten und mir dabei die Wahrheit sagen. Hat er ein Haus da, wo er wohnt?® ¯Ja.® ¯Und einen Garten daran?® ¯Ja.® ¯Wenn nun der Nachbar einen Weg durch diesen Garten bauen wollte, wrde das mein Bruder dulden?® ¯Nein.® ¯Die L„nder jenseits der Felsenberge und im Osten des Mississippi geh”ren den Bleichgesichtern. Was wrden diese dazu sagen, wenn die Indianer k„men und dort eiserne Pfade bauen wollten?® ¯Sie wrden sie fortjagen.® ¯Mein Bruder hat die Wahrheit gesprochen. Nun aber kommen die Bleichgesichter hierher in dieses Land, welches uns geh”rt; sie fangen uns die Mustangs fort, sie t”ten unsre Bffel; sie suchen bei uns Gold und edle Steine. Nun wollen sie gar einen langen, langen Weg bauen, auf dem ihr Feuerroá laufen soll. Auf diesem Wege kommen dann immer mehr Bleichgesichter, welche ber uns herfallen und uns auch noch das Wenige nehmen, was man uns gelassen hat. Was werden wir dazu sagen?® Bancroft schwieg. - 103 - ¯Haben wir etwa weniger Recht als ihr? Ihr nennt euch Christen und sprecht immerfort von Liebe. Dabei aber sagt ihr: ihr k”nnt uns bestehlen und berauben; wir aber mssen ehrlich gegen euch sein. Ist das Liebe? Ihr sagt, euer Gott sei der gute Vater aller roten und aller weiáen Menschen. Ist er nun unser Stiefvater, dagegen euer richtiger Vater? Geh”rte nicht das ganze Land den roten M„nnern? Man hat es uns genommen. Was haben wir dafr bekommen? Elend, Elend und Elend! Ihr jagt uns immer weiter zurck und dr„ngt uns immer weiter zusammen, so daá wir in kurzer Zeit elendiglich ersticken werden. Warum tut ihr das? Etwa aus Not, weil ihr keinen Raum mehr habt? Nein, sondern aus Habgier, denn in euern L„ndern ist noch Platz fr viele, viele Millionen. Jeder von euch m”chte einen ganzen Staat, ein ganzes Land besitzen; der Rote aber, der wirkliche Eigentmer, darf nicht haben, wohin er sein Haupt zur Ruhe legt. Klekih-petra, welcher hier neben mir sitzt, hat mir von euerm heiligen Buche erz„hlt. Da ist zu lesen, daá der erste Mensch zwei S”hne hatte, von denen der eine den andern erschlug, so daá das Blut zum Himmel schrie. Wie ist es nun mit den zwei Brdern, dem roten und dem weiáen Bruder? Seid ihr nicht der Kain, und wir sind der Abel, dessen Blut zum Himmel schreit? Und dazu verlangt ihr noch, daá wir uns umbringen lassen sollen, ohne uns zu wehren! Nein, wir wehren uns! Wir sind von Ort zu Ort verjagt worden, weiter, immer weiter fort. Jetzt wohnen wir hier. Wir glaubten, einmal ausruhen und ruhig atmen zu k”nnen; aber da kommt ihr jetzt schon wieder, um einen Eisenweg abzustecken. Besitzen wir denn nicht dasselbe Recht, welches du in deinem Hause, in deinem Garten besitzest? Wollten wir unsere Gesetze anwenden, so máten wir euch alle t”ten. Aber wir wnschen nur, daá eure Gesetze auch fr uns gelten sollen. Tun sie das? Nein! Eure Gesetze haben zwei Gesichter, und diese dreht ihr uns zu, wie es zu euerm Vorteile ist. Du willst hier einen Weg bauen. Hast du uns um die Erlaubnis gefragt?® ¯Nein, denn das habe ich nicht n”tig.® ¯Warum nicht? Ist dieses Land euer?® ¯Ich denke es.® - 104 - ¯Nein. Es geh”rt uns. Hast du es uns abgekauft?® ¯Nein.® ¯Haben wir es dir geschenkt?® ¯Nein, mir nicht.® ¯Und auch keinem Andern. Bist du ein ehrlicher Mann und wirst hierher gesandt, um einen Weg fr das Feuerroá zu bauen, so muát du erst den Mann, der dich sendet, fragen, ob er das Recht dazu hat, und wenn er ja sagt, dir dies beweisen lassen. Das hast du aber nicht getan. Ich verbiete euch, hier weiter zu messen!® Dieses letztere sagte er mit einem Nachdrucke, dem man den bittersten Ernst anh”rte. Ich war erstaunt ber diesen Indianer. Ich hatte viele Bcher ber die rote Rasse und viele Reden gelesen, welche von Indianern gehalten worden waren, so eine aber nicht. Intschu tschuna sprach ein klares, deutliches Englisch; seine Logik war ebenso wie seine Ausdrucksweise diejenige eines gebildeten Mannes. Sollte er diese Vorzge Klekih-petra, dem "Schulmeister", zu verdanken haben? Der Oberingenieur befand sich in groáer Verlegenheit. Wenn er wahr und ehrlich sein wollte, so konnte er auf die vorgebrachten Beschuldigungen fast gar nichts entgegnen. Er brachte zwar einiges vor, aber das waren Spitzfindigkeiten, Verkehrungen und Trugschlsse. Als ihm der H„uptling wieder antwortete und ihn in die Enge trieb, wendete er sich an mich: ¯Aber, Sir, h”rt Ihr denn nicht, wovon gesprochen wird? Nehmt Euch doch der Sache an, und redet auch ein Wort!® ¯Danke, Mr. Bancroft; ich bin als Surveyor hier, nicht aber als Advokat. Macht mit und aus der Sache, was Ihr wollt. Ich habe zu messen, nicht aber Reden zu halten.® Da bemerkte der H„uptling im entscheidenden Tone: ¯Es ist nicht n”tig, daá fernere Reden gehalten werden. Ich habe gesagt, daá ich euch nicht dulde. Ich will, daá ihr noch heut von hier fortgeht, dahin, woher ihr gekommen seid. Entscheidet euch, ob ihr gehorchen wollt oder nicht. Ich gehe jetzt mit Winnetou, meinem Sohne, fort und werde wiederkommen nach der Zeit, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen. Dann sollt ihr mir Antwort geben. Geht ihr dann, so sind wir Brder; geht ihr nicht, so wird das Kriegsbeil - 105 - ausgegraben zwischen uns und euch. Ich bin Intschu tschuna, der H„uptling aller Apachen. Ich habe gesprochen. Howgh!® Howgh ist ein indianisches Bekr„ftigungswort und heiát so viel wie Amen, basta, dabei bleibt's, so geschieht's und nicht anders! Er stand auf und Winnetou auch. Sie gingen fort und schritten langsam das Tal hinab, bis sie um eine Biegung verschwanden. Klekih-petra war sitzen geblieben. Der Oberingenieur wendete sich an ihn und bat ihn um guten Rat. Er antwortete: ¯Macht was Ihr wollt, Sir! Ich bin ganz der Ansicht des H„uptlings. Es geschieht ein groáes, fortgesetztes Verbrechen an der roten Rasse. Aber als Weiáer weiá ich auch, daá der Indsman sich vergeblich wehrt. Wenn ihr heut von hier fortgeht, werden morgen Andere kommen, die euer Werk zu Ende fhren. Aber warnen will ich euch. Der H„uptling meint es ernstlich.® ¯Wohin ist er?® ¯Er wird unsere Pferde holen.® ¯Habt ihr denn welche mit?® ¯Natrlich. Wir haben sie versteckt, als wir merkten, daá wir dem B„ren nahe seien. Einen Grizzly sucht man doch nicht zu Pferde in seinem Verstecke auf.® Er stand auch auf und schlenderte fort, jedenfalls um sich weiterem Fragen und Dr„ngen zu entziehen. Ich ging ihm nach und fragte trotzdem: ¯Sir, erlaubt Ihr mir, mit Euch zu gehen? Ich verspreche Euch, nichts zu sagen oder zu tun, was Euch inkommodiert. Es ist nur, weil ich mich so auáerordentlich fr Intschu tschuna interessiere und natrlich ebenso fr Winnetou.® Daá auch er selbst mir groáe Teilnahme einfl”áte, wollte ich ihm nicht sagen. ¯Ja, kommt ein wenig mit, Sir,® antwortete er. ¯Ich habe mich von den Weiáen und ihrem Treiben zurckgezogen; ich mag nichts mehr von ihnen wissen; aber Ihr habt mir gefallen, und so wollen wir einen Spaziergang miteinander machen. Ihr scheint mir der verst„ndigste von allen diesen Menschen zu sein. Habe ich recht?® ¯Ich bin der jngste und noch gar nicht smart; werde dies - 106 - wohl auch nie werden. Das mag mir wohl das Aussehen eines leidlich gutherzigen Menschen geben.® ¯Nicht smart? Dies ist doch jeder Amerikaner mehr oder weniger.® ¯Ich bin kein Amerikaner.® ¯Was denn, wenn Euch die Frage nicht bel„stigt?® ¯Gar nicht. Ich habe keine Ursache, mein Vaterland, welches ich sehr liebe, zu verheimlichen. Ich bin ein Deutscher.® ¯Ein Deutscher?® fuhr er mit dem Kopfe schnell empor. ¯Dann heiáe ich Sie willkommen, Landsmann! Das war es wohl, was mich gleich zu Ihnen zog. Wir Deutschen sind eigentmliche Menschen. Unsere Herzen erkennen einander als verwandt, noch ehe wir es uns sagen, daá wir Angeh”rige eines Volkes sind wenn es doch nun endlich einmal ein einiges Volk werden wollte! Ein Deutscher, der ein vollst„ndiger Apache geworden ist! Kommt Ihnen das nicht auáerordentlich vor?® ¯Auáerordentlich nicht. Gottes Wege erscheinen oft wunderbar, sind aber stets sehr natrliche.® ¯Gottes Wege! Warum sprechen Sie von Gott und nicht von der Vorsehung, dem Schicksale, dem Fatum, dem Kismet?® ¯Weil ich ein Christ bin und mir meinen Gott nicht nehmen lasse.® ¯Recht so; Sie sind ein glcklicher Mensch! Ja, Sie haben recht: Gottes Wege erscheinen oft wunderbar, sind aber stets sehr natrliche. Die gr”áten Wunder sind die Folgen natrlicher Gesetze, und die allt„glichsten Naturerscheinungen sind groáe Wunder. Ein Deutscher, ein Studierter, ein namhafter Gelehrter, und nun ein richtiger Apache; das scheint wunderbar; aber der Weg, der mich zu diesem Ziele gefhrt hat, ist ein sehr natrlicher.® Hatte er mich erst halb widerwillig mit sich genommen, so freute er sich jetzt, sich aussprechen zu k”nnen. Ich merkte sehr bald, daá er ein bedeutender Charakter war, htete mich aber, irgend eine, wenn auch noch so leise Frage nach seiner Vergangenheit zu tun. Er legte sich diese Rcksicht nicht auf und erkundigte sich ganz wacker nach meinen Verh„ltnissen. Ich antwortete ihm so ausfhrlich, wie es ihm lieb zu sein schien. - 107 - Wir hatten uns gar nicht weit vom Lager entfernt und uns unter einen Baum gelegt. Ich konnte sein Gesicht, sein Mienenspiel genau beobachten. Das Leben hatte tiefe Runen in dasselbe eingegraben, die langen Grundstriche des Grames, die durchquerenden Gedankenstriche des Zweifels, die Zickzacklinien der Not, der Sorge und Entbehrung. Wie oft mochte sein Auge dster, drohend, zornig, „ngstlich, vielleicht auch verzweifelnd geblickt haben, und nun war es klar und ruhig wie ein Waldsee, den kein Windstoá kr„uselt, der aber so tief ist, daá man nicht sehen kann, was auf seinem Grunde ruht. Als er alles Wissenswerte von mir geh”rt hatte, nickte er leise vor sich hin und sagte: ¯Sie stehen am Anfange der K„mpfe, an deren Ende ich angekommen bin; aber diese werden fr Sie nur „uáerliche, keine inneren sein. Sie haben Gott, den Herrn, bei sich, der Sie nie verlassen wird. Bei mir war es anders. Ich hatte Gott verloren, als ich aus der Heimat ging, und nahm an Stelle des Reichtumes, den ein fester Glaube bietet, das Schlimmste mit, was der Mensch besitzen kann, n„mlich ein b”ses Gewissen.® Er sah mich bei diesen Worten forschend an. Als er mein Gesicht ruhig bleiben sah, fragte er: ¯Erschrecken Sie da nicht?® ¯Nein.® ¯Aber ein b”ses Gewissen! Bedenken Sie doch!® ¯Pah! Sie sind kein Dieb, kein M”rder gewesen. Einer niedrigen Gesinnung waren Sie nie f„hig.® Er drckte mir die Hand und sprach: ¯Ich danke Ihnen herzlich! Und doch irren Sie sich. Ich war ein Dieb, denn ich habe viel, ach so viel gestohlen! Und das waren kostbare Gter! Und ich war ein M”rder. Wie viele, viele Seelen habe ich gemordet! Ich war Lehrer an einer h”heren Schule; wo, das zu sagen, ist nicht n”tig. Mein gr”áter Stolz bestand darin, Freigeist zu sein, Gott abgesetzt zu haben, bis auf das Tpfel nachweisen zu k”nnen, daá der Glaube an Gott ein Unsinn ist. Ich war ein guter Redner und riá meine H”rer hin. Das Unkraut, welches ich mit vollen H„nden ausstreute, ging fr”hlich auf, kein K”rnchen ging ver- - 108 - loren [verloren]. Da war ich der Massendieb, der Massenr„uber, der den Glauben an und das Vertrauen zu Gott in ihnen t”tete. Dann kam die Zeit der Revolution. Wer keinen Gott anerkennt, dem ist auch kein K”nig, keine Obrigkeit heilig. Ich trat ”ffentlich als Fhrer der Unzufriedenen auf; sie tranken mir die Worte f”rmlich von den Lippen, das berauschende Gift, welches ich freilich fr heilsame Arznei hielt; sie strmten in Scharen zusammen und griffen zu den Waffen. Wie viele, viele fielen im Kampfe! Ich war ihr M”rder, und nicht etwa der M”rder dieser allein. Andere starben sp„ter hinter Kerkermauern. Auf mich wurde natrlich mit allem Fleiáe gefahndet; ich entkam. Ich verlieá das Vaterland, ohne mich zu gr„men. Keine liebende Seele weinte um mich; ich hatte weder Vater noch Mutter mehr, weder Bruder, Schwester noch sonstige Verwandte. Kein Auge weinte um mich, aber wie viele, viele wegen mir! Daran dachte ich aber gar nicht, bis diese Erkenntnis ber mich kam wie ein Keulenschlag, der mich beinahe zu Boden streckte. Am Tage, bevor ich die schtzende Grenze erreichte, wurde ich von der Polizei gehetzt, die mir hart auf den Fersen war. Es ging durch ein armes Fabrikdorf. Dem sogenannten Zufalle folgend, rannte ich durch ein kleines G„rtchen in ein armseliges H„uschen und vertraute mich, ohne meinen Namen zu nennen, einem alten Mtterchen und ihrer Tochter an, die ich in der niedrigen Stube fand. Sie versteckten mich um ihrer M„nner willen, deren Kamerad ich gewesen sei, wie sie sagten. Dann saáen sie bei mir im dunkeln Winkel und erz„hlten mir unter bitteren Tr„nen von ihrem Herzeleide. Sie waren arm, aber zufrieden gewesen; die Tochter hatte sich erst vor einem Jahre verheiratet gehabt. Ihr Mann h”rte eine meiner Reden und wurde durch dieselbe verfhrt. Er nahm seinen Schwiegervater mit auf die n„chste Versammlung, und das Gift wirkte auch auf diesen. Ich hatte diese vier braven Menschen um ihr Lebensglck gebracht. Der junge Mann fiel auf dem Schlachtfelde, welches kein Feld der Ehre war, und der alte Vater wurde zu mehrj„hriger Zuchthausstrafe verurteilt. Dies erz„hlten mir die Frauen, die mich, der an ihrem Unglcke schuld war, gerettet hatten. Sie nannten meinen Namen als den des Verfhrers. Das war der Keu- - 109 - lenschlag, welcher mich, nicht „uáerlich, sondern innerlich traf. Gottes Mhle begann zu mahlen. Die Freiheit war mir geblieben, aber im Innern litt ich Qualen, zu denen mich kein Richter h„tte verurteilen k”nnen. Ich irrte hier aus einem Staate in den andern, trieb bald dies bald jenes und fand nirgends Ruhe. Das Gewissen peinigte mich aufs entsetzlichste. Wie oft bin ich dem Selbstmorde nahe gewesen; immer hielt mich eine unsichtbare Hand zurck Gottes Hand. Sie leitete mich nach Jahren der Qual und der Reue zu einem deutschen Pfarrer in Kansas, der meinen Seelenzustand erriet und in mich drang, mich ihm mitzuteilen. Ich tat es zu meinem Glcke. Ich fand, freilich erst nach langen Zweifeln, Vergebung und Trost, festen Glauben und inneren Frieden. Herrgott, wie danke ich dir dafr!® Er hielt inne, faltete die H„nde und warf einen langen, langen, leuchtenden Blick zum Himmel empor. Dann fuhr er fort: ¯Um mich innerlich zu festigen, floh ich die Welt und die Menschen; ich ging in die Wildnis. Aber nicht der Glaube allein ist's, welcher selig macht. Der Baum des Glaubens muá die Frchte der Werke tragen. Ich wollte wirken, wom”glich grad entgegengesetzt meinem frheren Wirken. Da sah ich den roten Mann sich verzweiflungsvoll str„uben gegen den Untergang; ich sah die M”rder in seinem Leibe whlen, und das Herz ging mir ber von Zorn, von Mitleid und Erbarmen. Sein Schicksal war beschlossen; ich konnte ihn nicht retten; aber eins zu tun, das war mir m”glich: ihm den Tod erleichtern und auf seine letzte Stunde den Glanz der Liebe, der Vers”hnung fallen lassen. Ich ging zu den Apachen und lernte es, mein Wirken ihrer Individualit„t anzubequemen. Ich habe Vertrauen gefunden und Erfolge errungen. Ich wollte, Sie k”nnten Winnetou kennen lernen; er ist so eigentlich mein eigenstes Werk. Dieser Jngling ist groá angelegt. W„re er der Sohn eines europ„ischen Herrschers, so wrde er ein groáer Feldherr und ein noch gr”áerer Friedensfrst werden. Als Erbe eines Indianerh„uptlings aber wird er untergehen, wie seine ganze Rasse untergeht. K”nnte ich doch den Tag erleben, an welchem er sich einen Christen nennt! Wo nicht, - 110 - so will ich wenigstens bis zum Tage meines Todes bei ihm sein in jeder Anfechtung, Gefahr und Not. Er ist mein geistiges Kind; ich liebe ihn mehr als mich selbst, und w„re mir einmal das Glck beschieden, die t”dliche Kugel, die ihm gelten soll, in meinem Herzen aufzufangen, so wrde ich mit Freuden fr ihn sterben und dabei denken, daá dieser Tod zugleich eine letzte Shne meiner frheren Snden sei!® Er schwieg und senkte den Kopf. Ich war tief bewegt und sagte nichts, denn ich hatte das Gefhl, als ob jede Bemerkung nach einem solchen Bekenntnisse trivial klingen msse; aber ich nahm seine Hand in die meinige und drckte sie herzlich. Er verstand mich und gab mir dies durch ein leises Nicken und einen Gegendruck zu erkennen. Es verging eine ganze Weile, bis er leise fragte: ¯Woher es nur kommt, daá ich Ihnen dies erz„hlt habe? Ich sehe Sie heut zum erstenmal und werde Sie vielleicht nie wiedersehen. Oder ist es auch eine Gottesfgung, daá ich hier und jetzt mit Ihnen zusammengetroffen bin? Sie sehen, ich, der frhere Gottesleugner, suche jetzt alles auf diesen h”hern Willen zurckzufhren. Es ist mir mit einemmal so sonderbar, so weich, so wehe um das Herz, doch ist dies "wehe" kein schmerzliches Gefhl. Eine ganz „hnliche Stimmung berkommt einen, wenn im Herbste die Bl„tter fallen. Wie wird sich das Blatt meines Lebens vom Baume l”sen? Leise, leicht und friedlich? Oder wird es abgeknickt, noch ehe die natrliche Zeit gekommen ist?® Er blickte wie in stiller, unbewuáter Sehnsucht das Tal hinab. Von dorther sah ich Intschu tschuna und Winnetou kommen. Sie saáen jetzt auf Pferden und fhrten dasjenige Klekih-petras ledig neben sich. Wir standen auf, um nach dem Lager zu gehen, wo wir mit beiden zugleich ankamen. Am Wagen lehnte Rattler mit feuerrotem, aufgedunsenem Gesichte und stierte zu uns herber. Er hatte w„hrend der kurzen Zeit so viel getrunken, daá er nun nicht mehr trinken konnte, ein schrecklicher, ein ganz vertierter Mensch! Sein Blick war heimtckisch wie derjenige eines wilden Stieres, welcher zum Angriffe schreiten will. Ich nahm mir vor, ein Auge auf ihn zu haben. - 111 - Der H„uptling und Winnetou waren von ihren Pferden gestiegen und traten zu uns. Wir standen in einem ziemlich weiten Kreise beisammen. ¯Nun, haben meine weiáen Brder sich berlegt, ob sie hier bleiben oder fortgehen wollen?® fragte Intschu tschuna. Der Oberingenieur war auf einen vermittelnden Gedanken gekommen; er antwortete: ¯Wenn wir auch fortgehen wollten, so mssen wir doch hier bleiben, um den Befehlen zu gehorchen, welche wir empfangen haben. Ich werde noch heut einen Boten nach Santa F‚ senden und anfragen lassen; dann kann ich dir Antwort geben.® Das war gar nicht so bel ausgedacht, denn bis der Bote zurckkehrte, muáten wir mit unserer Arbeit fertig sein. Der H„uptling aber sagte in bestimmtem Tone: ¯So lange warte ich nicht. Meine weiáen Brder mssen mir sofort sagen, was sie tun wollen.® Rattler hatte sich einen Becher mit Brandy gefllt und war zu uns gekommen. Ich dachte, er habe es auf mich abgesehen, aber er trat jetzt zu den beiden Indianern und sagte mit lallender Zunge: ¯Wenn die Indsmen mit mir trinken, so tun wir ihnen den Willen und gehen fort, sonst nicht. Der Junge mag anfangen. Hier hast du das Feuerwasser, Winnetou.® Er hielt ihm den Becher hin. Winnetou trat mit einer abweisenden Geb„rde zurck. ¯Was, du willst keinen Drink mit mir tun? Das ist eine verdammte Beleidigung. Hier hast du den Brandy ins Gesicht, verfluchte Rothaut. Lecke ihn dir ab, da du ihn nicht trinken willst!® Ehe es Einer von uns zu verhindern vermochte, schleuderte er dem jungen Apachen den Becher nebst Inhalt in das Gesicht. Das war nach indianischen Begriffen eine todeswrdige Beleidigung, welche auch sofort, wenn auch nicht so streng bestraft wurde, denn Winnetou schlug dem Frevler die Faust in das Gesicht, daá er zu Boden strzte. Er raffte sich mhsam wieder auf. Schon machte ich mich zum Einschreiten gefaát, denn ich glaubte, er werde zur T„tlichkeit schreiten; dies geschah - 112 - aber nicht; er starrte den jungen Apachen nur drohend an und wankte dann fluchend wieder nach dem Wagen zurck. Winnetou trocknete sich ab und zeigte, grad wie sein Vater, eine starre, unbewegte Miene, der man nicht ansehen konnte, was im Innern vorging. ¯Ich frage noch einmal,® sagte der H„uptling; ¯dies ist das letzte Mal. Werden die Bleichgesichter noch heut dieses Tal verlassen?® ¯Wir drfen nicht,® lautete die Antwort. ¯So verlassen aber wir es. Es ist kein Friede zwischen uns.® Ich machte noch einen Versuch der Vermittelung, doch vergeblich; die drei gingen zu ihren Pferden. Da erscholl vom Wagen her Rattlers Stimme: ¯Immer fort mit euch, ihr roten Hunde! Aber den Hieb ins Gesicht soll mir der Junge sofort bezahlen!® Zehnmal schneller, als man es ihm bei seinem Zustande zutrauen konnte, hatte er ein Gewehr aus dem Wagen genommen und schlug es auf Winnetou an. Dieser stand im Augenblicke frei und ohne Deckung; die Kugel muáte ihn treffen, denn es geschah alles so schnell, daá ihn keine Bewegung retten konnte. Da schrie Klekih-petra voller Angst auf: ¯Weg, Winnetou, schnell weg!® Zu gleicher Zeit sprang er hin, um sich schtzend vor den jungen Apachen zu stellen. Der Schuá krachte; Klekih-petra fuhr sich, von der Gewalt des Kugelaufschlages halb umgedreht, mit der Hand nach der Brust, taumelte einige Augenblicke hin und her und fiel dann auf die Erde nieder. In diesem Augenblicke strzte aber auch Rattler, von meiner Faust getroffen, zu Boden. Ich war, um den Schuá zu verhten, rasch zu ihm hingesprungen, aber doch zu sp„t gekommen. Ein allgemeiner Schrei des Entsetzens war erschollen; nur die beiden Apachen hatten keinen Laut von sich gegeben. Sie knieten bei ihrem Freunde, der sich fr seinen Liebling aufgeopfert hatte, und untersuchten stumm seine Wunde. Er war ganz nahe am Herzen in die Brust getroffen; das Blut schoá mit Gewalt hervor. Ich eilte auch hinzu. Klekih-petra hielt die Augen geschlossen; sein Gesicht wurde mit rapider Schnelligkeit bleich und hohl. [Tafel Nr. 3: "Bd. VII. ¯O mein Sohn Winnetou!® (Zu S. 113.)"] - 113 - ¯Nimm seinen Kopf in deinen Schoá,® bat ich Winnetou. ¯Wenn er das Auge ”ffnet und dich erblickt, wird sein Tod ein froher sein.® Er kam dieser Aufforderung nach, ohne ein Wort zu sagen; keine seiner Wimpern zuckte; aber sein Blick hing unverwandt an dem Angesichte des Sterbenden. Da ”ffnete dieser langsam die Lider; er sah Winnetou ber sich gebeugt; ein seliges L„cheln glitt ber seine so schnell eingefallenen Zge, und er flsterte: ¯Winnetou, schi ya Winnetou Winnetou, o mein Sohn Winnetou!® Dann schien es, als ob sein brechendes Auge noch jemanden suche. Es traf mich, und in deutscher Sprache bat er mich: ¯Bleiben Sie bei ihm ihm treu mein Werk fortfhren !® ¯Ich tue es; ja, sicher, ich werde es tun!® Da nahm sein Gesicht einen fast berirdischen Ausdruck an, und er betete mit immer mehr ersterbender Stimme: ¯Da f„llt mein Blatt abgeknickt nicht leise leicht es ist die letzte Shne ich sterbe wie wie ich es gewnscht. Herrgott, vergieb vergieb! Gnade Gnade ! Ich komme komme Gnade.® Er faltete die H„nde noch ein krampfhafter Bluterguá aus der Wunde, und sein Kopf sank zurck er war tot! Nun wuáte ich, was ihn getrieben hatte, gegen mich sein Herz zu erleichtern Gottesfgung, hatte er gesagt. Er hatte gewnscht, fr Winnetou sterben zu k”nnen; wie schnell war dieser Wunsch in Erfllung gegangen! Die letzte Shne, die er bringen wollte, er hatte sie gebracht. Gott ist die Liebe, die Barmherzigkeit; er zrnt dem Reuigen nicht ewig. Winnetou bettete das Haupt des Toten in das Gras, stand langsam auf und sah seinen Vater fragend an. ¯Dort liegt der M”rder; ich habe ihn niedergeschlagen,® sagte ich. ¯Er mag Euer sein.® ¯Feuerwasser!® - 114 - Nur diese kurze Antwort kam aus dem Munde des H„uptlings, doch in welchem grimmig ver„chtlichen Tone. ¯Ich will euer Freund, euer Bruder sein; ich gehe mit euch!® so dr„ngte es sich mir ber die Lippen. Da spuckte er mir in das Gesicht und sagte: ¯R„udiger Hund! L„nderdieb fr Geld! Stinkender Coyote! Wage es, uns zu folgen, so zermalme ich dich!® H„tte mir das ein Anderer getan und gesagt, ich h„tte ihm mit der Faust geantwortet. Warum tat ich es nicht? Hatte ich als Eindringling in fremdes Eigentum diese Zchtigung vielleicht verdient? Es war mehr instinktiv, daá ich sie mir gefallen lieá, doch, mich etwa nochmals anbieten, das konnte ich trotz des Versprechens, welches ich dem Toten gegeben hatte, nicht. Die Weiáen standen alle stumm dabei, voller Erwartung, was die beiden Apachen nun tun wrden. Diese hatten keinen einzigen Blick mehr fr uns. Sie hoben die Leiche auf das Pferd und banden sie da fest; dann stiegen sie auch in die S„ttel, richteten den zusammensinkenden K”rper Klekih-petras auf und ritten, ihn hben und drben sttzend, langsam davon. Sie lieáen kein Wort der Drohung, der Rache zurck; sie wendeten sich auch nicht einen einzigen Augenblick nach uns um; aber das war schlimmer, viel schlimmer, als wenn sie uns den frchterlichsten Tod ganz offen geschworen h„tten. ¯Das war ja schrecklich und kann leicht noch schrecklicher werden!® sagte Sam Hawkens. ¯Dort liegt der Schurke, noch immer leblos von Eurem Hiebe und vom Spiritus. Was tun wir nun mit ihm?® Ich antwortete nicht; ich sattelte mein Pferd und ritt fort; ich muáte allein sein, um diese frchterliche halbe Stunde wenigstens „uáerlich zu verwinden. Es war am sp„ten Abend, als ich md und matt, k”rperlich und seelisch wie zerschlagen, im Lager wieder eintraf. - 115 - [unpag.] Drittes Kapitel. Winnetou in Fesseln. Damit der B„r nicht weit geschleppt zu werden brauchte, war w„hrend meiner Abwesenheit das Lager bis in die N„he der Stelle, wo ich ihn erlegt hatte, vorgerckt worden. Er war so schwer, daá die vereinte Anstrengung von zehn kr„ftigen M„nnern hatte angewendet werden mssen, um ihn unter den B„umen hervor und durch das Gebsch nach dem im Freien brennenden Feuer zu schaffen. Trotz der sp„ten Stunde, in welcher ich zurckkehrte, waren auáer Rattler alle noch wach. Dieser schlief seinen Rausch aus; er hatte getragen werden mssen und war wie ein Klotz ins Gras geworfen worden. Sam hatte dem B„ren das Fell abgezogen, das Fleisch aber unberhrt gelassen. Als ich vom Pferde gestiegen war und dasselbe versorgt hatte und an das Feuer trat, sagte der Kleine: ¯Wo jagt Ihr denn herum, Sir? Wir haben mit Schmerzen auf Euch gewartet, weil wir das B„renfleisch kosten und den Petz doch nicht ohne Euch anschneiden konnten. Habe ihm einstweilen den Rock ausgezogen. War ihm vom Schneider so gut angemessen worden, daá er auch nicht die kleinste Falte hatte, hihihihi. Hoffentlich habt Ihr nichts dagegen, wie? Und nun sagt, wie das Fleisch verteilt werden soll! Wir wollen, ehe wir uns schlafen legen, ein Stckchen davon braten.® ¯Teilt, wie Ihr wollt,® antwortete ich. ¯Das Fleisch geh”rt allen.® ¯Well, so will ich Euch etwas sagen. Das Beste sind die Tatzen; es gibt berhaupt nichts, was ber B„rentatzen geht. - 116 - Sie mssen aber l„ngere Zeit liegen, bis sie den geh”rigen Hautgout bekommen haben. Am delikatesten sind sie, wenn sie schon von Wrmern durchbohrt sind. Aber so lange k”nnen wir nicht warten, denn ich frchte, daá die Apachen sehr bald kommen und uns das Essen verderben werden. Darum wollen wir lieber beizeiten dazutun und uns gleich heut schon ber die Tatzen machen, damit wir sie genossen haben, wenn wir von den Roten ausgel”scht werden. Habt Ihr etwas dagegen, Sir?® ¯Nein.® ¯Well, so mag das sch”ne Werk beginnen; der Appetit ist da, wenn ich mich nicht irre.® Er l”ste die Tatzen von den Beinen und zerlegte sie dann in so viel Teile, wie Personen da waren. Ich bekam das beste Stck eines Vorderfuáes, wickelte es ein und legte es beiseite, w„hrend die andern sich beeilten, ihre Portion an das Feuer zu bringen. Ich hatte zwar Hunger, aber keinen Appetit, so widersprechend dies auch klingen mag. Infolge des langen, anstrengenden Rittes fhlte ich wohl das Bedrfnis, Speise zu mir zu nehmen, aber es war mir unm”glich, zu essen. Ich konnte die Mordszene noch immer nicht verwinden. Ich sah mich mit Klekih-petra zusammensitzen; ich h”rte seine Bekenntnisse, welche mir jetzt wie eine letzte Beichte vorkamen, und muáte immer wieder an seine Schluáworte denken, die wie die Vorahnung seines nahen Todes geklungen hatten. Ja, das Blatt seines Lebens war nicht leicht und leise abgefallen, sondern mit Gewalt abgerissen worden, und zwar von was fr einem Menschen, aus was fr einem Grunde und in was fr einer Weise! Dort lag der M”rder, noch immer sinnlos betrunken. Ich h„tte ihn niederschieáen m”gen, aber es ekelte mich vor ihm. Dieses Gefhl des Ekels war jedenfalls auch der Grund gewesen, daá die beiden Apachen ihn nicht auf der Stelle bestraft hatten. ¯Feuerwasser!® hatte Intschu tschuna im allerver„chtlichsten Tone gesagt; welche Anklagen, welche Vorwrfe lagen in diesem einen Worte! Wenn mich etwas ber den blutigen Vorgang beruhigen konnte, so war es der Umstand, daá Klekih-petra am Herzen Winnetous gestorben war, daá sein Herz die fr Winnetou - 117 - bestimmte Kugel aufgefangen hatte; dies war ja sein letzter Wunsch gewesen. Aber die Bitte an mich, zu Winnetou zu halten und das begonnene Werk zu vollenden? Warum hatte er sie an mich gerichtet? Noch vor wenigen Minuten hatte er gemeint, daá wir uns wohl nicht wiedersehen wrden, also daá mein Lebensweg wohl kein mich zu den Apachen fhrender sei, und nun erteilte er mir pl”tzlich eine Aufgabe, deren L”sung mich mit diesem Stamme in innige Beziehung bringen muáte. War dieser Wunsch ein zuf„lliges, leeres, weggeworfenes Wort? Oder ist dem Sterbenden verg”nnt, wenn er von seinen Lieben scheidet, im letzten Augenblicke, wenn die eine Schwinge seiner Seele bereits im Jenseits schl„gt, einen Blick in ihre Zukunft zu werfen? Fast scheint es so, denn es wurde mir sp„ter m”glich, seine Bitte zu erfllen, obgleich es jetzt den Anschein hatte, als ob eine Begegnung mit Winnetou mir nur Verderben bringen k”nne. Warum hatte ich dem Sterbenden berhaupt mein Versprechen so schnell gegeben? Aus Mitleid? Ja, wahrscheinlich. Aber es war wohl noch ein anderer Grund vorhanden, wenn ich mir seiner auch nicht bewuát gewesen war: Winnetou hatte einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, einen Eindruck, wie ich ihn noch bei keinem andern Menschen empfunden hatte. Er war grad so jung wie ich, und doch mir so berlegen! Das hatte ich gleich beim ersten Blicke herausgefhlt. Die ernste, stolze Klarheit seines samtweichen Auges, die ruhige Sicherheit seiner Haltung und jeder seiner Bewegungen und der wehmtige Hauch eines tiefen und verschwiegenen Grames, den ich auf seinem jugendlichen, sch”nen Gesichte zu entdecken glaubte, hatten mir es sofort angetan. Wie achtunggebietend war sein und seines Vaters Verhalten gewesen! Andere Menschen, mochten es nun Weiáe oder Rote sein, h„tten sich sofort auf den M”rder gestrzt und ihn get”tet; diese beiden hatten ihn nicht eines Blickes gewrdigt und das, was in ihnen vorging, nicht durch die leiseste Bewegung eines Gesichtsmuskels verraten. Was fr Leute waren doch wir dagegen! So saá ich, w„hrend die andern sich ihr Fleisch schmecken lieáen, still am Feuer und grbelte in mich hinein, bis Sam Hawkens mich aus meinem Sinnen weckte: - 118 - ¯Was ist's mit Euch, Sir? Habt Ihr keinen Hunger?® ¯Ich esse nicht.® ¯So? Und haltet lieber Denkbungen! Ich sage Euch, daá Ihr Euch das nicht angew”hnen drft. Auch mich „rgert das, was vorgekommen ist, gewaltig, aber der Westmann muá sich an solche Auftritte gew”hnen. Man nennt den Westen nicht umsonst die "dark and bloody grounds" die finstern und blutigen Grnde. Ihr k”nnt es glauben, daá hier der Boden auf jedem Schritte, den Ihr darauf tut, mit Blut getr„nkt ist, und wer eine so empfindliche Nase hat, daá er dies nicht erriechen kann, der mag daheim bleiben und Zuckerwasser trinken. Nehmt Euch die Geschichte nicht zu Herzen, und gebt Euer Tatzenstck her; ich will es Euch braten!® ¯Danke, Sam; ich esse wirklich nicht. Habt ihr euch denn darber geeinigt, was nun mit Rattler werden soll?® ¯Haben allerdings darber gesprochen.® ¯Nun, was wird seine Strafe sein?® ¯Strafe? Meint Ihr, daá wir ihn bestrafen sollen?® ¯Natrlich meine ich das.® ¯Ach so! Und wie denkt Ihr, daá wir dies anzufangen haben? Sollen wir ihn nach San Francisco, New York, oder Washington transportieren und dort als M”rder anklagen?® ¯Unsinn! Die Obrigkeit, die ihn zu richten hat, sind wir; er ist den Gesetzen des Westens verfallen.® ¯Seht doch an, was so ein Greenhorn alles von den Gesetzen des wilden Westens weiá. Seid Ihr etwa aus dem alten Germany herbergekommen, um hier den Lord Oberrichter zu spielen? War dieser Klekih-petra ein Verwandter oder sonstiger guter Freund von Euch?® ¯Allerdings nicht.® ¯Da habt Ihr den Punkt, auf den es ankommt. Ja, der wilde Westen hat seine feststehenden, eigentmlichen Gesetze. Er verlangt Auge fr Auge, Zahn fr Zahn, Blut fr Blut, so wie es in der Bibel steht. Ist ein Mord geschehen, so kann der dazu Berechtigte den M”rder sofort t”ten, oder es wird eine Jury gebildet, welche das Urteil f„llt und es dann unges„umt vollzieht. Auf diese Weise entledigt man sich der - 119 - schlimmen Elemente, welche den ehrlichen J„gern sonst ber den Kopf wachsen wrden.® ¯Nun, so bilden wir also eine Jury.® ¯Dazu wrde zun„chst ein Ankl„ger n”tig sein.® ¯Der bin ich!® ¯Mit welchem Rechte?® ¯Als Mensch, der nicht zugeben kann, daá ein solches Verbrechen ungeahndet bleibt.® ¯Pshaw! Ihr redet eben, wie ein Greenhorn redet. Als Ankl„ger k”nnt Ihr in zwei F„llen auftreten. N„mlich erstens, wenn der Ermordete Euch als Verwandter oder Freund und Kamerad nahe gestanden hat; daá dies aber nicht der Fall ist, habt Ihr bereits zugegeben. Zweitens k”nnt Ihr auch dann als Ankl„ger gegen den M”rder auftreten, wenn Ihr selbst der Ermordete seid, hihihihi. Seid Ihr das?® ¯Sam, die Sache ist keine solche, ber welche man Witze reiáen soll!® ¯Weiá schon, weiá! Wollte diesen Punkt auch nur der Vollst„ndigkeit wegen hinzufgen, weil, wenn ein Mord vorgekommen ist, der Ermordete das erste und gr”áte Recht besitzt, die Bestrafung des M”rders zu beantragen. Also Ihr habt keinen Grund, den Ankl„ger zu machen, und bei uns andern ist ganz dasselbe der Fall; wo aber kein Kl„ger ist, da ist auch kein Richter. Es gibt hier gar kein Recht, eine Jury zusammenzustellen.® ¯So soll Rattler also unbestraft ausgehen?® ¯Davon ist keine Rede. Ereifert Euch nicht so! Ich gebe Euch mein Wort, daá ihn die Vergeltung so sicher treffen wird, wie jede Kugel aus meiner Liddy ihr Ziel erreicht. Die Apachen werden dafr sorgen.® ¯Und uns trifft dann die Strafe mit!® ¯Sehr wahrscheinlich. Aber meint Ihr, daá wir dies dadurch verhindern k”nnen, daá wir Rattler t”ten? Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Die Apachen sehen nicht ihn allein, sondern auch uns als M”rder an und werden uns ganz gewiá als solche behandeln, wenn sie uns in ihre H„nde bekommen.® ¯Auch wenn wir uns seiner entledigen?® - 120 - ¯Auch dann. Sie schieáen uns nieder, ohne zu fragen, ob er bei uns ist oder nicht. Aber wie wolltet Ihr Euch seiner wohl entledigen?® ¯Ihn fortjagen.® ¯Ja, darber haben wir uns freilich auch schon beraten und sind zu der Ansicht gekommen, daá wir erstens kein Recht haben, ihn fortzujagen und dies, selbst wenn wir das Recht h„tten, aus Klugheitsrcksichten nicht tun wrden.® ¯Aber, Sam, ich begreife Euch nicht! Wenn mir jemand nicht paát, so trenne ich mich von ihm. Und nun gar ein M”rder! Sind wir etwa gezwungen, so einen Schurken, der noch dazu ein Trunkenbold ist und uns in immer neue Verlegenheiten bringen kann, noch l„nger bei uns zu dulden?® ¯Ja, leider sind wir das. Rattler ist ebenso wie ich, Stone und Parker fr Euch engagiert worden, und nur diejenigen, die ihn angestellt haben und besolden, k”nnen ihn entlassen. Wir mssen uns da streng nach dem Rechte halten.® ¯Streng nach dem Rechte? Einem Menschen gegenber, der Tag fr Tag die g”ttlichen und menschlichen Gesetze mit Fáen tritt!® ¯Wenn auch! Was Ihr da vorbringt, ist ja alles gut; aber man darf keinen Fehler begehen aus dem Grunde, weil ein Anderer ein Verbrechen begangen hat. Ich sage Euch, daá die Obrigkeit sich vor allen Dingen rein zu halten hat; aus diesem Grunde haben wir Westm„nner, die wir gegebenen Falles die Obrigkeit spielen mssen, alle Veranlassung, unsern Ruf unbefleckt zu erhalten. Doch auch davon abgesehen, will ich Euch fragen, was Rattler wohl dann t„te, wenn er von uns fortgejagt wrde?® ¯Das ist seine Sache!® ¯Und die unserige ebenso! Wir bef„nden uns in jedem Augenblicke in Gefahr, da er h”chst wahrscheinlich versuchen wrde, sich an uns zu r„chen. Es ist besser, ihn bei uns zu behalten, wo wir ihn beaufsichtigen k”nnen, als daá wir ihn fortjagen und er uns fortgesetzt umschleicht und jedem, dem er will, eine Kugel in den Kopf jagen kann. Ich denke, daá Ihr nun auch unserer Meinung seid.® Er sah mich dabei mit einem Blicke an, den ich recht wohl - 121 - verstand, denn er blinzelte dann in bezeichnender Weise zu Rattlers Genossen hinber. Wenn wir gegen diesen vorgingen, so stand zu befrchten, daá sie gemeinschaftliche Sache mit ihm machen wrden. Das sagte ich mir auch, denn es war ihnen nicht zu trauen. Darum antwortete ich: ¯Ja, nachdem Ihr mir die Sache in dieser Weise klar gemacht habt, sehe ich wohl ein, daá wir sie laufen lassen mssen, wie sie l„uft. Nur machen mir die Apachen Sorge, denn es unterliegt wohl keinem Zweifel, daá sie kommen werden, um sich zu r„chen.® ¯Sie kommen, und zwar um so sicherer, als sie nicht ein Wort der Drohung ausgesprochen haben. Sie haben nicht nur auáerordentlich stolz, sondern auch sehr klug gehandelt. H„tten sie augenblicklich Vergeltung gebt, so w„re davon, selbst wenn wir es geduldet h„tten, was keinesfalls so sicher war, doch nur Rattler betroffen worden. Sie hatten es aber auf uns alle abgesehen, weil er zu uns geh”rte und weil sie uns infolge unserer Vermessungen als Feinde betrachten, die ihnen ihr Land und Eigentum rauben wollen. Darum haben sie sich in so auáerordentlicher Weise beherrscht und sind davongeritten, ohne einen Finger gegen uns zu erheben. Desto sicherer aber werden sie zurckkehren, um uns alle in ihre H„nde zu bekommen. Glckt ihnen das, so k”nnen wir uns auf einen b”sen Tod gefaát machen, denn das Ansehen, in welchem dieser Klekih-petra bei ihnen gestanden hat, erfordert eine doppelt und dreifach schwere Rache.® ¯Und das alles um eines Trunkenboldes willen! Sie werden jedenfalls in gr”áerer Anzahl kommen.® ¯Natrlich! Es h„ngt da alles von der Frage ab, wann sie kommen werden. Wir h„tten ja Zeit, zu fliehen, máten aber alles im Stiche und die beinahe fertige Arbeit unvollendet lassen.® ¯Das umgehen wir, wenn es nur halbwegs m”glich ist.® ¯Wann glaubt Ihr, fertig werden zu k”nnen, wenn Ihr Euch recht sputet?® ¯In fnf Tagen.® ¯Hm! So viel ich weiá, gibt es hier in der N„he kein Apachenlager. Ich wrde die n„chsten Mescaleros wenigstens - 122 - drei starke Tagesritte von hier suchen. Wenn ich mich hierin nicht irre, so haben Intschu tschuna und Winnetou, weil sie die Leiche transportieren, vier Tage zu reiten, ehe sie Sukkurs bekommen k”nnen; drei Tage dann nach hier zurck, das ergibt sieben Tage, und da Ihr glaubt, in fnf Tagen fertig zu werden, so meine ich, daá wir es wagen drfen, mit der Vermessung fortzufahren.® ¯Und wenn Eure Berechnung nicht richtig ist? Es ist ja m”glich, daá die beiden Apachen die Leiche einstweilen an einen sichern Ort geschafft haben und dann zurckkommen, um aus dem Hinterhalte auf uns zu schieáen. Ebenso ist es m”glich, daá sie viel eher auf einen Trupp der Ihrigen treffen; ja es l„át sich sogar annehmen, daá sie Freunde in der N„he haben, denn es sollte mich wundern, wenn zwei Indianer, noch dazu H„uptlinge, sich ohne alle Begleitung so weit von ihrem Wohnsitze entfernten. Und da die Zeit der Bffeljagd gekommen ist, so w„re auch die M”glichkeit vorhanden, daá Intschu tschuna und Winnetou zu einem Jagdtruppe geh”ren, der sich in der N„he befindet und von welchem sie sich aus irgend einem Grunde auf nur kurze Zeit entfernt haben. Das alles ist zu bedenken und zu beherzigen, wenn wir vor- und umsichtig sein wollen.® Sam Hawkens kniff das eine seiner beiden kleinen Aeuglein zu, zog eine verwunderte Grimasse und rief aus: ¯Good lack, was Ihr doch klug und weise seid! Wahrhaftig, heutzutage sind die Kchlein zehnmal gescheiter als die alte Henne, wenn ich mich nicht irre. Aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, so war das, was Ihr vorgebracht habt, gar nicht so dumm gesagt. Ich gebe Euch vollst„ndig recht. Wir mssen unsere Augen auf alle diese m”glichen F„lle richten. Darum ist es notwendig, zu erfahren, wohin die beiden Apachen sich gewendet haben. Ich werde ihnen also mit Tagesanbruch nachreiten.® ¯Und ich reite mit,® sagte Will Parker. ¯Ich auch,® erkl„rte Dick Stone. Sam Hawkens sann eine kurze Weile nach und antwortete ihnen dann: ¯Ihr bleibt hbsch da, ihr Beide. Ihr werdet hier gebraucht. Verstanden?® - 123 - Er sah dabei nach Rattlers Freunden hinber, und er hatte recht. Wenn diese unzuverl„ssigen Menschen allein bei uns blieben, so k”nnte es nach ihres Anfhrers Erwachen leicht unliebsame Szenen geben. Da war es besser, Stone und Parker blieben da. ¯Aber du kannst doch nicht allein reiten!® sagte der letztere. ¯Ich k”nnte schon, wenn ich wollte; aber ich will nicht,® erwiderte Sam. ¯Werde mir einen Begleiter aussuchen.® ¯Wen?® ¯Dieses junge Greenhorn hier.® Dabei deutete er auf mich. ¯Nein, der darf nicht fort,® entgegnete da der Oberingenieur. ¯Warum nicht, Mr. Bancroft?® ¯Weil ich ihn brauche.® ¯M”chte doch wissen, wozu!® ¯Zur Arbeit natrlich. Wenn wir in fnf Tagen fertig werden wollen, mssen wir alle unsere Kr„fte anspannen. Ich kann keinen missen.® ¯Ja, alle Kr„fte anspannen. Bisher habt Ihr das nicht getan; es hat vielmehr einer fr alle arbeiten mssen; nun m”gen sich auch einmal alle fr diesen Einen anstrengen.® ¯Mr. Hawkens, wollt Ihr mir etwa Vorschriften machen? Das m”chte ich mir verbitten!® ¯F„llt mir nicht ein. Eine Bemerkung ist noch lange keine Vorschrift.® ¯Klang aber genau so!® ¯Mag sein; habe auch gar nichts dagegen. Was Eure Arbeit betrifft, so wird es wohl keine gar so groáe Verz”gerung nach sich ziehen, wenn morgen vier anstatt fnf sich daran beteiligen. Habe grad eine bestimmte Absicht dabei, dieses junge Greenhorn, welches Shatterhand genannt worden ist, mitzunehmen.® ¯Darf ich fragen, welche?® ¯Warum nicht. Er soll einmal sehen, wie man es macht, wenn man Indianern nachschleicht. Wird ihm wahrscheinlich von Nutzen sein, eine F„hrte richtig lesen zu k”nnen.® ¯Das ist aber fr mich nicht maágebend.® - 124 - ¯Weiá schon. Es gibt noch einen zweiten Grund. N„mlich der Weg, den ich zu machen habe, ist ein gef„hrlicher. Da ist es vorteilhaft fr mich und euch, wenn ich einen Begleiter bei mir habe, der eine solche K”rperkraft besitzt und mit seinem B„rent”ter so auáerordentlich gut schieáen kann.® ¯Ich sehe wirklich nicht ein, inwiefern dies auch fr uns von Vorteil sein k”nnte.® ¯Nicht? Das wundert mich. Seid doch sonst ein auáerordentlich pfiffiger und einsichtsvoller Gentleman,® antwortete Sam in leicht ironischem Tone. ¯Wie nun, wenn ich auf Feinde treffe, die hieher wollen und mich ausl”schen? Da kann Euch niemand von der Gefahr benachrichtigen, und Ihr werdet berfallen und umgebracht. Habe ich aber dieses Greenhorn bei mir, welches mit seinen kleinen Ladiesh„nden den st„mmigsten Kerl mit einem Schlage zu Boden schmettert, so ist es sehr wahrscheinlich, daá wir heiler Haut wiederkommen. Seht Ihr das nun ein?® ¯Hm, ja.® ¯Und sodann kommt die Hauptsache: Er muá morgen mit, damit keine Reiberei entsteht, welche unglcklich enden kann. Ihr wiát, daá Rattler es ganz besonders auf ihn abgesehen hat. Wenn dieser Liebhaber eines Glases Brandy morgen erwacht, ist es sehr wahrscheinlich, daá er sich gleich an den macht, der ihn heut wieder niedergeschmettert hat. Wir mssen diese beiden wenigstens morgen, am ersten Tage nach der Mordtat, auseinander halten. Darum bleibt der Eine, den ich nicht brauchen kann, hier bei Euch, und den Andern nehme ich mit. Habt Ihr nun auch noch etwas dagegen?® ¯Nein; er mag mit Euch reiten.® ¯Well; so sind wir also einig.® Und indem er sich mir zuwendete, fgte er hinzu: ¯Ihr habt geh”rt, was Euch morgen fr eine Anstrengung bevorsteht. Es kann leicht m”glich sein, daá wir da keinen Augenblick zum Essen und zur Ruhe finden. Darum frage ich Euch, ob Ihr denn nicht wenigstens einige Bissen von Eurer B„rentatze probieren wollt.® ¯Na, unter diesen Umst„nden will ich es wenigstens versuchen.® ¯Versucht es nur, versucht es nur! Ich kenne diese Ver- - 125 - suche [Versuche], hihihihi! Man braucht nur einen Bissen zu nehmen, so h”rt man gewiá nicht eher auf, als bis man nichts mehr hat. Gebt die Tatze her; ich will sie Euch braten. So ein Greenhorn hat nicht den richtigen Verstand dazu. Also paát hbsch auf, damit Ihr es lernt! Máte ich Euch eine solche Delikatesse zum zweitenmal braten, so bek„met Ihr nichts davon, denn ich wrde sie selber essen.® Der gute Sam hatte ganz recht gesagt: kaum hatte ich, als er mit seinem kulinarischen Meisterstck fertig war, den ersten Bissen probiert, so stellte sich der vorhin vermiáte Appetit ein; ich vergaá, was mich vorher bedrckt hatte, und aá, aá wirklich so lange, bis ich nichts mehr hatte. ¯Seht Ihr's!® lachte er mich an. ¯Es ist wirklich weit angenehmer, einen Grizzlyb„ren zu verspeisen, als zu erlegen; das habt Ihr nun wohl kennen gelernt. Jetzt werden wir uns einige tchtige Stcke aus dem Schinken schneiden, um sie noch heut abend zu braten. Die nehmen wir morgen als Proviant mit, denn auf solchen Kundschafterritten muá man immer darauf gefaát sein, daá man keine Zeit findet, ein Wild zu schieáen und auch kein Feuer anbrennen darf, um es zu braten. Ihr aber legt Euch auf das Ohr und macht einen schnellen, tchtigen Schlaf, denn wir brechen mit der Morgenr”te wieder auf und werden morgen alle Kr„fte brauchen.® ¯Well, ich werde also schlafen. Aber vorher sagt mir, welches Pferd Ihr reiten werdet?® ¯Welches Pferd? Gar keines.® ¯Was denn?® ¯Welche Frage! Meint Ihr denn, daá ich mich auf ein Krokodil oder einen andern sonstigen Vogel setzen werde? Natrlich werde ich mein Maultier, meine neue Mary reiten.® ¯Das wrde ich nicht tun.® ¯Warum?® ¯Ihr kennt sie noch zu wenig.® ¯Dafr kennt sie mich ganz genau. Hat gar gewaltigen Respekt vor mir, das Vieh, hihihihi!® ¯Aber bei einem solchen Sp„herritte, wie wir morgen vorhaben, muá man sehr vorsichtig sein und alles vorher bedacht haben. Ein Pferd, dessen man nicht sicher ist, kann alles verderben.® - 126 - ¯So? Wirklich?® lachte er mich an. ¯Ja,® antwortete ich eifrig. ¯Ich weiá, daá das Schnauben eines Pferdes seinem Reiter das Leben kosten kann.® ¯Ah, das wiát Ihr? Gescheiter Kerl, der Ihr seid! Habt es wohl auch gelesen, Sir?® ¯Ja.® ¯Dachte es mir! Muá doch auáerordentlich interessant sein, solche Bcher zu lesen. Wenn ich nicht selbst ein Westmann w„re, wrde ich nach dem Osten ziehen, mich dort recht hbsch behaglich auf ein Kanapee setzen und solche sch”ne Indianergeschichten lesen. Ich glaube, man kann rund und fett dabei werden, obgleich man die B„rentatzen nur auf dem Papiere zu essen bekommt. M”chte wirklich wissen, ob die guten Gentlemen, welche solche Sachen schreiben, einmal ber den alten Mississippi herbergekommen sind!® ¯Die meisten von ihnen wahrscheinlich.® ¯So? Denkt Ihr?® ¯Ja.® ¯Glaube es nicht. Habe meine sehr guten Grnde dazu, daran zu zweifeln.® ¯Und diese Grnde sind?® ¯Will's Euch sagen, Sir. Habe frher auch einmal schreiben gekonnt, aber es so sch”n verlernt, daá ich jetzt wohl kaum noch imstande w„re, meinen Namen auf ein Papier oder eine Schiefertafel zu bringen. Eine Hand, welche so lange ein Pferd gezgelt, die Bchse und das Messer gefhrt und den Lasso geschwungen hat, die ist nicht mehr geeignet dazu, allerlei Krikselkraksel auf das Papier zu malen. Wer ein richtiger Westmann ist, der hat sicher das Schreiben verlernt, und wer keiner ist, der mag es unterlassen, ber Sachen zu schreiben, die er nicht versteht.® ¯Hm! Man braucht sich doch nicht, um ein Buch ber den Westen zu schreiben, so lange da aufzuhalten, bis man kein Schreibgelenk mehr in den Fingern hat.® ¯Fehlgeschossen, Sir! Ich habe soeben gesagt, daá nur ein tchtiger Westmann richtig und der Wahrheit gem„á schreiben k”nnte; aber grad so ein Mann kommt nie dazu.® ¯Warum?® - 127 - ¯Weil es ihm nicht einfallen wird, den Westen, wo es keine Tintenf„sser gibt, zu verlassen. Die Prairie ist wie die See; sie l„át denjenigen, der sie kennen gelernt und lieb gewonnen hat, niemals wieder von sich. Nein, alle diese Bcherschreiber kennen den Westen nicht, denn wenn sie ihn kennen gelernt h„tten, so h„tten sie ihn nicht verlassen, um ein paar hundert Papierseiten mit Tinte schwarz zu machen. Das ist so meine Ansicht, und ich vermute sehr, daá sie die richtige ist.® ¯Nein. Ich kenne zum Beispiel einen, der den Westen lieb gewonnen hat und ein tchtiger J„ger werden will. Dennoch wird er zuweilen in die Zivilisation zurckkehren, um ber den Westen zu schreiben.® ¯So? Wer w„re das?® fragte er, indem er mich neugierig ansah. ¯Das k”nnt Ihr Euch denken.® ¯Denken? Ich mir? Sollte es m”glich sein, daá Ihr Euch da selbst gemeint habt?® ¯Ja.® ¯Alle Wetter! Ihr wollt also unter das unntze Volk der Bchermacher gehen?® ¯Wahrscheinlich.® ¯Das laát bleiben, Sir, ja das laát bleiben; ich bitte Euch inst„ndigst darum. Ihr wrdet dabei elend zu Grunde gehen; das k”nnt Ihr mir glauben.® ¯Ich bezweifle es.® ¯Und ich behaupte es. Ich kann es sogar beschw”ren,® rief er eifrig. ¯Habt Ihr denn eine kleine Ahnung von dem Leben, welches Euch dann bevorsteht?® ¯Ja.® ¯Nun?® ¯Ich mache Reisen, um L„nder und V”lker kennen zu lernen, und kehre zuweilen in die Heimat zurck, um meine Ansichten und Erfahrungen ungest”rt niederzuschreiben.® ¯Aber zu welchem Zwecke denn, um aller Welt willen? Das kann ich nicht einsehen.® ¯Um der Lehrer meiner Leser zu sein und mir nebenbei Geld zu verdienen.® ¯Zounds! Der Lehrer seiner Leser! Und Geld verdienen! - 128 - Sir, Ihr seid bergeschnappt, wenn ich mich nicht irre! Eure Leser werden gar nichts von Euch lernen, denn Ihr versteht ja selber nichts. Wie kann so ein Greenhorn, so ein ganz und gar ausgewachsenes und ausgestopftes Greenhorn der Lehrer seiner Leser sein! Ich versichere Euch, daá Ihr gar keine Leser finden werdet, nicht einen einzigen! Und sagt mir nur um des Himmels willen, warum Ihr, aber auch grad Ihr ein Lehrer werden wollt, und noch gar der Lehrer Eurer Leser, die Ihr gar nicht finden und haben werdet! Gibt es denn nicht Lehrer und Schulmeister genug auf Erden und in der Welt? Mát Ihr die Summe dieser Leute denn vergr”áern?® ¯H”rt, Sam, ein Lehrer zu sein, ist ein hochwichtiger, ein heiliger Beruf!® ¯Pshaw! Ein Westmann ist viel wichtiger, tausend- und abertausendmal wichtiger! Das muá ich wissen, weil ich einer bin, w„hrend Ihr erst kaum mit der Nase hergerochen seid. Ich muá mir das also allen Ernstes verbitten, daá Ihr Lehrer Eurer Leser werden wollt! Und nun gar Geld dabei zu verdienen! Welch eine Idee, welch eine ganz und gar hirnlose Idee! Was kostet denn so ein Buch, wie Ihr schreiben wollt?® ¯Einen Dollar, zwei Dollars, drei Dollars, je nach der Gr”áe, denke ich.® ¯Sch”n! Und was kostet ein Biberfell? Habt Ihr eine Ahnung davon? Wenn Ihr Fallensteller werdet, verdient Ihr viel mehr, viel mehr, als wenn Ihr der Lehrer Eurer Leser seid, von dem sie, wenn er ja zu seinem und zu ihrem Unglcke welche finden sollte, nichts als nur Dummheiten lernen wrden. Geld verdienen! Das kann man hier im Westen am leichtesten; da liegt es auf der Prairie, im Urwalde, zwischen den Felsen und auf dem Grunde der Flsse ausgestreut. Und was fr ein elendes Leben wrdet Ihr als Buchmacher fhren! Ihr mátet anstatt des herrlichen Quellwassers des Westens dicke, schwarze Tinte trinken, an einer alten G„nsefeder kauen, anstatt an einer B„rentatze oder einer Bffellende. Ueber Euch wrdet Ihr anstatt des blauen Himmels eine abgebr”ckelte Kalkdecke haben und unter Euch anstatt des weichen, grnen Grases eine alte Holzpritsche, auf welcher Ihr den Hexenschuá bekommt. Hier habt Ihr ein Pferd, dort einen zerrissenen - 129 - Polsterstuhl zwischen den Beinen. Hier k”nnt Ihr bei jedem Regen und Gewitter die edle Gottesgabe aus erster Hand genieáen, dort aber reckt Ihr beim ersten Tropfen, welcher f„llt, einen roten oder grnen Schirm zum Himmel auf. Hier seid Ihr ein frischer, freier, froher Mann mit der Bchse in der Faust, dort hockt Ihr am Schreibepult und verschwendet Eure K”rperkraft an einem Federhalter oder Bleistifte, der na, ich will aufh”ren und mich nicht weiter aufregen. Aber wenn Ihr wirklich willens seid, der Lehrer Eurer Leser zu werden, so seid Ihr der beklagenswerteste Mann, den es auf Gottes sch”ner Erde geben kann!® Er hatte sich in eine nicht geringe Aufregung hineingeredet; seine Aeuglein blitzten und seine Wangen glhten, soweit der dichte Vollbart dies sehen lieá, im allersch”nsten Zinnoberrot, grad so wie seine Nasenspitze. Ich ahnte, was ihn so wild machte, und da es mir von Wert war, es aus seinem Munde zu h”ren, so schttete ich noch mehr Oel in das Feuer, indem ich sagte: ¯Aber, liebster Sam, ich versichere Euch, daá es Euch selbst groáe Freude machen wrde, wenn ich dazuk„me, meinen Vorsatz auszufhren.® ¯Freude? Mir? Bleibt mir doch mit solcher Albernheit vom Leibe; Ihr mát nun endlich wissen, daá ich solche Witze nicht vertragen kann!® ¯Es ist kein Scherz, sondern Ernst.® ¯Ernst? Da schlage doch der Donner drein, wenn ich mich nicht irre! Inwiefern denn Ernst? Worber sollte ich mich denn da freuen?® ¯Ueber Euch.® ¯Ueber mich?® ¯Ja, ber Euch selbst, denn Ihr wrdet auch in meinen Bchern stehen.® ¯Ich ich?® fragte er, indem seine Aeuglein gr”áer und immer gr”áer wurden. ¯Ja, Ihr. Ich wrde natrlich auch von Euch schreiben.® ¯Von mir? Etwa das, was ich tue, was ich rede?® ¯Ja. Ich erz„hle, was ich erlebt habe, und da ich mit Euch - 130 - zusammengewesen bin, kommt Ihr auch mit in die Bcher, grad so, wie Ihr da vor mir sitzt.® Da ergriff er sein Gewehr, warf das Schinkenstck hin, welches er w„hrend des Gespr„ches ber das Feuer gehalten hatte, sprang empor, stellte sich in drohender Haltung vor mich hin und schrie mich an: ¯Ich frage Euch allen Ernstes und vor allen diesen Zeugen, ob Ihr das wirklich tun wollt?® ¯Natrlich!® ¯So! Dann fordere ich Euch hiermit auf, es augenblicklich zu widerrufen und mir mit einigen Eiden zu versichern, daá Ihr es unterlassen werdet!® ¯Warum?® ¯Weil ich Euch sonst augenblicklich niederschieáen oder niederschlagen werde, hier mit meiner alten Liddy, welche ich da in meinen H„nden habe. Also, wollt Ihr oder nicht?!® ¯Nein.® ¯So haue ich zu!® schrie er, indem er mit dem Kolben seiner Liddy ausholte. ¯Haut immer zu!® antwortete ich ruhig. Der Kolben schwebte einige Augenblicke ber meinem Haupte; dann lieá er ihn sinken, warf das Gewehr ins Gras, schlug ganz trostlos die H„nde zusammen und jammerte: ¯Dieser Mensch ist bergeschnappt, ist verrckt geworden, vollst„ndig verrckt! Ich ahnte es sogleich, als er Bcher schreiben und ein Lehrer seiner Leser werden wollte, und nun ist es wirklich eingetroffen. Nur ein Wahnsinniger kann so ruhig und kaltbltig sitzen bleiben, wenn meine Liddy ber seinem Haupte schwebt. Was soll man nun mit diesem Menschen machen? Ich glaube kaum, daá er zu kurieren sein wird!® ¯Es bedarf keiner Kur, lieber Sam,® antwortete ich. ¯Mein Verstand ist vollst„ndig ungetrbt.® ¯Warum aber tut Ihr mir da nicht meinen Willen? Warum verweigert Ihr mir die Eide und laát Euch lieber erschlagen?® ¯Pshaw! Sam Hawkens erschl„gt mich nicht; das weiá ich ganz genau.® - 131 - ¯Das wiát Ihr? So, so, das wiát Ihr also! Und leider ist es auch wahr. Ich wrde mich lieber selbst erschlagen, als Euch ein einziges H„rlein krmmen.® ¯Und Eide schw”re ich nicht. Bei mir pflegt das Wort zu gelten, grad so wie ein Schwur. Und endlich lasse ich mir ein Versprechen nicht durch Drohungen, selbst wenn es mit der Liddy w„re, abpressen. Die Sache mit den Bchern ist gar nicht so dumm, wie Ihr meint. Ihr kennt das nur nicht, und ich werde es Euch sp„ter, wenn wir mehr Zeit haben, einmal erkl„ren.® ¯Danke Euch!® meinte er, indem er sich niedersetzte und wieder nach dem Schinken griff. ¯Brauche keine Erkl„rung fr etwas, was gar nicht erkl„rt werden kann. Lehrer seiner Leser! Geld verdienen mit dem Buchmachen! L„cherlich!® ¯Und bedenkt die Ehre, Sam!® ¯Welche Ehre?® fragte er, mir das Gesicht rasch wieder zuwendend. ¯Die Ehre, von so vielen Leuten gelesen zu werden. Man wird dadurch berhmt.® Da hob er die Rechte mit dem groáen Schinkenstck hoch empor und schrie mich an: ¯Sir, nun h”rt augenblicklich auf, sonst werfe ich Euch diese zw”lf Pfund B„renschinken an den Kopf! Dort geh”rt der Schinken hin, denn Ihr seid grad so dumm oder noch viel dmmer als der dmmste Grizzlyb„r. Durch das Buchmachen berhmt werden! Hat man jemals eine so j„mmerliche Behauptung geh”rt! Ich noch nicht, wirklich noch nicht! Was wollt denn grad Ihr von Berhmtheit wissen! Ich will Euch sagen, wie man berhmt werden kann. Da liegt das B„renfell; seht es Euch an! Schneidet die Ohren ab und steckt sie Euch an den Hut; nehmt die Krallen von den Tatzen und die Z„hne aus dem Rachen, und fertigt Euch eine Kette daraus, die Ihr Euch um den Hals h„ngt. So macht es jeder weiáe Westmann und jeder Indianer, der das groáe Glck gehabt hat, einen Grizzly zu erlegen. Dann heiát es, wohin er kommt und wo man ihn nur sieht: "Schaut den Mann an! Der hat es mit dem grauen B„ren aufgenommen!" So sagen alle; jeder wird ihm gern und voller Achtung Platz machen, und sein Name - 132 - wird genannt von Zelt zu Zelt, von Ort zu Ort. So wird man berhmt. Verstanden! Nun steckt Euch einmal Eure Bcher an den Hut, und h„ngt Euch eine Bcherkette ums Genick! Was wird man sagen, he? Daá Ihr ein verrckter Kerl seid, ein ganz verrckter Kerl! Diese Berhmtheit und keine andere werdet Ihr von Eurem Bcherschreiben haben!® ¯Aber, Sam, was ereifert Ihr Euch denn so? Es kann Euch doch ganz gleichgltig sein, was ich tue?® ¯So? Gleichgltig? Mir? Alle Teufel, ist das ein Mensch, wenn ich mich nicht irre! Habe ihn lieb wie einen Sohn und meinen ganzen Narren an ihm gefressen, und da soll es mir gleichgltig sein, was er treibt! Das ist doch stark; das ist mehr als stark; das ist noch st„rker! Der Kerl hat eine Kraft wie ein Bffel, Muskeln wie ein Mustang, Flechsen und Sehnen wie ein Hirsch, ein Auge wie ein Falke, Geh”r wie eine Maus, und so ein fnf oder sechs Pfund Gehirn im Kopfe, wenn man nach seiner Stirne geht. Er schieát wie ein Alter, reitet wie der Geist der Savanne und geht, trotzdem er noch keinen gesehen hat, auf den Bffel und auf den Grizzly los, als ob er es mit einem Meerschweinchen zu tun h„tte. Und so ein Mensch, so ein Prairiej„ger, so ein Kerl, der zum Westmann wie geschaffen ist und jetzt schon mehr leistet wie mancher J„ger, der zwanzig Jahre auf der Savanne herumgeritten ist, ich sage, so ein Mensch will nach Hause gehen und Bcher machen! Ist das denn nicht, um toll zu werden? Hat man sich da etwa darber zu wundern, daá ein ehrlicher Westl„ufer, der es gut mit ihm meint, in Zorn ger„t?® Er sah mich dabei fragend, ja herausfordernd an. Natrlich erwartete er eine Antwort; ich aber gab ihm keine; ich hatte ihn gefangen. Ich zog den Sattel herbei, legte, ihn als Kissen benutzend, den Kopf darauf, streckte mich lang aus und machte die Augen zu. ¯Nun, was ist denn das wieder fr ein Benehmen?® fragte er, das Schinkenstck noch immer in der Hand. ¯Bin ich denn keiner Antwort wert?® ¯O ja,® antwortete ich nur. ¯Gute Nacht, bester Sam; schlaft wohl!® ¯Ihr wollt schlafen gehen?® - 133 - ¯Ja. Ihr habt es mir doch vorhin geraten.® ¯Das war vorhin; jetzt aber sind wir noch nicht miteinander fertig, Sir.® ¯O doch!® ¯Nein; ich habe noch mit Euch zu reden.® ¯Ich aber mit Euch nicht, denn ich weiá nun, was ich wissen wollte.® ¯Wissen wollte? Was denn?® ¯Das, womit herauszurcken Ihr Euch bisher stets so sehr gestr„ubt habt.® ¯Ich mich gestr„ubt? Da m”chte ich denn doch wissen, was das ist. Heraus damit!® ¯O, weiter nichts, als daá ich zum Westmanne wie geschaffen bin und jetzt schon mehr leiste als mancher J„ger, der zwanzig Jahre auf der Savanne herumgeritten ist.® Da lieá er die Hand mit dem Schinkenstcke vollends niedersinken, hustete einige Male sehr verlegen und sagte dann: ¯Alle Teufel ! Dieser junge Kerl dieses Greenhorn hat mich hm, hm, hm!® ¯Gute Nacht, Sam Hawkens, schlaft wohl!® wiederholte ich und wendete mich um. Da fuhr er mich an: ¯Ja, schlaft ein, Ihr Galgenstrick! Das ist besser, als wenn Ihr wacht. Denn so lange Ihr die Augen offen habt, ist kein ehrlicher Kerl sicher, nicht von Euch an der Nase herumgefhrt zu werden. Zwischen uns ist's aus! Mit mir habt Ihr's verdorben! Ich habe Euch nun durchschaut. Ihr seid ein Filou, vor dem man sich in acht zu nehmen hat!® Das hatte er in seinem zornigsten Tone gesprochen. Nach diesen Worten und diesem Tone h„tte ich eigentlich annehmen mssen, daá nun zwischen uns wirklich alles aus sei; aber schon nach einer halben Minute h”rte ich ihn mit weicher, freundlicher Stimme hinzufgen: ¯Gute Nacht, Sir; schlaft schnell, damit Ihr kr„ftig seid, wenn ich Euch wecke!® Er war doch ein lieber, guter, ehrlicher Mensch, der alte Sam Hawkens! - 134 - Ich schlief wirklich fest, bis er mich weckte. Parker und Stone waren auch schon munter; die Andern lagen noch im festen Schlafe, sogar Rattler auch noch. Wir aáen ein Stck Fleisch, tranken Wasser dazu, tr„nkten unsere Pferde und ritten dann fort, nachdem Sam den beiden Gef„hrten kurze Verhaltungsmaáregeln fr alle vorauszusehenden F„lle gegeben hatte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als wir diesen Ritt, der leicht gef„hrlich werden konnte, antraten. Mein erster, mein allererster Kundschafterritt! Ich war neugierig, wie er enden werde. Wie viele, viele solche Ritte habe ich dann sp„ter unternommen! Wir schlugen natrlich die Richtung ein, in welcher die beiden Apachen fortgeritten waren, das Tal hinab und unten um die Waldesecke. Die Spuren waren im Grase noch zu sehen; selbst ich, das Greenhorn, bemerkte sie; sie fhrten nordw„rts, w„hrend wir die Apachen doch im Sden von uns suchen muáten. Als wir uns hinter der Krmmung des Tales befanden, gab es in dem langsam zur H”he aufsteigenden Walde eine Bl”áe, welche wahrscheinlich die Folge eines verderblichen Insektenfraáes war; dort hinauf fhrte die Spur. Die Bl”áe setzte sich oben eine lange Strecke fort, worauf wir auf eine Prairie kamen, welche wie ein regelm„áiges, langsam aufsteigendes grnes Dach nach Sden fhrte. Auch hier war die Spur sehr leicht zu verfolgen. Die Apachen hatten uns, wie wir bemerkten, umritten. Als wir uns oben auf dem Firste dieses Daches befanden, lag eine weite, ebene, grasige Fl„che vor uns, welche nach Sden keine Grenze zu haben schien. Obgleich seit dem Verschwinden der Apachen beinahe dreiviertel Tag vergangen war, sahen wir ihre Spur wie eine gerade Linie ber diese Ebene fhren. Sam, welcher bis jetzt kein Wort gesprochen hatte, schttelte nun den Kopf und brummte in den Bart: ¯Gef„llt mir nicht, diese Spur, ganz und gar nicht!® ¯Und mir gef„llt sie desto besser,® sagte ich. ¯Weil Ihr ein Greenhorn seid, was Ihr gestern abend wieder einmal bestreiten wolltet, Sir. Bildet sich der junge Mann ein, daá ich ihn habe loben und gar mit einem Prairiej„ger vergleichen wollen! So etwas sollte man nicht fr m”glich halten! Man braucht nur Eure jetzigen Worte zu h”ren, - 135 - um sofort zu wissen, woran man mit Euch ist. Euch gef„llt diese Spur? Ja, das glaube ich; weil sie so sch”n deutlich vor Euch liegt, daá ein Blinder sie mit H„nden fassen k”nnte. Mir aber, der ich ein alter Savannenl„ufer bin, kommt das verd„chtig vor.® ¯Mir nicht.® ¯Haltet den Schnabel, verehrtester Sir! Ich habe Euch nicht dazu mitgenommen, daá Ihr mir mit Euern jungen Ansichten ber den Bart wischen sollt! Wenn zwei Indianer ihre Spur so sehen lassen, so ist das stets bedenklich, zumal unter diesen Umst„nden, wo sie uns in feindlicher Absicht verlassen haben. Es ist sehr zu vermuten, daá sie uns in eine Falle locken wollen. Denn sie wissen, daá wir ihnen folgen werden, das ist doch selbstverst„ndlich.® ¯Worin soll die Falle bestehen?® ¯Das kann man jetzt noch nicht wissen.® ¯Und wo soll sie liegen?® ¯Natrlich dort im Sden. Sie haben es uns sehr leicht gemacht, ihnen dorthin zu folgen. Wenn das nicht mit einer bestimmten Absicht geschehen w„re, h„tten sie sich Mhe gegeben, die Spur auszuwischen.® ¯Hm!® brummte ich. ¯Was?® fragte er. ¯Nichts.® ¯Oho! Das klang grad so, als ob Ihr etwas sagen wolltet.® ¯Werde mich hten!® ¯Warum?® ¯Ich habe allen Grund, meinen Schnabel zu halten, sonst denkt Ihr wieder, ich will Euch den Bart abwischen, wozu ich aber, wie ich Euch offen gestehe, weder Talent noch Lust besitze.® ¯Redet doch kein solches Zeug! Zwischen Freunden drfen Ausdrcke nicht auf diese Weise abgewogen werden. Ihr wollt doch etwas lernen; wie aber k”nnt Ihr das, wenn Ihr nicht redet! Also, was war das fr ein Hm-Brummer, den Ihr soeben losgelassen habt?® ¯Ich war anderer Meinung als Ihr. Ich glaube an keine Falle.® - 136 - ¯So! Warum?® ¯Die beiden Apachen wollen zu den Ihrigen. Sie wollen sie schnell gegen uns fhren und haben bei dieser W„rme eine Leiche bei sich. Das sind zwei triftige Grnde, ihren Ritt m”glichst zu beschleunigen, sonst verfault ihnen die Leiche unterwegs und sodann kommen sie auch zu sp„t, uns noch zu erwischen. Sie haben sich also nicht Zeit nehmen k”nnen, ihre Spur zu verwischen. Das ist meiner Ansicht nach der einzige Grund, daá wir die F„hrte so deutlich sehen.® ¯Hm!® brummte Sam nun seinerseits. ¯Und wenn ich nicht recht h„tte,® fuhr ich fort, ¯so k”nnen wir ihnen dennoch getrost folgen. So lange wir uns auf dieser weiten Ebene befinden, haben wir nichts zu befrchten, weil wir jeden Feind schon von weitem sehen und uns also zur rechten Zeit zurckziehen k”nnen.® ¯Hm!® brummte er abermals, indem er mich von der Seite her ansah. ¯Ihr redet da von der Leiche. Denkt Ihr, daá sie sie in dieser W„rme mit fortnehmen?® ¯Ja.® ¯Nicht unterwegs begraben?® ¯Nein. Der Tote hat in hohen Ehren bei ihnen gestanden. Ihre Gewohnheiten erfordern, daá er mit allem indianischen Pompe begraben werde. Dieser Feierlichkeit wrde die Krone aufgesetzt werden k”nnen, wenn es m”glich w„re, seinen M”rder bei der Leiche sterben zu lassen. Sie werden diese letztere also aufheben und sich beeilen, Rattler und uns in die H„nde zu bekommen. So, wie ich sie kenne, steht dies zu erwarten.® ¯So, wie Ihr sie kennt? Ah, Ihr seid also im Apachenlande geboren?® ¯Unsinn!® ¯Woher kennt Ihr sie denn sonst?® ¯Aus den Bchern, von denen Ihr nichts wissen wollt.® ¯Well!® nickte er. ¯Reiten wir weiter!® Er sagte mir nicht, ob er meinen Ansichten beistimme oder nicht; aber wenn er mir zuweilen von seitw„rts her einen halben Blick zuwarf, ging durch seinen Bartwald ein leises Zucken. Ich kannte dieses Zucken; es war stets ein Zeichen, daá es ihm nicht leicht wurde, irgend etwas geistig zu verdauen. - 137 - Wir jagten nun im Galoppe ber die Ebene hin. Sie war eine jener kurzgrasigen Savannen, wie sie sich da oben zwischen den Quellgebieten des Canadian und des Rio Pecos finden. Die Spur war dreireihig, wie mit einer groáen, dreizinkigen Gabel gezogen. Die Pferde waren also hier noch immer so nebeneinander gefhrt worden, wie wir sie hatten von uns fortgehen sehen. Es muáte sehr anstrengend gewesen sein, die Leiche w„hrend eines so weiten Rittes aufrecht zu halten, denn bis jetzt hatten wir keine Spur davon gefunden, daá sie irgend eine Vorrichtung getroffen h„tten, sich dies zu erleichtern. Ich sagte mir aber im stillen, daá sie das wohl nicht mehr lange ausgehalten hatten. Jetzt nun glaubte Sam Hawkens die Zeit gekommen, seines Lehramtes zu walten. Er erkl„rte mir, aus welcher Beschaffenheit der F„hrte zu schlieáen sei, ob die Reiter im Schritte oder im Galoppe geritten seien; das war sehr leicht zu sehen und zu merken. Nach einer halben Stunde legte sich ein Wald scheinbar quer vor die Ebene, aber auch nur scheinbar, denn die Savanne machte eine Biegung; indem wir derselben folgten, hatten wir diesen Wald zu unserer Linken liegen. Die B„ume desselben standen so weit auseinander, daá ein ganzer Reitertrupp vereinzelt leicht hindurchkommen konnte; die Apachen hatten aber drei Pferde nebeneinander und also nicht hindurch gekonnt. Es war klar, daá sie aus diesem Grunde zu Umwegen gezwungen waren, denen wir gern folgten, weil auch wir da offenen Weg hatten. Sp„ter freilich, als ich "ausgelernt" hatte, w„re es mir nie eingefallen, dieser F„hrte so nachzureiten, sondern ich w„re geradeaus durch den Wald geritten und jenseits wieder auf sie getroffen, wodurch ich den Umweg abgeschnitten h„tte. Sp„ter verengte sich die Prairie zu einem schm„leren, nicht ganz offenen Wiesenstreifen, auf welchem vereinzeltes Buschwerk stand. Da kamen wir an eine Stelle, wo die Apachen angehalten hatten. Es war an einem Gestr„uch, aus welchem hohes, schlankes Eichen- und Buchenholz ragte. Wir umritten es vorsichtig und n„herten uns erst dann, als wir die Ueberzeugung hatten, daá die Roten l„ngst nicht mehr darin steckten. Auf der einen Seite des Gebsches war das Gras vollst„ndig - 138 - niedergetreten oder niedergelagert. Die Untersuchung ergab, daá die Apachen hier abgestiegen waren und die Leiche vom Pferde genommen und in das Gras gelegt hatten. Dann waren sie in das Gestr„uch eingedrungen, um Eichenstangen zu schneiden und sie von den Nebenzweigen zu befreien; diese letzteren sahen wir am Boden liegen. ¯Was m”gen sie wohl mit diesen Stangen getan haben?® fragte Sam, indem er mich wie ein Lehrer seinen Schler anblickte. ¯Eine Trage oder Schleife fr die Leiche,® antwortete ich getrost. ¯Woher wiát Ihr das?® ¯Von mir.® ¯Wieso?® ¯Ich habe schon lange auf so etwas gewartet. Die Leiche so lange aufrecht zu halten, ist keine Kleinigkeit gewesen. Ich erwartete also, daá sie beim ersten Haltepunkt Abhilfe getroffen haben.® ¯Nicht bel gedacht. Steht so etwas auch in Euren Bchern zu lesen, Sir?® ¯W”rtlich und genau auf diesen Fall passend nicht; aber es kommt darauf an, wer ein solches Buch liest und wie er es liest. Man kann wirklich viel daraus lernen und dann in der Wirklichkeit fr andere, „hnliche F„lle anwenden.® ¯Hm, sonderbar! Scheinen also doch im Westen gewesen zu sein, die so etwas schreiben! Uebrigens stimmt Eure Vermutung mit der meinigen zusammen. Wollen doch 'mal sehen, ob sie richtig ist.® ¯Ich vermute, daá sie nicht eine Tragbahre, sondern eine Schleife angefertigt haben.® ¯Warum?® ¯Um einen Toten oder berhaupt etwas auf einer Bahre zu tragen, dazu sind zwei Pferde erforderlich, die entweder neben- oder hintereinander hergehen; die Apachen haben aber nur drei Pferde. Bei einer Schleife jedoch gengt ein einzelnes Pferd.® ¯Richtig; aber die Schleife macht eine verteufelte F„hrte, was fr den Betreffenden verderblich werden kann. Uebrigens - 139 - ist anzunehmen, daá sie gestern kurz vor Abend hier gewesen sind; es wird sich also bald zeigen, ob sie gelagert haben oder w„hrend der Nacht geritten sind.® ¯Ich m”chte das letztere behaupten, weil sie ja doppelten Grund zur Eile haben.® ¯Ganz richtig; also laát uns sehen.® Wir waren abgestiegen und gingen, unsere Pferde hinter uns fhrend, auf der F„hrte langsam weiter. Sie sah jetzt ganz anders aus als vorher, sie war zwar auch wieder dreifach, doch nicht in der frheren Weise. Der mittlere, breite Strich stammte von den Pferdehufen, und die beiden Seitenstriche waren von der Schleife eingeritzt worden. Sie bestand also wohl aus zwei Hauptstangen und mehreren Querh”lzern, die aneinander befestigt und auf welche dann die Leiche gebunden worden war. ¯Sind von hier aus hintereinander geritten,® meinte Sam. ¯Das muá einen Grund haben, denn es ist zum Nebeneinanderreiten genug Platz da. Folgen wir ihnen nach!® Wir stiegen wieder auf und ritten im Trabe weiter, dabei dachte ich darber nach, aus welchem Grunde sie wohl von jetzt an hintereinander geritten sein k”nnten. Ich sann und sann und glaubte bald, das Richtige gefunden zu haben. Darum sagte ich: ¯Sam, strengt Eure Augen an! Es wird mit dieser Spur bald eine Aenderung eintreten, die wir nicht bemerken sollen.® ¯Wieso? Eine Aenderung?® fragte er. ¯Jawohl. Sie haben die Schleife angefertigt nicht nur um sich den Ritt zu erleichtern und die Leiche nicht mehr halten zu mssen, sondern auch um sich trennen zu k”nnen.® ¯Was Ihr denkt? [denkt!] Sich trennen! Wird ihnen nicht im Traume einfallen, hihihihi!® lachte er. ¯Im Traume nicht, aber im Wachen.® ¯So sagt mir, wie Ihr auf diese Idee kommt! Da werden Eure Bcher Euch wohl gewaltig in die Irre gefhrt haben.® ¯Das steht nicht darin, sondern ich habe es mir selbst gesagt, allerdings nur infolgedessen, daá ich diese Bcher sehr aufmerksam gelesen und mich in ihren Inhalt sehr lebhaft hineingedacht habe.® - 140 - ¯Nun also?® ¯Bisher habt Ihr den Lehrer gemacht; nun werde ich Euch auch einmal fragen.® ¯Wird viel Kluges werden; bin neugierig darauf!® ¯Weshalb pflegen die Indianer berhaupt meist hintereinander zu reiten? Doch nicht der Bequemlichkeit oder der Geselligkeit halber?® ¯Nein, sondern damit der, welcher auf ihre F„hrte st”át, nicht z„hlen k”nne, wie viele Reiter es gewesen sind.® ¯Schau! Ich glaube, ganz derselbe Grund liegt auch hier in diesem Falle vor.® ¯M”chte wissen!® ¯Aber warum reiten da die Beiden im G„nsemarsch, wo doch Platz w„re fr mehr als drei Pferde?® ¯Zufall, oder, was wohl das Richtige sein wird, des Toten wegen. Einer reitet vorn als Wegweiser; dann kommt das Pferd mit der Leiche und hinterher der Andere, welcher aufzupassen hat, daá die Schleife fest zusammenh„lt und der Tote nicht etwa herunterf„llt.® ¯Mag sein; aber ich muá daran denken, daá sie Eile haben, an uns zu kommen. Der Transport des Erschossenen geht zu langsam; also wird wohl einer von ihnen voraneilen, damit die Krieger der Apachen schneller benachrichtigt werden k”nnen.® ¯Das gaukelt Euch die Phantasie so vor. Ich sage Euch, daá es ihnen gar nicht einfallen wird, sich voneinander zu trennen.® Warum sollte ich mich mit ihm streiten? Ich konnte ja unrecht haben; ja, ich hatte es h”chst wahrscheinlich, weil er ein erfahrener Scout und ich eben ein Greenhorn war. Darum schwieg ich, aber ich paáte scharf auf den Boden und auf die F„hrte auf. Nicht lange nachher kamen wir an einen nicht tiefen, sondern sehr flachen aber desto breiteren und jetzt vollst„ndig ausgetrockneten Wasserlauf. Das war so eine Fluámulde, welche im Frhlinge die Gebirgsw„sser aufnimmt und dann, wenn diese sich verlaufen haben, w„hrend der brigen Zeit trocken bleibt. Der Boden zwischen den beiden niedrigen Ufern bestand aus vom Wasser rund geschliffenem Steingrus, zwischen - 141 - dem sich einzelne Lager feinen, leichten Sandes befanden. Die Spur fhrte quer hindurch. W„hrend wir langsam hinberritten, betrachtete ich den Grus und Sand auf beiden Seiten auf das genaueste. Wenn ich vorhin das Richtige erraten hatte, so war hier fr einen der Apachen der geeignetste Ort, abzuweichen. Wenn er ein Stck die trockene Mulde hinunterritt und sein Pferd nicht auf den Sand, sondern nur auf den harten Grus treten lieá, der keine Spur annahm, so konnte er verschwinden, ohne eine F„hrte zurckzulassen. Ritt dann der Andere weiter, mit dem Schleifenpferde hinter sich, so konnte man die Spur dieser beiden Pferde noch immer fr die von dreien halten. Ich hielt mich hinter Sam Hawkens. Schon war ich fast hinber, da bemerkte ich in einer Sandlage, grad wo sie an eine Gruslage stieá, eine runde Vertiefung, deren R„nder eingefallen waren; sie hatte ungef„hr die Weite einer groáen Kaffeetasse. Ich hatte damals nicht den scharfen Blick, den Scharfsinn und die Erfahrung, die ich sp„ter besaá; aber was ich sp„ter behauptet und bewiesen h„tte, das ahnte ich damals wenigstens, n„mlich daá diese kleine Vertiefung von einem Pferdehufe rhre, der von dem h”heren Grus in den tiefer liegenden Sand hinabgerutscht war. Als wir am andern Ufer angekommen waren, wollte Sam auf der F„hrte weiterreiten; ich aber forderte ihn auf: ¯Kommt einmal da nach links hinber, Sam!® ¯Warum?® fragte er. ¯Will Euch etwas zeigen.® ¯Was?® ¯Werdet es gleich sehen. Kommt nur mit!® Ich ritt am Ufer des Trockenbettes hinab; es war mit Gras bestanden. Wir hatten nicht mehr als zweihundert Pferdeschritte gemacht, da kam die F„hrte eines Reiters aus dem Sande herauf und fhrte ganz deutlich ber das Gras in sdlicher Richtung hin. ¯Was ist das hier, Sam?® fragte ich, nicht wenig stolz, als Neuling recht zu bekommen. Seine kleinen Aeuglein schienen sich in ihre H”hlen verkriechen zu wollen, und sein listiges Gesicht zog sich in die L„nge. - 142 - [Illustration Nr. 8: Neue Spuren in der N„he des Bachbettes] ¯Pferdestapfen!® antwortete er erstaunt. ¯Wo sind sie hergekommen?® Er blickte ber das Trockenbett hinber, und da er dort keine Spur bemerkte, meinte er: ¯Jedenfalls hier aus dem Frhjahrsflusse.® ¯Allerdings. Und wer mag der Reiter da gewesen sein?® ¯Weiá ich es!® ¯Nein, aber ich weiá es.® ¯Nun, wer denn?® ¯Einer von den beiden Apachen.® Sein Gesicht dehnte sich noch mehr in die L„nge, eine F„higkeit, die ich ihm bisher gar nicht zugetraut hatte, und er rief aus: ¯Von diesen beiden? Nicht m”glich!® ¯O doch! Sie haben sich getrennt, wie ich vorhin vermutete. Kommt nun zu unserer F„hrte zurck! Wenn wir sie genau betrachten, so werden wir sehen, daá sie nun von nur zwei Pferden herrhrt.® ¯Das w„re ja ganz erstaunlich! Wollen einmal sehen. Bin frchterlich neugierig!® Wir ritten zurck und waren nun freilich aufmerksamer, als wir gewesen w„ren, wenn ich meine Entdeckung nicht gemacht h„tte. Wir fanden wirklich heraus, daá von hier an nur zwei Pferde weitergegangen waren. Sam hustete einige Male, - 143 - betrachtete mich mit miátrauischen Augen vom Kopfe bis zu den Fáen herunter und fragte: ¯Wie seid Ihr denn auf die Idee gekommen, daá die abgezweigte Spur da drben aus dem Trockenbette kommen werde?® ¯Ich habe einen Fuástapfen da unten im Sande gesehen und das brige daraus geschlossen.® ¯Das w„re! Zeigt mir doch einmal den Stapfen!® Ich fhrte ihn hinunter, wo ich ihn sah. Da blickte er mich noch viel miátrauischer an, als vorhin, und fragte: ¯Sir, wollt Ihr mir einmal die Wahrheit sagen?® ¯Ja. Glaubt Ihr vielleicht, daá ich Euch einmal belogen habe?® ¯Hm, Ihr scheint ein wahrheitsliebender und ehrlicher Kerl zu sein; aber in diesem Falle traue ich Euch doch nicht. Ihr seid noch nie in der Prairie gewesen?® ¯Nein.® ¯Ueberhaupt im wilden Westen nicht?® ¯Nein.® ¯Auch nicht in den Vereinigten Staaten?® ¯Nie.® ¯Oder gibt es ein anderes Land, wo es auch Prairien und Savannen gibt und so etwas wie hier der Westen, und dort seid Ihr gewesen?® ¯Nein. Ich bin nie aus meiner Heimat weggekommen.® ¯So hole Euch der Teufel, Ihr ganz und gar unbegreifliches Menschenkind!® ¯Oho, Sam Hawkens! Ist das ein Segensspruch von einem Freunde, wie Ihr zu sein behauptet!® ¯Na, nehmt mir's 'mal nicht bel, wenn mir bei solchen Dingen der K„fer ber die Galle l„uft! Kommt so ein Greenhorn nach dem Westen, hat noch kein Gras wachsen und keinen Erdfloh singen geh”rt und treibt schon gleich beim ersten Kundschafterritte dem alten Sam Hawkens die Schamr”te ins Gesicht. Wenn man da kaltes Blut behalten soll, so máte man im Sommer ein Eskimo und im Winter ein Gr”nl„nder sein, wenn ich mich nicht irre. Als ich so jung war, wie Ihr jetzt seid, da war ich zehnmal gescheiter als Ihr, und jetzt in - 144 - meinen alten Tagen scheine ich zehnmal dmmer zu sein. Ist das nicht traurig fr einen Westl„ufer, der seine Portion Ehrgefhl besitzt?® ¯Braucht es Euch nicht so tief zu Herzen zu nehmen.® ¯Oho, es greift an! Ich muá gestehen, daá Ihr recht gehabt habt. Woher kommt das nur?® ¯Daher, daá ich logisch richtig gedacht und geschlossen habe. Das richtige Schlieáen ist sehr wichtig.® ¯Schlieáen? Was ist das? Mit einem Schlssel?® ¯Nein. Schlsse ziehen, meine ich.® ¯Das verstehe ich nicht; ist mir zu hoch.® ¯Nun, ich habe folgenden Schluá gezogen: Wenn Indianer hintereinander reiten, wollen sie ihre Spur verdecken; die beiden Apachen sind hintereinander geritten, folglich wollten sie ihre Spur verdecken. Das versteht Ihr doch?® ¯Selbstverst„ndlich.® ¯Durch diesen richtigen Schluá bin ich zu der richtigen Entdeckung gekommen. Der richtige Westmann muá vor allem richtig denken k”nnen. Ich will Euch noch so einen Schluá sagen. Wollt Ihr ihn h”ren?® ¯Warum nicht?® ¯Ihr heiát Hawkens. Das soll doch "Falke" sein?® ¯Yes!® ¯So h”rt! Der Falke friát Feldm„use. Ist das richtig?® ¯Ja; wenn er sie f„ngt, da friát er sie.® ¯Nun also ist der Schluá: Der Falke friát Feldm„use; Ihr heiáet Hawkens, folglich freát Ihr Feldm„use.® Sam machte den Mund auf, jedenfalls um Atem und Gedanken sch”pfen zu k”nnen, sah mich eine kleine Weile wie abwesend an und brach dann los: ¯Sir, wollt Ihr Euch ber mich lustig machen? Das verbitte ich mir! Ich bin noch lange kein Bajazzo, dem man auf dem Buckel herumspringen kann. Ihr habt mich beleidigt, schwer beleidigt mit der teuflischen Behauptung, daá ich M„use fresse, und noch dazu elende Feldm„use. Dafr will ich Genugtuung haben. Was denkt Ihr vom Duell?® ¯Groáartig!® ¯Jawohl! Ihr habt studiert, nicht wahr?® - 145 - ¯Ja.® ¯So seid Ihr satisfaktionsf„hig, und ich werde Euch also meinen Sekundaner schicken. Verstanden?® ¯Ja. Aber habt Ihr studiert?® ¯Nein.® ¯So seid Ihr nicht satisfaktionsf„hig, und ich werde Euch also meinen Tertianer oder Quartaner schicken. Verstanden?® ¯Nein, das verstehe ich nicht,® meinte er, indem er ein verlegenes Gesicht zeigte. ¯Nun, wenn Ihr die Regeln des Duells nicht versteht und nicht einmal wiát, welche Bedeutung Euer Sekundaner und mein Tertianer und Quartaner dabei haben, so k”nnt Ihr mich doch nicht fordern. Ich will Euch freiwillig eine Genugtuung geben.® ¯Welche?® ¯Ich schenke Euch mein Grizzlyb„renfell.® Seine Aeuglein blitzten sofort wieder. ¯Das braucht Ihr doch selbst!® ¯Nein. Ich gebe es Euch.® ¯Ist's wahr?® ¯Ja.® ¯Heigh-day, das nehme ich sofort an. Danke, Sir, danke auáerordentlich! Halloo, werden sich die Andern „rgern! Wiát Ihr, was ich daraus mache?® ¯Nun?® ¯Einen neuen Jagdrock, einen Jagdrock aus Grizzlyleder! Welch ein Triumph! Werde ihn selber machen. Bin ein ausgezeichneter Jagdrockschneider. Seht Euch diesen da an, wie sch”n ich ihn ausgebessert habe!® Er deutete auf den vorsintflutlichen Sack, in welchem er steckte. Da war allerdings ein Lederstck immer wieder auf das Andere geflickt, so daá der Rock die Dicke eines Brettes angenommen hatte. ¯Aber,® fgte er in seiner groáen Freude hinzu, ¯die Ohren, die Krallen und die Z„hne bekommt Ihr, die brauche ich nicht zum Rocke, und Ihr habt Euch diese Troph„en mit gr”áter Lebensgefahr erk„mpft. Ich mache Euch eine Kette daraus; ich verstehe mich auf solche Arbeiten. Wollt Ihr?® - 146 - ¯Ja.® ¯Recht so, recht so, denn dann hat ein jeder seine Freude. Ihr seid wirklich ein tchtiger Kerl, ein ganz tchtiger Kerl. Schenkt Eurem Sam Hawkens das Grizzlyfell. Nun k”nnt Ihr meinetwegen von mir behaupten, daá ich nicht nur Feldm„use, sondern auch Ratten fresse, es wird meine Seelenruhe nicht im geringsten aus der Fassung bringen. Und das mit den Bchern ich sehe doch, daá sie nicht ganz so bel sind, wie ich erst dachte; man kann wirklich vieles daraus lernen. Werdet Ihr wirklich eines schreiben?® ¯Vielleicht mehrere.® ¯Ueber Eure Erlebnisse?® ¯Ja.® ¯Und ich komme auch mit hinein?® ¯Nur meine hervorragendsten Freunde, so ungef„hr um ihnen ein schriftliches Denkmal zu setzen.® ¯Hm, hm! Hervorragend! Denkmal setzen! Das klingt freilich ganz anders als gestern. Ich muá mich da sehr verh”rt haben. Also ich auch?® ¯Wenn Ihr wollt, sonst nicht.® ¯H”rt, Sir, ich will. Ich bitte Euch sogar darum, mich mit hineinzusetzen.® ¯Gut; es wird geschehen.® ¯Sch”n! Aber da mát Ihr mir einen Gefallen tun!® ¯Welchen! [Welchen?]® ¯Ihr erz„hlt alles, was wir miteinander erlebt haben?® ¯Ja.® ¯So laát das weg, daá ich die abgezweigte Spur hier nicht gefunden habe! Sam Hawkens, und so etwas nicht finden! Ich muá mich ja vor allen Lesern sch„men, die von Euch lernen sollen. Wenn Ihr die Gte haben wollt, dies zu verheimlichen, so m”gt Ihr dafr getrost das von den M„usen und Ratten hineinsetzen. Was die Leute ber mein Essen denken, das ist mir ganz und gar egal; aber wenn sie mich fr einen Westmann hielten, der einen Indsman fortreiten l„át, ohne dies an der F„hrte zu sehen, das wrde mich wurmen, auáerordentlich wurmen!® ¯Das geht nicht, lieber Sam.® - 147 - ¯Nicht? Warum?® ¯Weil ich jede Person, welche ich bringen werde, genau so beschreiben muá, wie sie ist. Da will ich Euch doch lieber weglassen.® ¯Nein, nein, ich will mit hinein ins Buch, partout mit hinein! Es ist jedenfalls auch besser, wenn Ihr die Wahrheit sagt. Wenn Ihr meine Fehler bringt, so mag das fr die Leser, die ebenso dumm sind, wie ich bin, ein warnendes Beispiel zur Aufmunterung sein, hihihihi; ich aber, da ich nun weiá, daá ich gedruckt werde, werde mir alle Mhe geben, um dergleichen Fehler fernerhin zu vermeiden. Also, wir sind einverstanden?® ¯Ja.® ¯So wollen wir weiter!® ¯Welcher Spur? Der abgezweigten?® ¯Nein, dieser hier.® ¯Ja; das wird Winnetou sein.® ¯Woraus schlieát Ihr das?® ¯Dieser hier soll mit der Leiche langsamer nachfolgen; der Andere aber reitet voraus, um schnell Krieger zu versammeln; also wird er wohl der H„uptling sein.® ¯Yes; stimmt; bin derselben Ansicht. Der H„uptling geht uns jetzt nichts an. Wir reiten nur seinem Sohne nach.® ¯Warum diesem?® ¯Weil ich wissen will, ob er doch noch Lager gemacht hat; darauf kommt es mir an. Also vorw„rts, Sir!® Es ging im Trabe weiter, ohne daá etwas Erw„hnenswertes geschah. Auch die Beschreibung der Gegend, durch welche wir kamen, wrde kein Interesse bieten. Erst eine Stunde vor Mittag hielt Sam an und sagte: ¯Nun ist's genug; wir kehren um. Auch Winnetou ist die ganze Nacht hindurch geritten; sie haben also groáe Eile, und wir k”nnen ihren Angriff bald erwarten, vielleicht noch innerhalb der fnf Tage, die Ihr zu arbeiten habt.® ¯Das w„re b”s!® ¯Allerdings. H”rt Ihr auf, und machen wir uns aus dem Staube, so bleibt die Arbeit unvollendet; bleiben wir aber da, so werden wir berfallen, und die Arbeit wird doch nicht fertig. Wir mssen die Sache mit Bancroft ernstlich besprechen.® - 148 - ¯Vielleicht bietet sich ein Ausweg.® ¯Wáte nicht, welcher?® ¯Daá wir uns einstweilen in Sicherheit bringen und dann, wenn die Apachen sich zurckgezogen haben, den Rest vollenden.® ¯Ja, das ginge vielleicht. Werden sehen, was die Andern dazu sagen. Wir mssen uns beeilen, noch vor nacht das Lager zu erreichen.® Wir schlugen rckw„rts denselben Weg ein, den wir herw„rts geritten waren. Wir hatten unsere Tiere nicht geschont, aber mein Rotschimmel war noch ganz frisch, und die "neue Mary" tat ganz so, als ob sie soeben erst aus dem Stalle gekommen sei. Wir legten in kurzer Zeit bedeutende Strecken zurck, bis wir ein flieáendes Wasser erreichten, wo wir unsere Tiere trinken und ein Stndchen ausruhen lassen wollten. Da stiegen wir ab und streckten uns zwischen Bschen im weichen Grase aus. Was wir uns zu sagen hatten, das war gesagt worden; darum lagen wir jetzt still da. Ich dachte an Winnetou und den wahrscheinlich bevorstehenden Kampf mit ihm und seinen Apachen, und Sam Hawkens hatte die Augen zugemacht und ah, er schlief; ich sah es den regelm„áigen Bewegungen seiner Brust an. Er hatte in letzter Nacht nicht viel geschlafen. Hier konnte er ein kleines Nickerchen riskieren, weil ich wachte und wir auf dem Herwege in der ganzen Gegend nichts Verd„chtiges bemerkt hatten. Jetzt sollte ich ein Beispiel davon erleben, wie scharf die Sinne der Menschen und der Tiere im wilden Westen sind. Das Maultier steckte mitten im Gebsch, so daá ich es nicht sehen konnte, und knusperte die Bl„tter von den Zweigen; es war kein geselliges Tier, mied die Pferde und war am liebsten allein. Mein Schimmel stand in meiner N„he und m„hte mit seinen scharfen Z„hnen das Gras ab. Sam schlief, wie ich bereits gesagt habe. Da lieá das Maultier ein kurzes, seltsames, ich m”chte sagen, warnendes Schnauben h”ren, und im Nu war Sam aufgewacht und stand auf den Beinen. ¯Ich schlief; die Mary schnaubte; das hat mich aufge- - 149 - [Illustration Nr. 9: Ein Trupp Kiowas] weckt [aufgeweckt]. Es kommt ein Mensch oder ein Tier. Wo ist mein Maultier?® ¯Da in den Bschen. Kommt!® Wir krochen ins Gestr„uch und sahen nun die Mary, wie sie, vorsichtig hinter den Zweigen verborgen, durch dieselben blickte. Ihre langen Ohren bewegten sich lebhaft, und der Schwanz ging auf und nieder. Als sie sah, daá wir kamen, war sie beruhigt; Schwanz und Ohren standen still. Das Tier hatte sich wirklich in sehr guten H„nden befunden, und Sam konnte sich beglckwnschen, anstatt eines Pferdes diese Mary gefangen zu haben. Als wir durch die Zweige blickten, sahen wir sechs Indianer, einer hinter dem andern, von Norden her, wohin wir wollten, auf unserer F„hrte geritten kommen. Der Vorderste von ihnen, eine nicht hohe, aber muskul”se Gestalt, hielt den Kopf gesenkt und schien die Augen nicht von der F„hrte zu wenden. Sie trugen alle lederne Leggins und dunkle Wollenhemden. Bewaffnet waren sie mit Flinten, Messern und Tomahawks. Ihre Gesichter gl„nzten vor Fett; quer ber dieses ging ein blauer und ein roter Strich hinweg. Schon wollte diese Begegnung mir Sorge machen, da sagte Sam, ohne seine Stimme vorsichtig zu d„mpfen: - 150 - ¯Welch ein Zusammentreffen! Das rettet uns, Sir!® ¯Retten? Wieso? Wollt Ihr nicht leiser reden?® [reden?] Die Kerls sind schon so nahe, daá sie uns h”ren mssen.® ¯Das sollen sie auch. Es sind Kiowas. Der, welcher voranreitet, ist Bao, was in ihrer Sprache Fuchs bedeutet, ein tapferer und auch schlauer Krieger, wie ja schon sein Name sagt. Der H„uptling dieser Leute heiát Tangua, ein unternehmender Indsman, aber mein guter Freund. Sie tragen die Kriegsfarben im Gesicht und sind also wahrscheinlich Kundschafter. Ich habe aber nicht geh”rt, daá irgend ein Stamm gegen den andern aufgetreten sei.® Das Wort Kiowa wird Keioweh ausgesprochen. Dieser rote Stamm scheint ein Mischvolk von Shoshonen und Pueblo-Indianern zu sein; es sind ihm im Indianerterritorium Reservationen angewiesen worden, aber es schweifen noch viele Abteilungen in den texanischen Wsten, namentlich im sogenannten Pan-handle herum und bis nach Neu-Mexiko hinein. Diese Abteilungen sind sehr gut beritten und an Pferden reich. Sie werden den Weiáen durch ihre Raublust sehr gef„hrlich, und darum sind die Ansiedler in den Grenzgebieten ihre erbittertsten Feinde. Auch mit den verschiedenen Apachenst„mmen stehen sie auf schlechtem Fuáe, da sie auch das Eigentum und Leben dieser ihrer roten Brder nicht zu schonen pflegen. Sie sind mit einem Worte R„uberbanden. Wodurch sie das geworden sind, das braucht man nicht zu fragen. Die sechs Kundschafter waren jetzt nahe herangekommen. Wie sie uns retten sollten, das leuchtete mir nicht ein. Sechs Indianer konnten uns wenig oder gar nichts helfen. Bald freilich sollte ich erfahren, wie Sam Hawkens es gemeint hatte. Fr jetzt freute ich mich nur darber, daá sie Sam kannten und wir also von ihnen wahrscheinlich nichts zu frchten hatten. Sie waren auf unserer Herf„hrte gekommen und sahen nun unsere Rckspur, welche in das Gebsch fhrte. Daraus schlossen sie natrlich, daá sich Menschen in demselben befanden. Sofort rissen sie ihre auáerordentlich kr„ftigen und beweglichen Pferde herum und jagten zurck, um aus der Tragweite unserer Gewehre zu kommen. Da trat Sam vor das - 151 - Gebsch hinaus, hielt beide H„nde hohl an den Mund und stieá einen schrillen, weithin schallenden Ruf aus, welcher ihnen bekannt zu sein schien, denn sie hielten ihre Pferde an und schauten zurck. Er rief abermals und winkte ihnen dann. Sie verstanden beides, den Ruf und den Wink; sie sahen Sam, dessen eigentmliche Gestalt nicht zu verkennen war, und kamen im Galoppe zurck. Ich hatte mich neben Sam gestellt. Sie strmten auf uns zu, als ob sie uns niederreiten wollten; wir blieben ruhig stehen; da rissen sie eine Elle von uns ihre Pferde in die H„ksen, schnellten aus dem Sattel und lieáen sie laufen. ¯Unser weiáer Bruder Sam ist hier?® fragte der Anfhrer. ¯Wie kommt er in den Weg seiner roten Freunde und Brder?® ¯Bao, der listige Fuchs, hat mich getroffen, weil er sich auf meiner F„hrte befindet,® antwortete Sam. ¯Wir glaubten, es sei die Spur der roten Hunde, die wir suchen,® meinte der Fuchs in gebrochenem, aber ziemlich verst„ndlichem Englisch. ¯Welche Hunde meint mein roter Bruder?® ¯Die Apachen vom Stamme der Mescaleros.® ¯Warum nennt ihr sie Hunde? Ist ein Streit ausgebrochen zwischen ihnen und meinen Brdern, den tapfern Kiowas?® ¯Das Kriegsbeil ist ausgegraben zwischen uns und diesen r„udigen Coyoten.® ¯Uff! Das freut mich zu h”ren! Meine Brder m”gen sich zu uns setzen, denn ich habe ihnen Wichtiges zu sagen.® Der Fuchs sah mich forschend an und fragte: ¯Ich habe dieses Bleichgesicht noch nie gesehen; es ist noch jung; geh”rt es bereits unter die Krieger der weiáen M„nner? Hat es sich schon einen Namen erworben?® H„tte Sam meinen deutschen Namen gesagt, so h„tte derselbe keinen Effekt gemacht. Da besann er sich auf das Wort, welches Wheeler ausgesprochen hatte, und antwortete: ¯Dieser mein liebster Freund und Bruder ist jngst erst ber das groáe Wasser gekommen und ein groáer Krieger bei seinem Volke. Er hatte noch nie in seinem Leben einen Bffel oder einen B„ren gesehen und dennoch vorgestern mit zwei alten Bffelbullen gek„mpft und sie erlegt, um mir das Leben zu - 152 - retten, und dann gestern den grauen Grizzly des Felsengebirges mit dem Messer erstochen, ohne daá ihm dabei die Haut geritzt worden ist.® ¯Uff, uff!® riefen die Roten, mich bewundernd, aus, und Sam fuhr, allerdings in berschw„nglicher Weise, fort: ¯Seine Kugel verfehlt niemals ihr Ziel, und in seiner Hand wohnt so viel Kraft, daá er jeden Feind mit einem einzigen Hiebe seiner Faust zu Boden schmettert. Darum haben ihm die weiáen M„nner des Westens den Namen Old Shatterhand gegeben.® So, da war ich ja ganz ohne meine Einwilligung mit einem Kriegsnamen ausgerstet worden, den ich seit jener Zeit da drben stets getragen habe. Das ist so Sitte im Westen. Oft kennen die besten Freunde gegenseitig ihre wirklichen Namen nicht. Der Fuchs reichte mir die Hand und sagte in freundlichem Tone: ¯Wenn Old Shatterhand es erlaubt, werden wir seine Freunde und Brder sein. Wir lieben solche M„nner, welche ihre Feinde mit einem Schlage niederschmettern. Darum wirst du hochwillkommen sein in unsern Zelten.® Das hieá mit andern Worten: Wir brauchen Spitzbuben von einer solchen K”rperkraft, wie du sie besitzest; darum komm zu uns. Wenn du mit uns und fr uns mausest, stiehlst und raubst, sollst du es leidlich gut bei uns haben. Trotzdem antwortete ich so ziemlich mit jener Wrde, welche ich mir sp„ter ganz zu eigen gemacht habe: ¯Ich liebe die roten M„nner, denn sie sind die S”hne des groáen Geistes, dessen Kinder auch die Bleichgesichter sind. Wir sind Brder und wollen uns beistehen gegen alle Feinde, welche uns und euch nicht achten!® Ein wohlgef„lliges Schmunzeln ging ber sein mit Fett und Farbe beschmiertes Gesicht, als er mir hierauf versicherte: ¯Old Shatterhand hat wohl gesprochen. Wir wollen die Pfeife des Friedens mit ihm rauchen.® Hierauf setzten sie sich mit uns an das Wasser. Er zog eine Pfeife hervor, deren lieblich-niedertr„chtige Penetranz meine Nase schon von weitem emp”rte, und stopfte sie mit einer Mischung, - 153 - welche aus zerstoáenen roten Rben, Hanfbl„ttern, geschnittenen Eicheln und Sauerampfer zu bestehen schien, versetzte sie in Brand, stand auf, tat einen Zug, blies den Rauch gen Himmel und gegen die Erde und sagte: ¯Da oben wohnt der gute Geist, und hier auf der Erde wachsen die Pflanzen und die Tiere, welche er fr die Krieger der Kiowas bestimmt hat.® Hierauf tat er vier weitere Zge und fuhr fort, nachdem er den Rauch nach Norden, Sden, Osten und Westen geblasen hatte: ¯Nach diesen Gegenden hin wohnen die roten und weiáen M„nner, welche diese Tiere und Pflanzen unrechtm„áiger Weise fr sich behalten. Wir werden sie aber aufsuchen und uns nehmen, was uns geh”rt. Ich habe gesprochen. Howgh!® Welch eine Rede! So ganz anders als diejenigen, welche ich bisher gelesen hatte oder sp„ter so oft geh”rt habe. Dieser Kiowa sagte ja hier mit offenen Worten, daá er die s„mtlichen Erzeugnisse des Tier- und Pflanzenreiches als Eigentum seines Stammes ansehe und darum den Raub nicht nur fr sein Recht halte, sondern sogar als seine Pflicht betrachte! Und ich sollte dieser Leute Freund nun sein! Aber wer unter die Musikanten ger„t, muá mitblasen. Der Fuchs reichte Sam die unfriedliche Friedenspfeife hin. Der Mann tat wacker seine sechs Zge und sagte: ¯Der groáe Geist achtet nicht auf die verschiedene Haut der Menschen, denn die k”nnen sich mit Farbe beschmieren, um ihn zu t„uschen, sondern er sieht das Herz an. Die Herzen der Krieger vom berhmten Stamme der Kiowas sind tapfer, unerschrocken und treu. Das meinige h„ngt an ihnen wie mein Maultier an dem Baume, an welchen ich es gebunden habe. So wird es h„ngen bleiben allezeit, wenn ich mich nicht irre. Ich habe gesprochen. Howgh!® Das war nun freilich Sam Hawkens, der listig lustige kleine Mann, der jedem Dinge und jedem Verh„ltnisse eine ertr„gliche Seite abzugewinnen verstand. Seine Rede wurde mit einem allgemeinen, wiederholten ¯Uff, uff, uff!® belohnt. Leider beging er die Freveltat, nun mir das t”nerne Stinktier in die Hand zu schieben. Ich war gezwungen, in den sauern - 154 - Apfel zu beiáen, und nahm mir vor, meine edle Wrde zu bewahren und die Zge meines m„nnlich ernsten Gesichtes zu beherrschen. Ich rauche sehr gern, und mir ist nie im Leben eine Zigarre zu stark gewesen. Ich habe sogar den famosen "Dreim„nnertabak" geraucht, welcher diesen Namen seinem frchterlichen Geschmacke verdankt; wer ihn raucht, muá, wenn er nicht umfallen will, von drei M„nnern festgehalten werden. Ich konnte also erwarten, daá mich auch diese indianische Friedensr”hre nicht ber den Haufen werfen werde. Ich erhob mich also, machte mit der linken Hand eine zur Andacht auffordernde Bewegung und tat den ersten Zug. Ja, es stimmte, die vorhin angegebenen Ingredienzien, n„mlich Rben, Hanf, Eicheln und Sauerampfer, waren alle in dem Pfeifenkopfe anwesend; aber einen fnften Hauptstoff hatte ich nicht genannt; jetzt roch und schmeckte ich, daá auch ein Stckchen Filzschuh dabei sein msse. Ich blies den Rauch auch gegen den Himmel und gegen die Erde und sagte dann: ¯Vom Himmel kommt der Sonnenstrahl und der Regen; von ihm kommt jede gute Gabe und aller Segen. Die Erde empf„ngt die W„rme und N„sse und spendet dafr den Bffel und den Mustang, den B„ren und den Hirsch, den Krbis, den Mais und vor allem die edle Pflanze, aus welcher die klugen roten M„nner den Kinnikinnik bereiten, welcher aus der Friedenspfeife den Duft der Liebe und Verbrderung spendet.® Ich hatte n„mlich gelesen, daá die Indianer ihren Mischtabak Kinnikinnik nennen, und brachte diese Kenntnis heut schleunigst am richtigen Platz an. Nun sog ich mir den Mund zum zweitenmal voll von Rauch und blies denselben gegen die vier Himmelsgegenden. Der Geruch war noch voller und komplizierter als vorhin; ich glaubte ganz bestimmt, daá noch zwei weitere Bestandteile anzufhren seien, n„mlich Kolophonium und abgeschnittene Fingern„gel. Nach dieser trefflichen Entdeckung fuhr ich fort: ¯Im Westen ragt das Felsengebirge empor, und im Osten dehnen sich die Ebenen; im Norden leuchten die Seen, und im Sden wallt das groáe Wasser des Meeres. W„re alles Land mein, was zwischen diesen vier Grenzen liegt, ich wrde es den Kriegern der Kiowas schenken, denn sie sind meine Brder. - 155 - M”gen sie in diesem Jahre zehnmal so viel Bffel und fnfzigmal so viel Grizzlyb„ren jagen, als sie K”pfe z„hlen. Die K”rner ihres Maises m”gen wie Krbisse sein und ihre Krbisse so groá, daá man aus der Schale eines einzigen zwanzig Kanoes schneiden kann. Ich habe gesprochen. Howgh!® Mir verursachte es keine unbezahlbaren Ausgaben, ihnen diese Herrlichkeiten zu wnschen, sie aber freuten sich darber, als ob sie sie wirklich bekommen h„tten. Meine Rede war die geistreichste, die ich in meinem Leben gehalten habe, und so wurde sie denn auch mit einem Jubel aufgenommen, welcher in anbetracht der von den Indianern stets bewahrten kalten Ruhe gewiá beispiellos war. So viel hatte ihnen noch kein Mensch, am allerwenigsten ein Weiáer, gewnscht und gar schenken wollen; darum wollten die immer wiederkehrenden, anerkennenden ¯Uff, uff!® gar kein Ende nehmen. Der Fuchs drckte mir wiederholt die Hand, versicherte mich seiner Freundschaft fr alle Zeiten und riá bei seinen Howgh, Howgh den Mund so weit auf, daá es mir glckte, die Friedens- und Ingredienzienpfeife loszuwerden, indem ich sie ihm zwischen die langen, gelben Z„hne schob. Er schwieg sofort, um den Inhalt in denkbarer [dankbarer] Sammlung weiter zu genieáen. Das war meine erste "heilige Handlung" bei den Indianern, denn das Rauchen der Friedenspfeife wird bei ihnen in Wirklichkeit als eine Feierlichkeit betrachtet, welche sehr ernste Grnde und ebenso ernste Folgen hat. Wie oft habe ich sp„ter das Kalumet rauchen mssen und bin mir dabei des Ernstes, der Wrde der Handlung voll bewuát gewesen. Hier und heut aber hatte sie mich gleich von vornherein angewidert und dann war mir bei Sams Herzen, das "wie ein Maultier am Baume hing", die Prozedur gar drollig erschienen. Meine Hand stank nach der Pfeife, und meine ganze Seele jubelte im Stillen darber, daá sie nun im Munde des H„uptlings und nicht in dem meinigen steckte. Ich zog, um selbst die Erinnerung an den Geschmack der Pfeife zu vernichten, eine Zigarre aus der Tasche und brannte sie an. Welch begierige Augen richteten da die Roten auf mich! Der Fuchs ”ffnete den Mund, daá ihm die Pfeife herausfiel; als geschulter Krieger hatte er die Geistesgegenwart, sie aufzufangen und wieder zwischen die Lippen zu - 156 - stecken, aber es war ihm anzusehen, daá ihm in diesem Augenblicke eine einzige Zigarre lieber war als tausend Friedens- und Kinnikinnikpfeifen. Da wir mit Santa F‚ in Verbindung standen, von woher wir per Ochsenwagen unsere Bedrfnisse bekamen, war es mir nicht schwer gewesen, mich mit Zigarren zu versorgen. Sie waren ziemlich billig, und ich zog diesen Genuá vor, w„hrend die Andern sich mit Brandy betranken. Ich hatte heute frh welche mitgenommen und mich, weil wir wom”glich auch erst morgen zurckkehren konnten, gleich fr zwei Tage versehen; also konnte ich den sichtlich ungeheuren Appetit der Roten stillen; ich reichte jedem von ihnen eine Zigarre hin. Der Fuchs legte die Pfeife sofort weg und brannte die seinige an; seine Leute verfuhren aber anders; sie steckten die Zigarre nicht bloá mit der Spitze in den Mund, sondern sie schoben sie ganz hinein, um sie zu kauen. Der Geschmack der Menschenkinder ist verschieden. Ein altes Wort sagt, der Eine habe ihn vorn, der Andere hinten; jetzt sah ich, daá dieses Wort wirklich wahr ist, denn die Kiowas hatten ihn hinten. Ich schwur im Stillen, ihnen nie wieder etwas zu schenken, was zum Rauchen aber nicht zum Essen da ist. Jetzt waren alle Formalit„ten erfllt und die Roten in der besten Stimmung. Sam begann also mit der Frage: ¯Meine Brder sagen, daá das Kriegsbeil zwischen ihnen und den Mescalero-Apachen ausgegraben sei. Ich weiá nichts davon. Seit wie lange ruht es nicht mehr in der Erde?® ¯Seit der Zeit, welche die Bleichgesichter zwei Wochen nennen. Mein Bruder Sam wird sich in einer abgelegenen Gegend befunden haben, so daá er es nicht erfahren konnte.® ¯Das ist richtig. Die V”lker lebten aber doch in Frieden. Was ist der Grund, daá meine Brder zu den Waffen gegriffen haben?® ¯Die Hunde von Apachen haben vier von unsern Kriegern get”tet.® ¯Wo?® ¯Am Rio Pecos.® ¯Da stehen doch nicht eure Zelte?® ¯Aber diejenigen der Mescaleros.® - 157 - ¯Was wollten eure Krieger dort?® Der Kiowa besann sich keinen Augenblick, der Wahrheit gem„á zu antworten: ¯Es zog eine Schar von unsern Kriegern aus, um des Nachts die Pferde der Mescalero-Apachen zu berfallen. Diese stinkenden Hunde aber wachten gut; sie wehrten sich und t”teten unsere tapferen M„nner. Darum ist zwischen uns und ihnen das Kriegsbeil ausgegraben worden.® Also die Kiowas hatten Pferde stehlen wollen, waren aber ertappt und vertrieben worden. Daá dabei einige ihr Leben gelassen hatten, daran waren sie selbst schuld. Dennoch sollten das die Apachen báen, welche in ihrem Rechte waren, indem sie ihr Eigentum verteidigt hatten. Am liebsten h„tte ich den Spitzbuben dies ehrlich ins Gesicht gesagt; ich ”ffnete wohl auch schon den Mund, denn Sam winkte mir warnend zu und fragte weiter: ¯Wissen die Apachen davon, daá eure Krieger gegen sie ausgezogen sind?® ¯Denkt mein Bruder, daá wir es ihnen gesagt haben? Wir fallen heimlich ber sie her, t”ten ihrer so viele, wie wir t”ten k”nnen, und nehmen dann alles mit, was wir von ihren Tieren und Sachen brauchen k”nnen.® Das war ja schrecklich! Ich konnte mich nicht enthalten, jetzt die Frage einzuwerfen: ¯Warum haben meine tapfern Brder die Pferde der Apachen haben wollen? Ich habe geh”rt, daá der reiche Stamm der Kiowas viel mehr Pferde besitzt, als seine Krieger brauchen.® Der Fuchs sah mir l„chelnd in das Gesicht und antwortete: ¯Mein junger Bruder Old Shatterhand ist ber das groáe Wasser herbergekommen und weiá also wohl noch nicht, wie die Menschen diesseits dieses Wassers denken und leben. Ja, wir haben viele Pferde; aber es kamen weiáe M„nner zu uns, welche Pferde kaufen wollten, so viele Pferde, wie wir nicht entbehren konnten. Da erz„hlten sie uns von den Pferdeherden der Apachen und sagten uns, daá sie fr ein Apachenpferd uns ebensoviel Waren und Brandy geben wrden wie - 158 - fr ein Kiowapferd. Da sind unsere Krieger fort, um Apachenpferde zu holen.® Also richtig! Wer war schuld an dem Tode der bisher Gefallenen und an dem Blutvergieáen, welches nun noch bevorstand? Weiáe Pferdeh„ndler, welche mit Brandy bezahlen wollten und die Kiowas f”rmlich auf den Pferderaub hingewiesen hatten! Ich h„tte wohl meinem Herzen Luft gemacht, aber Sam winkte mir sehr energisch zu und erkundigte sich: ¯Mein Bruder, der Fuchs, ist als Kundschafter ausgegangen?® ¯Ja.® ¯Wann folgen eure Krieger nach?® ¯Sie sind um den Ritt eines Tages hinter uns.® ¯Von wem werden sie angefhrt?® ¯Von Tangua, dem tapfern H„uptlinge selbst.® ¯Wieviel Krieger hat er bei sich?® ¯Zweimal hundert.® ¯Und ihr glaubt, die Apachen zu berraschen?® ¯Wir werden ber sie kommen, wie der Adler ber die Kr„hen, die ihn nicht gesehen haben.® ¯Mein Bruder irrt. Die Apachen wissen es, daá sie von den Kiowas berfallen werden sollen.® Der Fuchs schttelte ungl„ubig den Kopf und antwortete: ¯Woher sollten sie es wissen? Reichen ihre Ohren bis zu den Zelten der Kiowas?® ¯Ja.® ¯Ich verstehe meinen Bruder Sam nicht. Er mag mir sagen, wie er dieses Wort meint.® ¯Die Apachen haben Ohren, welche gehen und auch reiten k”nnen. Wir haben gestern zwei solche Ohren gesehen, welche bei den Zelten der Kiowas gewesen sind, um zu lauschen.® ¯Uff! Zwei Ohren? Also zwei Sp„her?® ¯Ja.® ¯Da muá ich augenblicklich zum H„uptling zurck. Wir haben nur zweihundert Krieger mitgenommen, weil wir nicht mehr brauchen, wenn die Apachen nichts ahnen. Wenn sie es aber wissen, so brauchen wir weit mehr.® ¯Meine Brder haben nicht alles reiflich berlegt. Intschu - 159 - tschuna, der H„uptling der Apachen, ist ein sehr kluger Krieger. Als er sah, daá seine Leute vier Kiowas get”tet hatten, sagte er sich, daá die Kiowas den Tod dieser Leute r„chen wrden, und machte sich auf, euch zu beschleichen.® ¯Uff, uff! Er selbst?® ¯Ja, er und sein Sohn Winnetou.® ¯Uff, auch dieser! H„tten wir das gewuát, so w„ren diese beiden Hunde gefangen worden! Sie werden nun eine ganze Menge Krieger versammeln, um uns zu empfangen. Ich muá dies dem H„uptling sagen, damit er halten bleibt und noch mehr Krieger nachkommen l„át. Werden Sam und Old Shatterhand mit mir reiten?® ¯Ja.® ¯So m”gen sie rasch ihre Pferde besteigen!® ¯Nur langsam! Ich habe vorher noch sehr notwendig mit dir zu reden.® ¯Das magst du mir unterwegs sagen.® ¯Nein. Ich werde mit dir reiten, aber nicht zu Tangua, dem H„uptlinge der Kiowas, sondern du wirst mich nach unserem Lager begleiten.® ¯Mein Bruder Sam irrt sich da sehr.® ¯Nein. H”re, was ich dir sage! Wollt ihr Intschu tschuna, den H„uptling der Apachen, lebendig fangen?® ¯Uff!® rief der Kiowa wie elektrisiert, und seine Leute spitzten die Ohren. ¯Und seinen Sohn Winnetou dazu?® ¯Uff, uff! Ist das denn m”glich?® ¯Es ist sehr leicht.® ¯Ich kenne meinen Bruder Sam, sonst wrde ich glauben, auf seiner Zunge wohne jetzt ein Scherz, den ich nicht dulden darf.® ¯Pshaw! Ich spreche im Ernste. Ihr k”nnt den H„uptling und seinen Sohn lebendig fangen.® ¯Wann?® ¯Ich glaubte, in fnf, sechs oder sieben Tagen; nun aber weiá ich, daá es viel frher geschehen kann.® ¯Wo?® ¯Bei unserm Lager.® - 160 - ¯Ich weiá nicht, wo es sich befindet.® ¯Ihr werdet es sehen, denn ihr werdet uns sehr gern hinbegleiten, wenn ihr geh”rt habt, was ich euch jetzt sagen will.® Er erz„hlte ihnen nun von unserer Sektion, von dem Zwecke derselben, gegen den sie ganz und gar nichts hatten, und dann von dem Zusammentreffen mit den beiden Apachen. Hieran fgte er die Bemerkung: ¯Ich wunderte mich, die beiden H„uptlinge allein zu sehen, und nahm an, daá sie sich auf der Bffeljagd bef„nden und sich fr kurze Zeit von ihren Kriegern getrennt h„tten. Nun aber weiá ich sehr genau, woran ich bin. Die beiden Apachen sind bei euch gewesen, um zu kundschaften. Und daá sie, die Obersten der Apachen, diesen Ritt selbst gemacht haben, ist ein sicheres Zeichen dafr, daá sie diese Sache fr h”chst wichtig halten. Nun sind sie heim. Der Ritt Winnetous wird durch die Leiche verz”gert; Intschu tschuna ist vorausgeeilt und wird, wenn es sein muá, sein Pferd totreiten, um seine Krieger schnell beisammen zu haben.® ¯Darum muá ich unsern H„uptling ebenso schnell davon benachrichtigen!® ¯Mein Bruder mag nur warten und mich aussprechen lassen! Die Apachen werden nach zweierlei Rache drsten, nach Rache an euch und nach Rache an uns, wegen der Ermordung ihres weiáen Klekih-petra. Sie werden eine gr”áere Schar gegen euch und eine kleinere gegen uns senden, und bei der letzteren wird sich der H„uptling mit seinem Sohne befinden, um dann mit ihm, wenn er uns berfallen hat, zu der gr”áeren Abteilung zu stoáen. Du reitest jetzt zu deinem H„uptlinge, nachdem ich dir unser Lager gezeigt habe, damit du es sp„ter finden kannst, und sagst ihm alles, was ich dir erz„hlt habe. Darauf kommt ihr mit euren zweihundert Kriegern zu uns, um Intschu tschuna mit seiner kleinen Schar zu erwarten und gefangen zu nehmen. Ihr seid zweihundert Krieger, und er wird nicht mehr als h”chstens fnfzig mitbringen. Wir z„hlen zwanzig weiáe M„nner und werden euch natrlich helfen; es wird euch also kinderleicht sein, die Apachen zu berw„ltigen. Wenn ihr dann die beiden H„uptlinge in den H„nden habt, ist dies grad so gut, als ob - 161 - der ganze Stamm euch geh”rte, und ihr k”nnt fordern und verlangen, was ihr wollt. Sieht mein Bruder dies alles ein?® ¯Ja. Der Plan meines Bruders Sam ist sehr gut. Wenn der H„uptling ihn erf„hrt, wird er sich freuen, und wir werden schnell danach handeln.® ¯So wollen wir aufbrechen und schnell reiten, damit wir noch vor Nacht das Lager erreichen!® Wir stiegen auf die Pferde, die nun ausgeruht hatten, und flogen im Galopp davon. Diesmal hteten wir uns, der F„hrte wieder direkt zu folgen; wir ritten geradeaus und ersparten uns also die Umwege. Ich muá sagen, daá ich von Sams Verhalten gar nicht erbaut war, sondern mich vielmehr ber dasselbe „rgerte. Winnetou, der edle Winnetou sollte mit seinem Vater und mit einer Schar von wohl fnfzig Kriegern in eine Falle gelockt werden! Wenn dies gelang, dann waren diese beiden und ihre Apachen verloren. Wie hatte Hawkens dies nur vorschlagen k”nnen! Er wuáte ja, wie sympathisch mir Winnetou war, denn ich hatte es ihm gesagt, und ich wiederum wuáte von ihm, daá er dem jungen Apachenh„uptlinge auch gewogen war. Alle meine Bemhungen, unterwegs an ihn zu kommen und ihn fr auch nur kurze Zeit von den Kiowas abzubringen, waren vergeblich. Ich wollte ihn, ohne daá sie es h”rten, von seinem Plane weg- und auf einen andern fhren; aber er schien dies zu ahnen und wich nicht von der Seite des Anfhrers der Kundschafter. Dies machte mich noch zorniger auf ihn, und wenn ich, der ich nicht die geringste Anlage zur Launenhaftigkeit besitze, jemals bei schlechter Laune gewesen bin, so war es an jenem Tage, als wir in der D„mmerung im Lager ankamen. Ich stieg vom Pferde, schirrte es ab und legte mich miámutig ins Gras, denn ich muáte einsehen, daá ich es jetzt zu einem Meinungsaustausch mit Sam nicht bringen k”nne. Er hatte alle meine Winke unbeachtet gelassen und erz„hlte jetzt den Lagergenossen, wie wir den Kiowas begegnet waren und was nun geschehen sollte. Sie waren anfangs ber das Erscheinen der Indianer erschrocken gewesen; um so mehr freuten sie sich nun, als sie h”rten, daá diese unsere Freunde und Ver- - 162 - bndete [Verbndete] seien und wir nun wegen der Apachen nicht l„nger Sorge zu hegen brauchten. Wir konnten, von den zweihundert Kiowas umgeben und beschtzt, unsere Arbeit fortsetzen und berzeugt sein, daá der erwartete Ueberfall uns gar nichts schaden werde. Die Kiowas wurden gastlich behandelt, bekamen tchtig B„renfleisch zu essen und ritten dann fort. Sie wollten die ganze Nacht unterwegs sein, um den Ihrigen die Botschaft so bald wie m”glich zu bringen. Dann erst, als sie fort waren, kam Sam zu mir, legte sich neben mich hin und sagte in seinem gew”hnlichen berlegenen Tone: ¯Ihr macht heut abend gar kein gutes Gesicht, Sir. Muá eine St”rung zugrunde liegen, entweder der Verdauung oder der seelischen Eingeweide, hihihihi. Welches von beiden wird wohl das richtige sein. Glaube, das letztere. Nicht?® ¯Allerdings!® antwortete ich nicht eben freundlich. ¯So taut Euer Herz auf, und sagt mir, woran es ist! Werde Euch kurieren.® ¯Sollte mir lieb sein, wenn Ihr das k”nntet, Sam; zweifle aber daran.® ¯Ich kann es, ich kann es; darauf drft Ihr Euch verlassen.® ¯So sagt einmal, Sam, wie Euch Winnetou gefallen hat?® ¯Ausgezeichnet. Euch doch auch!® ¯Und Ihr wollt ihn in das Verderben strzen! Wie h„ngt das zusammen?® ¯Ins Verderben? Ich ihn? Das ist dem Sohne meines Vaters gar nicht eingefallen.® ¯Aber er soll gefangen werden!® ¯Allerdings.® ¯Und das wird sein Verderben sein!® ¯Glaubt doch nicht an Gespenster, Sir! Winnetou gef„llt mir so, daá ich, wenn er sich in einer Gefahr bef„nde, sofort und gern mein Leben wagen wrde, ihn aus derselben zu befreien.® ¯Warum aber lockt Ihr ihn da in die Falle?® ¯Um uns vor ihm und seinen Apachen zu retten.® ¯Und dann?® - 163 - ¯Dann, hm! Ihr m”chtet Euch wohl zu gern dieses jungen Apachen annehmen, Sir?® ¯Ich m”chte nicht bloá, sondern ich werde es wirklich tun! Wenn er gefangen wird, werde ich ihn befreien. Und wenn etwa gar die Waffen gegen ihn gebraucht werden sollen, so stelle ich mich auf seine Seite und k„mpfe fr ihn. Das will ich Euch offen und ehrlich sagen.® ¯So? Das werdet Ihr tun? Wirklich?® ¯Ja; ich habe es einem Sterbenden in die Hand versprochen, und ein solches Gel”bnis ist mir, der ich selbst ein einfaches, gew”hnliches Versprechen nie breche, so heilig wie ein Eid.® ¯Freut mich, freut mich sehr. Stimmen da ganz genau berein, wir beide.® ¯Aber,® dr„ngte ich nun ungeduldig, ¯so sagt mir doch, wie diese Eure sch”nen Reden mit Euern b”sen Vors„tzen in Einklang gebracht werden k”nnen!® ¯Das also m”chtet Ihr wissen? Hm, ja, Euer alter Sam Hawkens hat gar wohl bemerkt, daá Ihr unterwegs gern mit ihm reden wolltet. Durfte aber nicht sein; h„tte mir meinen ganzen, sch”nen Plan zu Schanden machen k”nnen. Bin ein ganz anderer Kerl und meine es auch ganz anders, als es scheint. Will nur nicht jeden in meine Karte gucken lassen, hihihihi! Euch kann ich es mitteilen; werdet mir mithelfen, und Dick Stone und Will Parker auch, wenn ich mich nicht irre. Also: Wie ich Intschu tschuna beurteile, ist er nicht etwa mit Winnetou einstweilen bloá auf Kundschaft gewesen, sondern hat inzwischen rsten und seine Krieger ausrcken lassen. Die sind jedenfalls schon ein tchtiges Stck vorgedrungen, und da er, wie auch Winnetou, die ganze Nacht hindurch reitet, vermute ich, daá er schon morgen frh oder Vormittag auf sie trifft, sonst wrde er sein Pferd nicht so anstrengen. Uebermorgen abend kann er dann schon wieder hier sein. Da seht Ihr, in welcher Gefahr wir uns befinden und wie nahe sie uns ist. Wie gut also, daá wir ihm nachgeritten sind! Ich h„tte ihn auf keinen Fall so bald zurckerwartet. Und wie gut, daá wir die Kiowas getroffen und von ihnen alles erfahren haben! Die holen ihre zweihundert Reiter her und ® - 164 - ¯Ich werde Winnetou vor den Kiowas warnen,® fiel ich ihm in die Rede. ¯Um des Himmels willen nicht!® rief er aus. ¯Das wrde uns nur schaden, denn die Apachen entk„men und wir behielten sie dann trotz der Kiowas auf dem Nacken. Nein, sie mssen wirklich gefangen genommen werden und ihren Tod vor Augen sehen. Wenn wir sie dann heimlich befreien, so mssen sie uns dankbar sein und ihre Rache aufgeben. H”chstens werden sie nur Rattlern von uns fordern und den wrde ich ihnen nicht verweigern. Was sagt Ihr nun, Ihr zorniger Gentleman?® Ich reichte ihm die Hand und antwortete: ¯Ich bin vollst„ndig beruhigt, mein lieber Sam; das habt Ihr sehr gut ausgedacht!® ¯Nicht wahr? Der Sam Hawkens soll zwar, wie ein gewisser jemand gesagt hat, Feldm„use fressen, aber er hat auch seine guten Seiten, hihihihi! Also, Ihr seid mir wieder gut?® ¯Ja, alter Sam.® ¯So legt Euch auf die Ohren und schlaft bald ein. Morgen gibt es viel zu tun. Ich will nun Stone und Parker unterrichten, damit auch sie wissen, woran sie sind.® War er nicht ein lieber, guter Kerl, dieser alte Sam Hawkens? Uebrigens wenn ich "alt" sage, so ist das nicht ganz w”rtlich zu nehmen. Er z„hlte gar nicht viel ber vierzig Jahre; aber der Bartwald, welcher sein Gesicht fast ganz bedeckte, die schreckliche Nase, welche wie ein Aussichtsturm aus demselben hervorragte, und der wie aus steifen Brettern zusammengenagelte Lederrock, welchen er trug, lieáen ihn viel „lter erscheinen, als er war. Ueberhaupt wird eine Bemerkung ber das Wort old, alt, hier am Platze sein. Auch wir Deutschen bedienen uns dieses Wortes nicht bloá zur Bezeichnung des Alters, sondern oft auch als sogenanntes Kosewort. Eine "alte, gute Haut", ein "alter, guter Kerl" braucht gar nicht alt zu sein; man h”rt im Gegenteile oft sehr jugendliche Personen so nennen. Und auch noch eine andere Bedeutung hat dieses Wort. Es kommen im gew”hnlichen Verkehre Ausdrcke vor wie: ein alter Ldrian, - 165 - ein alter Brummb„r, ein alter Wortf„nger, ein alter Faselhans. Hier dient "alt" als Bekr„ftigungs- oder gar als Steigerungswort. Die Eigenschaft, welche durch das Hauptwort ausgedrckt wird, soll noch besonders best„tigt oder als in h”herem Grade vorhanden hervorgehoben werden. Grad so wird auch im wilden Westen das Wort Old gebraucht. Einer der berhmtesten Prairiej„ger war Old Firehand. Nahm er seine Bchse einmal in die Hand, so war das Feuer derselben stets todbringend; daher der Kriegsname Feuerhand. Das vorangesetzte Old sollte diese Treffsicherheit besonders hervorheben. Auch dem Namen Shatterhand, den ich bekommen hatte, wurde sp„ter stets dieses Old beigegeben. Nachdem Sam sich entfernt hatte, versuchte ich, zu schlafen, doch brachte ich es lange nicht dazu. Die Lagergenossen waren ganz glcklich ber das bevorstehende Eintreffen der Kiowas und behandelten dasselbe in einem so lauten Gespr„che, daá es eine Kunst war, dabei einzuschlafen; auch lieáen mich meine eigenen Gedanken nicht zur Ruhe kommen. Hawkens hatte so zuversichtlich von seinem Plane gesprochen, als ob ein Miálingen desselben vollst„ndig ausgeschlossen sei; ich aber vermochte es nicht, mich dieser Meinung beizugesellen. Wir wollten Winnetou und seinen Vater befreien. Ob auch die andern gefangenen Apachen, das war nicht gesagt worden. Sollten sie in den H„nden der Kiowas bleiben, w„hrend ihre beiden H„uptlinge gerettet wurden? Das kam mir wie ein Unrecht vor. Aber die Befreiung s„mtlicher Apachen konnte uns vier M„nnern wohl schwer oder gar nicht gelingen, besonders da es so heimlich geschehen muáte, daá kein Verdacht auf uns fallen konnte. Und auf welche Weise wrden die Apachen in die H„nde der Kiowas geraten? So fragte ich mich. Ohne Kampf wohl nicht, und da war vorauszusehen, daá gerade die beiden, welche wir retten wollten, sich am tapfersten wehren und also der Todesgefahr am meisten ausgesetzt sein wrden. Wie konnten wir das verhindern? Wenn sie sich nicht berw„ltigen, nicht gefangen nehmen lieáen, so wrden sie, wie vorauszusehen war, von den Kiowas get”tet; dies durfte aber auf keinen Fall geschehen. Ich sann lange darber nach und w„lzte mich hin und her, ohne einen Ausweg zu finden. Der einzige Gedanke, welcher - 166 - mich schlieálich einigermaáen beruhigte, war der, daá der kleine, listige Sam wohl Rettung finden werde. Auf alle F„lle aber nahm ich mir vor, fr die beiden H„uptlinge einzutreten und sie n”tigenfalls sogar mit meinem K”rper zu decken. Dann schlief ich endlich ein. Am n„chsten Morgen beteiligte ich mich mit doppeltem Eifer an der Arbeit, weil ich gestern bei derselben gefehlt hatte. Da jeder sich Mhe gab, so rckten wir viel schneller vorw„rts als sonst. Rattler hielt sich fern von uns. Er bummelte besch„ftigungslos hin und her, wurde aber von seinen "Westm„nnern" ganz freundlich behandelt, als ob gar nichts vorgekommen w„re. Dies brachte mich zu der Ueberzeugung, daá wir, falls es noch einmal zu einem Konflikt mit ihm kommen sollte, wenig auf sie rechnen k”nnten. Am Abende hatten wir, obgleich das Terrain heut schwieriger als w„hrend der letzten Tage gewesen war, eine fast doppelt so lange Strecke als sonst vermessen. Darum wurden wir sehr ermdet und legten uns nach dem Abendessen zeitig schlafen. Das Lager war natrlich weiter vorgeschoben worden. Am n„chsten Tage waren wir ebenso fleiáig, bis es zu Mittag eine St”rung gab, es stellten sich n„mlich die Kiowas ein. Ihre Kundschafter hatten sich von dem Lagerplatze, an welchem sie bei uns gewesen waren, leicht zu uns finden k”nnen, weil die Spuren, welche wir zurckgelassen hatten, mehr als deutlich waren. Diese Indianer zeigten kr„ftige, kriegerische Gestalten; sie waren sehr gut beritten und alle ohne Ausnahme mit Gewehr, Messern und Tomahawks bewaffnet. Ich z„hlte ber zweihundert Mann. Ihr Anfhrer war von wirklich imposantem Wuchse, hatte strenge, finstere Gesichtszge und ein paar Raubtieraugen, denen nichts Gutes zuzutrauen war. Es sprach die offenbarste Raub- und Kampfeslust aus ihnen. Er hieá Tangua, ein Wort, welches w”rtlich H„uptling bedeutet. Daraus war zu schlieáen, daá er als H„uptling jedenfalls keinen Vergleich zu scheuen brauche. Wenn ich sein Gesicht und seine Augen sah, so wollte es mir um Intschu tschuna und Winnetou, falls sie wirklich in seine H„nde geraten sollten, angst und bange werden. - 167 - Er kam als unser Freund und Verbndeter, verhielt sich aber keineswegs sehr freundlich gegen uns. Sein Auftreten war, um mich eines Vergleiches zu bedienen, dasjenige eines Tigers, der sich mit einem Leoparden zur Jagd vereint, um ihn nach derselben auch mit aufzufressen. Er hatte sich mit dem "Fuchse", dem Anfhrer seiner Kundschafter, an der Spitze der roten Schar befunden und stieg, als er bei uns anlangte, nicht etwa ab, um uns zu begráen, sondern machte eine befehlende Armbewegung, auf welche wir von seinen Leuten umzingelt wurden. Dann ritt er zu unserm Wagen und hob die Plane auf, um hineinzublicken. Der Inhalt schien ihn anzuziehen, denn er stieg vom Pferde und in den Wagen, um das, was sich auf und in demselben befand, zu untersuchen. ¯Oho!® meinte da Sam Hawkens, welcher an meiner Seite stand. ¯Der scheint uns und unser Eigentum als gute Beute zu betrachten, ehe er berhaupt ein Wort mit uns gesprochen hat, wenn ich mich nicht irre. Wenn er etwa glaubt, daá Sam Hawkens so dumm ist, sich den Bock als G„rtner zu bestellen, so irrt er sich. Das werde ich ihm gleich zeigen.® ¯Keine Unvorsichtigkeit, Sam!® bat ich. ¯Diese zweihundert Kerls sind uns berlegen.® ¯An Zahl, ja, an Witz aber jedenfalls nicht, hihihihi!® antwortete er. ¯Aber sie haben uns umzingelt!® ¯Well, das sehe ich auch. Oder denkt Ihr, daá ich keine Augen habe? Wir haben uns da, wie es scheint, keine guten Helfershelfer kommen lassen. Daá er uns eingeschlossen hat, l„át vermuten, daá er uns mitsamt den Apachen in die Tasche stecken oder gar auffressen will. Dieser Bissen sollte ihm aber schwer im Magen liegen; das versichere ich Euch. Kommt mit hin zum Wagen, damit Ihr h”rt, wie Sam Hawkens mit solchen Spitzbuben redet! Bin ein guter Bekannter von Tangua und er weiá, wenn er mich auch nicht schon gesehen h„tte, ganz genau, daá ich mich hier befinde. Sein Verhalten ist also nicht nur „rgerlich fr mich, sondern Verdacht erregend fr uns alle. Seht nur die martialischen Gesichter, welche seine Kerls auf uns machen! Werde ihnen gleich zeigen, daá Sam Hawkens hier am Platze ist. Also kommt!® - 168 - Wir hatten unsere Gewehre in den H„nden und gingen zu dem Wagen, in welchem Tangua herumst”berte. Mir war nicht ganz wohl dabei. Dort angekommen, fragte Sam in warnendem Tone: ¯Hat der berhmte H„uptling der Kiowas Lust, in einigen Augenblicken in die ewigen Jagdgrnde zu gehen?® Der Gefragte, welcher uns den Rcken zukehrte, richtete sich aus seiner gebckten Haltung auf, drehte sich zu uns herum und antwortete grob: ¯Warum st”ren mich die Bleichgesichter mit dieser albernen Frage? Tangua wird einst in den ewigen Jagdgrnden als groáer H„uptling herrschen; aber es muá noch eine lange Zeit vergehen, ehe er den Weg dorthin macht.® ¯Diese Zeit wird vielleicht nur eine Minute sein.® ¯Warum?® ¯Steig herab vom Wagen, so werde ich es dir sagen; aber mach ja schnell!® ¯Ich bleibe hier!® ¯Gut, so flieg in die Luft!® Sam wendete sich nach diesen Worten ab und tat so, als ob er sich entfernen wolle. Da aber kam der H„uptling mit einem raschen Sprunge vom Wagen herunter, faáte ihn am Arme und rief: ¯In die Luft fliegen? Warum redet Sam Hawkens solche Worte?® ¯Um dich zu warnen.® ¯Vor was?® ¯Vor dem Tod, der dich ergriffen h„tte, wenn du nur noch einige Augenblicke da oben geblieben w„rest.® ¯Uff! Der Tod ist auf dem Wagen?® ¯Ja.® ¯Wo? Zeige ihn mir!® ¯Sp„ter vielleicht. Haben dir deine Kundschafter nicht gesagt, weshalb wir uns hier befinden?® ¯Ich habe es von ihnen erfahren. Ihr wollt einen Weg fr das Feuerroá der Bleichgesichter bauen.® ¯Richtig! So ein Weg geht ber Flsse und Abgrnde - 169 - und durch Felsen, welche wir auseinander sprengen. Ich denke, daá du das wissen wirst.® ¯Ich weiá es. Aber was hat das mit dem Tode zu tun, der mich bedroht haben soll?® ¯Sehr viel, und weit mehr als du ahnst. Hast du vielleicht geh”rt, womit wir die Felsen sprengen, welche dem Pfade unseres Feuerrosses im Wege stehen? Etwa mit dem Pulver, mit welchem ihr aus euern Gewehren schieáet?® ¯Nein. Die Bleichgesichter haben eine andere Erfindung gemacht, mit welcher sie ganze Berge zersprengen k”nnen.® ¯Richtig! Und diese Erfindung haben wir hier auf diesem Wagen. Sie ist zwar gut eingepackt, aber wer nicht weiá, wie so ein Paket angefaát werden soll, der ist verloren, sobald er es berhrt, denn es zerplatzt in seiner Hand und zerschmettert ihn in tausend kleine Stcke.® ¯Uff, uff!® rief er aus, nun sichtlich erschrocken. ¯Bin ich diesen Paketen nahe gewesen?® ¯So nahe, daá du, wenn du nicht herabgesprungen w„rest, dich jetzt in diesem Augenblicke schon in den ewigen Jagdgrnden bef„ndest. Aber was w„re da von dir zu sehen? Keine Medizin, keine Skalplocke, nichts, gar nichts als nur kleine Fleisch- und Knochenstcke. Wie k”nntest du in solcher Gestalt als groáer H„uptling in den ewigen Jagdgrnden herrschen? Deine Ueberreste w„ren dort von den Geisterrossen vollends zermalmt und zertreten worden.® Ein Indianer, welcher ohne Skalplocke und Medizin in die ewigen Jagdgrnde gelangt, wird dort von den verstorbenen Helden mit Verachtung empfangen und hat, w„hrend sie in allen indianischen Genssen schwelgen, sich vor den Augen dieser Glcklichen zu verbergen. Das ist der Glaube der Roten. Welches Unglck erst, in kleinen, auseinander geschmetterten Stcken dort anzukommen! Man sah trotz der dunkeln Farbe, daá dem H„uptlinge vor Schreck das Blut aus dem Gesichte wich, und er rief aus: ¯Uff! Wie gut, daá du es mir noch zur rechten Zeit gesagt hast! Aber warum verwahrt ihr diese Erfindung auf dem Wagen, auf dem sich doch viele andere und so ntzliche Dinge befinden?® - 170 - ¯Sollen wir diese wichtigen Pakete etwa auf die Erde legen, wo sie verderben und bei der geringsten Berhrung das gr”áte Unheil anrichten k”nnen? Ich sage dir, sie sind selbst auf dem Wagen da gef„hrlich genug. Wenn so ein Paket platzt, fliegt alles in die Luft, was sich in der N„he befindet.® ¯Auch die Menschen?® ¯Natrlich auch die Menschen und die Tiere in einem Umkreise, welcher zehnmal hundert Pferdel„ngen betr„gt.® ¯Da muá ich meinen Kriegern sagen, daá keiner von ihnen sich diesem gef„hrlichen Wagen n„hern soll.® ¯Tue das; ich bitte dich darum, damit wir nicht alle zusammen wegen einer Unvorsichtigkeit zu Grunde gehen mssen! Du siehst, wie besorgt ich fr euch bin, weil ich denke, daá die Krieger der Kiowas unsere Freunde sind. Es scheint aber, daá ich mich geirrt habe. Wenn Freunde sich treffen, so begráen sie sich und rauchen die Pfeife des Friedens miteinander. Willst du das heute etwa unterlassen?® ¯Du hast doch schon mit dem Fuchse, meinem Sp„her, die Pfeife geraucht!® ¯Nur ich und der weiáe Krieger, der hier neben mir steht, die andern aber nicht. Willst du diese nicht auch begráen, so muá ich annehmen, daá eure Freundschaft fr uns keine aufrichtige ist.® Tangua sah eine Weile sinnend vor sich nieder und antwortete dann mit einer Ausrede: ¯Wir befinden uns auf einem Kriegszuge und haben also nicht den Kinnikinnik des Friedens bei uns.® ¯Der Mund des H„uptlings der Kiowas redet anders als sein Herz denkt. Ich sehe den Beutel des Kinnikinnik da an deinem Grtel h„ngen, und er scheint voll zu sein. Wir brauchen ihn nicht, denn wir haben selbst Tabak genug bei uns. Es brauchen sich ja nicht alle am Calumet zu beteiligen; du rauchest fr dich und deine Krieger, und ich rauche fr mich und die hier anwesenden Weiáen; dann gilt der Freundschaftsbund fr alle M„nner, welche sich hier befinden.® ¯Warum sollen wir beide rauchen, die wir doch schon Brder sind! Sam Hawkens mag annehmen, wir h„tten das Calumet fr alle geraucht.® - 171 - ¯Ganz wie du willst! Aber dann werden wir tun, was uns beliebt, und du wirst die Apachen nicht in deine Gewalt bekommen.® ¯Willst du sie etwa warnen?® fragte Tangua, indem seine Augen gef„hrlich aufblitzten. ¯Nein; das f„llt mir nicht ein, den sie sind unsere Feinde und wollen uns t”ten. Aber ich werde dir nicht sagen, auf welche Weise du sie fangen kannst.® ¯Dazu brauche ich dich nicht; ich weiá es selbst.® ¯Oho! Ist dir bekannt, wann und aus welcher Richtung sie kommen und wo wir auf sie treffen k”nnen?® ¯Ich werde es erfahren, denn ich sende ihnen Kundschafter entgegen.® ¯Das wirst du nicht tun, denn du bist klug genug, dir zu sagen, daá die Apachen die Spuren deiner Kundschafter finden und sich auf den Kampf vorbereiten wrden. Sie wrden jeden Schritt mit gr”áter Vorsicht tun, und da fragt es sich sehr, ob du sie in deine H„nde bek„mst, w„hrend sie nach dem Plane, den ich ausfhren will, ganz unvorbereitet von euch eingeschlossen und gefangen genommen werden k”nnen, wenn ich mich nicht irre.® Ich sah, daá diese Darlegung ihren Eindruck nicht verfehlte. Tangua erkl„rte nach einer kurzen Pause des Nachdenkens: ¯Ich werde mit meinen Kriegern sprechen.® Darauf entfernte er sich von uns. Er ging zu dem Fuchse, winkte noch einige Rote zu sich hin, und dann sahen wir, wie sie sich berieten. ¯Damit, daá er erst mit den Kerlen reden will, gibt er zu, daá er in Beziehung auf uns nichts Gutes im Schilde fhrte,® sagte Sam. ¯Das ist schlecht von ihm, da Ihr sein Freund seid und ihm nichts getan habt,® antwortete ich. ¯Freund? Was nennt Ihr Freund bei diesen Kiowas! Sie sind Spitzbuben und leben nur vom Raube. Man ist nur so lange ihr Freund, als sie einem nichts nehmen k”nnen. Hier aber haben wir einen Wagen voll Viktualien und sonstigen Dingen, welche fr die Roten groáen Wert besitzen. Das haben - 172 - die Kundschafter ihrem Anfhrer gesagt, und von diesem Augenblicke an war es beschlossene Sache, daá wir ausgeraubt werden sollten.® ¯Und nun?® ¯Nun? Hm, nun sind wir sicher.® ¯Wenn es wahr w„re, sollte es mich freuen.® ¯Ich denke, daá es wahr ist. Ich kenne diese Leute. Brillanter Gedanke von mir, diesem Kerl weiszumachen, daá wir so eine Art Giantpowder hier auf dem Wagen haben, hihihihi! Er sah alles, was sich darauf befand, schon als gute, sichere Prise an; sein erster Schritt war ja gleich hinauf. Jetzt bin ich berzeugt, daá kein Roter es wagen wird, etwas davon anzurhren. Ja, ich hoffe sogar, daá uns diese Furcht auch noch sp„terhin von Nutzen sein wird. Werde mir eine Bchse mit Oelsardinen einstecken und ihnen weismachen, daá sie einen Sprengstoff enthalte. Ihr habt ja auch schon eine bei Euch, mit den Papieren drin. K”nnt Euch das fr zuknftige F„lle merken.® ¯Sch”n! Will hoffen, daá es dann auch die beabsichtigte Wirkung hat. Was meint Ihr nun aber hinsichtlich der Friedenspfeife?® ¯Da war freilich ausgemacht, daá sie nicht geraucht werden sollte; nun aber denke ich, daá die Kerle sich anders besinnen werden. Mein Argument hat dem H„uptlinge eingeleuchtet und wird auch die andern berzeugen. Aber trauen drfen wir ihnen trotzdem sp„ter nicht.® ¯Da seht Ihr, Sam, daá ich vorgestern doch einigermaáen recht hatte. Ihr wolltet Euern Plan mit Hilfe der Kiowas ausfhren und habt dadurch Euch und uns in ihre Gewalt gebracht. Ich bin neugierig, was daraus werden wird!® ¯Nichts anderes als das, was ich erwarte; darauf k”nnt Ihr Euch verlassen. Der H„uptling wollte uns freilich ausrauben und dann die Apachen auf eigene Faust empfangen. Nun aber muá er einsehen, daá sie zu schlau sind, sich in seiner Weise fangen und niedermetzeln zu lassen. Wie ich ihm selbst gesagt habe, wrden sie die Spuren seiner Kundschafter, die er ihnen entgegenschicken máte, entdecken, und dann k”nnte er warten, bis sie ihm wie blinde Prairiehhner in die H„nde - 173 - liefen. Jetzt sind sie fertig und er kommt. Nun wird es sich entscheiden.® Die Entscheidung sahen wir schon, ehe er sich uns ganz gen„hert hatte, denn auf einige Zurufe des "Fuchses" zog sich der Kreis der Roten, von dem wir umgeben gewesen waren, auseinander und die Reiter stiegen von ihren Pferden. Wir waren also nicht mehr umzingelt. Tangua zeigte jetzt eine weniger finstere Miene als vorher: ¯Ich habe mich mit meinen Kriegern beraten,® sagte er. ¯Sie sind mit mir einverstanden, daá ich das Calumet mit meinem Bruder Sam rauche; das soll dann fr alle gelten.® ¯Das habe ich erwartet, denn du bist nicht nur ein tapferer, sondern auch ein kluger Mann. Die Krieger der Kiowas m”gen einen Halbkreis bilden und Zeugen sein, daá wir miteinander den Rauch des Friedens und der Freundschaft austauschen.® So geschah es. Tangua und Sam Hawkens rauchten das Calumet unter den bereits kurz beschriebenen Zeremonien, und dann gingen wir Weiáen alle von einem Roten zum andern, um ihm die Hand zu geben. Hierauf konnten wir annehmen, daá sie wenigstens fr heut und die n„chsten Tage keine feindseligen Absichten mehr gegen uns hegten. Wie und was sie sp„ter denken und tun wrden, das konnten wir freilich nicht wissen. Wenn ich gesagt habe, das Calumet oder die Friedenspfeife rauchen, so bediene ich mich des bei uns gebr„uchlichen Ausdruckes. Der Indianer sagt n„mlich nicht Tabak rauchen, sondern Tabak trinken. Er trinkt ihn eigentlich auch, denn wenn er nach indianischer Weise raucht, so schluckt er den Rauch hinunter, sammelt ihn im Magen an und gibt ihn dann in einzelnen, langsamen St”áen wieder von sich. Hierin stimmt er eigentmlicherweise mit dem Trken berein, welcher auch nicht "Tabak rauchen" sagt. Tabak heiát im Trkischen ttn, Tabak oder Pfeife rauchen "ttn" oder "tschibuk itschmek"; itschmek aber heiát nicht rauchen, sondern trinken. In wie hohem Ansehen brigens die Tabakspfeife bei den Indianern steht, erhellt aus dem Umstande, daá sie z. B. in - 174 - der Sprache der Jemesindianer und in allen Apachendialekten mit demselben Worte bezeichnet wird, das auch fr H„uptling steht. Im Jemes heiát H„uptling Fui und Tabakspfeife Fuitschasch, im Apache H„uptling Natan und Tabakspfeife Natan-ts‚. Dieses Ts‚ als Endung bedeutet Stein und zeigt ebensowohl auf irdene, gebrannte Pfeifen als auch auf solche hin, deren Kopf aus Stein gefertigt ist. Der Kopf einer jeden Pfeife, welche als Calumet benutzt wird, soll aus dem heiligen Ton geschnitten sein, dessen Fundort in Dakota liegt. Nach der Herstellung dieses, wenigstens einstweiligen, guten Einvernehmens verlangte Tangua das Abhalten einer groáen Beratung, an welcher alle Weiáen teilnehmen sollten. Dies war mir unlieb, denn es hielt uns von der Arbeit ab, die doch so notwendig war. Darum bat ich Sam, dahin zu wirken, daá diese Beratung fr den Abend aufgehoben werde, denn ich hatte gelesen und geh”rt, daá, wenn die Roten sich einmal bei einem solchen Palaver befinden, dieses, wenn keine Gefahr zum Schlusse desselben treibt, fast kein Ende zu nehmen pflegt. Hawkens sprach mit dem H„uptlinge und berichtete mir dann: ¯Er geht als echter Indsman nicht von seinem Willen ab. Die Apachen sind noch lange nicht zu erwarten, und so verlangt er eine Sitzung, in welcher ich meinen Plan entwickeln und nach welcher jedenfalls tchtig gegessen werden soll. Vorrat haben wir ja, und die Kiowas haben auch ged”rrtes Fleisch genug auf ihren Packpferden mitgebracht. Glcklicherweise habe ich so viel erreicht, daá nur ich, Dick Stone und Will Parker teilzunehmen brauchen; ihr Andern sollt an eure Arbeit gehen drfen.® ¯Drfen? Als ob wir dazu die Erlaubnis der Indsmen n”tig h„tten! Ich werde mich so gegen sie verhalten, daá sie erkennen, ich betrachte mich als vollst„ndig unabh„ngig von ihnen.® ¯Macht mir keinen Strich durch die Rechnung, Sir! Tut lieber so, als ob Ihr so etwas gar nicht merktet! Wir drfen sie nicht gegen uns aufbringen, wenn alles gut gehen soll.® ¯Aber ich m”chte an der Beratung auch teilnehmen!® ¯Ist gar nicht n”tig.® - 175 - ¯Nicht? Ich denke das Gegenteil. Ich muá doch auch wissen, was beschlossen wird!® ¯Das werdet Ihr dann sofort erfahren.® ¯Aber wenn Ihr Euch etwas vornehmt, was ich nicht gutheiáen kann?® ¯Gutheiáen? Ihr? Seht doch einmal dieses Greenhorn an! Bildet sich wahrscheinlich ein, das, was Sam Hawkens beschlieát, erst genehmigen zu mssen! Soll Euch wohl auch erst um die Erlaubnis bitten, wenn ich es fr gut halte, mir meine Fingern„gel zu beschneiden oder meine Stiefel auszubessern?® ¯So war es natrlich nicht gemeint. Ich m”chte nur sicher sein, daá nichts beschlossen wird, bei dessen Ausfhrung das Leben unserer beiden Apachen gef„hrdet ist.® ¯Was das betrifft, so k”nnt Ihr Euch auf Euren alten Sam Hawkens verlassen. Ich gebe Euch mein Wort, daá sie mit vollst„ndig heiler Haut davonkommen werden. Ist Euch das genug?® ¯Ja. Euer Wort halte ich in Ehren, denn ich denke, wenn Ihr es einmal gegeben habt, so werdet Ihr auch darauf sehen, daá es in Erfllung geht.® ¯Well! Macht Euch also an Eure Arbeit, und seid berzeugt, daá die Sache auch ohne Euch die Richtung nimmt, die sie nehmen wrde, wenn Ihr Eure Nase auch mit hineinstecken k”nntet!® Ich muáte mich fgen, denn es lag mir alles daran, unsere Vermessungen noch vor dem Zusammenstoáe mit den Apachen zu Ende zu fhren. Wir machten uns also mit abermaligem Eifer ber unsere Strecke her und kamen auáerordentlich schnell vorw„rts, denn Bancroft und seine drei anderen Untergebenen strengten alle ihre Kr„fte an. Dies hatte seinen Grund in einer Vorstellung, die ich ihnen gemacht hatte. Wenn wir nicht allen Fleiá aufwandten, so kamen die Apachen, ehe wir fertig waren, und dann konnte es uns von ihnen oder auch den Kiowas schlimm ergehen. Fhrten wir unser Werk aber vor ihrer Ankunft zu Ende, so war es uns vielleicht m”glich, uns aus dem Staube zu machen und unsere Personen und Zeichnungen in Sicherheit zu bringen. Das hatte ich ihnen vorgestellt, und darum arbeiteten sie mit einem Fleiáe und einer Ausdauer, die vorher niemals bei ihnen zu bemerken - 176 - gewesen waren. Mein Zweck war also erreicht. Im stillen aber dachte ich gar nicht daran, mich in dieser Weise aus dem Staube zu machen. Mir lag Winnetou am Herzen. Die Andern mochten tun, was sie wollten, ich aber war entschlossen, nicht eher fortzugehen, als bis ich berzeugt sein konnte, daá keine Gefahr mehr fr ihn vorhanden sei. Meine Arbeit war eigentlich eine doppelte. Ich hatte zu messen und auch Buch zu fhren und die Zeichnungen herzustellen. Das letztere tat ich im Duplikate. Ein Exemplar bekam der Oberingenieur als unser Vorgesetzter und eines fertigte ich mir heimlich an, um es fr den Fall der Not aufzuheben. Unsere Lage war eine so gef„hrliche, daá diese Vorsicht als ganz gerechtfertigt erschien. Die Beratung dauerte wirklich, wie ich es erwartet hatte, bis zum Abende; sie war grad zu Ende, als wir von der Dunkelheit gezwungen wurden, aufzuh”ren. Die Kiowas befanden sich in der vortrefflichsten Stimmung, denn Sam Hawkens hatte den Fehler oder auch die Klugheit begangen, ihnen unsern ganzen Rest von Brandy auszuh„ndigen. Sich da vorher der Einwilligung Rattlers zu versichern, war ihm wohl nicht eingefallen. Es brannten mehrere Feuer, um welche die schmausenden Roten saáen; dabei grasten die Pferde, und weiter drauáen im Dunkeln standen die Posten, welche von dem H„uptlinge ausgestellt worden waren. Ich setzte mich zu Sam und seinen unzertrennlichen Gef„hrten Parker und Stone, aá mein Abendbrot und lieá die Augen ber das Lager schweifen, welches mir, dem Neulinge, einen mir bisher unbekannten Anblick bot. Kriegerisch genug sah es aus. Indem ich eines der roten Gesichter nach dem andern betrachtete, sah ich keines, welches ich einem Feinde gegenber einer mitleidigen Regung fr f„hig gehalten h„tte. Unser Brandy hatte nur so weit gereicht, daá auf jeden nur fnf oder sechs Schluck gekommen waren; ich bemerkte also keinen Betrunkenen, aber das Feuerwasser hatte, weil sie es so selten haben konnten, doch immerhin eine aufregende Wirkung ge„uáert. Die Indsmen waren in ihren Bewegungen weit lebhafter und in ihrem Gespr„che lauter, als sie es gew”hnlich zu sein pflegen. - 177 - Natrlich erkundigte ich mich bei Sam nach dem Resultate der Beratung. ¯Ihr k”nnt zufrieden sein,® meinte er; ¯Euern beiden Lieblingen wird nichts geschehen.® ¯Aber wenn sie sich wehren?® ¯Kommen gar nicht dazu; werden berw„ltigt und gefesselt, ehe sie auf den Gedanken kommen k”nnen, daá so etwas m”glich ist.® ¯So? Wie denkt Ihr Euch denn eigentlich die Sache, alter Sam?® ¯Sehr einfach. Die Apachen kommen auf einem ganz bestimmten Wege. K”nnt Ihr den vielleicht erraten, Sir?® ¯Ja. Sie werden natrlich zun„chst dorthin gehen, wo sie uns getroffen haben und dann unsern Spuren weiter folgen.® ¯Richtig! Ihr seid wirklich nicht so dumm, wie es, wenn man Euer Gesicht betrachtet, den Anschein hat. Also das erste, was wir wissen mssen, ist uns bekannt, n„mlich die Richtung, aus welcher wir sie zu erwarten haben. Das zweitwichtigste ist die Zeit, wann sie kommen.® ¯Das kann man nicht genau berechnen, aber doch vermuten.® ¯Ja, wer Grtze genug im Kopfe hat, der kann so etwas schon vermuten; aber mit einer bloáen Vermutung ist uns nicht gedient. Wer in einer Lage, wie die unserige ist, nach Vermutungen handelt, tr„gt ganz gewiá sein Fell zu Markte. Gewiáheit ist's, volle Gewiáheit, die wir haben mssen.® ¯Die k”nnen wir nur dadurch erhalten, daá wir ihnen Kundschafter entgegenschicken, und das habt Ihr ja verp”nt, lieber Sam. Ihr seid doch der Ansicht gewesen, daá die Spuren der Sp„her uns verraten wrden.® ¯Der roten Sp„her; merkt Euch wohl, der roten, Sir! Daá wir hier sind, das wissen die Apachen, und wenn sie auf die F„hrte eines weiáen Mannes treffen, kann das in ihnen kein Miátrauen erwecken. F„nden sie aber die Stapfen von Indianern, so w„re das etwas ganz anderes; sie wrden gewarnt sein und sich ungeheuer in acht nehmen. Da Ihr so ein ausnehmend gescheiter Kopf seid, k”nnt Ihr Euch ja denken, was sie vermuten wrden.® - 178 - ¯Daá Kiowas in der N„he sind?® ¯Ja, habt's wirklich erraten! Wenn ich meine alte Percke nicht gar so sehr schonen máte, wrde ich vor allerhand Hochachtung jetzt den Hut vor Euch abnehmen. Denkt Euch hiermit, daá es geschehen ist!® ¯Danke, Sam! Ich will hoffen, daá diese Hochachtung sich nicht im Sande verl„uft. Doch weiter! Ihr meint also, daá wir den Apachen nicht rote, sondern weiáe Sp„her entgegenschicken werden?® ¯Ja, aber nicht mehrere, sondern nur einen.® ¯Ist das nicht zu wenig?® ¯Nein, denn dieser eine ist ein Kerl, auf den man sich verlassen kann; heiát n„mlich Sam Hawkens, wenn ich mich nicht irre, und pflegt Feldm„use zu fressen, hihihihi! Kennt Ihr diesen Mann vielleicht, Sir?® ¯Ja,® nickte ich. ¯Wenn der allerdings die Sache bernimmt, so k”nnen wir ohne Sorge sein. Er wird sich von den Apachen nicht erwischen lassen.® ¯Nein, erwischen nicht, aber sehen.® ¯Was? Sie sollen Euch sehen?® ¯Ja.® ¯Da fangen oder t”ten sie Euch!® ¯F„llt ihnen gar nicht ein; sind viel zu klug dazu. Ich richte es so ein, daá sie mich sehen mssen, damit sie nicht auf den Gedanken kommen, daá Andere zu uns gestoáen sind. Und wenn ich so recht gemtlich vor ihren Augen umherspaziere, so werden sie meinen, wir fhlen uns so sicher wie im Schoáe Abrahams. Tun werden sie mir nichts, gar nichts, weil ihr Verdacht sch”pfen mátet, wenn ich nicht ins Lager zurckkehrte. Nach ihrer Ansicht bin ich ihnen ja sp„ter sicher genug.® ¯Aber, Sam, ist es nicht m”glich, daá sie Euch sehen, aber Ihr nicht sie?® ¯Sir,® brauste er im Scherze auf, ¯wenn Ihr mir eine solche moralische Ohrfeige gebt, so ist es aus zwischen uns beiden! Ich und sie nicht sehen! Die Aeuglein von Sam Hawkens sind zwar klein, aber scharf. Die Apachen werden zwar nicht in hellen Haufen angerckt kommen, sondern einige - 179 - Kundschafter voraussenden; aber die k”nnen mir nicht entgehen, denn ich werde mich so aufstellen, daá ich sie sehen muá. Wiát Ihr, es gibt Oertlichkeiten, wo selbst der feinste Scout keine Deckung findet und heraus auf eine offene Stelle muá. Solche Orte sucht man sich aus, wenn man Kundschafter beobachten will. Sobald ich sie gesehen habe, melde ich sie Euch, damit Ihr, wenn sie dann das Lager umschleichen, Euch recht unbefangen zeigen m”gt.® ¯Dann sehen sie aber doch die Kiowas und werden dies ihrem H„uptling melden!® ¯Wen sehen sie? Die Kiowas? Mensch, Greenhorn und ehrenwerter Jngling, glaubt Ihr denn, daá das Gehirn von Sam Hawkens aus Watte oder L”schpapier bestehe, he? Ich werde dann schon dafr gesorgt haben, daá die Kiowas nicht zu sehen sind, auch keine Spur von ihnen, nicht die allergeringste Spur, verstanden! Diese unsere sehr lieben Freunde, die Kiowas, werden sich sehr gut verstecken, um im geeigneten Augenblicke hervorzubrechen. Die Kundschafter der Apachen drfen natrlich nur diejenigen Personen sehen, welche im Lager waren, als Winnetou mit seinem Vater in demselben war.® ¯Ah, das ist freilich etwas Anderes!® ¯Nicht wahr! Die Kundschafter der Apachen m”gen uns also ganz ruhig umschleichen und die Gewiáheit gewinnen, daá wir nichts B”ses ahnen. Wenn sie sich dann entfernen, schleiche ich ihnen nach, um die Ankunft der ganzen Schar zu ersp„hen. Die wird natrlich nicht am Tage kommen, sondern des Nachts, und sich unserm Lager so weit n„hern, wie m”glich ist. Dann fallen die wackern Apachen ber uns her.® ¯Und nehmen uns gefangen oder ermorden uns gar, wenigstens einige von uns!® ¯H”rt, Sir, Ihr k”nnt mir wirklich leid tun! Ihr wollt ein studierter Mann sein und wiát doch nicht einmal, daá man ausreiáen muá, wenn man sich nicht fangen lassen will! Das weiá heutzutage jeder Hase, ja sogar jenes kleine, schwarze und bissige Insekt, welches sechshundertmal h”her springt, als seine K”rperl„nge betr„gt. Und Ihr, Ihr wiát das nicht! Hm, steht das denn nicht in den vielen Bchern, die Ihr gelesen habt?® - 180 - ¯Nein, denn ein wackerer Westmann soll nicht so hoch springen, wie das Insekt, von welchem Ihr redet, sechshundertmal h”her als er ist. Ihr meint also, daá wir uns in Sicherheit bringen?® ¯Ja. Wir brennen natrlich ein Lagerfeuer an, damit sie uns recht deutlich sehen k”nnen. So lange dieses leuchtet, bleiben die Apachen sicherlich versteckt. Wir lassen es niederbrennen und machen uns, sobald es dunkel ist, davon, um die Kiowas leise und schnell herbeizuholen. Jetzt werfen sich die Apachen auf unser Lager und finden keinen Menschen, hihihihi! Sie sind natrlich ganz erstaunt und brennen das Feuer wieder an, um nach uns zu suchen. Da sehen wir sie so deutlich, wie sie uns vorher gesehen haben, und nun wird der Spieá umgedreht: sie sind es, welche berfallen werden. Welcher Schreck fr sie! Das ist ein Coup, von dem man noch lange Zeit erz„hlen wird. Und dabei wird man sagen: Sam Hawkens war's, der sich das ausgesonnen hat, wenn ich mich nicht irre.® ¯Ja, das w„re wohl recht gut, wenn es grad so und nicht anders wrde, als wie Ihr es Euch denkt.® ¯Es wird nicht anders; will schon dafr sorgen.® ¯Und aber dann? Dann lassen wir die Apachen heimlich frei?® ¯Wenigstens Intschu tschuna und Winnetou.® ¯Die andern nicht?® ¯So viel von ihnen, wie wir k”nnen, ohne daá wir uns verraten.® ¯Wie wird es dann den brigen ergehen?® ¯Gar nicht sehr schlimm, Sir; das kann ich Euch versichern. Die Kiowas werden im ersten Augenblicke weniger an diese denken als daran, die Flchtlinge wieder einzufangen. Und sollten sie sich wirklich blutgierig zeigen, so ist Sam Hawkens auch noch da. Ueberhaupt, was nachher zu geschehen hat, darber wollen wir uns die K”pfe nicht zerbrechen; wenigstens Ihr k”nnt von dem Eurigen eine bessere Anwendung machen. Was sp„ter kommt, das wird sich eben auch erst sp„ter zeigen. Jetzt haben wir uns vor allen Dingen nach einem Platze umzusehen, der fr die Ausfhrung unseres Vorhabens paát, denn nicht jeder Ort ist zu so etwas geeignet. Das werde ich morgen frh be- - 181 - sorgen [besorgen]. Gesprochen haben wir heute genug; von morgen an werden wir handeln.® Er hatte recht. Reden und weiter Pl„ne schmieden war jetzt berflssig; wir konnten hier jetzt nichts anders tun, als die Ereignisse abwarten. Die heutige Nacht war ziemlich ungemtlich. Es erhob sich ein Wind, der nach und nach zum Sturme wurde, und gegen Morgen trat eine Khle ein, welche fr diese Gegend eine Seltenheit war. Wir befanden uns ungef„hr auf der Breite von Damaskus und wurden doch von der K„lte aufgeweckt. Sam Hawkens prfte den Himmel und meinte dann: ¯Heut wird in dieser Gegend wahrscheinlich etwas geschehen, was hier sehr selten vorkommt; es wird n„mlich regnen, wenn ich mich nicht irre. Und das ist sehr vorteilhaft fr unsern Plan.® ¯Wieso?® fragte ich. ¯K”nnt Euch das nicht denken? Schauet doch umher, wie das Gras niedergelagert ist! Wenn die Apachen da vorberkommen, mssen sie doch gleich sehen, daá hier mehr Menschen und Tiere gewesen sind, als wir eigentlich z„hlen. Kommt aber ein Regen, so richtet sich das Gras rasch wieder auf, w„hrend die Spuren dieses Lagers sonst noch nach drei oder vier Tagen zu sehen w„ren. Ich werde mich mit den Roten so rasch wie m”glich davonmachen.® ¯Um eine Stelle zum Ueberfalle zu suchen?® ¯Ja. K”nnte die Kiowas zwar einstweilen hier lassen und sie dann holen, aber je eher sie fortgehen, desto eher verschwinden die Spuren. Ihr k”nnt inzwischen weiter arbeiten.® Er teilte dem H„uptling seine Absicht mit, und dieser ging auf dieselbe ein. Nach kurzer Zeit ritten die Indianer mit Sam und seinen beiden Gef„hrten fort. Es versteht sich ganz von selbst, daá der Platz, welchen er sich ausw„hlen wollte, an der Linie liegen muáte, welcher wir als Feldmesser zu folgen hatten. Das Gegenteil h„tte uns Zeit gekostet und den Apachen auffallen mssen. Wir folgten den Vorangerittenen langsam, so wie unsere Arbeit nach und nach vorw„rts schritt. Gegen Mittag erfllte sich Sams Vorhersage; es regnete, und zwar in einer Weise, - 182 - wie es nur in jenen Breiten regnen kann, n„mlich wenn es berhaupt da einmal regnet. Es schien wie ein See vom Himmel herabzustrzen. Mitten in diesem Wassergusse kam Sam mit Dick und Will zurck. Wir sahen sie nicht eher, als bis sie sich uns auf vielleicht zw”lf oder fnfzehn Schritte gen„hert hatten, so dicht fiel der Regen. Sie hatten einen passenden Ort gefunden. Parker und Stone sollten uns denselben zeigen; Hawkens aber ging, nachdem er sich mit Proviant versehen hatte, trotz des Unwetters fort, um sein Sp„heramt anzutreten. Er wollte seine Aufgabe zu Fuáe l”sen, weil er sich da besser verstecken konnte, als wenn er sein Maultier mitgenommen h„tte. Als er hinter dem dichten Vorhange des Regens verschwand, hatte ich das Gefhl, als ob die Katastrophe sich uns nun im Eilschritte n„here. So ungew”hnlich der Wasserguá gewesen war, fast wie ein Wolkenbruch, so schnell h”rte er wieder auf. Die Schleusen des Himmels schlossen sich mit einem Male, und dann strahlte die Sonne ebenso warm wie gestern auf uns nieder. Wir hatten die Arbeit unterbrochen und nahmen sie nun wieder auf. Wir befanden uns auf einer ebenen, nicht zu groáen und von drei Seiten mit Wald umgebenen Savanne, auf welcher es von Zeit zu Zeit ein Buschwerk gab. Dies war fr uns ein sehr gnstiges Terrain, und so kam es, daá wir rasche Fortschritte machten. Hierbei machte ich die Bemerkung, daá Sam Hawkens heut frh die Wirkung des Regens ganz richtig vorhergesagt hatte: die Kiowas waren vor uns genau da geritten, wo wir uns jetzt befanden, und doch war keine Spur von den Huftritten ihrer Pferde zu sehen. Wenn die Apachen uns folgten, konnten sie unm”glich ahnen, daá wir zweihundert Verbndete in unserer N„he hatten. Als es zu dunkeln begann und wir unsere Arbeit einstellten, erfuhren wir von Stone und Parker, daá wir uns in der N„he des voraussichtlichen Kampfplatzes bef„nden. Ich h„tte ihn gern in Augenschein genommen, dazu war es aber heut zu sp„t. Am andern Morgen erreichten wir schon nach kurzer Arbeitszeit einen Bach, der ein ziemlich groáes, teichartiges Becken bildete, welches wahrscheinlich stets mit Wasser gefllt war, - 183 - w„hrend das Bett des Baches wohl meist halb trocken lag. Infolge des gestrigen Regens aber war er bis an die R„nder angefllt. Zu diesem Teiche fhrte eine schmale, freie Savannenzunge, welche rechts und links von B„umen und Str„uchern einges„umt wurde. In das Wasser ragte eine Halbinsel hinein, auf welcher es auch Str„ucher und B„ume gab; sie war da, wo sie mit dem Lande zusammenhing, schmal und verbreitete [verbreiterte] sich dann so, daá sie eine fast kreisrunde Gestalt annahm. Sie konnte mit einer Kasserole verglichen werden, welche mit ihrem Griffe am Lande hing. Jenseits des Teiches stieg eine sanfte H”he an, welche dichter Wald bedeckte. ¯Dies ist die Stelle, fr welche sich unser Sam entschlossen hat,® sagte Stone, indem er mit Kennermiene um sich blickte. ¯Sie kann fr das, was wir vorhaben, auch wirklich gar nicht besser passen.® Das veranlaáte mich natrlich, mich nach allen Seiten umzusehen. ¯Wo sind denn die Kiowas, Mr. Stone?® fragte ich ihn. ¯Versteckt, sehr gut versteckt,® antwortete er. ¯Ihr k”nnt Euch die gr”áte Mhe geben und werdet doch keine Spur von ihnen wahrnehmen, obgleich ich weiá, daá sie uns sehr gut sehen und scharf beobachten k”nnen.® ¯Also wo?® ¯Wartet nur, Sir! Erst muá ich Euch erkl„ren, warum Sam, der Pfiffige, diesen Platz gew„hlt hat. Die Savanne, ber welche wir jetzt gekommen sind, ist mit vielen einzelnen Bschen bestanden. Das macht es den Kundschaftern der Apachen leicht, uns unbemerkt zu folgen, weil sie durch diese Str„ucher Deckung finden. Seht ferner die offene Graszunge, welche hierher fhrt. Ein Lagerfeuer, welches wir hier anbrennen, leuchtet ber diese Zunge weg und in die Savanne hinein, ber welche die Feinde kommen; es wird die Apachen also anlocken, und diese k”nnen sich uns ganz bequem n„hern, wenn sie sich zwischen den B„umen und Str„uchern halten, welche zu beiden Seiten dieser Zunge stehen. Ich sage euch, Mesch'schurs, wir konnten, um von den Roten berfallen zu werden, gar keinen bessern Platz finden!® Sein langes, hageres, wetterhartes Gesicht gl„nzte dabei - 184 - f”rmlich vor „uáerster Zufriedenheit; der Oberingenieur aber stimmte gar nicht in dieses Entzcken ein; er meinte, indem er den Kopf schttelte: ¯Was seid ihr doch fr Menschen, Mr. Stone! Freut sich dieser Mann darber, daá er so sch”n berfallen werden kann! Ich sage euch, ich freue mich so wenig darber, daá ich mich aus dem Staube machen werde!® ¯Um dann desto sicherer in die H„nde der Apachen zu fallen! Laát Euch doch nicht solches Zeug in den Sinn kommen, Mr. Bancroft! Natrlich muá ich mich ber diesen Ort freuen, denn wenn er es den Apachen erleichtert, uns zu fangen, so haben wir es nachher noch viel leichter, sie zu fassen. Seht doch einmal ber das Wasser hinber! Droben auf der H”he, also mitten im Walde, stecken die Kiowas. Ihre Sp„her sitzen auf den h”chsten B„umen und haben uns sicher kommen sehen. Ebenso werden sie bemerken, wenn die Apachen kommen, denn sie k”nnen von dort oben aus weit ber die Savanne blicken.® ¯Aber,® fiel der Oberingenieur ein, ¯was kann es uns, wenn wir berfallen werden, ntzen, daá die Kiowas sich jenseits des Wassers da drben im Walde befinden!® ¯Da stecken sie nur einstweilen, denn sie k”nnen doch nicht hier sein, weil sie von den Sp„hern der Apachen entdeckt wrden. Sind diese aber fort, so kommen sie herab und herber zu uns und verstecken sich auf der Halbinsel, wo sie nicht bemerkt werden k”nnen.® ¯K”nnen die Kundschafter der Apachen nicht auch dorthin?® ¯Sie k”nnten wohl, aber wir lassen sie nicht.® ¯Da mátet Ihr sie also verjagen, und doch sollen wir nicht merken lassen, daá wir von ihrer Gegenwart wissen. Wie reimt Ihr das zusammen, Mr. Stone?® ¯Sehr leicht. Wir drfen allerdings nicht tun, als ob wir sie suchen, und k”nnen ihnen also nicht verbieten, die Halbinsel zu betreten. Aber diese ist da, wo sie mit dem Ufer zusammenh„ngt, nur dreiáig Schritte breit, und diese Breite verbarrikadieren wir mit unsern Pferden.® ¯Pferde als Barrikade? Ist das m”glich?® ¯Jawohl. Wir binden die Pferde dort an die B„ume; - 185 - dann k”nnt Ihr sicher sein, daá kein Indianer sich n„hert, da die Pferde ihn durch ihr Schnauben verraten wrden. Also wir lassen die Sp„her ruhig kommen und sich umsehen; die Halbinsel betreten sie nicht. Wenn sie fort sind, um ihre Krieger zu holen, rcken die Kiowas heran und verstecken sich auf der Halbinsel. Dann schleichen sich die Apachen alle herbei und warten, bis wir uns schlafen legen.® ¯Wenn sie aber nicht so lange warten?® fiel ich ihm in die Rede. ¯Da k”nnen wir uns doch nicht zurckziehen!® ¯Das w„re auch nicht gef„hrlich,® antwortete er, ¯denn die Kiowas wrden uns sofort zu Hilfe kommen.® ¯Aber das wrde nicht ohne Blutvergieáen ablaufen, und grad das wollen wir vermeiden.® ¯Ja, Sir, hier im Westen darf es auf einen Tropfen Blut nicht ankommen. Aber habt nur keine Sorge! Grad ganz dasselbe wird die Apachen abhalten, uns anzugreifen, w„hrend wir noch wach sind. Sie mssen sich doch sagen, daá wir uns verteidigen wrden, und wenn wir auch nur zwanzig K”pfe z„hlen, so wrden doch sicher mehrere von ihnen fallen, ehe es ihnen glckte, uns unsch„dlich zu machen. Nein, die schonen ihr Blut und Leben ebenso wie wir das unserige. Darum werden sie warten, bis wir uns schlafen gelegt haben, und dann lassen wir schnell das Feuer ausgehen und retirieren nach der Insel.® ¯Und was tun wir bis dahin? K”nnen wir arbeiten?® ¯Ja; nur mát Ihr zur entscheidenden Stunde hier sein.® ¯So wollen wir keine Zeit vers„umen. Kommt, Mesch'schurs, damit wir noch etwas fertig bringen!® Sie folgten meiner Aufforderung, obgleich es ihnen wohl nicht wie arbeiten war. Ich bin berzeugt, daá sie alle davongelaufen w„ren, aber dann w„re die Arbeit nicht beendet worden, und dann hatten sie dem Kontrakte nach keine Bezahlung zu verlangen. Die wollten sie doch nicht einbáen. Und wenn sie dennoch die Flucht ergriffen h„tten, die Apachen w„ren doch schnell hinter ihnen her gewesen. Nein, sie sahen ein, daá ihre Sicherheit hier die relativ gr”áte war, und darum blieben sie. Was mich betraf, so gestehe ich aufrichtig ein, daá ich den kommenden Ereignissen ganz und gar nicht gleichgltig gegen- - 186 - berstand [gegenberstand]. Es hatte sich ein Zustand meiner bem„chtigt, „hnlich demjenigen, welchen man im gew”hnlichen Leben Kanonenfieber zu nennen pflegt. Das war nicht etwa Angst, o nein, denn zur Angst h„tte ich viel mehr Veranlassung gehabt, als ich die Bffel und dann den B„ren erlegte. Heute handelte es sich um Menschen; das war es, was mich beunruhigte. Um mein Leben handelte es sich weniger; das wrde ich schon verteidigen; aber Intschu tschuna und Winnetou! Ich hatte w„hrend der letzten Tage so viel an Winnetou gedacht, daá er mir innerlich immer n„her getreten war; er war mir wert geworden, ohne daá es seiner Gegenwart oder gar seiner Freundschaft bedurft hatte, gewiá ein eigenartiger seelischer Vorgang, wenn auch nicht grad ein psychologisches R„tsel. Und sonderbar! Ich habe sp„ter von Winnetou erfahren, daá er damals ebenso oft an mich gedacht hat, wie ich an ihn! Meine innere Unruhe wurde auch durch die Arbeit nicht ge„ndert, doch wuáte ich gewiá, daá sie im Augenblicke der Entscheidung pl”tzlich verschwinden werde; darum wnschte ich mir diese nun, da ihr nicht auszuweichen war, recht schnell herbei. Dieser Wunsch sollte in Erfllung gehen, denn es war erst wenig nach Mittag, so sahen wir Sam Hawkens auf uns zukommen. Der kleine Mann war sichtlich ermdet, aber die kleinen, listigen Aeuglein blickten auáerordentlich heiter ber den dunklen Bartwald herber. ¯Alles gelungen?® fragte ich. ¯Ich sehe es Euch an, alter, lieber Sam.® ¯So?® lachte er. ¯Wo steht das denn geschrieben? Auf meiner Nase oder nur in Eurer Einbildung?® ¯Einbildung? Pshaw! Wer Eure Augen sieht, der kann nicht zweifeln.® ¯So, also meine Augen verraten mich. Gut fr ein anderes Mal, daá ich es weiá. Aber Ihr habt recht. Es ist mir gelungen, weit, weit besser gelungen, als ich denken konnte.® ¯So habt Ihr die Kundschafter gesehen?® ¯Kundschafter? Gesehen? Weit mehr, weit mehr! Nicht bloá die Kundschafter, sondern die ganze Schar, und nicht nur gesehen, sondern sogar geh”rt, belauscht habe ich sie.® ¯Belauscht? Ah, so sagt schnell, was Ihr da erfahren habt!® - 187 - ¯Nicht jetzt und nicht hier. Nehmt Eure Instrumente zusammen und geht zum Lager! Ich komme nach; muá nur vorher schnell hinber zu den Kiowas, um ihnen zu sagen, was ich erfahren habe und wie sie sich verhalten sollen.® Er schritt oberhalb des Teiches auf den Bach zu, sprang hinber und verschwand dann jenseits unter den B„umen des Waldes. Wir packten unsere Siebensachen zusammen und suchten das Lager auf, wo wir auf Sams Wiederkehr warteten. Wir hatten ihn weder kommen sehen, noch kommen h”ren, aber ganz pl”tzlich stand er mitten unter uns und sagte in bermtigem Tone: ¯Da habt ihr mich, Mylords! Habt ihr denn weder Augen noch Ohren? Euch kann ja ein Elefant berrumpeln, dessen Schritte man eine Viertelstunde weit h”rt!® ¯Jedenfalls seid Ihr aber nicht wie ein solcher Elefant aufgetreten,® antwortete ich. ¯Mag sein. Wollte euch nur zeigen, wie man an die Menschen kommt, ohne daá sie es bemerken. Habt ruhig dagesessen und nicht gesprochen; seid ganz still gewesen und habt mich doch nicht geh”rt, als ich herangeschlichen kam. So, grad so war es gestern auch, als ich mich an die Apachen machte.® ¯Erz„hlt uns das, erz„hlt!® ¯Well, sollt es h”ren. Muá mich aber dazu setzen, denn ich bin sehr mde. Meine Beine sind an das Reiten gew”hnt und wollen sich auf das Laufen nicht mehr einlassen. Ist auch nobler, zu der Kavallerie als zur Infanterie zu geh”ren, wenn ich mich nicht irre.® Er setzte sich in meine N„he, blinzelte uns rundum Einen nach dem Andern an und sagte dann, sehr bedeutsam mit dem Kopfe dazu nickend: ¯Also, heute abend geht der Tanz los!® ¯Heute abend schon?® fragte ich, halb berrascht und halb erfreut, weil ich mir die Entscheidung bald herbeigewnscht hatte. ¯Das ist gut; das ist sehr gut!® ¯Hm, Ihr scheint ja ganz erpicht darauf zu sein, in die H„nde der Apachen zu geraten! Aber recht habt Ihr; es ist gut und ich freue mich auch darber, daá wir nicht l„nger zu - 188 - warten brauchen. Ist kein sehr angenehmes Ding, auf etwas warten zu mssen, was doch einen andern Ausgang nehmen kann, als man denkt.® ¯Als man denkt! Ist etwa ein Grund eingetreten, Besorgnisse zu hegen?® ¯Ganz und gar nicht. Grad im Gegenteile! Bin nun erst recht berzeugt, daá alles gut ablaufen wird. Aber ein erfahrener Mann weiá, daá aus dem besten Kinde sp„ter ein schlimmer Strolch werden kann. So ist's auch mit den Begebenheiten. Die sch”nste Sache kann durch irgend einen Zufall auf einen falschen Weg geraten.® ¯Aber das ist doch hier nicht zu befrchten?® ¯Nein. Nach allem, was ich geh”rt habe, wird der Erfolg ein ganz vorzglicher sein.® ¯Was habt Ihr denn geh”rt? Erz„hlt doch nur, erz„hlt!® ¯Sachte, sachte, mein junger Sir! Alles der Reihe nach! Was ich geh”rt habe, kann ich jetzt noch nicht sagen, weil Ihr doch wissen mát, was vorher geschehen ist. Ich ging mitten im Regenwetter fort; brauchte sein Ende nicht abzuwarten, weil der Regen nicht hier durch meinen Rock dringen kann, auch der st„rkste nicht hihihihi! Bin bis beinahe zu der Stelle gelaufen, wo wir lagerten, als die beiden Apachen zu uns kamen; da aber muáte ich mich verstecken, denn ich sah drei Rote, welche da herumschnffelten. Sind Apachenkundschafter, dachte ich, und laufen nicht weiter, weil sie nur bis hierher gehen sollen. So war es auch. Sie suchten die Gegend ab, ohne meine Spur zu finden, und setzten sich dann unter die B„ume, weil es auáerhalb des Waldes zum Sitzen zu naá war. Da saáen sie wartend wohl an die zwei Stunden. Hatte mich auch unter einen Baum gemacht und wartete auch zwei Stunden lang. Muáte doch wissen, was es nun geben wrde. Da kam ein Reitertrupp, mit den Kriegsfarben bemalt. Kannte sie sofort, Intschu tschuna und Winnetou mit ihren Apachen.® ¯Wieviel waren es?® ¯Grad so, wie ich gedacht hatte. Habe ungef„hr fnfzig Mann gez„hlt. Die Sp„her kamen unter den B„umen hervor und erstatteten den beiden H„uptlingen Bericht. Dann muáten sie wieder vorangehen, und die Schar folgte langsam nach. - 189 - K”nnt euch denken, Gentlemen, daá Sam Hawkens sich hinterher machte. Der Regen hatte die gew”hnlichen Spuren verwischt, aber eure eingerammten Pf„hle waren ja da und dienten als untrgliche Wegweiser. Wollte, ich h„tte, so lange ich lebe, lauter so sch”ne, deutliche F„hrten zu lesen. Muáten aber sehr vorsichtig sein, die Apachen, weil sie hinter jeder Biegung des Waldes, hinter jeder Ecke des Gebsches auf uns treffen konnten, und machten darum nur langsame Fortschritte. Fingen es sehr schlau und vorsichtig an; habe meine helle Freude ber sie gehabt und meine nun wie immer, daá die Apachen allen andern roten Nationen ber sind. Intschu tschuna ist ein tchtiger Kerl und Winnetou nicht minder. Die kleinste Bewegung dieser beiden Roten war berechnet. Kein Wort wurde gesprochen; man verst„ndigte sich nur durch Zeichen. Zwei Meilen hinter der Stelle, wo ich sie zuerst gesehen hatte, brach der Abend an. Sie stiegen ab, hobbelten ihre Pferde an und verschwanden im Walde, wo sie bis frh lagern wollten.® ¯Und da habt Ihr sie belauscht?® fragte ich. ¯Ja. Sie brannten als kluge Kerls kein Feuer an, und weil Sam Hawkens ebenso klug ist wie sie, dachte ich, daá sie mich da nicht leicht sehen k”nnten. Darum machte ich mich auch unter die B„ume und kroch auf meinem eigenen Bauche, weil ich sonst keinen andern dazu hatte, so weit vor, bis ich in ihre N„he kam und alles h”rte, was sie sprachen.® ¯Verstandet Ihr denn alles?® ¯Unvernnftige Frage! Werde doch h”ren, was gesprochen wird!® ¯Ich meine, ob sie sich des englisch-indianischen Jargons bedienten?® ¯Sie bedienten einander gar nicht, sondern sie sprachen miteinander, wenn ich mich nicht irre, und zwar im Dialekte der Mescaleros, den ich so leidlich inne habe. Ich rckte langsam weiter und weiter vor, bis ich mich in der N„he der beiden H„uptlinge befand. Die tauschten zuweilen einige Worte miteinander aus, zwar kurz, nach Indianerweise, aber inhaltsreich. Habe da genug erfahren und weiá, woran ich bin.® ¯So schieát also los,® bat ich, als er jetzt eine Pause machte. - 190 - ¯So macht Euch beiseite, Sir, wenn Euch mein Schuá nicht treffen soll! Haben es also wirklich auf uns abgesehen. Wollen uns lebendig fangen.® ¯Also nicht t”ten?® ¯O doch, ein wenig t”ten wollen sie uns, aber nicht sofort. Wollen uns nur fangen, ohne uns zu besch„digen, und uns nach den D”rfern der Mescaleros am Rio Pecos schaffen, wo wir an die Marterpf„hle gebunden und lebendig geschmort werden sollen. Well, ganz wie Karpfen, die man f„ngt, nach Hause schafft, ins Wasser setzt und fttert, um sie dann mit allerlei Gewrz zu sieden. Soll mich wundern, was fr ein Fleisch der alte Sam da geben wird, besonders wenn sie mich da ganz in die Pfanne tun und mich in meinem Jagdrocke braten hihihihi!® Er lachte in seiner stillen, heimlichen Weise vor sich hin und fuhr dann fort: ¯Haben es ganz besonders auf Mr. Rattler abgesehen, der so still entzckt da unter euch sitzt und mich verkl„rt anschaut, als ob der Himmel nur so auf ihn warte mit allen seinen Seligkeiten. Ja, Mr. Rattler, habt Euch eine Suppe eingebrockt, die ich nicht ausl”ffeln m”chte. Ihr werdet gespieát, gepf„hlt, vergiftet, erstochen, erschossen, ger„dert und aufgeh„ngt, immer eins hbsch nach dem andern, und von jedem stets nur ein kleines Biáchen, damit Ihr recht lange dabei leben bleibt und alle diese Qualen und Todesarten mit richtigem Geschmack auskosten k”nnt. Und wenn Ihr dann trotz alledem noch nicht gestorben seid, so werdet Ihr mit Klekih-petra, den Ihr erschossen habt, in eine Grube gelegt und lebendig begraben.® ¯Mein Himmel! Sagten sie das?® fragte Rattler, dessen Gesicht vor Entsetzen todesbleich wurde. ¯Freilich sagten sie es. Habt es auch verdient; kann Euch da nicht helfen. Will nur wnschen, daá Ihr dann, wenn Ihr alle diese Todesarten hinter Euch habt, nicht wieder eine so ruchlose Tat begeht. Denke aber, daá Ihr es bleiben lassen werdet. Die Leiche Klekih-petras ist einem Medizinmanne bergeben worden, der sie nach Hause schafft. Ihr mát n„mlich wissen, daá diese Roten des Sdens ihre Toten so zu behandeln und zu konservieren verstehen, daá sie sich lange halten. Habe - 191 - selbst Mumien von Indianerkindern gesehen, welche selbst nach einer Zeit von ber hundert Jahren so frisch aussahen, als ob sie gestern noch gelebt h„tten. Wenn wir alle gefangen werden, wird man uns das Vergngen machen, zuzusehen, wie sie Mr. Rattlern bei lebendigem Leibe in eine solche Mumie verwandeln.® ¯Ich bleibe nicht hier!® rief der Genannte aus. ¯Ich gehe fort! Mich bekommen sie nicht!® Er wollte aufspringen; Sam Hawkens zog ihn wieder nieder und warnte: ¯Keinen Schritt von hier fort, wenn Euch Euer Leben lieb ist! Ich sage Euch, daá die Apachen vielleicht schon die ganze Umgegend hier besetzt haben. Ihr wrdet ihnen direkt in die H„nde laufen.® ¯Glaubt Ihr das wirklich, Sam?® fragte ich ihn. ¯Ja. Es ist keine leere Drohung, sondern ich habe alle Ursache, dies anzunehmen. Habe mich auch in anderer Beziehung nicht get„uscht. Die Apachen sind wirklich schon auch gegen die Kiowas ausgerckt, ein ganzes Heer, zu dem die beiden H„uptlinge stoáen wollen, sobald sie hier mit uns fertig sind. Nur darum ist es m”glich geworden, daá sie so rasch zu uns zurckkehren konnten. Sie brauchten, um Krieger gegen uns zu holen, nicht bis in ihre D”rfer zu reiten, sondern sie trafen die gegen die Kiowas ausgezogenen Scharen unterwegs, bergaben Klekih-petras Leiche dem Medizinmanne und einigen andern Leuten zum Heimschaffen, und suchten sich fnfzig gute Reiter aus, um uns aufzusuchen.® ¯Wo befinden sich die Trupps, welche gegen die Kiowas bestimmt sind?® ¯Weiá es nicht. Ist kein Wort darber gesprochen worden. Kann uns auch ganz gleichgltig sein.® Da sollte der kleine Sam unrecht haben. Es war gar nicht gleichgltig fr uns, wo sich diese zahlreichen Scharen befanden. Das erfuhren wir schon nach einigen Tagen. Sam erz„hlte weiter: ¯Als ich genug geh”rt hatte, h„tte ich mich gleich zu euch aufmachen k”nnen; aber es ist des Nachts schwer, die F„hrte zu verbergen; sie h„tten sie frh sehen k”nnen, und sodann wollte ich sie auch noch gern am Morgen beobachten. Darum blieb - 192 - ich die ganze Nacht im Walde versteckt und machte mich erst wieder auf die Beine, als sie aufgebrochen waren. Bin ihnen gefolgt bis ungef„hr sechs Meilen von hier und habe dann einen Umweg gemacht, um unbemerkt zu euch zu kommen. Well, da habt ihr alles, was ich euch sagen kann.® ¯Ihr habt Euch also nicht von ihnen sehen lassen?® ¯Nein.® ¯Und auch dafr gesorgt, daá sie Eure Spur nicht entdecken?® ¯Ja.® ¯Aber Ihr sagtet doch, daá Ihr Euch ihnen zeigen wolltet und ® ¯Weiá schon, weiá! H„tte es auch getan; war aber nicht n”tig, denn weil halt, habt ihr es geh”rt?® Er war in seiner Rede durch den dreimaligen Schrei eines Adlers unterbrochen worden. ¯Das sind die Sp„her der Kiowas,® sagte er. ¯Sie sitzen da oben auf den B„umen. Habe ihnen gesagt, mir dieses Zeichen zu geben, wenn sie die Apachen drauáen auf der Savanne erblicken. Kommt, Sir; wollen einmal probieren, was Ihr in dieser Beziehung fr Augen habt!® Diese Aufforderung war an mich gerichtet. Er stand auf, um zu gehen, und ich nahm mein Gewehr, um ihm zu folgen. ¯Halt!® sagte er. ¯Laát das Gewehr hier! Der Westmann soll sich zwar nicht von seiner Bchse trennen; aber hier erleidet diese Regel eine Ausnahme, weil wir so tun mssen, als ob wir an gar keine Gefahr d„chten. Wir wollen uns den Anschein geben, als ob wir Holz zu einem Feuer sammelten. Daraus werden die Apachen schlieáen, daá wir hier am Abende lagern werden, was ein Vorteil fr uns ist.® Wir schlenderten miteinander, scheinbar ganz harmlos, zwischen den Baum- und Str„ucherreihen auf dem offenen Rasenstreifen hin und auf die Savanne hinaus. Dort sammelten wir vom Rande des Gebsches drre Aeste und sahen uns dabei verstohlen nach Apachen um. Wenn sich welche in der N„he befanden, so muáten sie hinter den Str„uchern stecken, welche auf der Savanne, mehr oder weniger entfernt von uns, zerstreut standen. - 193 - ¯Seht Ihr einen?® fragte ich Sam nach einer Weile. ¯Nein,® antwortete er. ¯Ich auch nicht.® Wir strengten unsere Augen m”glichst an, konnten aber nichts entdecken. Und doch erfuhr ich sp„ter von Winnetou selbst, daá er h”chstens fnfzig Schritte von uns entfernt hinter einem Busche gelegen und uns beobachtet hatte. Es ist nicht genug, daá man scharfe Augen besitzt, sie mssen auch gebt sein, und das waren die meinigen damals noch nicht. Heut wrde ich Winnetou sofort entdecken, und wenn es nur infolge der Mcken w„re, die, von seiner Person angezogen, um den Busch weit dichter spielten als anderswo. Wir kehrten also unverrichteter Dinge zu den Andern zurck und besch„ftigten uns nun alle mit dem Sammeln zum Holze fr das Lagerfeuer. Wir brachten mehr zusammen, als wir brauchten. ¯Recht so,® meinte Sam. ¯Wir mssen einen Haufen fr die Apachen liegen haben, denn sie sollen, wenn sie uns ergreifen wollen und wir aber verschwunden sind, schnell ein Feuer machen k”nnen.® Hierauf wurde es dunkel. Sam, als der Erfahrenste, versteckte sich ganz vorn, da wo der Grasstreifen, an dessen Ende wir saáen, bei der Savanne seinen Anfang nahm. Er wollte das Kommen der Sp„her erlauschen, die wir mit Sicherheit zu erwarten hatten, da sie unser Lager auszukundschaften hatten. Das Feuer wurde angezndet und leuchtete ber den Grasstreifen hinweg weit in die Savanne hinaus. Fr was fr unvorsichtige und unerfahrene Menschen muáten die Apachen uns da halten! Dieses groáe Feuer war ja ganz geeignet, dem Feinde aus weiter Ferne den Weg zu uns zu zeigen. Wir aáen Abendbrot und lagerten uns so, als ob wir ganz entfernt davon seien, an etwas Arges zu denken. Die Gewehre lagen ein groáes Stck von uns entfernt, doch nach der Halbinsel zu, damit wir sie sp„ter mitnehmen konnten. Diese letztere war, wie Sam bestimmt hatte, durch unsere Pferde abgeschlossen worden. Es waren seit Anbruch der Dunkelheit wohl drei Stunden - 194 - vergangen, da kehrte Sam lautlos wie ein Schatten zurck und meldete mit leiser Stimme: ¯Die Kundschafter kommen, zwei Mann, einer auf dieser und der andere auf jener Seite. Habe sie geh”rt und sogar auch gesehen.® Sie n„herten sich also auf beiden Seiten des Grasstreifens, indem sie sich im Dunkel des Gebsches hielten. Sam setzte sich zu uns und begann mit lauter Stimme eine Unterhaltung ber den ersten besten Gegenstand, der ihm eben einfiel. Wir antworteten ihm, und so entspann sich ein Gespr„ch, dessen Lebhaftigkeit darauf berechnet war, die Sp„her in Sicherheit zu wiegen. Wir wuáten, daá sie da waren und uns scharf beobachteten, hteten uns aber sehr, auch nur einen einzigen miátrauischen Blick in das Gebsch zu werfen. Jetzt galt es vor allen Dingen, zu erfahren, wann sie sich wieder entfernten. H”ren konnten wir es nicht und sehen auch nicht, und doch durften wir von dem Augenblicke ihres Rckzuges an keinen Augenblick verlieren, denn es stand zu erwarten, daá dann schon nach kurzer Zeit die ganze Schar heranschleichen werde. Inzwischen aber muáten die Kiowas die Halbinsel besetzen. Da war es wohl am besten, nicht zu warten, bis sie sich entfernten, sondern sie dazu zu zwingen. Darum stand Sam auf, tat, als ob er nach Holz suchen wolle, und drang auf der einen Seite in die Bsche ein; ich tat dasselbe auf der andern Seite. Wir konnten nun sicher sein, daá die Sp„her sich fortgeschlichen hatten. Da hielt Sam die beiden H„nde auf den Mund und lieá dreimal den Schrei eines Ochsenfrosches h”ren. Dies war das Zeichen, daá die Kiowas kommen sollten. Weil wir uns an einem Wasser befanden, konnte der Ruf des Ochsenfrosches nicht auffallen. Hierauf schlich sich Sam wieder vor auf seinen Lauscherposten, um uns die Ankunft des Gros der Feinde melden zu k”nnen. Noch waren kaum zwei Minuten seit dem Rufe des Frosches vergangen, so kamen die Kiowas herbeigehuscht, einer hart hinter dem andern, eine lange Reihe von zweihundert Kriegern. Sie hatten nicht im Wald gewartet, sondern waren, um dem Zeichen rascher folgen zu k”nnen, schon vorher bis an den Bach vorgedrungen und dann ber denselben gesprungen. - 195 - Wie Schlangen schoben sie sich hinter uns in unserm Schatten tief am Boden hin und der Halbinsel zu. Das ging so gewandt und schnell, daá h”chstens nach drei Minuten der letzte an uns vorber war. Nun warteten wir auf Sam. Er kam und raunte uns leise zu: ¯Sie n„hern sich, und zwar wieder auf beiden Seiten, wie ich geh”rt habe. Legt kein Holz mehr an! Wir mssen dafr sorgen, daá, wenn die Flamme verl”scht, noch eine Glut brig bleibt, an welcher die Roten das Feuer rasch wieder entznden k”nnen.® Wir schichteten den Holzvorrat, den wir noch hatten, so rund um das Feuer auf, daá dann diese Glut keinen Schein werfen und unser Verschwinden vorzeitig verraten konnte. Als dies geschehen war, muáte ein jeder von uns mehr oder weniger Schauspieler sein. Wir wuáten fnfzig Apachen in unmittelbarster N„he und durften es doch nicht merken lassen. Es hing sehr vieles, ja unser Leben, am n„chsten Augenblicke. Wir hatten angenommen, daá sie warten wrden, bis wir eingeschlafen zu sein schienen; aber wie nun, wenn sie dies nicht taten, wenn sie eher ber uns herfielen? Dann hatten wir zwar in den Kiowas zweihundert Helfer, aber es muáte zum Kampfe, zum Blutvergieáen kommen, und das konnte manchem von uns das Leben kosten. Die Katastrophe war da, und das, was ich gewuát hatte, traf zu: ich war ruhig, so ruhig, als ob es nur gelte, eine Partie Schach oder Domino zu spielen. H”chst interessant war es, die Andern zu beobachten. Rattler lag lang ausgestreckt am Boden; er hatte sein Gesicht der Erde zugekehrt und stellte sich schlafend. Die Todesangst hatte ihn mit eiskalten H„nden ergriffen. Seine "berhmten Westm„nner" stierten einander bleichen Angesichts an; sie konnten nur abgerissene Worte hervorbringen und sollten doch an unserer Unterhaltung teilnehmen. Will Parker und Dick Stone saáen so gemtlich da, als ob es in der ganzen Welt nicht einen einzigen Apachen g„be. Sam Hawkens machte einen Witz ber den andern, und ich lachte m”glichst lustig ber seine Scherze. Als in dieser Weise ber eine halbe Stunde vergangen war, hatten wir die Ueberzeugung, daá der Ueberfall nach dem - 196 - Einschlafen erfolgen solle, denn sonst w„re er nun l„ngst unternommen worden. Das Feuer war ziemlich niedergebrannt, und ich hielt es fr geraten, die Entscheidung nicht l„nger zu verz”gern. Darum g„hnte ich einige Male, dehnte mich und sagte: ¯Ich bin mde und m”chte schlafen. Ihr nicht auch, Sam Hawkens?® ¯Habe nichts dagegen; werde es auch so machen,® antwortete er. ¯Das Feuer geht aus. Gute Nacht!® ¯Gute Nacht!® sagten auch Stone und Parker; dann rckten wir m”glichst weit, aber so, daá es nicht auffallen konnte, vom Feuer weg und streckten uns da aus. Die Flamme wurde kleiner und kleiner, bis sie ganz erlosch; nur die Asche glhte noch; ihr Schein konnte aber wegen des aufgeschichteten Holzes nicht zu uns dringen. Wir lagen alle vollst„ndig im Dunkeln. Jetzt galt es, uns leise, ganz leise in Sicherheit zu bringen. Ich langte nach meinem Gewehre und schob mich langsam fort; Sam hielt sich an meiner Seite, und die Andern folgten. Sollte einer von ihnen ja ein Ger„usch verursachen, so versuchte ich, dasselbe dadurch unh”rbar zu machen, daá ich, als ich die Pferde erreichte, eins derselben zum lauten Stampfen brachte, indem ich es hin und her schob; das muáte jeden verr„terischen Schall bert”nen. Es gelang auch wirklich Allen, die Kiowas zu erreichen, welche schon wie kampfbegierige Panther auf der Lauer standen. ¯Sam,® flsterte ich diesem zu, ¯wenn die beiden H„uptlinge wirklich geschont werden sollen, so drfen wir keinen Kiowa ber sie lassen. Seid Ihr einverstanden?® ¯Ja.® ¯Ich nehme Winnetou auf mich; Ihr, Stone und Parker m”gt Euch an Intschu tschuna machen.® ¯Ihr einen und wir drei zusammen auch nur einen? Dieses Exempel ist nicht richtig wenn ich mich nicht irre.® ¯Es ist richtig. Ich werde mit Winnetou schnell fertig; ihr aber mát zu dreien sein, damit sein Vater sich gar nicht wehren kann, denn wenn er Zeit und Raum zur Verteidigung bekommt, kann dies fr ihn leicht Verletzungen oder gar den Tod nach sich ziehen.® - 197 - ¯Well, habt recht! Aber, damit uns da kein Kiowa zuvorkommt, wollen wir ein Stckchen avancieren, damit wir dann gleich die Ersten sind. Kommt!® Wir postierten uns dem Feuer mehrere Schritte n„her und warteten nun in gr”áter Spannung auf das Kampfgeschrei der Apachen, denn daá sie den Angriff ohne dieses nicht unternehmen wrden, stand zu erwarten. Es ist ihre Gewohnheit, daá der Anfhrer durch einen Schrei das Zeichen gibt, und dann stimmen die Andern in m”glichst h”llischer Weise ein. Dieses Geheul hat den Zweck, dem Angegriffenen den Mut zur Gegenwehr zu rauben. Man kann es so, wie es bei den meisten St„mmen klingt, dadurch nachahmen, daá man im h”chsten Fisteltone ein langes "Hiiiiiiiiiih!" ausst”át und dabei mit der flachen Hand sehr schnell aufeinander folgende Schl„ge gegen die Lippen fhrt, so daá der Ton als Triller zu h”ren ist. Die Kiowas befanden sich in derselben Spannung wie wir. Jeder von ihnen wollte gern auch der Erste sein, und darum dr„ngten sie nach vorn, so daá wir weiter und weiter vorgeschoben wurden. Das konnte dadurch, daá wir den Apachen zu nahe rckten, fr uns gef„hrlich werden, und so wnschte ich sehr, daá ihr Angriff bald erfolgen m”ge. Dieser Wunsch wurde endlich, endlich erfllt. Es ert”nte das erw„hnte "Hiiiiiiiiiih!" in einem so schrillen, durchdringenden Tone, daá es mir durch Mark und Bein fuhr, und darauf folgte ein Geheul, welches so schrecklich klang, als ob es von tausend Teufeln ausgestoáen wrde. Wir h”rten trotz der Weichheit des Erdbodens schnelle Schritte und Sprnge. Dann war pl”tzlich alles still. Einige Augenblicke regte sich nichts rundum. Man h„tte, wie man sich auszudrcken pflegt, eine Ameise laufen h”ren k”nnen. Dann h”rten wir Intschu tschuna das eine kurze Wort "Ko!" rufen. Dieses Wort bedeutet Feuer, also Feuer machen. Unsere Asche glhte noch immer, und das drre Holz und Gezweig, welches dabei lag, brannte leicht. Die Apachen gehorchten dem Befehle schnell und warfen von dem Holze auf die glimmende Asche. Es dauerte nur wenige Sekunden, so loderte die Flamme neu empor, und die Umgebung des Feuers war erhellt. Intschu tschuna und Winnetou standen neben einander, - 198 - und es bildete sich schnell ein Kreis von Kriegern um sie, als die Apachen zu ihrem Erstaunen sahen, daá wir fort waren. ¯Uff, uff, uff!® riefen sie verwundert. Winnetou zeigte schon jetzt, trotz seiner Jugend, die Umsicht, welche ich sp„ter so oft an ihm bewundert habe. Er sagte sich, daá wir uns noch in der N„he befinden máten und die an dem Feuer stehenden, also beleuchteten Apachen im Nachteile seien, weil sie uns fr unsere Gewehre ein sicheres Zielen gestatteten. Darum rief er: ¯Tatischa, tatischa!® Dieses Wort heiát, sich entfernen. Er setzte auch schon zum Sprunge an, doch ich kam ihm zuvor. Vier, fnf schnelle Schritte hatten mich an den Kreis gebracht, welcher ihn umgab. Rechts und links die mir im Wege stehenden Apachen auseinander werfend, drang ich hindurch, und Hawkens, Stone und Parker folgten mir auf dem Fuáe. Eben als Winnetou sein lautes "Tatischa, tatischa!" gerufen hatte und sich zum Fortspringen umwendete, stand er vor mir und wir sahen uns einen Moment lang in die Gesichter. Seine Hand fuhr blitzschnell in den Grtel, um das Messer zu ziehen, da aber traf ihn schon mein Faustschlag gegen die Schl„fe. Er wankte und brach auf die Erde nieder. Zugleich sah ich, daá Sam, Will und Dick seinen Vater gepackt hatten. Die Apachen heulten vor Wut auf; aber ihr Geheul war nicht zu h”ren, denn es wurde bert”nt von dem schrecklichen Brllen der Kiowas, welche sich nun auf sie warfen. Ich stand, da ich den Kreis der Apachen durchbrochen hatte, mitten in dem k„mpfenden und heulenden Kn„uel von Menschen, welche miteinander rangen. Zweihundert Kiowas gegen vielleicht fnfzig Apachen, also vier gegen einen! Aber die braven Krieger Winnetous wehrten sich aus allen Kr„ften. Ich hatte zun„chst alles aufzubieten, mehrere von ihnen von mir abzuhalten, und muáte mich darum, da ich mich in ihrer Mitte befand, wie ein Kreisel im Kreise drehen. Dabei gebrauchte ich nur meine F„uste, denn ich wollte keinen verwunden oder gar t”ten. Als ich noch vier oder fnf niedergeschlagen hatte, bekam ich Luft, und zu gleicher Zeit wurde der allgemeine Widerstand schw„cher. Nach fnf Minuten seit unserm - 199 - Angriffe war der Kampf zu Ende. Fnf Minuten nur! Aber in einem solchen Falle bedeuten sie doch eine lange Zeit! Der H„uptling Intschu tschuna lag gefesselt am Boden, neben ihm Winnetou besinnungslos; er wurde auch gebunden. Es war kein einziger Apache entkommen, wohl meist deshalb, weil es diesen tapfern Leuten gar nicht in den Sinn gekommen war, ihre beiden H„uptlinge, welche sofort berw„ltigt worden waren, zu verlassen und die Flucht zu ergreifen. Viele von ihnen waren verwundet, ebenso eine Anzahl der Kiowas, und leider gab es bei den letzteren auch drei und bei den Apachen fnf Tote. Das hatte freilich nicht in unserer Absicht gelegen; aber der energische Widerstand der Apachen hatte die Kiowas veranlaát, ihre Waffen nachdrcklicher, als wir es gewnscht hatten, zu gebrauchen. Die besiegten Feinde waren alle gefesselt. Dazu hatte es gar keines groáen Kunststckes bedurft, denn da Vier, oder weil wir Weiáen uns doch auch mitrechnen muáten, fast Fnf gegen Einen gestanden hatten, war es nur n”tig gewesen, daá drei Kiowas einen Apachen festhielten und der vierte oder fnfte ihn schnell fesselte. Die Leichen wurden auf die Seite geschafft, und da die verwundeten Kiowas Hilfe bei den Ihrigen fanden, so machten wir Weiáen uns daran, die verletzten Apachen zu untersuchen und zu verbinden. Wir bekamen dabei freilich nicht nur die finstersten Gesichter zu sehen, sondern fanden sogar bei Einigen Widerstand. Sie waren zu stolz, sich von ihren Gegnern einen Dienst erweisen zu lassen, und lieáen lieber ihre Wunden bluten. Ich fhlte mich dadurch nicht beunruhigt, da die Verletzungen dieser Leute nur leichte waren. Als wir diese Arbeit beendet hatten, fragten wir uns zun„chst, wie die Gefangenen die Nacht hinbringen sollten. Ich wollte es ihnen so leicht wie m”glich machen; da aber fuhr mich Tangua, der H„uptling der Kiowas, an: ¯Diese Hunde geh”ren nicht euch, sondern uns, und ich allein habe zu bestimmen, was mit ihnen geschehen soll.® ¯Nun was?® fragte ich ihn. ¯Wir wrden sie aufbewahren, bis wir in unsere D”rfer zurckkehren; aber da wir die Ihrigen berfallen wollen und - 200 - bis dahin noch einen weiten Weg haben, so werden wir uns nicht lange mit ihnen schleppen. Sie kommen an den Marterpfahl.® ¯Alle?® ¯Alle!® ¯Das glaube ich nicht.® ¯Warum?® ¯Weil du vorhin im Irrtum gewesen bist.® ¯Wann?® ¯Als du sagtest, daá die Apachen euch geh”rten. Das war falsch.® ¯Das war richtig!® ¯Nein. Nach den Gesetzen des Westens geh”rt der Gefangene dem, der ihn zum Gefangenen gemacht hat. Nehmt euch also die Apachen, welche ihr berwunden habt; dagegen will ich gar nichts haben. Diejenigen aber, die wir ergriffen haben, geh”ren uns.® ¯Uff, uff! Wie klug du redest. Da wollt ihr wohl auch Intschu tschuna und Winnetou behalten?® ¯Natrlich!® ¯Und wenn ich sie euch nicht lasse?® ¯Du wirst sie uns lassen!® Er sprach in feindseligem Tone; ich antwortete ihm ruhig und bestimmt. Da zog er sein Messer, stieá es bis an das Heft in die Erde und sagte, indem seine Augen mich drohend anfunkelten: ¯Legt ihr nur eine Hand an einen einzigen Apachen, so werden eure Leiber sein wie diese Stelle hier, in welcher mein Messer steckt. Ich habe gesprochen. Howgh!® Das war sehr ernst gemeint; ich h„tte ihm aber doch gezeigt, daá ich keine Lust hatte, mich einschchtern zu lassen, wenn Sam Hawkens nicht so klug gewesen w„re, mir einen warnenden Blick zuzuwerfen, welcher mich zur Ruhe und Vorsicht mahnte. Ich zog es also vor, zu schweigen. Die gefesselten Apachen lagen rund um das Feuer, und es w„re am einfachsten gewesen, sie da liegen zu lassen, wo sie ohne Mhe bewacht werden konnten. Aber Tangua wollte mir zeigen, daá er sie wirklich als sein Eigentum betrachte - 201 - und mit ihnen nach Belieben verfahren k”nne, darum gab er den Befehl, sie aufrecht an die nahestehenden B„ume zu binden. Dies geschah, und zwar nicht in zarter Weise, wie man sich leicht denken kann. Die Kiowas verfuhren dabei m”glichst schonungslos und waren bemht, den Gefesselten m”glichst groáe Schmerzen zu bereiten. Keiner der Apachen verzog dabei eine Miene. Sie waren im Erdulden aller Qualen streng erzogen und gebt. Am rohesten verfuhr man gegen die beiden H„uptlinge, deren Fesseln so fest zusammengezogen wurden, daá das Blut aus dem angeschwollenen Fleische spritzen wollte. Es war ganz unm”glich, daá ein Gefangener nun aus eigener Anstrengung loskommen und entfliehen konnte, dennoch stellte Tangua Wachen rund um das Lager aus. Unser wieder angefachtes Feuer brannte, wie bereits erw„hnt, am inneren Ende des sich nach dem Wasser ziehenden Grasstreifens. Wir lagerten uns um dasselbe und hatten die Absicht, keinen Kiowa bei uns zu dulden, da dies die Befreiung Winnetous und seines Vaters entweder erschweren oder gar unm”glich machen muáte; aber es fiel ihnen auch gar nicht ein, zu uns zu kommen. Sie hatten sich gleich, als sie bei uns ankamen, nicht als freundlich erwiesen, und mein jetziger Wortwechsel mit ihrem H„uptlinge war nicht geeignet gewesen, ihre Gesinnungen zu „ndern. Die kalten, fast ver„chtlichen Blicke, welche sie uns zuwarfen, waren keineswegs vertrauenerweckend, und wir muáten uns sagen, daá wir nur froh sein drften, wenn es uns gelingen sollte, mit ihnen ohne einen vorherigen Zusammenstoá auseinander zu kommen. Sie brannten fr sich in einer Entfernung von uns, weiter nach der Savanne hinaus, mehrere Feuer an, um welche sie sich lagerten. Dort sprachen sie miteinander nicht in dem zwischen Weiáen und Roten gebr„uchlichen Idiom, sondern in der Sprache ihres Volkes. Wir sollten sie nicht verstehen, was wir auch als ein fr uns ungnstiges Zeichen betrachten muáten. Sie hielten sich fr die Herren der Situation, und ihr Verhalten zu uns glich demjenigen eines Menageriel”wen, der ein Hndchen bei sich duldet. Die Ausfhrung unseres Vorhabens wurde dadurch erschwert, daá nur vier Personen davon wissen durften, n„mlich - 202 - Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker und ich. Die Andern wollten und durften wir nicht in das Geheimnis ziehen, weil sie wahrscheinlich dagegen gewesen und die Ausfhrung desselben hintertrieben oder gar den Kiowas Mitteilung davon gemacht h„tten. Die lagen hier bei uns, und wir muáten hoffen, daá sie sp„ter alle schlafen wrden. Deshalb und weil, wenn unser Vorhaben gelang, dann von einer Ruhe fr uns wohl keine Rede war, meinte Sam, daá es fr uns angezeigt sei, zu versuchen, ob wir jetzt ein wenig schlafen k”nnten. Wir legten uns also nieder, und ich war trotz der seelischen Aufregung, in welcher ich mich befand, so glcklich, bald einzuschlafen. Sp„ter wurde ich von Sam geweckt. Damals verstand ich es noch nicht so wie sp„ter, die Zeit nach dem Stande der Sterne zu bestimmen; aber es mochte kurz nach Mitternacht sein. Unsere Gef„hrten schliefen und das Feuer war niedergebrannt. Die Kiowas unterhielten nur ein Feuer und hatten die andern ausgehen lassen. Wir konnten miteinander sprechen, was allerdings nur leise geschehen durfte. Parker und Stone waren auch wach. Sam flsterte mir zu: ¯Es gilt vor allen Dingen, eine Wahl zu treffen, denn alle Vier drfen wir nicht fort von hier. Es gengen Zwei.® ¯Zu denen geh”re natrlich ich!® antwortete ich ihm in bestimmtem Tone. ¯Oho, nicht so eilig, bester Sir! Die Sache ist lebensgef„hrlich.® ¯Das weiá ich.® ¯Und Ihr wollt Euer Leben wagen?® ¯Ja.® ¯Well! Ihr seid eben ein braver Kerl, wenn ich mich nicht irre. Aber wir haben es mit noch einer andern Gefahr zu tun, nicht nur mit derjenigen, in welche wir unser Leben bringen.® ¯Welche meint Ihr?® ¯Es h„ngt das Gelingen unsres Vorhabens von den Personen ab, die es ausfhren.® ¯Das ist richtig.® ¯Freut mich, daá Ihr dies zugebt, und darum denke ich, daá Ihr darauf verzichten werdet, selbst mitzutun.® - 203 - ¯F„llt mir nicht ein!® ¯Seid vernnftig, Sir! Laát mich mit Dick Stone gehen!® ¯Nein!® ¯Ihr seid noch zu neu. Ihr versteht vom Anschleichen so gut wie noch gar nichts.® ¯M”glich. Heute aber werde ich Euch beweisen, daá man auch etwas fertig bringt, was man nicht versteht. Man muá nur Lust dazu haben.® ¯Und Geschick, Sir, Geschick! Und das habt Ihr eben nicht. Das muá erstens angeboren sein und dann gebt werden. Die Uebung aber ist's, die Euch fehlt.® ¯Es kommt auf eine Probe an.® ¯Wollt Ihr eine machen?® ¯Ja.® ¯Welche?® ¯Wiát Ihr, ob der H„uptling Tangua schl„ft?® ¯Nein.® ¯Und doch ist es fr uns wichtig, dies zu wissen, nicht wahr, Sam?® ¯Ja. Ich will mich nachher einmal hinschleichen.® ¯Nein; das werde ich tun.® ¯Ihr? Warum?® ¯Eben um die Probe zu machen.® ¯Ah, so! Aber wenn man Euch entdeckt?® ¯So schadet es nichts, denn es gibt eine gute Ausrede. Ich habe mich berzeugen wollen, daá die Wachen ihre Schuldigkeit tun.® ¯Well, das geht. Aber wozu soll denn diese Probe dienen?® ¯Um mir Euer Vertrauen zu erwerben. Ich denke, wenn ich bestehe, so weigert Ihr Euch nicht, mich mit zu Winnetou zu nehmen.® ¯Hm! Darber máten wir dann noch reden.® ¯Meinetwegen! Also ich darf jetzt fort zum H„uptling?® ¯Ja. Aber nehmt Euch in acht! Wenn man Euch erwischt, so sch”pft man Verdacht, wenn auch nicht jetzt, so doch sp„ter, wenn Winnetou fort ist. Man wird denken, daá Ihr ihn losgeschnitten habt.® ¯Und sich dabei in keinem sehr groáen Irrtum befinden.® - 204 - ¯Nehmt ja jeden Baum und jeden Strauch zur Deckung, und htet Euch, eine Stelle zu berhren, wohin der Schein des Feuers f„llt. Mát Euch stets im Dunkeln halten!® ¯Werde mich im Dunkeln halten, Sam!® ¯Hoffe es. Es sind noch wenigstens dreiáig Kiowas munter, wenn ich mich nicht irre, die W„chter gar nicht mitgerechnet. Wenn Ihr es fertig bringt, nicht bemerkt zu werden, so will ich Euch loben und bei mir denken, daá doch noch einmal, vielleicht nach zehn Jahren, ein Westmann aus Euch werden kann, obgleich Ihr trotz aller meiner guten Lehren jetzt noch ein Greenhorn seid, wie man es so sch”n grn und unerfahren in keinem Panoptikum zu sehen bekommt, hihihihi!® Ich schob das Messer und die Revolver, um sie nicht etwa unterwegs zu verlieren, so tief wie m”glich in den Grtel und kroch von dem Feuer fort. Heut, wo ich dieses erz„hle, kenne ich die ganze Verantwortlichkeit, welche ich damals so leicht auf mich nahm, die ganze Verwegenheit des Vorsatzes, den ich gefaát hatte. Ich wollte n„mlich den H„uptling nicht beschleichen! Ich hatte Winnetou liebgewonnen und wollte ihm das beweisen, wom”glich durch eine Tat, bei welcher ich mein Leben wagte. Dazu gab es jetzt die trefflichste Gelegenheit; ich konnte ihn befreien. Aber ich wollte das tun, ich selbst! Und nun kam mir Sam mit seinen Bedenken dazwischen! Er wollte das, worauf ich mich so freute, mit Dick Stone ausfhren. Selbst wenn ich jetzt den H„uptling ganz glcklich beschlich, war anzunehmen, daá Sam seine Bedenken doch nicht fallen lassen werde. Darum war ich auf den Gedanken gekommen, gar nicht erst darum zu betteln und mir Mhe zu geben, ihn meinem Wunsche geneigt zu machen. Nein, ich wollte nicht hin zum H„uptling, sondern zu Winnetou! Dabei setzte ich nicht nur mein Leben, sondern auch das meiner Gef„hrten aufs Spiel. Wenn ich bei der Ausfhrung meines Vorhabens erwischt wurde, war es um mich und um sie geschehen. Das wuáte ich damals zwar auch, ging aber in jugendlichem Tatendrange leicht darber hinweg. Vom Anschleichen hatte ich oft gelesen und seit ich mich im wilden Westen befand, auch oft genug geh”rt. Besonders Sam hatte mir oft gesagt und es mir auch oft gezeigt, wie es - 205 - zu machen sei. Ich hatte es ihm nachgemacht; aber von der Fertigkeit, die ich heute eigentlich brauchte, war keine Rede. Das hinderte mich aber keineswegs, fest an mich und an das Gelingen meiner Absicht zu glauben. Ich lag im Grase und schob mich fort, in die Bsche hinein. Von unserm Lager bis dahin, wo Intschu tschuna und Winnetou nebeneinander an je einen Baum gebunden waren, war es ungef„hr fnfzig Schritte weit. Ich h„tte mich eigentlich so fortschieben sollen, daá nur meine Finger- und die Stiefelspitzen den Boden berhrten; dazu geh”rt aber eine Kraft und Ausdauer in den Zehen und Fingern, die man sich nur durch lange Uebung aneignen kann; ich besaá sie noch nicht. Darum schob ich mich auf den Knieen und Vorderarmen nach Art eines vierfáigen Tieres fort. Ehe ich die H„nde an eine Stelle setzte, betastete ich sie erst, ob vielleicht ein Stck drres Holz daliege, welches durch den Druck meines K”rpers zerknickt werden und dadurch ein Ger„usch verursachen k”nne. Muáte ich zwischen oder unter Zweigen durch, so flocht ich sie vorher sorgf„ltig zusammen, so daá sie mir, ohne daá ich sie berhrte, dann Durchlaá boten. Das ging langsam, sehr, sehr langsam, aber ich kam doch vorw„rts. Die Apachen waren zu beiden Seiten des offenen Grasstreifens an die B„ume gebunden worden. Die beiden H„uptlinge befanden sich, von unsem [unserm] Lagerplatze aus gerechnet, auf der linken Seite. Ihre B„ume standen am Rande des Streifens, und ungef„hr vier oder fnf Schritte vor ihnen saá, mit dem Gesichte ihnen zugekehrt, ein Indianer, der sie, weil ihre Personen von solcher Wichtigkeit waren, speziell zu bewachen hatte. Dieser Umstand muáte mir mein Werk erschweren, wohl gar unm”glich machen, doch hatte ich mir zurecht gelegt, auf welche Weise ich seine Aufmerksamkeit ablenken wollte, wenigstens fr kurze Zeit. Es geh”rten hierzu Steine, die es aber leider hier nicht zu geben schien. Ich hatte vielleicht die H„lfte meines Weges zurckgelegt und dazu ber eine halbe Stunde gebraucht; man denke, in einer halben Stunde fnfundzwanzig Schritte! Da sah ich mir zur Seite etwas Helles schimmern. Ich kroch hin und bemerkte zu meiner groáen Freude eine kleine, vielleicht zwei Ellen im - 206 - Durchmesser haltende Bodenvertiefung, welche mit Sand angefllt war. Wenn der Regen einmal das kleine Fláchen und den Teich angefllt hatte, so war das Wasser bergelaufen, nach dieser Seite abgeflossen und hatte diesen Sand hier angeschwemmt. Ich fllte schnell eine Tasche damit und kroch dann weiter. Nach wieder einer guten halben Stunde befand ich mich endlich hinter Winnetou und seinem Vater, vielleicht vier Schritte von ihnen entfernt. Die B„ume, an welchen sie, mit den Rcken mir zugekehrt, gebunden lehnten, waren nicht ganz mannesstark. Ich h„tte mich nicht vollends n„hern k”nnen, wenn nicht glcklicherweise am Fuáe dieser B„ume einiges belaubte Gezweig gestanden h„tte, welches mir hinl„nglich erschien, mich dem W„chter zu verbergen. Zu erw„hnen ist, daá mehrere Schritte seitw„rts hinter diesem ein stacheliger Strauch stand, auf den ich es abgesehen hatte. Ich schob mich zuerst bis hinter Winnetou hinan und blieb da einige Minuten still liegen, um den W„chter zu beobachten. Er schien mde zu sein, denn er hielt die Augen geschlossen und ”ffnete sie dann und wann in einer Weise, als ob ihm dies Anstrengung koste. Das war mir lieb. Zun„chst galt es zu erfahren, in welcher Weise Winnetou gefesselt war. Ich langte also vorsichtig um den Stamm hinum und betastete seinen Fuá und Unterschenkel. Das muáte er natrlich fhlen, und ich hatte befrchtet, daá er eine Bewegung machen werde, durch welche ich verraten werden k”nnte; dies geschah aber nicht; er war zu klug und zu geistesgegenw„rtig dazu. Ich fand, daá ihm die Fáe an den Kn”cheln zusammengebunden waren, und auáerdem hatte man um sie und den Baum einen Riemen gezogen; es waren hier also zwei Messerschnitte notwendig. Dann blickte ich nach oben. Beim flackernden Feuerscheine sah ich, daá man seine H„nde rckw„rts von rechts und links um den Baum gezogen und dort hinter demselben mit einem Riemen zusammengebunden hatte. Da brauchte ich nur einen Schnitt zu tun. Jetzt nun fiel mir ein Umstand ein, an den ich vorher nicht gedacht hatte. Wenn ich Winnetou losschnitt, so stand - 207 - nach meinem Dafrhalten zu erwarten, daá er augenblicklich die Flucht ergreifen werde. Das muáte mich in die gr”áte Gefahr bringen. Ich sann hin und her, wie dies vermieden werden k”nne, fand aber keinen Ausweg; ich muáte es eben riskieren und, falls der Apache sofort entsprang, mich ebenso schnell salvieren. Wie irrte ich mich da in Winnetou! Ich kannte ihn eben nicht. Als wir sp„ter ber seine Befreiung sprachen, teilte er mir seine Gedanken mit, die er dabei gehabt hatte. Er hatte, als er meine tastende Hand fhlte, geglaubt, es sei ein Apache. Zwar waren alle, welche er bei sich hatte, gefangen; aber es war doch m”glich, daá irgend ein Sp„her oder Bote ihnen, ohne daá sie davon wuáten, gefolgt war, um ihnen von ihrem Haupttruppe eine Nachricht zu bringen. Er war sofort seiner Befreiung sicher gewesen und hatte auf die erl”senden Messerschnitte gewartet. Aber er h„tte seine Stellung am Baume ganz gewiá nicht gleich ver„ndert, sondern sie einstweilen noch beibehalten, denn er w„re auf keinen Fall ohne seinen Vater entflohen und wollte auch den, welcher ihn befreite, nicht durch ein augenblickliches Entspringen in Gefahr bringen. Ich durchschnitt zun„chst die beiden unteren Riemen. Den oberen konnte ich in meiner liegenden Stellung nicht erreichen. Und selbst wenn ich ihn h„tte erlangen k”nnen, so war doch Behutsamkeit geboten, um Winnetou nicht in die H„nde zu schneiden. Ich muáte also aufstehen. Da aber war es beinahe sicher, daá mich der W„chter sehen muáte. Um seine Aufmerksamkeit abzulenken, hatte ich den Sand mitgebracht; kleine Steine w„ren mir freilich lieber gewesen. Ich griff in die Tasche, nahm eine Wenigkeit davon heraus und warf sie an Winnetou und dem W„chter vorbei, auf den Stachelstrauch. Das verursachte ein Rascheln. Der Rote wendete sich um und sah nach dem Strauche, beruhigte sich aber bald wieder. Ein zweiter Wurf erregte sein Bedenken. Es konnte ein giftiges Reptil im Strauche verborgen sein. Er stand auf, ging hin und betrachtete ihn forschend. Dabei kehrte er uns den Rcken zu. Schnell war ich auf und durchschnitt die Riemen. Dabei fiel mir das herrliche Haar Winnetous in die Augen, welches auf dem Kopfe einen helmartigen Schopf bildete - 208 - und dann noch schwer und lang auf den Rcken niederfiel. Mit der linken Hand eine dnne Str„hne desselben fassend, schnitt ich sie mit der Rechten ab und lieá mich dann wieder zu Boden sinken. Warum ich das tat? Um n”tigenfalls einen Beweis in den H„nden zu haben, daá ich es war, der ihn losgeschnitten hatte. Zu meiner Freude machte Winnetou nicht die geringste Bewegung; er stand genau so wie vorher da. Ich wickelte das Haar um die Finger zu einem Ring zusammen und steckte es ein. Dann kroch ich zu Intschu tschuna hinber, dessen Fesseln ich auf ganz dieselbe Weise untersuchte. Er war genau so gebunden und an den Baum befestigt wie Winnetou und blieb auch so unbeweglich, als er die Berhrung meiner Hand fhlte. Ich schnitt auch ihn erst unten los. Dann gelang es mir, auf ganz gleiche Weise die Aufmerksamkeit des W„chters wieder abzulenken, so daá ich auch die H„nde des H„uptlings von dem Riemen befreien konnte. Er war grad so bed„chtig wie sein Sohn und rhrte sich nicht. Da kam mir der Gedanke, daá es besser sei, die zu Boden gefallenen Riemen nicht finden zu lassen. Die Kiowas brauchten gar nicht zu wissen, auf welche Weise die Gefangenen frei geworden waren. Fanden sie hingegen die Riemen, so sahen sie, daá dieselben durchschnitten worden waren, und dann muáte sich ihr Verdacht auf uns richten. Ich nahm also erst hben bei Intschu tschuna die Riemen weg und huschte dann wieder hinber zu Winnetou, um dort dasselbe zu tun, steckte sie ein und machte mich dann auf den Rckweg. Wenn die beiden H„uptlinge verschwanden, so machte der W„chter augenblicklich Alarm, und dann durfte ich mich nicht mehr in der N„he befinden. Ich muáte mich beeilen. Darum kroch ich zun„chst tiefer in das Gebsch hinein, bis ich, falls ich mich aufrichtete, nicht gesehen werden konnte, stand dann auf und schlich mich nun, zwar auch vorsichtig, aber bedeutend schneller als vorher, nach unserm Lagerplatze zurck. Erst als ich in der N„he desselben angekommen war, legte ich mich wieder nieder, um den kleinen Rest des Weges kriechend zu machen. Meine drei Gef„hrten hatten groáe Sorge um mich gehabt. [Tafel Nr. 4: "Bd. VII. Ich durchschnitt zuerst die unteren Riemen. (Zu S. 206.)"] - 209 - Als ich bei ihnen angekommen war und wieder zwischen ihnen lag, flsterte mir Sam zu: ¯Wir hatten beinahe Angst, Sir! Wiát Ihr, wie lange Ihr fort gewesen seid?® ¯Nun?® ¯Beinahe zwei Stunden.® ¯Das stimmt. Eine halbe Stunde hin, eine halbe her und eine ganze dort geblieben.® ¯Warum muátet Ihr so lange dort bleiben?® ¯Um ganz genau zu erfahren, ob der H„uptling schl„ft.® ¯Wie habt Ihr das denn angefangen?® ¯Ich habe so lange nach ihm hingeschaut, und als er sich dann immer noch nicht bewegte, so konnte ich berzeugt sein, daá er schl„ft.® ¯So, ach, sch”n! Habt ihr's geh”rt, Dick und Will? Um zu erfahren, ob der H„uptling munter ist oder schl„ft, hat er ihn eine ganze Stunde lang angestarrt, hihihihi! Er ist und bleibt ein Greenhorn, ein unverbesserliches Greenhorn! Habt Ihr denn gar kein Hirn im Kopfe, daá Euch kein besseres Mittel eingefallen ist? Ihr habt doch jedenfalls unterwegs genug kleine Holz- oder Rindenstcke gefunden? Nicht?® ¯Ja,® antwortete ich, da die letzten Worte wieder an mich gerichtet waren. ¯So brauchtet Ihr nur, wenn Ihr nahe genug gekommen waret, so ein Holzstckchen oder ein kleines biáchen Erde nach dem H„uptlinge zu werfen. W„re er wach gewesen, so h„tte er sich sicher augenblicklich bewegt. Na, Ihr habt freilich auch geworfen, wenn ich mich nicht irre, n„mlich Blick auf Blick, eine ganze Stunde lang, hihihihi!® ¯Mag sein; aber meine Probe habe ich doch bestanden!® W„hrend ich sprach, richtete ich meine Augen mit Spannung auf die beiden Apachen. Ich wunderte mich, daá sie noch immer so an den B„umen standen, als ob sie gefesselt w„ren. Sie konnten schon fort sein. Der Grund war ein sehr einfacher. Winnetou hatte angenommen, daá ich ihn zuerst abgeschnitten h„tte und dann zu seinem Vater geschlichen sei, und erwartete nun ein Zeichen von mir. Dasselbe war auch mit seinem Vater der Fall, nur umgekehrt. Intschu tschuna glaubte, - 210 - ich h„tte noch mit Winnetou zu tun. Als dann gar kein Zeichen meinerseits erfolgte, wartete Winnetou einen Augenblick ab, an welchem der W„chter die mden Augen wieder einmal geschlossen hatte, und bewegte dann den Arm, um seinem Vater zu zeigen, daá er nicht mehr gefesselt sei; der H„uptling gab ihm dasselbe Zeichen zurck; sie wuáten nun, woran sie waren, und verschwanden augenblicklich von ihren Pl„tzen. ¯Ja, Eure Probe habt Ihr bestanden,® gab Sam Hawkens zu. ¯Ihr habt den H„uptling eine ganze Stunde lang beobachtet, ohne daá Ihr dabei erwischt worden seid.® ¯Folglich werdet Ihr mir nun zutrauen, daá ich auch mit zu Winnetou kann, ohne daá ich Dummheiten mache.® ¯Hm! Glaubt Ihr, daá Ihr die beiden H„uptlinge dadurch befreien k”nnt, daá Ihr sie auch eine voll geschlagene Stunde mit Euern Blicken bombardiert?® ¯Nein. Wir schneiden sie los.® ¯Das sagt Ihr, als ob es so leicht w„re, wie man einen Ast vom Busche schneidet. Seht Ihr nicht, daá ein W„chter bei ihnen sitzt?® ¯Das sehe ich sehr wohl.® ¯Der macht es grad so wie Ihr; er kanoniert sie auch mit seinen Blicken. Sie trotz dieser seiner Wachsamkeit loszumachen, dazu seid Ihr noch nicht fertig genug. Es ist so schwer, daá ich nicht einmal weiá, ob es mir gelingen wird. Seht nur einmal hin, Sir! Schon das Anschleichen bis dorthin ist ein wahres Meisterstck, und wenn man dann glcklich bei ihnen angekommen ist, dann good lack! Was ist denn das?® Er hatte seine Augen auf die Apachen gerichtet gehabt und hielt mitten in seiner Rede inne, weil sie eben jetzt von ihren B„umen verschwanden. Ich tat, als ob ich das nicht gesehen h„tte, und fragte: ¯Was ist los? Warum sprecht Ihr nicht weiter?® ¯Warum? Weil weil Ist es denn richtig oder t„usche ich mich?® Er rieb sich die Augen und fuhr dann fort: ¯Ja, bei Gott, es ist richtig! Dick, Will, schaut doch einmal hin, ob ihr Winnetou und Intschu tschuna noch seht!® Sie wendeten sich nach der betreffenden Seite und wollten //211/ eben ihrem Erstaunen Ausdruck geben, als der W„chter, der die ihm Anvertrauten jetzt auch vermiáte, aufsprang, die beiden verlassenen B„ume einige Augenblicke lang anstarrte und dann einen lauten, durchdringenden Schrei ausstieá. Dieser weckte s„mtliche Schl„fer. Der W„chter schrie ihnen das Geschehene in seiner Sprache, die ich nicht verstand, zu, und nun gab es einen Tumult, welcher ganz unbeschreiblich war. Alles rannte nach den B„umen, die Weiáen auch alle. Ich folgte ihnen, denn ich muáte so tun, als ob ich gar nichts wisse. Dabei zog ich die Tasche heraus, kehrte sie um und lieá den Sand zu Boden fallen. Schade, daá ich nur Winnetou und Intschu tschuna hatte losmachen k”nnen! Wie gern h„tte ich noch mehrere, am liebsten alle befreit, aber es h„tte an Verrcktheit gegrenzt, dies auch nur zu versuchen. Zweihundert und noch mehr Menschen umdr„ngten die beiden Stellen, an denen die Entflohenen noch vor wenigen Augenblicken gestanden hatten. Dabei gab es ein Geschrei oder ein Wutgeheul, welches mir sehr deutlich sagte, was meiner wartete, falls die Wahrheit an den Tag kommen sollte. Endlich gebot Tangua Ruhe und erteilte seine Befehle, auf welche wenigstens die H„lfte seiner Leute forteilte, um sich drauáen auf der Savanne zu zerstreuen und trotz der Dunkelheit nach den Entflohenen zu suchen. Der H„uptling sch„umte f”rmlich vor Wut. Er schlug dem unaufmerksamen W„chter mit der Faust in das Gesicht und riá ihm den Medizinbeutel vom Halse, um denselben unter die Fáe zu treten. Damit war der arme Teufel fr ehrlos erkl„rt. Man darf n„mlich nicht etwa auf Grund des Wortes Medizin annehmen, daá es sich dabei um ein Arznei- oder Heilmittel handle. Das Wort Medizin ist bei den Indianern erst nach dem Auftreten der Weiáen in Gebrauch gekommen. Die Heilmittel der Bleichgesichter waren ihnen unbekannt, und sie hielten die Wirkungen derselben fr die Folgen eines Zaubers, eines mit dem Uebersinnlichen in Verbindung stehenden Geheimnisses. Seitdem bezeichnen sie alles, was sie fr Zauberei halten oder was ihnen nicht erkl„rlich ist, was sie fr die Folgen eines h”heren Einflusses, einer h”heren Eingebung halten, - 212 - mit dem Worte Medizin. Natrlich hat jeder Stamm auch einen eigenen, seiner Sprache angeh”rigen Ausdruck dafr. So heiát Medizin in der Sprache der Mandans Hopenesch, der Tuskaroras Yunnjuh queht, der Schwarzfáe Nehtowa, der Sioux Wehkon und der Riccarehs Wehrootih. Jeder erwachsene Mann, jeder Krieger hat eine Medizin. Der Jngling, welcher unter die M„nner, die Krieger aufgenommen werden will, verschwindet pl”tzlich und sucht die Einsamkeit auf. Dort fastet und hungert er und versagt sich sogar den Genuá des Wassers. Er denkt ber seine Hoffnungen, Wnsche und Pl„ne nach. Die Anstrengung des Geistes, verbunden mit solchen k”rperlichen Entbehrungen, versetzt ihn in einen fieberhaften Zustand, in welchem er den Schein von der Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden weiá. Er glaubt, h”here Eingebungen zu empfangen; der Traum ist ihm dann eine berirdische Offenbarung. Hat er dieses Stadium erreicht, so wartet er auf den ersten Gegenstand, der ihm vom Traume oder sonstwie vorgegaukelt wird, und dieser ist ihm dann frs ganze Leben heilig, ist seine "Medizin". Sollte dieser Gegenstand zum Beispiele eine Fledermaus sein, so ruht er nicht, bis er eine solche f„ngt. Ist ihm dies gelungen, so kehrt er mit ihr zum Stamme zurck und bergibt sie dem Medizinmanne, dem Zauberer, welcher sie zu pr„parieren hat. Sie findet ihren Platz in dem verschieden-, jedoch stets eigenartig ausgestatteten Medizinbeutel, welcher stets getragen werden muá, und ist das kostbarste Eigentum eines jeden Indianers. Medizin verloren, Ehre verloren. So ein Unglcklicher kann sich nur dadurch rehabilitieren, daá er einen berhmten Feind t”tet und dann dessen Medizin vorzeigt; sie wird die seinige. Man kann also denken, welche Strafe es fr den W„chter war, daá ihm seine Medizin entrissen und zertreten wurde. Er sagte kein Wort der Entschuldigung oder des Zornes, schulterte sein Gewehr und verschwand zwischen den B„umen. Er war von heut an fr seinen Stamm tot und konnte nur in dem oben angegebenen Falle wieder aufgenommen werden. Die Wut des H„uptlings richtete sich nicht nur gegen diesen Schuldigen, sondern auch gegen mich. Er kam auf mich zu und schrie mich an: - 213 - ¯Du wolltest diese zwei Hunde fr dich haben. Lauf ihnen doch nach und fange sie wieder ein!® Ich wollte mich von ihm abwenden, ohne zu antworten, da ergriff er mich beim Arme und rief: ¯Hast du geh”rt, was ich dir befohlen habe? Verfolgen sollst du sie!® Ich schttelte ihn von mir ab und antwortete: ¯Befohlen? Hast du mir zu befehlen?® ¯Ja, denn ich bin der H„uptling dieses Lagers, und ihr habt mir zu gehorchen!® Da zog ich die Sardinenbchse aus der Tasche und sagte: ¯Soll ich dir die richtige Antwort geben, indem ich dich mit allen deinen Kriegern in die Luft sprenge? Sprich noch ein Wort, was mir nicht gef„llt, und ich vertilge euch alle mit dieser Medizin!® Ich war neugierig, ob dieses Possenspiel die beabsichtigte Wirkung hervorbringen werde. Ja, und wie! Er wich weit zurck und schrie: ¯Uff, uff! Behalte diese Medizin fr dich, und sei ein Hund, wie jeder Apache einer ist!® Das war eine Beleidigung, die ich wohl nicht so ruhig hingenommen h„tte, wenn es nicht klug gewesen w„re, auf seine Aufregung und die Ueberzahl seiner Leute Rcksicht zu nehmen. Wir Weiáen kehrten nach unserer Lagerstelle zurck, wo das Ereignis natrlich von allen Seiten beleuchtet wurde, ohne daá einer die gewnschte Erkl„rung fand. Ich schwieg nicht nur gegen die Andern, sondern auch gegen Sam, Dick und Will. Es machte mir heimlich Spaá, die Erkl„rung dieses pl”tzlichen Verschwindens der Gefangenen in den H„nden zu haben, w„hrend sie so eifrig und doch vergeblich danach suchten. Die Haarlocke Winnetous habe ich auf allen meinen Wanderungen durch den Westen bei mir getragen und besitze sie heute noch. - 214 - [unpag.] Viertes Kapitel. Zweimal um das Leben gek„mpft. Das Verhalten der Kiowas lieá uns, obgleich wir sie nicht als ausgesprochene Feinde betrachten konnten, fr unsere Sicherheit besorgt sein. Darum wurde, als wir uns wieder schlafen legten, bestimmt, daá wir, einander stndlich abwechselnd, bis zum Morgen wachen wollten. Dies geschah, und die Roten bemerkten natrlich, daá wir diese Vorsichtsmaáregel getroffen hatten; es verstand sich ganz von selbst, daá sie uns das bel nahmen und nun noch weniger Freundschaft fr uns fhlten als vorher. Als der Tag anbrach, weckte uns unser W„chter. Wir sahen, daá die Kiowas besch„ftigt waren, nach den Spuren der entflohenen H„uptlinge zu suchen, die sie in der Nacht nicht hatten finden k”nnen. Sie trafen auf die F„hrte und folgten ihr; sie fhrte nach der Stelle, an welcher die Apachen vor dem Ueberfalle ihre Pferde zurckgelassen hatten, natrlich unter der Beaufsichtigung einiger W„chter. Intschu tschuna und Winnetou waren mit diesen W„chtern fortgeritten und hatten keines der Pferde mitgenommen, sondern sie alle stehen lassen. Als wir dies erfuhren, machte Sam Hawkens eines seiner listigen Gesichter und fragte mich: ¯K”nnt Ihr Euch vielleicht denken, Sir, weshalb die beiden H„uptlinge dies getan haben?® ¯Ja. Es ist gar nicht schwer, es zu erraten.® ¯Oho, Sir! So ein Greenhorn, wie Ihr seid, darf sich ja nicht einbilden, aus reinem Zufalle gleich auf den richtigen - 215 - Gedanken zu kommen. Es geh”rt Erfahrung dazu, meine Frage zu beantworten.® ¯Die habe ich ja!® ¯Ihr? Erfahrung? M”chte wissen, woher die Euch kommen sollte! Wollt Ihr mir das vielleicht sagen?® ¯Warum nicht? Die Erfahrung, welche ich meine, habe ich aus Bchern gesch”pft.® ¯Wieder Eure Bcher! Es mag Euch einmal glcken, etwas gelesen zu haben, was Euch hier Nutzen bringt, aber da drft Ihr doch nicht gleich denken, daá Ihr die Gescheitheit nur so mit L”ffeln gegessen habt. Ich werde Euch gleich beweisen, daá Ihr nichts, aber auch gar nichts wiát. Also, warum haben die beiden entflohenen H„uptlinge nur ihre eigenen Pferde mitgenommen, aber diejenigen der Gefangenen dagelassen?® ¯Eben um dieser Gefangenen willen.® ¯Ah! Wieso?® ¯Weil diese ihre Pferde noch sehr notwendig brauchen werden.® ¯Meint Ihr? Inwiefern k”nnen denn Gefangene Pferde brauchen?® Ich fhlte mich durch seine Fragen nicht etwa in meinem Ehrgefhle verletzt; es war nun einmal so seine Weise. Darum antwortete ich: ¯Es kann zweierlei geschehen. Entweder kehren die beiden H„uptlinge bald mit einer gengenden Apachenschar zurck, um die Gefangenen zu befreien. Warum sollen sie da die Pferde erst mitnehmen und dann wieder mitbringen? Oder die Kiowas warten die Ankunft der Apachen nicht ab und verlassen mit ihren Gefangenen diese Gegend. Dann ist den letzteren ihre Lage dadurch erleichtert, daá sie reiten k”nnen. Ihr Transport verursacht da weniger Schwierigkeiten, und es ist zu hoffen, daá sie nach den D”rfern der Kiowas geschafft werden und unterwegs befreit werden k”nnen. H„tten sie aber keine Pferde, so daá sie laufen máten, so k”nnten die Kiowas leicht auf den Gedanken kommen, den schwierigen und langweiligen Transport dadurch zu umgehen, daá sie sie hier und jetzt gleich umbringen.® - 216 - ¯Hm! Das ist wirklich gar nicht so dumm gedacht, wie man aus Eurem Gesichte schlieáen k”nnte. Aber Ihr habt einen dritten Fall vergessen. Es ist n„mlich m”glich, daá die Kiowas ihre Gefangenen trotz der Pferde t”ten.® ¯Nein; das ist nicht m”glich.® ¯Nicht? Sir, wie kommt Ihr denn auf die Idee, etwas fr unm”glich zu erkl„ren, was Sam Hawkens fr leicht m”glich h„lt?® ¯Weil dieser Sam Hawkens vergessen zu haben scheint, daá ich hier bin.® ¯Ah, Ihr seid hier? Ist das wahr? Ihr haltet Eure hochverehrte Gegenwart wohl fr ein ganz auáerordentliches oder sogar welterschtterndes Ereignis?® ¯Nein. Ich wollte nur sagen, daá die Gefangenen, so lange ich da bin und ein Glied fr sie rhren kann, nicht ermordet werden.® ¯Wirklich? Was Ihr doch fr ein hochbedeutender Kerl seid, hihihihi! Die Kiowas sind zweihundert Mann stark, und Ihr, der einzelne Mensch, das Greenhorn, will sie hindern, zu tun, was ihnen beliebt!® ¯Ich werde hoffentlich nicht einzeln dastehen.® ¯Nicht? Auf wen rechnet Ihr denn noch?® ¯Auf Euch, Sam, und auch auf Dick Stone und Will Parker! Ich hege das feste Vertrauen zu euch, daá ihr euch so einem Massenmorde ernstlich widersetzen wrdet.® ¯So! Also Vertrauen habt Ihr doch zu uns! Bin Euch sehr dankbar dafr, denn es ist wirklich kein Spaá, das Vertrauen eines solchen Mannes, wie Ihr seid, zu besitzen. Ich bilde mir natrlich auáerordentlich viel darauf ein, wenn ich mich nicht irre!® ¯H”rt, Sam, ich spreche im Ernste und habe gar nicht die Absicht, diese Angelegenheit in das Scherzhafte zu ziehen. Wenn es sich um so viele Menschenleben handelt, da hat der Spaá einfach aufzuh”ren!® Da blitzte er mich aus seinen kleinen Aeuglein ironisch listig an und sagte: ¯Thunder-storm! Es ist Euch also wirklich Ernst? Ja, dann muá ich freilich ein ganz anderes Gesicht dazu machen. - 217 - Aber wie denkt Ihr Euch denn eigentlich die Sache, Sir? Auf die Andern k”nnen wir nicht rechnen; wir sind also nur vier Personen, welche unter Umst„nden mit zweihundert Kiowas anbinden wollen. Meint Ihr denn, daá dies ein gutes Ende fr uns nehmen k”nnte?® ¯Nach dem Ende frage ich nicht. Ich dulde nicht, daá in meiner Gegenwart ein solcher Mord geschieht.® ¯Dann wird er trotzdem geschehen, doch mit dem Unterschiede, daá Ihr auch mit ausgel”scht werdet. Oder wollt Ihr Euch auf Euern neuen Namen Old Shatterhand verlassen? Meint Ihr, daá Ihr zweihundert rote Krieger mit Euern F„usten niederschlagen k”nnt?® ¯Unsinn! Ich habe mir diesen Namen nicht gegeben und weiá genau, daá wir Vier nicht gegen die Zweihundert aufkommen k”nnten. Aber ist denn die Anwendung von Gewalt durchaus notwendig? List ist da oft besser.® ¯So? Das habt Ihr wohl gelesen?® ¯Ja.® ¯Richtig! Ihr seid dadurch aber auch ein furchtbar gescheiter Kerl geworden. Ich m”chte Euch wirklich gern einmal listig sehen. Was wrdet Ihr denn ungef„hr fr Gesichter dabei machen? Ich sage Euch, daá hier mit aller Eurer List nichts zu erreichen ist. Die Roten werden machen, was sie wollen, und sich gar nicht darum kmmern, ob wir drohende oder listige Mienen dazu schneiden.® ¯Gut! Ich sehe, daá ich mich nicht auf Euch verlassen kann, und werde also, wenn man mich dazu zwingt, allein handeln.® ¯Um Gottes willen, macht keine Dummheiten, Sir! Ihr habt gar nichts allein zu machen, sondern Euch in allem, was Ihr tut, nach uns zu richten. Ich habe ja gar nicht sagen wollen, daá ich mich der Apachen, falls ihnen Gefahr drohen sollte, nicht annehmen will, aber es ist nie meine Art gewesen, mit dem Kopfe dicke Mauern einzurennen. Ich sage Euch, die Mauern sind stets h„rter als die K”pfe.® ¯Und ich habe ebensowenig sagen wollen, daá ich Unm”gliches machen will. Jetzt wissen wir noch gar nicht, wie die Kiowas ber ihre Gefangenen bestimmt haben, und brauchen - 218 - uns also noch nicht mit Sorgen zu qu„len. Sollten wir aber sp„ter zum Handeln gezwungen sein, so wird sich jedenfalls dann die beste Art und Weise dazu finden.® ¯M”glich; aber darauf darf sich ein vorsichtiger Mann nicht verlassen. Was sich finden k”nnte, das geht mich gar nichts an. Wir haben mit einer ganz bestimmten Frage zu rechnen, und diese lautet: Was tun wir, falls die Apachen get”tet werden sollen?® ¯Wir geben es nicht zu.® ¯Das ist nichts gesagt, gar nichts gesagt. Nicht zugeben! Drckt Euch deutlicher aus!® ¯Wir erheben Einspruch dagegen.® ¯Das wird keinen Erfolg haben.® ¯So zwinge ich den H„uptling, sich nach meinem Willen zu richten.® ¯Wie wollt Ihr das anfangen?® ¯Ich werde mich, falls es gar nicht anders geht, seiner Person bem„chtigen und ihm das Messer auf die Brust setzen.® ¯Und ihn erstechen?® ¯Wenn er mir nicht gehorcht, ja.® ¯All devils, seid Ihr ein rabiater Mensch!® rief er erschrocken aus. ¯So etwas ist Euch wirklich zuzutrauen! [?]® ¯Ich versichere Euch, daá ich es tun werde!® ¯Das ist das ist ® Er hielt inne; seine erst erschrockene und dann besorgte Miene nahm nach und nach einen andern Ausdruck an, und endlich fuhr er fort: ¯H”rt, dieser Gedanke ist gar nicht so bel. Dem H„uptlinge das Messer an die Kehle legen, das ist in diesem Falle wohl die einzige Art und Weise, ihn zu zwingen, das zu tun, was wir wollen. Es ist wirklich wahr, daá ein Greenhorn auch einmal eine kleine, sogenannte Idee haben kann. Die wollen wir festhalten.® Er wollte weiter sprechen, aber da trat Bancroft zu uns und forderte mich auf, an die Arbeit zu gehen. Der Ingenieur hatte recht. Wir durften keine Stunde vers„umen, um mit unserm Pensum wom”glich noch fertig zu werden, ehe Intschu tschuna und Winnetou mit ihren Kriegern eintreffen konnten. Wir waren bis Mittag in unausgesetzter, angestrengter T„tigkeit; da kam Sam Hawkens zu mir und sagte: - 219 - ¯Ich muá Euch leider st”ren, Sir, denn die Kiowas scheinen mit ihren Gefangenen etwas los zu haben.® ¯Etwas? Das ist sehr unbestimmt. Wiát Ihr denn nicht, was?® ¯Kann es vermuten, wenn ich mich nicht irre. Sie scheinen sie an dem Marterpfahle sterben lassen zu wollen.® ¯Wann? Sp„ter oder bald?® ¯Natrlich bald; sonst w„re ich nicht jetzt zu Euch gekommen. Sie haben Vorbereitungen getroffen, aus denen ich schlieáe, daá die Apachen gemartert werden sollen. Und zwar scheinen sie die Absicht zu haben, damit sehr bald zu beginnen.® ¯Das wollen wir uns verbitten! Wo ist der H„uptling?® ¯Mitten unter seinen Kriegern.® ¯So mssen wir ihn von ihnen fortlocken. Wollt Ihr das besorgen, Sam?® ¯Ja; doch auf welche Weise?® Ich warf einen forschenden Blick zurck. Die Kiowas befanden sich auch nicht mehr da, wo wir gestern gelagert hatten. Sie waren unsern Vermessungsarbeiten gefolgt und hatten sich am Rande eines kleinen Prairiew„ldchens niedergelassen. Rattler mit seinen Leuten war bei ihnen, und Sam Hawkens hatte sich, um sie zu beobachten, bis jetzt in ihrer N„he herumgetrieben, w„hrend Parker und Stone in meiner N„he saáen. Zwischen den Roten und der Stelle, an welcher ich in diesem Augenblicke stand, gab es ein Gebsch, welches fr meine Absicht sehr geeignet war, denn es erlaubte den Kiowas nicht, zu sehen, was bei uns geschah. Ich antwortete auf Sams Frage: ¯Sagt ihm ganz einfach, ich h„tte ihm etwas zu sagen, k”nne aber nicht von meiner Arbeit fort. Da wird er kommen.® ¯Ich hoffe es. Aber wenn er einige Andere mitbringt?® ¯Die berlasse ich Euch und Stone und Parker; ihn nehme ich auf mich. Haltet Riemen bereit, sie zu binden. Die Sache muá rasch, aber dabei m”glichst ruhig vor sich gehen.® ¯Well! Ich weiá nicht, ob das, was Ihr vorhabt, das Richtige ist; aber da mir nichts Besseres einf„llt, so sollt Ihr Euren Willen haben. Wir riskieren das Leben; aber da ich keine Lust zum Sterben habe, so denke ich, daá wir mit einem oder mit einigen blauen Augen davonkommen werden hihihihi!® - 220 - So in seiner bekannten Weise heimlich in sich hineinlachend, entfernte er sich. Meine Herren Kollegen befanden sich gar nicht weit von mir, hatten aber unser Gespr„ch nicht h”ren k”nnen. Es fiel mir auch gar nicht ein, ihnen mitzuteilen, was ich tun wollte, denn ich war berzeugt, daá sie mich an der Ausfhrung gehindert h„tten. Ihr Leben stand ihnen h”her als das der gefangenen Apachen. Ich war mir dessen, was ich riskierte, wohl bewuát. Durfte ich Dick Stone und Will Parker in die Gefahr, welche ich heraufbeschw”ren wollte, mit hineinziehen, ohne sie vorher zu benachrichtigen? Nein. Ich fragte sie also, ob ich sie aus dem Spiele lassen solle. Da antwortete Stone: ¯Was f„llt Euch ein, Sir! Haltet Ihr uns fr Halunken, die einen Freund im Stich lassen, wenn er sich in Not befindet? Das, was Ihr vorhabt, ist ein echter, richtiger Westmannsstreich, an welchem wir uns mit wahrer Wonne beteiligen werden. Nicht wahr, alter Will?® ¯Ja,® nickte Parker. ¯M”chte doch sehen, ob wir Vier nicht die Leute dazu sind, es mit zweihundert Indsmen aufzunehmen! Freue mich schon darauf, wenn sie angebrllt kommen werden und uns doch nichts tun drfen!® Ich arbeitete ruhig weiter und blickte nicht zurck, bis mir nach einiger Zeit Stone zurief: ¯Macht Euch fertig, Sir; sie kommen!® Nun wendete ich mich um. Sam kam mit Tangua. Leider waren noch drei Rote dabei. ¯Jeder einen Mann,® sagte ich. ¯Ich nehme den H„uptling. Aber faát sie bei der Gurgel, damit sie nicht schreien k”nnen und wartet hbsch, bis ich anfange; ja nicht frher.® Ich ging Tangua langsamen Schrittes entgegen; Stone und Parker folgten mir. Als wir zusammentrafen, standen wir so, daá die Kiowas uns wegen des bereits erw„hnten Gebsches nicht sehen konnten. Der H„uptling zeigte kein freundliches Gesicht und sagte in ebenso unfreundlichem Tone: ¯Das Bleichgesicht, welches Old Shatterhand genannt wird, hat mich kommen lassen. Hast du vergessen, daá ich der H„uptling der Kiowas bin?® ¯Nein; ich weiá, daá du es bist,® antwortete ich ihm. - 221 - ¯So h„ttest du zu mir kommen mssen, anstatt ich zu dir. Da ich aber weiá, daá du dich erst seit kurzer Zeit in diesem Lande befindest und also erst lernen muát, h”flich zu sein, will ich dir diesen Fehler verzeihen. Was hast du mir zu sagen? Sprich kurz, denn ich habe keine Zeit!® ¯Was ist es, was du so Notwendiges zu tun hast?® ¯Wir wollen die Hunde der Apachen heulen lassen.® ¯Wann?® ¯Jetzt.® ¯Warum so bald? Ich dachte, ihr wrdet die Gefangenen mit in eure Wigwams nehmen, um sie dort, in Gegenwart eurer Squaws und Kinder, an dem Marterpfahle sterben zu lassen.® ¯Wir wollten es; aber sie wrden uns hindern, den Kriegszug auszufhren, auf welchem wir uns befinden. Darum sollen sie schon heut ihr Leben lassen.® ¯Ich bitte dich, dies nicht zu tun!® ¯Du hast nichts zu bitten,® fuhr er mich an. ¯Willst du nicht ebenso h”flich sprechen, wie ich mit dir rede? Ich habe nur eine Bitte ausgesprochen. H„tte ich die Absicht gehabt, dir einen Befehl zu geben, so k”nntest du vielleicht Veranlassung haben, grob zu sein.® ¯Ich mag von euch nichts h”ren, weder einen Befehl, noch eine Bitte. Ich werde keines Bleichgesichtes wegen an dem, was ich beschlossen habe, etwas „ndern.® ¯Vielleicht doch! Habt ihr das Recht, die Gefangenen zu t”ten? Ich will deine Antwort nicht h”ren, denn ich kenne sie und werde nicht mit dir darber streiten; aber es ist ein Unterschied, einen Menschen schnell und schmerzlos zu t”ten oder ihn langsam zu Tode zu martern. Wir werden es nicht zugeben, daá dies Letztere in unserer Gegenwart geschieht.® Da reckte er seine Gestalt h”her auf und antwortete in ver„chtlichem Tone: ¯Nicht zugeben? Fr wen h„ltst du dich! Du bist gegen mich wie eine Kr”te, welche sich gegen den B„r des Felsengebirges auflehnen will. Die Gefangenen sind mein Eigentum, und ich tue mit ihnen, was ich will.® ¯Sie gerieten nur durch unsere Hilfe in eure H„nde; darum - 222 - haben wir ganz dasselbe Recht auf sie wie ihr. Wir wnschen, daá sie leben bleiben.® ¯Wnsche, was du willst, du weiáer Hund; ich verlache deine Worte!® Er spuckte vor mir aus und wollte sich abwenden; da traf ihn meine Faust, daá er niederstrzte. Aber er hatte einen harten Sch„del; er war nicht vollst„ndig bet„ubt und wollte wieder auf. Darum muáte ich mich zu ihm niederbcken, um ihm noch einen Hieb zu geben, und konnte also fr einen Augenblick nicht auf die Andern achten. Als ich ihm den zweiten Schlag versetzt hatte und mich wieder aufrichtete, sah ich Sam Hawkens auf einem Roten knieen, den er beim Halse gepackt hatte. Stone und Parker rangen den Zweiten nieder; der dritte [Dritte] rannte laut schreiend davon. Ich kam Sam zu Hilfe. Als dies geschehen war und wir seinen Kiowa gebunden hatten, waren Dick und Will mit dem Ihrigen auch fertig. ¯Das war nicht schlau von euch,® sagte ich ihnen. ¯Warum habt ihr den Dritten entkommen lassen?® ¯Weil ich grad denselben packte, auf den es Stone auch abgesehen hatte,® antwortete Parker. ¯Dadurch gingen nur zwei Sekunden verloren, aber doch Zeit genug fr den Halunken, sich davonzumachen.® ¯Schadet nichts,® tr”stete Sam Hawkens. ¯Es hat ja keine andere ble Folge, als daá der Tanz etwas eher beginnt. Darber wollen wir uns die K”pfe ja nicht zerstoáen. In zwei oder drei Minuten sind die Roten da. Wollen dafr sorgen, daá wir freis [freies] Feld zwischen uns und ihnen haben!® Wir fesselten schnell auch den H„uptling. Die Surveyors hatten mit groáem Schreck gesehen, was wir taten. Der Oberingenieur kam auf uns zugesprungen und schrie entsetzt: ¯Was f„llt euch ein, ihr Leute! Was haben euch die Indianer getan? Wir werden alle des Todes sein!® ¯Das werdet Ihr allerdings, Sir, wenn Ihr Euch uns nicht schnell zugesellt,® antwortete Sam. ¯Ruft Eure Leute herbei, und kommt mit uns! Wir werden euch beschtzen.® ¯Ihr uns beschtzen? Das ist doch ® ¯Schweigt!® fiel ihm der Kleine in die Rede. ¯Wir wissen - 223 - ganz genau, was wir wollen. Wenn ihr euch nicht zu uns haltet, seid ihr verloren. Also schnell!® Wir rafften die drei gefesselten Indianer auf und trugen sie eiligst fort, ein Stck in die offene Prairie hinein, wo wir halten blieben und sie niederlegten. Bancroft war uns mit den drei Surveyors nachgekommen. Wir hatten unsern jetzigen Haltepunkt ausgew„hlt, weil wir auf einem freien Terrain sicherer waren als an einer Stelle, die wir nicht ganz berblicken konnten. ¯Wer soll mit den Roten sprechen, wenn sie kommen? Vielleicht ich?® fragte ich. ¯Nein, Sir,® antwortete Sam. ¯Ich werde es tun, denn Ihr seid des halbindianischen Mischmasch noch nicht m„chtig. Untersttzt mich aber im geeigneten Augenblicke, indem Ihr so tut, als ob Ihr den H„uptling erstechen wolltet.® Kaum hatte er das gesagt, so h”rten wir das Wutgeheul der Kiowas, und einige Augenblicke sp„ter sahen wir sie bei dem schon erw„hnten Gebsch erscheinen, welches uns sozusagen als Gardine gedient hatte. Sie kamen um dasselbe herumgesprungen und auf uns zugerannt; da aber der Eine schneller als der Andere war, bildeten sie keinen zusammenh„ngenden Haufen, sondern eine ziemlich lange Reihe einzelner L„ufer. Dies war fr uns gnstig, weil eine geschlossene Schar nicht so leicht zum Stehen zu bringen gewesen w„re. Der mutige Sam ging ihnen eine kurze Strecke entgegen und gab ihnen mit beiden Armen das Zeichen, stehen zu bleiben. Ich h”rte, daá er ihnen etwas zurief, verstand es aber nicht. Es hatte nicht sofort die beabsichtigte Wirkung, doch als er seinen Ruf noch einige Male wiederholt hatte, sah ich, daá die vordersten Kiowas stehen blieben; die nachfolgenden Roten taten dann dasselbe. Er sprach zu ihnen und deutete dabei wiederholt auf uns. Da forderte ich Stone und Parker auf, den H„uptling stehend aufzurichten, und schwang ein Messer drohend gegen ihn. Die Roten lieáen ein Geheul des Schreckens h”ren. Sam redete weiter zu ihnen und dann sahen wir, daá einer von ihnen, der ein Unterh„uptling war, sich von der Schar trennte und mit Sam langsamen, wrdevollen Schrittes zu uns - 224 - kam. Als sie uns erreichten, deutete Sam auf unsere drei Gefangenen und sagte zu ihm: ¯Du siehst, daá du die Wahrheit von mir geh”rt hast. Sie befinden sich vollst„ndig in unserer Gewalt.® Der Unterh„uptling, welchem man den Grimm, der ihn beherrschte, ansah, betrachtete die Drei und antwortete: ¯Diese beiden gefesselten roten Krieger befinden sich noch am Leben; der H„uptling aber scheint tot zu sein!® [Illustration Nr. 10: Konfrontation] ¯Er ist nicht tot. Die Faust Old Shatterhands hat ihn zu Boden gestreckt; da ist die Besinnung von ihm gegangen; sie wird ihm aber zurckkehren. Warte so lange, indem du dich bei uns niedersetzest. Wenn der H„uptling zu sich gekommen ist und wieder sprechen kann, werden wir uns mit euch beraten. Aber sobald einer der Kiowas eine Waffe gegen uns erhebt, f„hrt das Messer Old Shatterhands in Tanguas Herz; darauf kannst du dich verlassen.® ¯Wie drft ihr die Hand gegen uns erheben, die wir eure Freunde sind!® - 225 - ¯Freunde? Da glaubst du wohl selber das nicht, was du sagst!® ¯Ich glaube es. Haben wir nicht die Pfeife des Friedens mit euch geraucht?® ¯Ja, aber diesem Frieden ist nicht recht zu trauen.® ¯Warum?® ¯Ist es Sitte der Kiowas, ihre Freunde und Brder zu beleidigen?® ¯Nein.® ¯Nun, euer H„uptling hat Old Shatterhand beleidigt, folglich drfen wir euch nicht als Brder betrachten. Schau, er beginnt, sich zu bewegen!® Tangua, den Stone und Parker wieder niedergelegt hatten, regte sich allerdings; bald schlug er die Augen auf und sah Einen nach dem Andern von uns an, als ob er sich auf das, was geschehen war, besinnen msse; dann schien ihm das Bewuátsein vollst„ndig zurckzukehren, und er rief aus: ¯Uff, uff! Old Shatterhand hat mich niedergeschlagen. Wer fesselte mich?® ¯Ich,® antwortete ich. ¯Man nehme mir die Riemen ab; ich befehle es!® ¯Vorhin h”rtest du nicht auf meine Bitte; nun h”re ich nicht auf deinen Befehl. Du hast uns nichts zu befehlen!® Seine Augen richteten sich mit einem wtenden Blicke auf mich, und er knirschte: ¯Schweig, Knabe, sonst zermalme ich dich!® ¯Das Schweigen w„re fr dich r„tlicher als fr mich. Du hast mich vorhin beleidigt und wurdest dafr von mir zu Boden geschlagen. Old Shatterhand l„át sich nicht ungestraft eine Kr”te und einen weiáen Hund nennen. Wenn du nicht h”flich wirst, kann es dir noch schlimmer ergehen.® ¯Ich verlange, frei zu sein! Wenn du mir nicht gehorchst, werdet ihr von meinen Kriegern von der Erde vertilgt werden!® ¯Da wrdest du der Erste sein, den das Verderben tr„fe; denn h”re, was ich dir sage: Dort stehen deine Leute; wenn ein Einziger von ihnen den Fuá erhebt, um sich ohne Erlaubnis uns zu n„hern, f„hrt dir diese meine Messerklinge in das Herz. Howgh!® Ich setzte ihm die Messerspitze auf die Brust. Er muáte - 226 - einsehen, daá er sich in unserer Gewalt befand; er zweifelte wohl auch nicht daran, daá ich gegebenen Falles meine Drohung wahr machen wrde; es trat eine Pause ein, w„hrend welcher er uns mit seinen wild rollenden Augen verschlingen zu wollen schien; dann gab er sich Mhe, seinen Zorn zu beherrschen, und fragte in ruhigerem Tone: ¯Was willst du denn von mir?® ¯Nichts anderes als das, um was ich dich vorhin gebeten habe: Die Apachen sollen nicht am Marterpfahle sterben.® ¯Ihr verlangt wohl gar, daá sie berhaupt nicht get”tet werden sollen?® ¯Tut sp„ter mit ihnen, was ihr wollt; aber so lange wir bei euch und ihnen sind, darf ihnen nichts geschehen.® Wieder lieá er eine Weile schweigend vorbergehen. Trotz der Kriegsfarben, welche sein Gesicht bedeckten, sah man, daá der Ausdruck verschiedener Empfindungen, Zorn, Haá, Schadenfreude, ber dasselbe ging. Ich hatte angenommen, daá das Wortgefecht zwischen ihm und mir ein lang anhaltendes sein werde, und glaubte dies auch jetzt noch; darum wunderte ich mich nicht wenig, als er nun sagte: ¯Es soll nach deinem Wunsche geschehen; ja, ich will dir noch mehr als ihn erfllen, wenn du auf den Vorschlag eingehst, den ich dir machen werde.® ¯Welcher Vorschlag ist das?® ¯Zuvor muá ich dir sagen, daá du ja nicht denken darfst, ich frchte mich vor deinem Messer. Du wirst dich hten, mich zu erstechen, denn wenn du dies t„test, so wrdet ihr in wenigen Minuten von meinen Kriegern in Stcke zerrissen. Ihr m”gt noch so tapfer sein, zweihundert Gegner k”nnt ihr nicht besiegen. Also deine Drohung, mich zu erstechen, verlache ich. Ich k”nnte ruhig sagen, daá ich dein Verlangen nicht erflle, und doch wrdest du mir nichts tun. Dennoch sollen die Hunde der Apachen nicht am Marterpfahle sterben; ich verspreche dir sogar, daá wir sie berhaupt nicht t”ten werden, wenn du darauf eingehst, fr sie auf Leben und Tod zu k„mpfen.® ¯Mit wem?® ¯Mit einem meiner Krieger, welchen ich bestimmen werde.® ¯Welche Waffe?® - 227 - ¯Nur das Messer. Wenn er dich ersticht, mssen auch die Apachen sterben; erstichst du aber ihn, so bleiben sie leben.® ¯Und kommen frei?® ¯Ja.® Ich konnte mir wohl denken, daá er irgend einen Hintergedanken dabei hegte. Wahrscheinlich hielt er mich fr den gef„hrlichsten unter den anwesenden Weiáen und wollte mich unsch„dlich machen; denn es verstand sich ganz von selbst, daá seine Wahl nur auf einen Meister im Messerfechten fallen wrde. Dennoch antwortete ich, ohne mich lange zu besinnen: ¯Ich bin einverstanden. Wir werden die Bedingungen vereinbaren und die Pfeife des Schwures darber rauchen; dann kann der Kampf sogleich beginnen.® ¯Was f„llt Euch ein!® rief da Sam Hawkens aus. ¯Ich kann unm”glich zugeben, daá Ihr die Dummheit begeht, auf diesen Kampf einzugehen, Sir!® ¯Es ist keine Dummheit, lieber Sam.® ¯Die gr”áte, welche es geben kann. Bei einem gerechten und ehrlichen Kampfe mssen die Chancen gleich stehen; dies ist aber hier nicht der Fall.® ¯O doch!® ¯Nein, ganz und gar nicht. Habt Ihr denn einmal mit irgend einem Menschen mit dem Messer auf Leben und Tod gek„mpft?® ¯Nein.® ¯Da habt Ihr es! Ihr werdet natrlich einen Gegner bekommen, welcher Virtuos im Stechen ist. Und bedenkt die verschiedenen Folgen des Sieges! Werdet Ihr erstochen, so sterben die Apachen auch. Wird aber Euer Gegner erstochen, wer stirbt dann? Kein Mensch!® ¯Aber die Apachen erhalten ihr Leben und die Freiheit dazu.® ¯Glaubt Ihr das wirklich?® ¯Ja, denn es wird mit dem Kalumet beraucht, was als Schwur gilt.® ¯Der Teufel traue einem Schwure, bei welchem hundert Hintergedanken zu vermuten sind! Und selbst dann, wenn er ehrlich gemeint ist, seid Ihr ein Greenhorn und ® - 228 - ¯Seid still mit Eurem Greenhorn, lieber Sam!® fiel ich ihm in die Rede. ¯Ihr habt es ja wiederholt erlebt, daá dieses Greenhorn stets weiá, was es tut.® Er widersprach trotzdem noch l„ngere Zeit; auch Dick Stone und Will Parker rieten mir ab; ich blieb aber meinem Entschlusse treu, und so rief Sam endlich unmutig aus: ¯Nun gut, rennt mit Eurem Dickkopfe meinetwegen durch zehn oder zwanzig Mauern; ich habe nichts mehr dagegen! Aber ich werde aufpassen, daá bei dem Kampfe alles ehrlich zugeht, und wehe dem, der Euch oder berhaupt uns betrgen will! Ich schieáe ihn mit meiner Liddy in die Luft, daá er in tausend und abertausend Stcken droben in den Wolken h„ngen bleibt, wenn ich mich nicht irre!® Nun wurde Folgendes vereinbart: Es sollte auf einer graslosen Stelle, welche in der N„he lag, im Sande eine Acht (also 8) gebildet werden, die Zahl, welche aus zwei Schlingen oder Nullen besteht. Jeder der beiden Gegner sollte sich in eine dieser Nullen stellen, aus welcher er w„hrend des Kampfes nicht treten durfte. Schonung sollte es nicht geben; Einer von Beiden muáte sterben, doch durfte der Tote nicht von seinen Angeh”rigen an dem Sieger ger„cht werden. Die brigen Bedingungen und die Folgen des Sieges waren schon festgestellt worden. Als wir uns hierber geeinigt hatten, wurden dem H„uptling die Fesseln abgenommen, und ich rauchte das Kalumet mit ihm. Dann lieáen wir auch die beiden andern Gebundenen frei, und die vier Roten begaben sich zu ihren Kriegern, um sie von dem zu erwartenden Schauspiele zu benachrichtigen. Der Oberingenieur und die andern Surveyors machten mir Vorwrfe; ich achtete nicht auf ihre Reden. Auch Sam, Dick und Will waren nicht mit mir einverstanden, doch zankten sie wenigstens nicht mit mir. Hawkens meinte in besorgtem Tone: ¯H„ttet etwas Besseres tun k”nnen, als auf diese Teufelei eingehen, Sir! Aber ich habe es immer gesagt und sage es jetzt wieder: Ihr seid ein leichtsinniger Mensch, ein auáerordentlich leichtsinniger Mensch! Was habt Ihr denn eigentlich davon, wenn Ihr erstochen werdet, heh? Sagt mir das doch einmal!® - 229 - ¯Was ich davon habe? Den Tod natrlich, weiter nichts.® ¯Weiter nichts? H”rt, macht ja nicht auch noch schlechte Witze dazu! Der Tod ist alles, was einem widerfahren kann, denn wenn man gestorben ist, kann einem nichts mehr widerfahren.® ¯O doch!® ¯So? Was denn zum Beispiele?® ¯Man kann begraben werden.® ¯Haltet den Schnabel, edler Sir! Wenn Ihr weiter nichts wiát, als mich zu aller Kr„nkung auch noch zu „rgern, so wollte ich, ich h„tte meine Liebe an ein wrdigeres Subjekt verschwendet.® ¯Kr„nkt Ihr Euch denn wirklich, lieber Sam?® ¯Natrlich kr„nke ich mich. Fragt doch nicht so dumm! Es ist ja fast sicher, daá Ihr ausgel”scht werdet, vollst„ndig ausgel”scht. Was tue ich dann auf meine alten Tage auf dieser Welt? Heh, was tue ich? Ich muá ein Greenhorn haben, mit dem ich mich zuweilen zanken kann. Was soll aber dann geschehen, und mit wem soll ich mich dann zanken, wenn Ihr erstochen worden seid?® ¯Ihr zankt Euch ganz einfach mit einem andern Greenhorn.® ¯Das ist leichter gesagt als geschehen, denn so ein ganz und gar ausgemachtes und unverbesserliches Greenhorn, wie Ihr seid, finde ich all mein Lebtage nicht wieder. Aber ich sage Euch, Sir, wenn Euch etwas geschieht, so sollen diese Roten an mich denken! Ich fahre wie ein rasender Uhland mitten unter sie hinein und ® ¯Roland, Roland muá es heiáen, lieber Sam,® unterbrach ich ihn. ¯Ist mir ganz gleich, ob ich dann ein rasender Roland oder Uhland bin; ich lasse es mir aber partout nicht gefallen, daá Ihr erstochen werden sollt. Und, wie ist es denn, Sir, mit Eurer Humanit„t? Ich weiá, Ihr habt ein gutes Herz und schlagt nicht gern einen Menschen tot. Ihr hegt doch nicht etwa die heimliche Absicht, den Kerl zu schonen, mit dem Ihr k„mpfen mát?® ¯Hm, hm!® - 230 - ¯Hm, hm? Hier wird gar nichts gehmhmt! Es geht auf Leben und Tod, Sir!® ¯Wenn ich ihn nun bloá verwunde?® ¯Das gilt nichts, wie Ihr geh”rt habt.® ¯Ich meine, daá ich ihn so verwunde, daá er nicht weiterk„mpfen kann.® ¯Gilt ebensowenig; Ihr seid dann nicht Sieger und mát einen neuen Kampf mit einem Andern beginnen. Ihr habt ja geh”rt, daá der Besiegte sterben muá, h”rt Ihr es muá, muá! Wenn es Euch also gelingen sollte, Euren Gegner kampfunf„hig zu machen, so mát Ihr ihn vollends erstechen, ihm den Gnadenstoá geben, sonst gilt es nichts. Macht Euch nur ja kein Gewissen daraus! Wenn Ihr ein tchtiger Westmann werden wollt, so wird Euer Messer noch manches Stck Menschenfleisch zu kosten bekommen. Denkt, daá diese Kiowas alle r„uberische Schufte sind, daá sie die Schuld tragen an allem, was jetzt geschieht, weil sie die Pferde der Apachen stehlen wollten. Wenn Ihr einen solchen Schurken t”tet, rettet Ihr so vielen braven Apachen das Leben; wenn Ihr ihn aber schont, so sind sie verloren; das mát Ihr bedenken, wenn ich mich nicht irre. Nun sagt mir also aufrichtig, ob Ihr wacker draufgehn wollt wie ein richtiger Westmann, der nicht vor Schreck in Ohnmacht f„llt, wenn er einen Blutstropfen rinnen sieht. Beruhigt mich, indem Ihr mir dies sagt!® ¯Wenn es Euch beruhigt, so seid berzeugt, daá ich nicht nachsichtig sein werde, denn es wird ihm auch nicht einfallen, mich zu schonen. Ich rette dadurch so viele Menschenleben. Es ist ein Zweikampf. Drben im alten Lande gehen die angesehensten Kavaliere wegen einer Kleinigkeit gegen einander los; hier steht aber mehr auf dem Spiele, und ich habe es nicht mit einem Kavalier, sondern mit einem roten Spitzbuben und M”rder zu tun. Ich verspreche Euch also, daá ich mich gar nicht mit zarten Gedanken und Bedenken herum tragen werde.® ¯Sch”n! Das ist ein Wort, welches ich gelten lasse; ich sehe dem Dinge nun mit gr”áerer Ruhe entgegen; aber dennoch ist es mir, als ob ein Sohn von mir zur Schlachtbank gefhrt werden solle. Am liebsten wrde ich an Eurer Stelle k„mpfen. Wollt Ihr mir das nicht berlassen, Sir?® - 231 - ¯Nein, bester Sam. Erstens denke ich, aufrichtig gesagt, daá es besser ist, ein Greenhorn stirbt, als so ein tchtiger Westmann, wie Ihr seid, und zweitens ® ¯Haltet abermals den Schnabel! An mir liegt nicht viel, wenn ich alter Kerl sterbe. Aber wenn so ein junger, hoff ® ¯Nein, haltet Ihr den Mund!® unterbrach ich ihn so, wie er mich vorher unterbrochen hatte. ¯Und zweitens w„re es geradezu ehrlos und feig von mir, wenn ich mich zurckziehen und einen Andern an meine Stelle treten lassen wollte. Uebrigens wrde der H„uptling das gar nicht zugeben, denn er hat es grad auf mich abgesehen.® ¯Das ist es ja grad, was mir nicht in den Kopf will! Er hat es auf Euch abgesehen, partout auf Euch. Ich will hoffen, daá sein Kanoe anders schwimmt, als er zu steuern gedenkt. Paát auf; dort kommen sie!® Die Indianer kamen jetzt langsam heranmarschiert. Sie z„hlten nicht zweihundert, weil eine Anzahl von ihnen als W„chter bei den gefangenen Apachen zurckgeblieben war. Tangua fhrte sie an uns vorber bis an die Stelle, welche ich vorhin erw„hnte. Dort angekommen, bildeten sie einen Dreiviertelkreis; das vierte Viertel sollten wir Weiáen ausfllen. Wir taten es. Dann winkte der H„uptling. Aus der Reihe der Roten trat ein Krieger von wahrhaft herkulischen K”rperformen und legte alle seine Waffen auáer dem Messer ab. Dann entkleidete er die obere H„lfte seines K”rpers. Wer diese nun enthllten Muskeln sah, dem muáte um mich angst und bange werden. Der H„uptling fhrte ihn in die Mitte und verkndete uns mit einer Stimme, aus welcher die Gewiáheit des Sieges klang: ¯Hier steht Metan-akva*), der st„rkste Krieger der Kiowas, dessen Messer noch kein Krieger widerstanden hat; der Feind strzt unter seinem Stiche wie vom Blitz getroffen nieder. Er wird mit Old Shatterhand, dem Bleichgesichte, k„mpfen.® ¯All devils!® flsterte Sam mir zu. ¯Das ist ein wahrer Goliath! H”rt, lieber Sir, es ist aus mit Euch!® ¯Pshaw!® *) Das Blitzmesser. - 232 - ¯Unsinn! Bildet Euch nichts ein! Es gibt nur eine Weise, dieses Kerls Herr zu werden.® ¯Welche?® ¯Laát Euch auf keinen langen Kampf ein, sondern drckt auf ein rasches Ende, sonst ermdet er Euch, und Ihr seid verloren. Wie steht es mit Eurem Puls?® Er faáte mich beim Handgelenk und lauschte; dann fuhr er fort: ¯Gott sei Dank, nicht mehr als sechzig Schl„ge, also ganz regelrecht. Ihr seid nicht aufgeregt? Habt keine Angst?® ¯Das fehlte noch? [!] Aufregung und Angst in einer Lage, wo das Leben vom ruhigen Blute und Blicke abh„ngig ist! Der Name dieses Riesen sagt ebensoviel wie seine Gestalt. Weil er der St„rkste ist und ein unberwindliches Messer fhrt, hat mir der H„uptling den Vorschlag gemacht, mit dem Messer fr die Apachen zu k„mpfen. Werden sehen, ob er wirklich so unberwindlich ist.® Ich hatte w„hrend dieser leise gesprochenen Worte meinen Oberk”rper auch entkleidet. Das war zwar nicht zur Bedingung gemacht worden, aber es sollte nicht die Meinung aufkommen, daá ich in der Kleidung einen, wenn auch noch so geringen Schutz gegen das Messer des Gegners suchen wolle. Den B„rent”ter und die Revolver bergab ich Sam; dann trat ich in die Mitte des Kreises vor. Dem guten Hawkens klopfte das Herz berlaut; ich aber fhlte keine Bangigkeit. Getrost sein, das ist das erste Erfordernis in jeder Gefahr. Nun wurde mit dem Stiele eines Tomahawk eine ziemlich groáe Acht in den Sand gegraben, worauf der H„uptling uns aufforderte, unsere Pl„tze einzunehmen. "Blitzmesser" musterte mich mit einem h”chst ver„chtlichen Blicke und sagte mit lauter Stimme: ¯Der K”rper dieses schwachen Bleichgesichtes bebt vor Angst. Wird er es wagen, diese Figur zu betreten?® Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so trat ich in die nach Sden liegende Schleife der Acht. Dazu hatte ich zwei Grnde. Ich bekam n„mlich dadurch die Sonne in den Rcken, w„hrend der Rote, welcher ihr nun das Gesicht zuwenden muáte, von ihr geblendet wurde. Man mag dies eine unehrliche - 233 - Uebervorteilung nennen; aber er hatte meiner gespottet und gelogen, als er behauptete, daá mein K”rper vor Angst bebe; dafr nun dies als Strafe. Das Zartgefhl, ihn in meine Schleife treten zu lassen, w„re hier am ganz unrechten Platze gewesen. Ich sage hier noch einmal, es war schrecklich, daá es auf Tod und Leben ging. Einen Menschen t”ten zu mssen, ist entsetzlich, aber hier muáte mir die geringste Schonung das Leben kosten, und so war ich fest entschlossen, diesen Simson zu erstechen. Kaltbltig war ich trotz seiner Gestalt und seines imponierenden Namens geblieben, weil ich keinen Grund hatte, mich fr einen schlechten Fechter zu halten, obgleich ich jetzt zum erstenmal im Leben einem Menschen mit dem Messer in der Hand gegenberstand. ¯Er wagt es wirklich!® hohnlachte er. ¯Mein Messer wird ihn fressen. Der groáe Geist gibt ihn in meine Hand, indem er ihm den Verstand genommen hat.® Bei den Indianern sind solche Redevorspiele gebr„uchlich; ich w„re fr feig gehalten worden, wenn ich geschwiegen h„tte; darum antwortete ich: ¯Du k„mpfest mit dem Munde; ich aber stehe hier mit dem Messer. Nimm deinen Platz ein, wenn du dich nicht frchtest!® Da sprang er mit einem Satze in die andere Schlinge der Acht und schrie zornig: ¯Frchten? Metan-akva soll sich frchten! Habt ihr es geh”rt, ihr Krieger der Kiowas? Ich werde diesem weiáen Hunde mit dem ersten Stiche das Leben nehmen!® ¯Mein erster Stich wird dich um das deinige bringen. Nun schweig! Du solltest eigentlich nicht Metan-akva, sondern Avat-ya*) heiáen.® ¯Avat-ya, Avat-ya! Dieser stinkige Coyote wagte es, mich zu beschimpfen! Wohlan, die Geier sollen seine Eingeweide fressen!® Diese letztere Drohung war eine groáe Unvorsichtigkeit, ja geradezu eine Dummheit von ihm, denn sie machte mich aufmerksam auf die Art und Weise, in welcher er seine Waffe brauchen wollte. Meine Eingeweide! Also wahrscheinlich nicht *) Groámaul. - 234 - einen Stich ins Herz, sondern ein Hieb, ein Messerstich von unten herauf, um mir den Leib aufzuschlitzen! Wir standen so weit auseinander, daá man sich nur wenig vorzubeugen brauchte, um den Gegner mit dem Messer zu erreichen. Er bohrte seinen Blick in mein Auge. Sein rechter Arm hing grad herab; er hielt das Messer so, daá das Heftende am kleinen Finger lag und die Klinge vorn zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger hervorragte; diese Klinge war mit der Sch„rfe der Schneide nach oben gerichtet. Er wollte also wirklich, wie ich vermutet hatte, einen Streich von unten nach oben fhren, denn wer von oben nach unten st”át, der h„lt das Messer grad umgedreht, n„mlich so, daá das Heftende beim Daumen liegt und die Klinge am kleiner [kleinen] Finger aus der Faust hervorragt. Also die Richtung seines Angriffes kannte ich; nun war die Hauptsache die Zeit desselben; die muáte mir das Auge sagen. Ich kannte das eigentmliche, blitzartige Zucken, welches in jedem solchen Falle einen Moment vorher im Auge zu bemerken ist. Ich senkte die Lider, um ihn sicher zu machen, beobachtete ihn aber um so sch„rfer durch die Wimpern. ¯Stich zu, Hund!® forderte er mich auf. ¯Sprich nicht abermals, sondern handle, roter Knabe!® antwortete ich. Das war eine groáe Beleidigung, auf welche entweder eine zornige Antwort oder der Angriff erfolgen muáte; es war das letztere der Fall. Eine blitzartige Erweiterung seiner Pupille verkndigte es mir, und im n„chsten Augenblicke stieá er den rechten Arm mit dem Messer kraftvoll vor und nach oben, um mir den Leib aufzuschlitzen. H„tte ich einen Messerstoá von oben herab erwartet, so w„re es um mich geschehen gewesen; so aber parierte ich seinen Schnitt, indem ich ihm meine Klinge gedankenschnell abw„rts in den Vorderarm stieá und ihm denselben aufschlitzte. ¯Hund, r„udiger!® brllte er, indem er den Arm zurckzog und vor Schreck und Schmerz das Messer fallen lieá. ¯Nicht sprechen, sondern k„mpfen!® antwortete ich abermals, meinen Arm emporwerfend, und dann saá ihm meine Klinge bis an das Heft im Herzen. Ich zog sie augen- - 235 - blicklich [augenblicklich] wieder heraus. Der Stich saá so gut, daá ein fingerstarker, roter, warmer Blutstrahl auf mich spritzte. Der Riese wankte nur einmal hin und her, wollte schreien, brachte aber bloá einen „chzenden Seufzer hervor und strzte dann tot zu Boden. Die Indianer erhoben ein wtendes Geheul; nur einer von ihnen stimmte nicht ein, n„mlich Tangua, der H„uptling. Er kam herbei, bckte sich zu meinem Gegner nieder, betastete die R„nder der Stichwunde, richtete sich wieder auf und betrachtete mich mit einem Blicke, den ich lange nicht vergessen konnte. Es lag in demselben ein Gemisch von Wut, Entsetzen, Furcht, Bewunderung und Anerkennung. Dann wollte er sich wortlos entfernen. Da sagte ich: ¯Siehst du, daá ich noch auf meinem Platze stehe? Metan-akva aber hat den seinigen verlassen und liegt auáerhalb der Figur. Wer hat gesiegt?® ¯Du!® antwortete er wtend und ging fort; aber er hatte vielleicht erst fnf oder sechs Schritte getan, so kehrte er wieder um und zischte mir zu: ¯Du bist ein weiáer Sohn des b”sen, schwarzen Geistes. Unser Medizinmann soll dir den Zauber nehmen, und dann wirst du uns dein Leben geben mssen!® ¯Tu mit deinem Medizinmanne, was dir beliebt, aber halte nun dein Wort, welches du uns gegeben hast!® ¯Welches Wort?® fragte er h”hnisch. ¯Daá die Apachen nicht get”tet werden.® ¯Wir werden sie nicht t”ten; ich habe es gesagt und halte es.® ¯Und sie werden frei sein?® ¯Ja, sie sollen ihre Freiheit wieder haben. Was Tangua, der H„uptling der Kiowas, sagt, das geht stets in Erfllung.® ¯So werde ich jetzt mit meinen Freunden gehen, um den Gefangenen die Fesseln abzunehmen.® ¯Das tue ich selbst, sobald die Zeit gekommen ist.® ¯Sie ist gekommen; sie ist da, denn ich habe jetzt gesiegt.® ¯Schweig! Haben wir vorhin ber die Zeit gesprochen?® ¯Sie wurde nicht besonders erw„hnt; aber es versteht sich doch ganz von selbst, daá ® ¯Schweig!® donnerte er mich abermals an. ¯Die Zeit - 236 - habe ich zu bestimmen. Wir werden die Hunde der Apachen nicht t”ten; aber was k”nnen wir dafr, daá sie sterben, wenn sie nichts zu essen und kein Wasser bekommen? Was kann ich dafr, daá sie eher verhungern und verdrsten, als ich sie freigeben kann!® ¯Schuft!® sagte ich ihm in das Gesicht. ¯Hund, sprich noch ein Wort, so ® Er wollte seine Drohung vollends aussprechen, hielt aber inne und starrte mir erschrocken in das Gesicht, dessen Ausdruck ihm wohl nicht behagen mochte. Ich hingegen setzte seine unterbrochene Rede fort: ¯ so schlage ich dich mit dieser meiner Faust zu Boden, dich, der der sch„ndlichste aller Lgner ist!® Er fuhr rasch einige Schritte zurck, zog sein Messer und drohte: ¯Mit deiner Faust kommst du mir nicht wieder zu nahe. Sobald du so weit zu mir herk„mst, daá du mich berhren k”nntest, wrde ich dich niederstechen.® ¯Das hat "Blitzmesser" auch gesagt und gewollt; nun liegt er selber da. Dir wrde es ganz ebenso ergehen. Ueber das, was mit den Apachen geschehen soll, werde ich mit meinen weiáen Brdern sprechen. Krmmst du ihnen nur ein Haar, so ist es um dich und all die Deinen geschehen. Du weiát, daá wir euch alle in die Luft sprengen k”nnen.® Erst nach diesen Worten trat ich aus der Acht heraus und ging zu Sam. Dieser hatte wegen des Wehegeschreies der Roten nicht h”ren k”nnen, was zwischen dem H„uptling und mir gesprochen worden war. Er kam mir entgegengesprungen, faáte mich mit beiden H„nden und rief in hellem Entzcken: ¯Willkommen, willkommen, Sir! Das rufe ich Euch zu, denn Ihr kommt aus dem Reiche des Todes zurck, welchem Ihr unbedingt verfallen waret. Mensch, Freund, Schatz, Jngling und Greenhorn, was seid Ihr doch fr ein Gesch”pf! Hat noch keine Bffel gesehen und schieát die st„rksten aus der Herde! Hat noch keinen Grizzly gesehen und sticht ihn nieder, wie man in einen Apfel sticht! Hat noch keinen Mustang gesehen und holt mir grad die neue Mary heraus! Und nun hier stellt er sich vor den st„rksten und berhmtesten roten Messermann und - 237 - trifft ihn gleich mit dem ersten Stiche ins Herz, ohne selbst einen einzigen Tropfen Blutes zu verlieren! Dick und Will, kommt doch mal her, und seht euch diesen deutschen Surveyor an! Was soll man aus ihm machen?® ¯Einen Gesellen,® schmunzelte Stone. ¯Einen Gesellen? Was meinst du damit?® ¯Er hat abermals bewiesen, daá er kein Greenhorn mehr ist, kein Lehrling. Wir wollen ihn zum Gesellen machen; sp„ter kann er dann Meister werden.® ¯Kein Greenhorn mehr? Zum Gesellen machen? Wenn du wirklich einmal etwas sagen willst, so rede doch wenigstens keine solchen unreifen Preiáelbeeren! Der Kerl ist ein Greenhorn durch und durch, sonst h„tte er es nicht gewagt, mit diesem gewandten und riesigen Indianer anzubinden, aber leichtsinnige Menschen haben das gr”áte Glck, und die dmmsten Bauern bekommen die gr”áten Kartoffeln, so ist es bei ihm; dumm, leichtsinnig und Greenhorn! Daá er noch lebt, hat er nicht sich, sondern seiner Dummheit zu verdanken, wenn ich mich nicht irre. Als er losging, stand mir das Herz still; ich konnte kaum Atem holen und war allen meinen Gedanken mit dem Testamente dieses Greenhorns besch„ftigt. Da, ein Hieb und ein Stoá, und der Rote prasselte zur Erde nieder! Nun haben wir erreicht, was wir wollten, n„mlich das Leben und die Freiheit der gefangenen Apachen!® ¯Da werdet Ihr Euch wohl irren,® antwortete ich, ohne ihm wegen der Art und Weise, in der er ber mich sprach, zu zrnen. ¯Mich irren? Wie so?® ¯Der H„uptling hat, als er uns sein Versprechen gab, sich im stillen Vorbehalte gemacht, die er nun zur Geltung bringt.® ¯Dachte es mir, daá er Hintergedanken haben wrde! Von welchen Vorbehalten redet Ihr denn da?® Ich wiederholte ihm die Worte Tanguas; er war darber so erzrnt, daá er augenblicklich zu ihm hinging, um ihn zur Rede zu stellen. Ich benutzte dies, mich wieder anzukleiden und meine Waffen wieder zu mir zu nehmen. Die Kiowas waren vollst„ndig berzeugt gewesen, daá - 238 - "Blitzmesser" mich niederstechen wrde. Der so ganz entgegengesetzte Ausgang des Kampfes hatte sie mit Trauer und aber auch mit Wut gegen uns erfllt. Sie w„ren gewiá am liebsten ber uns hergefallen; das aber durften sie nicht, weil es nicht nur ausgemacht, sondern sogar mit der Friedenspfeife beraucht worden war, daá die Partei des Besiegten den Tod desselben nicht an dem Sieger r„chen drfe. Daran war nun nicht zu rtteln. Jedenfalls aber gedachten sie, bald einen andern Grund zur Feindseligkeit gegen uns zu finden. Sie konnten jetzt noch warten, denn wir waren ihnen sicher. Darum dr„ngten sie einstweilen ihren Grimm zurck und besch„ftigten sich mit der Leiche ihres gefallenen Kameraden. Der H„uptling befand sich auch bei derselben, und da l„át es sich denken, daá Sam Hawkens fr seine Vorstellungen kein williges oder gar freundliches Geh”r fand. Er kehrte h”chst verdrieálich zurck und meldete uns: ¯Der Kerl will wirklich nicht Wort halten. Er scheiut [scheint] die Gefangenen verschmachten lassen zu wollen. Und das nennt der Schuft "nicht t”ten"! Wir werden aber die Augen offen halten, wenn ich mich nicht irre, und ihm doch ein Schnippchen schlagen, hihihihi!® ¯Wenn nur dieses Schnippchen uns nicht selbst geschlagen wird!® bemerkte ich. ¯Es ist schwer, Andere zu beschtzen, wenn man des Schutzes selbst so sehr bedarf.® ¯Ich glaube gar, Ihr frchtet Euch vor diesen Roten, Sir!® ¯Pshaw! Daá ich mich nicht frchte, wiát Ihr ebenso gut wie ich selbst.® ¯Mit nur einem Unterschiede. N„mlich da, wo ich mich scheuen wrde, geht Ihr dick darauf wie der Ochse auf ein rotes Tuch. Und wo es den eigentlichen richtigen Mut gilt, da zeigt Ihr Bedenklichkeit. Das ist aber stets so Greenhornsweise. Was denkt Ihr denn eigentlich so jetzt in Euern Sinnen?® ¯Worber?® ¯Ueber den Messerkampf, den Ihr bestanden habt.® ¯Da denke ich, daá Ihr wahrscheinlich mit mir zufrieden sein werdet.® ¯Das meine ich nicht. Ich rede von den etwaigen Vorwrfen.® - 239 - ¯Vorwrfe? Wer sollte mir die machen? Etwa Ihr?® ¯Mein Himmel, seid Ihr doch schwer von Begriffen! Sagt einmal aufrichtig, Sir, habt Ihr vielleicht da drben im alten Lande als M”rder irgend eines Menschen auf dem Schafott gestanden?® ¯Glaube nicht. Wenigstens ist mir nichts davon erinnerlich,® antwortete ich auf seine so drastische Frage. ¯So habt Ihr also noch niemand umgebracht?® ¯Nein.® ¯So habt Ihr also heut Euern ersten Totschlag verbt. Wie ist es Euch nun da innerlich zu Mute? Das ist es, was ich wissen wollte.® ¯Hm! Ein angenehmes Bewuátsein ist es wahrlich nicht. Es wird mir wohl nicht so leicht wieder geschehen, daá ich einem Menschen das Leben nehme. Es regt sich etwas in meinem Innern, was die gr”áte Aehnlichkeit mit einem b”sen Gewissen hat.® ¯Bildet Euch nichts ein, und macht Euch keine dummen Gedanken! Es kann Euch, ohne daá Ihr es wollt, hier alle Tage vorkommen, daá Ihr einen Menschen ausl”schen mát, um Euer eigenes Leben zu retten. In einem solchen Falle muá man heavens, da ist ja gleich ein solcher Fall!® unterbrach er sich. ¯Da sind wahrhaftig die Apachen schon! Da wird es blutige K”pfe geben. Macht Euch zum Kampfe fertig, Mesch'schurs!® Es erscholl n„mlich von da, wo die Gefangenen sich mit ihren W„chtern befanden, das hoch- und schrillt”nende Hiiiiiiiiih, der Kriegsruf der Apachen. Intschu tschuna und Winnetou waren wider alles Erwarten jetzt schon da; sie berfielen das Lager der Kiowas. Diese, welche sich bei uns befanden, horchten erschrocken auf; dann schrie der H„uptling: ¯Feinde da unten bei unsern Brdern! Schnell hin, schnell ihnen zu Hilfe!® Er wollte fortstrmen; da aber trat ihm Sam Hawkens entgegen und rief: ¯Ihr k”nnt nicht hin; bleibt immer da, denn wir sind jedenfalls auch schon umringt. Oder meint Ihr, die beiden H„uptlinge der Apachen seien so dumm, nur Eure W„chter an- - 240 - zugreifen [anzugreifen] und nicht zu wissen, wo Ihr Euch befindet? Sie werden in n„chsten Augen ® Er hatte schnell und hastig gesprochen, kam aber dennoch nicht zu Ende, denn jetzt erscholl der frchterliche, durch Mark und Bein schneidende Schlachtruf auch rund um uns her. Wir befanden uns, wie schon erw„hnt, zwar auf der offenen Prairie, doch standen auf derselben Bsche zerstreut, hinter welche sich die Apachen, von uns unbemerkt, weil wir so sehr mit uns besch„ftigt gewesen waren, so geschlichen hatten, daá wir von ihnen vollst„ndig umzingelt waren. Jetzt kamen sie in hellen Haufen von allen Seiten auf uns zugesprungen. Die Kiowas schossen auf sie und machten auch einige Treffer, doch so wenige, daá dieselben gar nicht zu rechnen waren. Dann waren die Angreifer auch schon dabei. ¯T”tet keinen Apachen, ja keinen!® rief ich Sam, Dick und Will zu; dann tobte aber auch schon der Nahekampf um uns her. Wir Vier beteiligten uns nicht an demselben; der Oberingenieur aber und die drei Surveyors wehrten sich; sie wurden niedergeschossen. Das war entsetzlich. Indem mein Auge an dieser Stelle hing, sah ich nicht, was hinter mir vorging. Wir wurden von da aus von einer bedeutenden Schar angefallen und auseinander gerissen. Zwar riefen wir diesen Leuten zu, daá wir ihre Freunde seien, doch ohne Erfolg; sie drangen mit Messern und Tomahawks auf uns ein, so daá wir uns wehren muáten, obwohl wir eigentlich nicht wollten. Wir schlugen mehrere von ihnen mit dem Kolben nieder, so daá sie Respekt bekamen und von uns lieáen. Diesen freien Augenblick benutzte ich zu einem schnellen Rundblicke. Es gab keinen Kiowa, der nicht mehrere Apachen gegen sich hatte. Sam sah das auch und rief: ¯Schnell fort! Dort in die Str„ucher hinein!® Er deutete nach dem schon mehrfach erw„hnten Gebsch, welches uns Deckung gegen das Lager hin gegeben hatte, und rannte demselben zu. Dick Stone und Will Parker folgten ihm. Ich z”gerte einige Augenblicke, indem ich nach der Stelle sah, wo sich die Surveyors befunden hatten. Sie waren Weiáe, und ich h„tte ihnen gern Hilfe gebracht; aber es war zu sp„t dazu. Darum wendete ich mich nun auch den Bschen zu. Ich [Tafel Nr. 5: "Bd. VII. Der Riese wankte. ... (Zu S. 235.)"] - 241 - hatte sie noch lange nicht erreicht, da sah ich Intschu tschuna bei denselben erscheinen. Er hatte sich mit Winnetou bei der Abteilung der Apachen befunden, deren Aufgabe der Ueberfall des Lagers und die Befreiung der Gefangenen war. Als sie dies erreicht hatten, waren die beiden H„uptlinge von dort fortgerannt, um nach den Erfolgen der gr”áeren Abteilung zu sehen, mit welcher wir es zu tun hatten. Intschu tschuna war seinem Sohne eine ziemliche Strecke voran. Als er um die Bsche gebogen war, erblickte er mich. ¯Der L„nderdieb!® rief er mir entgegen und drang mit seiner umgekehrten Silberbchse auf mich ein, um mich niederzuschlagen. Ich rief ihm zwar einige erkl„rende Worte zu, die ihm sagen sollten, daá ich kein Feind von ihm sei; aber er h”rte nicht darauf und verdoppelte seine St”áe und Hiebe. Es ging gar nicht anders an, wenn ich nicht schwer verletzt oder gar erschlagen sein wollte, muáte ich ihm wehe tun. Grad als er wieder zum Hiebe ausholte, warf ich meinen B„rent”ter, mit welchem ich pariert hatte, weg, hing im n„chsten Momente mit der linken Hand an seinem Halse, w„hrend ich ihm mit der rechten Faust einige Hiebe gegen die Schl„fe versetzte. Er lieá seine Bchse fallen, r”chelte kurz auf und fiel dann auf die Erde nieder. Da ert”nte hinter mir eine jubelnde Stimme: ¯Das ist Intschu tschuna, der oberste der Apachenhunde! Ich muá sein Fell, seinen Skalp haben!® Mich umdrehend, gewahrte ich Tangua, den Kiowah„uptling, welcher aus irgend einem Grunde dieselbe Richtung wie ich eingeschlagen hatte. Er warf sein Gewehr weg, zog sein Messer und strzte sich auf den besinnungslosen Apachen, um ihn zu skalpieren. Ich faáte ihn beim Arme und gebot: ¯Laá die Hand davon! Den habe ich besiegt; er geh”rt also nicht dir, sondern mir!® ¯Schweig, weiáes Ungeziefer!® antwortete er mir. ¯Was habe ich nach dir zu fragen. Der H„uptling ist mein! Laá mich los, sonst ® Er stach mit dem Messer nach mir und traf mich in das linke Handgelenk. Ich wollte ihn nicht erstechen und lieá darum mein Messer im Grtel stecken, warf mich aber auf ihn und - 242 - gab mir Mhe, ihn wegzuziehen. Da mir dies nicht gelang, drckte ich ihm die Kehle zusammen, bis er sich nicht mehr bewegte; dann beugte ich mich zu Intschu tschuna nieder, dessen Gesicht aus meiner Handwunde mit Blut betropft worden war. In diesem Augenblicke h”rte ich ein Ger„usch hinter mir und machte eine Wendung, um mich umzusehen. Diese Bewegung rettete mir das Leben, denn ich erhielt auf die Schulter einen frchterlichen Kolbenhieb, welcher meinem Kopfe gegolten hatte. W„re dieser getroffen worden, so h„tte der Schlag mir den Sch„del zerschmettert. Der mir ihn gab, war Winnetou. Er war, wie bereits erw„hnt, hinter seinem Vater zurckgewesen. Um das Gebsch biegend, sah er mich bei seinem Vater knien, welcher wie leblos lag und mit Blut bespritzt war. Winnetou holte sofort zum t”dlichen Kolbenhiebe aus, der aber glcklicherweise nur meine Schulter traf. Dann lieá er sein Gewehr fallen, zog sein Messer und strzte sich auf mich. Meine Lage war so schlimm wie m”glich. Der Hieb hatte meinen ganzen K”rper erschttert und mir den Arm gel„hmt. Ich h„tte Winnetou gern eine Erkl„rung gegeben; aber dies alles ging so schnell, daá gar keine Zeit zu einem Worte vorhanden war. Er holte zum Stoáe gegen meine Brust aus, zu einem Stoáe, der mir die ganze Klinge in das Herz getrieben h„tte. Ich brachte nur eine ganz geringe K”rperwendung fertig; das Messer fuhr in meine linke Brusttasche, traf dort die schon erw„hnte Sardinenbchse, in welcher ich meine Papiere verwahrte, glitt an dem Bleche derselben ab und drang mir oberhalb des Halses und innerhalb der Kinnlade in den Mund und durch die Zunge. Dann zog er es wieder heraus und holte, mich mit der linken Hand an der Gurgel packend, zum zweiten Stoáe aus. Die Todesangst verdoppelt die Kr„fte; ich konnte nur eine Hand, einen Arm brauchen, und er lag von seitw„rts her auf mir; es gelang mir eine weitere Wendung; ich faáte seine rechte Hand und preáte diese so zusammen, daá er das Messer vor Schmerz fallen lassen muáte; dann nahm ich schnell seinen linken Arm beim Ellbogen und drckte ihn so nach oben, daá er, wenn er ihn nicht brechen wollte, die Hand von meinem Halse lassen muáte. Nun zog ich die Knie an und schnellte mich mit aller Gewalt empor; er wurde - 243 - abgeschleudert, so daá er mit dem Vorderleibe die Erde berhrte. Im n„chsten Augenblicke lag ich ihm so auf dem Rcken wie er vorher auf dem meinigen gelegen hatte. Jetzt galt es, ihn nieder zu halten, denn wenn er wieder aufkam, war ich verloren. Ein Knie ihm quer ber die beiden Oberschenkel und das andere auf den einen Arm setzend, nahm ich ihn mit der einen brauchbaren Hand beim Genick, w„hrend er mit seiner andern, freien Hand nach dem entfallenen Messer suchte, glcklicherweise vergeblich. Nun gab es ein wahrhaft satanisches Ringen zwischen uns. Man denke, Winnetou, der nie besiegt worden war und sp„ter auch nie wieder besiegt worden ist, mit seiner schlangenglatten Geschmeidigkeit, den eisernen Muskeln und st„hlernen Flechsen. Jetzt h„tte ich Zeit zum Sprechen gehabt; einige Worte h„tten zur Aufkl„rung gengt; aber das Blut schoá mir in Str”men aus dem Munde, und als ich mit der durchstochenen Zunge zu sprechen versuchte, brachte ich nur ein unverst„ndliches Lallen hervor. Er wendete alle seine Kraft an, mich abzuwerfen, und ich lag auf ihm wie ein Alp, der nicht abzuschtteln ist. Er begann zu keuchen und keuchte immer st„rker; ich preáte ihm mit den Fingerspitzen den Kehlkopf so fest nach innen, daá ihm der Atem ausging. Sollte er ersticken? Nein, auf keinen Fall! Ich gab also fr einen Augenblick seinen Hals frei, worauf er sofort den Kopf hob; das brachte diesen fr meine Absicht in die richtige Stellung zwei, drei rasch aufeinander folgende Faustschl„ge, und Winnetou war bet„ubt; ich hatte ihn, den Unbesieglichen, besiegt. Denn daá ich ihn schon einmal niedergeschlagen hatte, das war kein Sieg zu nennen, weil kein Kampf vorangegangen war. Ich holte tief, tief Atem, wobei ich mich in acht nehmen muáte, nicht das Blut zu verschlucken, welches mir den Mund fllte, so daá ich ihn offen halten muáte, damit es Abfluá fand; auch aus der „uáeren Wund”ffnung floá es in einem beinahe fingerdicken Strahle. Eben wollte ich mich vom Boden erheben, da h”rte ich einen zornigen indianischen Ruf hinter mir und bekam einen Kolbenhieb gegen den Kopf, der mich besinnungslos niederstreckte. Als ich wieder zu mir kam, war es Abend; so lange hatte ich ohne Besinnung gelegen. Zun„chst war es mir wie im - 244 - Traume: Ich war in das tiefe Mauerlager eines Mhlrades gestrzt. Die Mhle ging nicht, weil sich das Rad nicht bewegen konnte, da ich zwischen ihm und der Mauer steckte. Das Wasser rauschte ber mir herab, und die Kraft, mit welcher es auf das Rad wirkte, preáte mich fester und fester zusammen, daá ich glaubte, ich wrde zermalmt. Alle meine Glieder schmerzten, besonders aber der Kopf und die eine Schulter. Nach und nach erkannte ich, daá dies nicht Wirklichkeit, aber auch nicht Traum war. Das Rauschen und Brausen kam nicht vom Wasser; es wohnte in meinem Kopfe und war die Folge des Kolbenhiebes, welcher mich niedergeworfen hatte. Und die Schmerzen in der Schulter wurden nicht durch ein Mhlenrad verursacht, welches mich zusammenpreáte, sondern durch den Hieb, den ich von Winnetou bekommen hatte. Das Blut lief mir noch immer aus dem Munde; es wollte mir in die Kehle dringen und mich ersticken; ich h”rte ein frchterliches R”cheln und Gurgeln und erwachte vollends. Derjenige, der so ger”chelt hatte, war ich selbst. ¯Er bewegt sich! Gott sei Dank, er bewegt sich!® h”rte ich Sams Stimme rufen. ¯Ja, ich habe es auch gesehen,® antwortete Dick Stone. ¯Jetzt macht er die Augen auf! Er lebt, er lebt!® fgte Will Parker hinzu. Ich hatte allerdings die Augen ge”ffnet. Das, was der erste Blick mir zeigte, war keineswegs tr”stlich. Wir befanden uns noch auf dem Platze, wo der Kampf stattgefunden hatte. Es brannten wohl ber zwanzig Lagerfeuer, zwischen denen wohl ber fnfhundert Apachen sich bewegten. Viele von ihnen waren verwundet. Auch eine bedeutende Anzahl von Toten sah ich in zwei Abteilungen liegen. Die erste Abteilung bestand aus Apachen und die zweite aus Kiowas. Die ersteren hatten elf und die letzteren dreiáig ihrer Krieger eingebát. Rings um uns lagen die gefangenen Kiowas, alle streng gefesselt. Es war kein einziger entkommen. Auch Tangua, der H„uptling, befand sich unter ihnen. Den Oberingenieur und die drei Surveyors sah ich jetzt nicht. Sie waren niedergemacht worden, weil sie sich unklugerweise gewehrt hatten. In geringer Entfernung von uns sah ich einen Menschen - 245 - liegen, dessen K”rper ringf”rmig zusammengezogen war, ungef„hr so, wie es frher, in den Zeiten der Tortur, bei der Anwendung des sogenannten spanischen Bockes zu geschehen pflegte. Es war Rattler. Die Apachen hatten ihn krumm geschnrt, um ihm Schmerzen zu bereiten. Er st”hnte, daá es trotz seiner moralischen Verkommenheit zum Erbarmen war. Seine Gef„hrten lebten nicht mehr. Sie waren gleich beim ersten Angriffe erschossen worden. Ihn hatte man verschont, weil er als der M”rder Klekih-petras fr einen langsamern und qualvollern Tod aufgehoben werden sollte. Auch ich war an H„nden und Fáen gefesselt, ebenso Parker und Stone, welche mir zur Linken lagen. Zu meiner Rechten saá Sam Hawkens. Er war an den Fáen gefesselt; seine rechte Hand hatte man ihm auf den Rcken gebunden, die linke aber frei gelassen, damit er, wie ich sp„ter erfuhr, mir Hilfe leisten k”nne. ¯Dem Himmel sei Dank, daá Ihr wieder bei Euch seid, lieber Sir!® sagte er, indem er mir mit der freien Hand liebkosend ber das Gesicht strich. ¯Wie ist es nur gekommen, daá Ihr niedergeschlagen worden seid?® Ich wollte antworten, konnte aber nicht, weil ich den Mund voll Blut hatte. ¯Spuckt es heraus!® sagte er. Ich folgte dieser Weisung, brachte aber nur wenige, undeutliche Worte hervor, dann hatte sich der Mund schon wieder mit Blut gefllt. Infolge dieses groáen Blutverlustes war ich zum Sterben matt. Meine Antwort konnte ich nur in kurzen, weit auseinander gedehnten Abs„tzen geben und zwar so leise, daá Sam sie kaum verstehen konnte: ¯Intschu tschuna gek„mpft Winnetou dazu Mund gestochen Kolbenhieb auf Kopf von weiá es nicht.® Die dazwischen liegenden Worte erstickten in dem Blute. Es hatte, wie ich jetzt bemerkte, eine Lache gebildet, in welcher ich lag. ¯Alle Wetter! Wer konnte das ahnen! Wir h„tten uns ja gern ergeben, aber diese Apachen h”rten gar nicht auf unsere Worte. Darum machten wir uns in das Gestr„uch hinein, - 246 - um zu warten, bis ihr Grimm sich gelegt haben wrde, wenn ich mich nicht irre. Wir glaubten, Ihr h„ttet das auch getan, und suchten nach Euch. Als wir Euch aber nicht fanden, kroch ich nach dem Rande des Gestr„uches, um nach Euch auszuschauen. Da stand eine heulende Gruppe von Apachen um Intschu tschuna und Winnetou, welche tot zu sein schienen, aber bald zu sich kamen. Ihr lagt, auch wie tot, daneben. Das erschreckte mich so, daá ich sofort hier diesen Will Parker und diesen Dick Stone holte und mit ihnen zu Euch hinlief, um zu sehen, ob vielleicht noch Leben in Euch sei. Wir wurden natrlich gleich festgenommen. Ich sagte Intschu tschuna, daá wir Freunde der Apachen seien und gestern abend die Absicht gehabt h„tten, die beiden gefangenen H„uptlinge zu befreien. Er aber lachte mich grimmig aus, und nur Winnetou habe ich es zu verdanken, daá man mir diese eine Hand freigelassen hat. Er ist es auch gewesen, der Euch am Halse verbunden hat, sonst w„ret Ihr gar nicht wieder aufgewacht, sondern h„ttet Ihr Euch verblutet, wenn ich mich nicht irre. Ist der Stich tief eingedrungen?® ¯Durch die Zunge,® lallte ich. ¯Alle Teufel! Das ist gef„hrlich. Werdet da ein Wundfieberchen bekommen, welches ich zwar nicht haben m”chte, aber doch lieber auf mich nehmen wrde, weil so ein alter Waschb„r, wie ich bin, es leichter bersteht als so ein Greenhorn, welches, wie ich vermute, Blut bis jetzt nur in der Wurst gesehen hat. Ihr seid doch nicht etwa noch sonst blessiert?® ¯Kolbenhiebe Kopf und Schulter,® antwortete ich. ¯Also niedergeschlagen seid Ihr worden? Ich dachte, der Stich sei allein schuld. Da wird Euch freilich der Kopf verteufelt brummen. Aber das vergeht; die Hauptsache ist, daá das biáchen Verstand, welches Ihr hattet, nicht mit erschlagen worden ist. Die Gefahr, in welcher Ihr schwebt, liegt in der zerstochenen Zunge, die man nicht verbinden kann. Ich werde ® Mehr h”rte ich nicht, weil ich jetzt wieder in Ohnmacht fiel. Als ich aus derselben erwachte, fhlte ich, daá ich mich in Bewegung befand; ich h”rte den Huftritt vieler Pferde und schlug die Augen auf. Ich lag man denke sich! auf der - 247 - Haut des Grizzlyb„ren, den ich erstochen hatte. Sie war in die ungef„hre Form einer H„ngematte zusammengeschnrt worden und hing zwischen zwei Pferden, die mich auf diese Weise tragen muáten. Ich steckte so tief in dem Felle, daá ich nur die K”pfe dieser beiden Pferde und den Himmel sehen konnte, mehr nicht. Die Sonne warf glhende Strahlen auf mich herab, und brennend, wie flssiges Blei, flutete es mir in den Adern. Mein Mund war geschwollen und von geronnenem Blute voll. Ich wollte es mit der Zunge ausstoáen, konnte sie aber nicht bewegen. ¯Wasser, Wasser!® wollte ich rufen, denn ich fhlte einen geradezu entsetzlichen Durst, brachte aber keinen Laut, nicht einmal einen h”rbaren Hauch hervor. Ich sagte mir, daá es um mich geschehen sei, und wollte, wie jeder Sterbende es soll, an Gott und das, was jenseits dieses Lebens liegt, denken, wurde aber von der Ohnmacht wieder bermannt. Nachher k„mpfte ich mit Indianern, Bffeln und B„ren, machte Todesritte durch die ausgedorrten Steppen, schwamm monatelang ber uferlose Meere es war im Wundfieber, in welchem ich lange, lange mit dem Tode rang. Zuweilen h”rte ich Sam Hawkens' Stimme wie aus weiter, weiter Ferne; zuweilen sah ich zwei dunkle, sammetne Augen vor mir, die Augen Winnetous; dann starb ich, wurde in den Sarg gelegt und begraben; ich h”rte, daá die Erdschollen auf den Sarg geschaufelt wurden, und lag dann eine ganze, ganze Ewigkeit, ohne mich bewegen zu k”nnen, in der Erde, bis auf einmal der Deckel meines Sarges ger„uschlos nach oben schwebte und dann verschwand. Ich sah den hellen Himmel ber mir; die vier Seiten des Grabes senkten sich. War dies denn wahr? Konnte dies geschehen? Ich fuhr mir mit der Hand nach der Stirn und ¯Halleluja, Halleluja! Er erwacht vom Tode; er erwacht!® jubelte Sam. Ich wendete den Kopf. ¯Seht ihr es, daá er sich mit der Hand nach dem Kopf gegriffen, daá er jetzt sogar den Kopf herumgedreht hat!® schrie der Kleine. Er beugte sich ber mich. Sein Gesicht strahlte f”rmlich - 248 - vor Entzcken; das sah ich, trotzdem der dichte Bartwald es fast ganz bedeckte. ¯Seht Ihr mich, Sir, geliebter Sir?® fragte er. ¯Ihr habt die Augen ge”ffnet und Euch bewegt. Ihr lebt also wieder. Seht Ihr mich?® Ich wollte antworten, konnte aber nicht, erstens vor bergroáer Mattigkeit und zweitens weil die Zunge mir schwer wie Blei im Munde lag. Darum nickte ich. ¯Und h”rt Ihr mich?® fuhr er fort. Ich nickte wieder. ¯Da seht ihn an seht her seht her!® Sein Gesicht verschwand und dafr erschienen die beiden K”pfe von Stone und Parker. Die braven Kerls hatten Freudentr„nen in den Augen. Sie wollten auf mich einsprechen; aber Sam schob sie fort und sagte: ¯Laát mich zu ihm! Ich will mit ihm reden, ich, ich!® Er nahm meine beiden H„nde, drckte diejenige Stelle seines Bartes, unter welcher der Mund zu vermuten war, darauf und fragte: ¯Habt Ihr Hunger, Sir? Habt Ihr Durst? Werdet Ihr etwas essen oder trinken k”nnen?® Ich schttelte den Kopf, denn ich fhlte kein Bedrfnis, irgend etwas zu genieáen. Ich lag in einer Schw„che, welche selbst den Genuá eines einzigen Wassertropfens ausschloá. ¯Nicht? Wirklich nicht? Herr Gott, ist das denn m”glich! Wiát Ihr, wie lange Ihr hier gelegen habt?® Ich antwortete wieder durch ein leises Schtteln. ¯Drei Wochen, volle, ganze drei Wochen! Denkt Euch nur! Ihr wiát jedenfalls auch gar nicht, was nach Eurer Verwundung geschehen ist und wo Ihr Euch befindet. Ihr habt ein frchterliches Wundfieber gehabt und seid dann in Starrkrampf gefallen. Die Apachen wollten Euch einscharren; aber ich konnte nicht an Euern Tod glauben und habe so lange gebettelt, bis Winnetou mit seinem Vater sprach und dieser die Erlaubnis gab, Euch erst dann zu begraben, wenn die F„ulnis eintreten werde. Das haben wir der Frsprache Winnetous zu verdanken. Ich muá hin zu ihm, muá ihn holen!® Ich schloá die Augen und lag nun wieder still, doch nicht - 249 - im Grabe, sondern in einer seligen Mdigkeit, in einem wonnigen Frieden. Ich wnschte, ewig, ewig so liegen bleiben zu k”nnen. Da h”rte ich Schritte. Eine Hand betastete mich und bewegte meinen Arm; dann vernahm ich die Stimme Winnetous: ¯Hat Sam Hawkens sich nicht geirrt? Ist Selki lata*) wirklich wach gewesen?® ¯Ja, ja. Wir drei haben es ganz deutlich gesehen. Er hat sogar mit Kopfnicken und Schtteln auf meine Fragen geantwortet.® ¯So ist ein groáes Wunder geschehen. Aber es w„re besser, wenn es nicht geschehen, wenn er tot geblieben w„re. Er ist nur, um zu sterben, in das Leben zurckgekehrt. Er wird mit Euch wieder in den Tod gehen.® ¯Aber er ist der beste Freund der Apachen!® ¯Er hat mich zweimal niedergeschlagen!® ¯Weil er muáte!® ¯Er hat nicht gemuát!® ¯O doch: Das erstemal tat er es, um dir das Leben zu retten. Du hattest dich gewehrt und w„rst von den Kiowas ermordet worden. Und das zweitemal hat er sich gegen dich wehren mssen. Wir wollten uns euch freiwillig ergeben, konnten das aber nicht, weil eure Krieger nicht auf unsere Versicherungen h”rten.® ¯Das sagt Hawkens nur, um sich zu retten.® ¯Nein; es ist die Wahrheit!® ¯Deine Zunge lgt. Alles, was du mir erz„hlt hast, um dem Martertode zu entgehen, hat nur die Folge gehabt, uns zu berzeugen, daá ihr noch gr”áere Feinde von uns waret als selbst die Hunde von Kiowas. Du bist uns entgegengeschlichen und hast uns belauscht. W„rst du unser Freund gewesen, so h„ttest du uns gewarnt; dann w„ren wir nicht dort am Wasser berfallen und an die B„ume gebunden worden.® ¯Aber ihr h„ttet den Tod Klekih-petras an uns ger„cht, oder, wenn dies aus Dankbarkeit vielleicht nicht geschehen w„re, so h„ttet ihr uns wenigstens gehindert, unsere Arbeiten fortzusetzen und zu beendigen.® *) Old Shatterhand. - 250 - ¯Ihr habt dies auch so nicht tun k”nnen. Du ersinnst Ausreden, welche ein jedes Kind durchschauen muá. H„ltst du Intschu tschuna und Winnetou fr so dumm, ja, fr noch dmmer als so ein kleines Kind?® ¯Das f„llt mir ganz und gar nicht ein. Old Shatterhand ist wieder ohnm„chtig geworden. W„re er bei Bewuátsein und k”nnte er sprechen, so wrde er dir mitteilen, daá ich die Wahrheit gesagt habe.® ¯Ja, er wrde ebenso lgen wie du. Die Bleichgesichter sind alle Lgner und Betrger. Ich habe nur einen einzigen Weiáen gekannt, in dessen Herz die Wahrheit wohnte; dieser war Klekih-petra, den ihr uns ermordet habt. In diesem Old Shatterhand h„tte ich mich beinahe get„uscht. Ich sah seine Khnheit und seine K”rperkraft und bewunderte ihn. In seinem Auge schien die Aufrichtigkeit ihren Sitz zu haben, und ich glaubte, ihn lieben zu k”nnen. Aber er war genau ein solcher L„nderdieb wie die Andern; er verhinderte euch nicht, uns in die Falle zu locken, und hat mir zweimal seine Faust an den Kopf geschlagen. Warum hat der groáe Geist einen solchen Mann geschaffen und ihm ein so falsches Herz gegeben?® Ich hatte ihn, als er mich berhrte, ansehen wollen; aber der Wille fand bei den matten Bewegungsnerven keinen Gehorsam. Mein K”rper schien aus Aether zu bestehen, ja, gar nicht aus durch die Sinne wahrnehmbaren Stoffen zusammengesetzt zu sein und also auch gar nichts Wahrnehmbares vernehmen zu k”nnen. Aber jetzt, als ich dieses Urteil Winnetous h”rte, gehorchten mir die Augenlider. Sie ”ffneten sich und ich sah ihn neben mir stehen. Er war jetzt in ein leichtes, leinenes Gewand gekleidet, trug keine Waffe und hielt ein Buch in der Hand, auf dessen Einband in groáer Goldschrift das Wort Hiawatha zu lesen war. Dieser Indianer, dieser Sohn eines Volkes, welches man zu den "Wilden" z„hlt, konnte also nicht nur lesen, sondern er besaá sogar Sinn und Geschmack fr das H”here. Longfellows berhmtes Gedicht in der Hand eines Apache-Indianers! Das h„tte ich mir nie tr„umen lassen! ¯Er hat die Augen wieder offen!® rief da Sam, und Winnetou drehte sich zu mir um. Er trat wieder zu mir heran, richtete sein Auge lange, lange auf das meinige und fragte dann: - 251 - ¯Kannst du reden?® Ich schttelte den Kopf. ¯Hast du Schmerzen im K”rper?® Dieselbe Antwort. ¯Sei aufrichtig mit mir! Wenn man vom Tode erwacht, kann man keine Unwahrheit sagen. Habt ihr vier M„nner uns wirklich retten wollen?® Ich nickte zweimal. Da machte er eine ver„chtliche Handbewegung und rief im Tone sittlicher Emp”rung aus: ¯Lge, Lge, Lge! Selbst am wieder ge”ffneten Grabe Lge! H„ttest du mir die Wahrheit gestanden, so w„re mir vielleicht der Gedanke gekommen, daá du anders, daá du besser werden k”nntest, und ich h„tte Intschu tschuna, meinen Vater, gebeten, dir das Leben zu schenken. Aber du bist eine solche Frbitte nicht wert und muát sterben. Wir werden dich sehr aufmerksam pflegen, damit du sehr schnell wieder gesund und kr„ftig wirst, die Qualen, welche deiner warten, lange auszuhalten. Als kranker, schwacher Mann sehr schnell zu sterben, das ist keine Strafe.® L„nger konnte ich die Augen nicht offen halten; ich schloá sie wieder. H„tte ich doch reden k”nnen! Sam, der sonst so listige Sam Hawkens, fhrte unsere Verteidigung in einer nichts weniger als scharfsinnigen Weise; ich h„tte ganz anders gesprochen als er. Als ob er diesen meinen Gedanken erraten h„tte, stellte er jetzt dem jungen Apachenh„uptlinge vor: ¯Aber wir haben dir doch bewiesen, klar und unwiderleglich bewiesen, daá wir auf eurer Seite gewesen sind. Eure Krieger sollten gemartert werden, und um dies zu verhindern, hat Old Shatterhand mit "Blitzmesser" gek„mpft und ihn besiegt. Er hat also sein Leben fr euch gewagt und soll nun zum Lohne dafr gemartert werden!® ¯Ihr habt mir nichts bewiesen, denn auch diese Erz„hlung war nichts als Lge.® ¯Frage Tangua, den H„uptling der Kiowas, welcher sich noch in euren H„nden befindet!® ¯Ich habe ihn gefragt.® ¯Was sagte er?® - 252 - ¯Daá du lgst. Old Shatterhand hat nicht mit "Blitzmesser" gek„mpft, sondern dieser ist, als wir euch berfielen, von unsern Kriegern get”tet worden.® ¯Das ist eine groáartige Schlechtigkeit von Tangua. Er weiá, daá wir heimlich auf eurer Seite standen, und will sich nun dafr dadurch r„chen, daá er uns in das Verderben bringt.® ¯Er hat es mir beim groáen Geiste geschworen, also glaube ich ihm und nicht euch. Ich sage dir dasselbe, was ich soeben Old Shatterhand gesagt habe: Wrdet ihr ein offenes Gest„ndnis abgelegt haben, so h„tte ich fr euch gebeten. Klekih-petra, welcher mein Vater, Freund und Lehrer gewesen ist, hat die Gesinnung des Friedens und der Milde in mein Herz gelegt. Ich trachte nicht nach Blut, und mein Vater, der H„uptling, tut stets, um was ich ihn bitte. Darum haben wir von allen den Kiowas, welche wir noch immer hier gefangen halten, noch keinen get”tet; sie m”gen das, was sie getan haben, nicht mit ihrem Leben, sondern mit Pferden und Waffen, Zelten und Decken bezahlen. Wir sind mit ihnen noch nicht ganz einig ber den Preis, doch wird der Abschluá bald zustande kommen. Rattler ist Klekih-petras M”rder, er muá sterben. Ihr seid seine Genossen, dennoch wrden wir vielleicht Nachsicht haben, wenn ihr aufrichtig w„ret; da ihr dies aber nicht seid, so werdet ihr sein Schicksal teilen.® Das war ein lange Rede, so lang, wie ich aus dem Mund des schweigsamen Winnetou sp„ter nur selten und nur bei den wichtigsten Veranlassungen wieder eine geh”rt habe. Unser Schicksal lag ihm also wohl mehr am Herzen, als er eingestehen wollte. ¯Wir k”nnen uns doch unm”glich als eure Feinde erkl„ren, wenn wir eure Freunde sind,® entgegnete Sam. ¯Schweig! Ich sehe ein, daá du mit dieser groáen Lge auf den Lippen sterben wirst. Wir haben euch bisher mehr Freiheit gelassen als den andern Gefangenen, damit ihr diesem Old Shatterhand Hilfe leisten konntet. Ihr seid dieser Nachsicht nicht wert und werdet von jetzt an strenger gehalten werden. Der Kranke braucht euch nicht mehr. Folgt mir jetzt! Ich werde euch den Ort anweisen, den ihr nun nicht mehr verlassen drft.® - 253 - ¯Das nicht, Winnetou, nur das nicht!® rief Sam erschrocken aus. ¯Ich kann mich unm”glich von Old Shatterhand trennen!® ¯Du kannst es, denn ich befehle es dir! Was ich will, das wird geschehen!® ¯Aber wir bitten dich, uns wenigstens ® ¯Still!® unterbrach ihn der Apache im strengsten Tone. ¯Ich will kein Wort dagegen h”ren! Werdet ihr mit mir gehen, oder soll ich euch durch meine Krieger binden und fortschaffen lassen?® ¯Wir befinden uns in eurer Gewalt und sind also gezwungen, zu gehorchen. Wann drfen wir Old Shatterhand wiedersehen?® ¯Am Tage eures und seines Todes.® ¯Eher nicht?® ¯Nein.® ¯So laá uns, ehe wir dir jetzt folgen, von ihm Abschied nehmen!® Er ergriff meine H„nde, und ich fhlte seinen Bartwald auf meinem Gesichte, denn er gab mir einen Kuá auf die Stirn. Parker und Stone taten ebenso; dann gingen sie mit Winnetou fort, und ich lag einige Zeit allein, bis einige Apachen kamen und mich forttrugen, wohin, das wuáte ich nicht, da ich zu schwach war, die Augen noch einmal aufzuschlagen. Noch indem sie mich trugen, schlief ich wieder ein. Wie lange ich da geschlafen habe, weiá ich nicht. Es war der Genesungsschlaf, welcher immer tief zu sein und sehr lange zu w„hren pflegt. Als ich erwachte, wurde es mir gar nicht schwer, die Augen zu ”ffnen, und ich war bei weitem nicht mehr so schwach wie vorher. Ich konnte die Zunge einigermaáen bewegen und mit dem Finger in den Mund langen, um diesen von dem geronnenen Blute und von dem Wundeiter zu reinigen. Ich befand mich zu meinem Erstaunen in einem gemach„hnlichen, viereckigen Raume, dessen Seiten aus steinernen Mauern bestanden. Er erhielt sein Licht durch die Eingangs”ffnung, welche durch keine Tre verschlossen war. Mein Lager befand sich in der hintern Ecke. Man hatte da mehrere Grizzlyb„renfelle bereinander gelegt und eine sehr sch”ne, indianische Santillodecke ber mich gebreitet. In der Ecke neben der Tre saáen - 254 - zwei Indianerinnen, jedenfalls mir zur Pflege und zugleich Bewachung, eine alte und eine junge. Die alte war h„álich, wie die meisten alten, roten Squaws, was eine Folge der Ueberanstrengung ist, da die Frauen alle selbst die schwersten Arbeiten verrichten mssen, w„hrend die M„nner nur dem Kriege und der Jagd leben und die brige Zeit unt„tig verbringen. Die junge war sch”n, sogar sehr sch”n. Europ„isch gekleidet, h„tte sie gewiá in jedem Salon Bewunderung erregt. Sie trug ein langes, hellblaues, hemdartiges Gewand, welches den Hals eng umschloá und an der Taille von einer Klapperschlangenhaut als Grtel zusammengehalten wurde. Es war an ihr kein Schmuckgegenstand zu sehen, etwa Glasperlen oder billige Mnzen, mit denen die Indianerinnen sich so gern beh„ngen. Ihr einziger Schmuck bestand aus ihrem langen, herrlichen Haare, welches in zwei starken, bl„ulich schwarzen Z”pfen ihr weit ber die Hften herabreichte. Dieses Haar erinnerte mich an dasjenige von Winnetou. Auch ihre Gesichtszge waren den seinigen „hnlich. Sie hatte dieselbe Sammetschw„rze der Augen, welche unter langen, schweren Wimpern halb verborgen lagen, wie Geheimnisse, welche nicht ergrndet werden sollen. Von indianisch vorstehenden Backenknochen war keine Spur. Die weich und warm gezeichneten vollen Wangen vereinigten sich unten in einem Kinn, dessen Grbchen bei einer Europ„erin auf Schelmerei h„tte schlieáen lassen. Sie sprach, jedenfalls um mich nicht aus dem Schlaf zu wecken, leise mit der Alten, und als sie dabei den sch”n geschnittenen Mund zu einem L„cheln ”ffnete, blitzten die Z„hne wie reinstes Elfenbein zwischen den roten Lippen hervor. Die feingeflgelte Nase h„tte weit eher auf griechische als auf indianische Abstammung deuten k”nnen. Die Farbe ihrer Haut war eine helle Kupferbronze mit einem Silberhauch. Dieses M„dchen mochte achtzehn Jahre z„hlen, und ich w„re jede Wette darauf eingegangen, daá es die Schwester Winnetous sei. Diese beiden Squaws waren damit besch„ftigt, einen weiágegerbten Ledergrtel mit roten Stichen und Arabesken zu verzieren. Ich richtete mich auf, jawohl, ich richtete mich auf, und dies wurde mir gar nicht sehr schwer, w„hrend ich, ehe ich zum - 255 - letztenmale eingeschlafen war, vor Schw„che nicht einmal die Augen hatte ”ffnen k”nnen. Die Alte h”rte diese meine Bewegung, sah zu mir her und rief, indem sie auf mich deutete: ¯Uff! Aguan inta-hinta!® Uff ist der Ausruf des Erstaunens, und aguan inta-hinta heiát: er ist munter. Das M„dchen blickte von ihrer Arbeit [Illustration Nr. 11: Nscho-tschi] auf und erhob sich, als sie mich sitzen sah, um sich mir zu n„hern. ¯Du bist wach geworden,® sagte sie zu meinem Erstaunen in einem ziemlich gel„ufigen Englisch. ¯Hast du einen Wunsch?® Ich ”ffnete wohl den Mund, um zu antworten, schloá ihn aber wieder, denn es fiel mir ein, woran ich nicht gedacht hatte, - 256 - n„mlich, daá ich nicht sprechen konnte. Aber ich hatte mich aufsetzen k”nnen, da war es vielleicht m”glich, daá es auch mit der Sprache besser ging. Ich machte also den Versuch und antwortete: ¯Ja; ich habe sogar mehrere Wnsche.® Wie froh war ich, als ich meine Stimme h”rte. Sie klang mir freilich fremd; die Worte kamen gepreát und pfeifend heraus; sie verursachten mir im hintern Munde Schmerzen; aber es waren doch eben wieder Worte, nachdem ich drei Wochen lang zu keiner Silbe f„hig gewesen war. ¯Sprich leise, oder nur durch Zeichen,® sagte sie. ¯Nscho-tschi h”rt, daá dich das Reden schmerzt.® ¯Nscho-tschi ist dein Name?® sagte ich. ¯Ja.® ¯So danke dem, der ihn dir gegeben hat. Du konntest keinen passenderen bekommen, denn du bist wie ein sch”ner Frhlingstag, an welchem die ersten Blumen des Jahres zu duften beginnen.® Nscho-tschi heiát n„mlich "sch”ner Tag". Sie err”tete leicht und erinnerte mich: ¯Du wolltest mir deine Wnsche sagen.® ¯Sage mir vorher, ob du vielleicht meinetwegen hier bist!® ¯Ja, denn ich habe den Befehl erhalten, dich zu pflegen.® ¯Von wem?® ¯Von Winnetou, der mein Bruder ist.® ¯Ich dachte es mir, denn du siehst diesem jungen, tapfern Krieger auáerordentlich „hnlich.® ¯Du hast ihn t”ten wollen!® Das klang halb wie eine Behauptung und halb wie eine Frage. Sie blickte mir dabei so forschend in die Augen, als ob sie mein ganzes Innere ergrnden wolle. ¯Nein,® entgegnete ich. ¯Er glaubt das nicht und h„lt dich fr seinen Feind. Du hast ihn, den noch keiner berwinden konnte, zweimal zu Boden geschlagen!® ¯Einmal, um ihn zu retten, und das andere Mal, weil er mich t”ten wollte. Ich habe ihn lieb gehabt, gleich als ich ihn zum erstenmal sah.® - 257 - Wieder ruhte ihr dunkles Auge l„ngere Zeit auf meinem Angesichte; dann sagte sie: ¯Er glaubt euch nicht, und ich bin seine Schwester. Hast du Schmerzen im Munde?® ¯Jetzt nicht.® ¯Wirst du schlingen k”nnen?® ¯Ich m”chte es versuchen. Darfst du mir Wasser zum Trinken geben?® ¯Ja, und auch zum Waschen; ich werde dir welches holen.® Sie ging mit der Alten fort. Was war das? Wie sollte ich es mir deuten? Winnetou hielt uns fr seine Feinde, schenkte unsern Beteuerungen vom Gegenteil keinen Glauben und hatte mich doch der Pflege seiner eigenen Schwester bergeben! Der Grund dazu wurde mir vielleicht sp„ter klar. Nach einiger Zeit kamen die beiden Squaws zurck. Die jngere hatte ein tassen„hnliches Gef„á aus braunem Ton in der Hand, wie die Pueblo-Indianer sie zu fertigen pflegen. Es war mit khlem Wasser gefllt. Sie hielt mich fr noch zu schwach, ohne Hilfe zu trinken, und gab es mir deshalb an den Mund. Das Schlingen wurde mir schwer, sehr schwer und machte mir groáe Schmerzen; aber es ging, es muáte gehen; ich trank in kleinen Schlucken und groáen Pausen, so lange, bis das Gef„á leer war. Wie erquickte mich das! Nscho-tschi mochte mir das ansehen, denn sie sagte: ¯Das hat dir wohl getan. Ich werde dir sp„ter noch etwas Anderes bringen. Du muát viel Durst und Hunger haben. Willst du dich waschen?® ¯Ob ich es k”nnen werde?® ¯Versuche es!® Die Alte hatte eine ausgeh”hlte Krbish„lfte voll Wasser gebracht. Nscho-tschi setzte es mir neben das Lager und gab mir ein handtuch„hnliches Geflecht aus feinem, weichem Bast. Ich versuchte es, aber es ging nicht; ich war noch zu schwach. Da tauchte sie einen Zipfel des Geflechtes in das Wasser und begann, mir das Gesicht und die H„nde zu reinigen, sie, dem vermeintlichen Todfeinde ihres Bruders und Vaters. Als sie - 258 - fertig war, fragte sie mich mit einem leisen, aber sichtbar mitleidigen L„cheln: ¯Bist du stets so hager gewesen wie jetzt?® Hager? Ach, daran hatte ich noch gar nicht gedacht! Drei lange Fieberwochen und dabei den Wundstarrkrampf, welcher fast stets t”dlich zu verlaufen pflegt! Dazu keinen Bissen gegessen und keinen Tropfen getrunken! Das konnte natrlich nicht ohne Wirkung geblieben sein. Ich befhlte meine Wangen und antwortete dann: ¯Ich bin nie hager gewesen.® ¯So sieh einmal dein Bild im Wasser hier!® Ich schaute in den Krbis und fuhr erschrocken zurck, denn es blickte mir aus dem Wasser der Kopf eines Gespenstes, eines Skeletts entgegen. ¯Welch ein Wunder, daá ich noch lebe!® rief ich aus. ¯Ja, Winnetou sagte das auch. Du hast sogar den langen Ritt hierher berstanden. Der groáe, gute Geist hat dir einen auáerordentlich starken K”rper gegeben, denn ein Anderer h„tte es nicht fnf Tage unterwegs ausgehalten.® ¯Fnf Tage? Wo befinden wir uns?® ¯In unserm Pueblo *) am Rio Pecos.® ¯Sind alle eure Krieger, die uns gefangen nahmen, hierher zurckgekehrt?® ¯Ja, alle. Sie wohnen in der N„he des Pueblo.® ¯Und die gefangenen Kiowas sind auch da?® ¯Auch. Eigentlich sollten sie get”tet werden. Jeder andere Stamm wrde sie zu Tode martern, aber der gute Klekih-petra ist unser Lehrer gewesen und hat uns ber die Gte des groáen Geistes belehrt. Wenn die Kiowas einen Preis der Shne zahlen, drfen sie heimkehren.® ¯Und meine drei Gef„hrten? Weiát du, wo sie sich befinden?® ¯Sie sind in einem „hnlichen Raume wie dieser hier, der aber finster ist, angebunden.® ¯Wie geht es ihnen?® ¯Sie leiden keine Not, denn wer am Marterpfahle sterben *) Burgartiger Steinbau der Indianer. - 259 - soll, muá kr„ftig sein, daá er viel aushalten kann, sonst ist es keine Strafe fr ihn.® ¯Also sie sollen sterben wirklich sterben?® ¯Ja.® ¯Auch ich?® ¯Auch du!® In dem Tone, in welchem sie dies sagte, lag nicht eine Spur von Bedauern. War dieses sch”ne M„dchen so gefhllos, daá die qualvolle Ermordung eines Menschen sie gar nicht berhrte? ¯Sage mir, ob ich sie vielleicht einmal sprechen kann?® bat ich. ¯Das ist verboten.® ¯Auch nicht bloá einmal sehen, nur von weitem?® ¯Auch das nicht.® ¯So darf ich ihnen aber doch wenigstens eine Botschaft senden?® ¯Auch das ist untersagt.® ¯Ihnen nur sagen lassen, wie ich mich befinde?® Sie berlegte eine kleine Weile und antwortete dann: ¯Ich will Winnetou, meinen Bruder, darum bitten, daá sie zuweilen erfahren, wie es dir geht.® ¯Wird Winnetou einmal zu mir kommen?® ¯Nein.® ¯Aber ich habe mit ihm zu sprechen!® ¯Er nicht mit dir.® ¯Was ich ihm zu sagen habe, ist sehr notwendig.® ¯Fr ihn?® ¯Fr mich und meine Gef„hrten.® ¯Er wird nicht kommen. Soll vielleicht ich es ihm sagen, wenn es etwas ist, was du mir anvertrauen kannst. [?]® ¯Nein; ich danke dir! Ich k”nnte es dir wohl sagen; ich k”nnte dir berhaupt alles, alles anvertrauen; aber wenn er zu stolz ist, mit mir zu sprechen, so habe auch ich meinen Stolz, nicht durch einen Boten mit ihm zu reden.® ¯Du wirst ihn nicht eher als am Tage deines Todes sehen. Wir werden jetzt gehen. Wenn du etwas wnschest oder brauchst, so gieb ein Zeichen. Wir h”ren es, und es wird dann sogleich jemand kommen.® - 260 - Sie zog ein kleines, t”nernes Pfeifchen aus der Tasche und gab es mir; dann entfernte sie sich mit der Alten. War es nicht eine ganz abenteuerliche Lage, in der ich mich befand? Ich lag todkrank und sollte gut gepflegt werden, um dann gute Kr„fte zum langsamen Sterben zu haben! Der, welcher meinen Tod forderte, lieá mich durch seine Schwester pflegen und nicht etwa durch eine alte, unsaubere, h„áliche Indianersquaw! Es braucht wohl kaum erw„hnt zu werden, daá mein Gespr„ch mit Nscho-tschi nicht so glatt verlief, wie es sich lesen l„át. Das Reden machte mir Schwierigkeit und war mit ziemlich groáen Schmerzen verbunden; ich sprach also sehr langsam und muáte oft innehalten, um auszuruhen. Das ermattete mich, und darum schlief ich ein, als "Sch”ner Tag" sich entfernt hatte. Als ich einige Stunden darauf erwachte, hatte ich groáen Durst und einen wahrhaft b„renm„áigen Appetit. Ich versuchte das Zaubermittel und blies in das Pfeifchen. Augenblicklich erschien die Alte, welche drauáen vor der Tr gesessen haben muáte, steckte den Kopf herein und sprach eine Frage aus. Ich verstand nur die Worte ischha und ischtla, wuáte aber nicht, was sie bedeuteten. Sie hatte mich gefragt, ob ich essen oder trinken wolle. Ich machte das Zeichen des Trinkens und des Kauens, worauf sie verschwand. Kurze Zeit darauf kam Nscho-tschi mit einer t”nernen Schssel und einem L”ffel. Sie kniete neben meinem Lager nieder und gab mir l”ffelweise zu essen, wie einem Kinde, welches noch nicht selbstst„ndig essen kann. Die wilden Indianer fhren derartige Gef„áe und Ger„te nicht; der tote Klekih-petra war auch hierin der Lehrer der Apachen gewesen. Die Schssel enthielt eine sehr konsistente Fleischbrhe mit Maismehl, welches die Indianerinnen derart bereiten, daá sie die Maisk”rner mhsam zwischen Steinen zerstoáen und zerreiben. Fr den Haushalt Intschu tschunas aber hatte Klekih-petra zu diesem Zwecke eine Handmhle gebaut, die mir sp„ter als eine groáe Sehenswrdigkeit gezeigt wurde. Das Essen wurde mir natrlich noch viel schwerer als das Trinken; ich konnte die Schmerzen kaum aushalten und - 261 - h„tte bei jedem L”ffel laut aufschreien m”gen; aber die Natur verlangte Speise, und wenn ich nicht verhungern wollte, so muáte ich etwas genieáen. Darum gab ich mir Mhe, von der Qual, welche ich hatte, nichts merken zu lassen, konnte aber nicht verhindern, daá mir das Wasser dabei aus den Augen lief. Nscho-tschi bemerkte dies gar wohl und sagte, als ich den letzten L”ffel voll glcklich berwunden hatte: ¯Du bist zum Umfallen schwach, aber dennoch ein starker Mann, ein Held. W„rest du doch als Apache und nicht als lgenhaftes Bleichgesicht geboren!® ¯Ich lge nicht; ich lge nie; das wirst du schon noch einsehen!® ¯Ich m”chte es dir sehr gern glauben; aber es gab nur ein einziges Bleichgesicht, welches die Wahrheit redete; das war Klekih-petra, den wir alle liebten. Er war miágestaltet, hatte aber einen hellen Geist und ein gutes, sch”nes Herz. Ihr habt ihn ermordet, ohne daá er euch beleidigte; dafr werdet ihr sterben mssen und mit ihm begraben werden.® ¯Wie? Er ist noch nicht begraben?® ¯Nein.® ¯Aber seine Leiche kann sich doch unm”glich so lange gehalten haben!® ¯Er liegt in einem festen Sarge, durch welchen keine Luft zu dringen vermag. Du wirst diesen Sarg kurz vor deinem Tode zu sehen bekommen.® Nach dieser tr”stlichen Versicherung entfernte sie sich. Es ist doch fr einen, der zu Tode gemartert werden soll, eine ungeheure Beruhigung, vorher den Sarg eines Andern ansehen zu drfen! Uebrigens dachte ich jetzt noch gar nicht im Ernste an meinen Tod. Ich war im Gegenteile berzeugt, daá ich leben bleiben wrde; ich besaá ja ein unfehlbares Mittel, unsere Unschuld zu beweisen, n„mlich die Haarlocke, welche ich Winnetou, als ich ihn befreite, abgeschnitten hatte. Aber besaá ich sie wirklich noch? Hatte man sie mir nicht abgenommen? Ich erschrak, als ich mir diese Frage stellte; ich hatte w„hrend der kurzen Augenblicke, in denen ich wach gewesen war, gar nicht daran gedacht, daá die Indianer ihre Gefangenen auszuplndern pflegen. Ich muáte also meine Taschen untersuchen. - 262 - Ich trug noch meinen vollst„ndigen Anzug, von welchem man mir kein Stck genommen hatte. Was das heiát, drei Wochen lang in einem solchen Anzuge im Wundfieber zu liegen, das kann man sich wohl denken. Es gibt Verh„ltnisse, die man zwar durchmachen und erleben kann, niemals aber in einem Buche miterz„hlen darf. Der Leser eines solchen Buches beneidet wohl einen solchen weitgereisten, vielerfahrenen Mann, wrde sich aber, wenn er die mit Schweigen bergangenen Nebendinge erfhre, sehr hten, in seine Fuástapfen zu treten. Wie oft bekomme ich Briefe von begeisterten Lesern meiner Werke, in denen sie mich benachrichtigen, daá sie „hnliche Reisen unternehmen wollen. Sie fragen mich nach den Kosten, nach der Ausrstung, wenige aber auch nach den Kenntnissen, welche dazu geh”ren, und nach den Sprachen, die man vorher zu lernen hat. Diese abenteuerlichen Herren kuriere ich mit untrglicher Sicherheit durch meine aufrichtigen Antworten, in denen ich den Vorhang von jenen verschwiegenen Dingen ziehe. Also, ich untersuchte meine Taschen und fand zu meinem freudigen Erstaunen, daá ich noch alles, alles besaá; man hatte mir nur die Waffen abgenommen. Ich zog die Sardinenbchse hervor; meine Aufzeichnungen befanden sich noch drin und zwischen ihnen die Locke Winnetous. Ich steckte sie wieder ein und legte mich beruhigt nieder, um wieder einzuschlafen. Kaum war ich gegen Abend wieder erwacht, so erschien, ohne daá ich das Zeichen gegeben hatte, Nscho-tschi und brachte mir wieder Essen und frisches Wasser. Ich aá diesmal ohne ihre Hilfe und legte ihr dabei verschiedene Fragen vor, welche sie je nach dem Inhalte derselben beantwortete oder nicht. Es waren ihr natrlich Verhaltungsmaáregeln gegeben worden, nach denen sie sich streng zu richten hatte. Es gab da vieles, was ich nicht wissen durfte. Ich fragte sie auch, warum ich nicht ausgeplndert worden sei. ¯Winnetou, mein Bruder, hat es so befohlen,® antwortete sie. ¯Weiát du den Grund davon?® ¯Nein; ich habe nicht gefragt. Aber etwas Anderes, Besseres kann ich dir sagen.® ¯Was?® - 263 - ¯Ich war bei den drei Bleichgesichtern, die mit dir gefangen worden sind.® ¯Du selbst?® fragte ich erfreut. ¯Ja. Ich wollte ihnen sagen, daá du dich besser fhlst und bald wieder gesund sein wirst. Da bat mich der, welcher Sam Hawkens hieá, dir etwas zu geben, was er w„hrend der drei Wochen, in denen er dich pflegte, fr dich angefertigt hat.® ¯Was ist es?® ¯Ich habe Winnetou gefragt, ob ich es dir bringen darf, und er hat es erlaubt. Hier ist es. Du muát ein starker und khner Mann sein, daá du es wagest, den grauen B„ren bloá mit dem Messer anzugreifen. Sam Hawkens hat es mir erz„hlt.® Sie gab mir eine Kette, welche Sam von den Z„hnen und Krallen des Grizzly angefertigt hatte; die beiden Ohrenspitzen waren auch dabei. ¯Wie hat er das machen k”nnen?® fragte ich verwundert. ¯Doch nicht mit den H„nden allein. Hat man ihm sein Messer und sein anderes Eigentum gelassen?® ¯Nein, du bist der Einzige, dem man nichts genommen hat. Aber er sagte meinem Bruder, daá er diese Kette machen wolle, und bat sich die Krallen und Z„hne des B„ren zurck. Winnetou erfllte ihm diesen Wunsch und gab ihm auch die Gegenst„nde, welche zur Anfertigung der Kette n”tig waren. Trage sie gleich heute, denn du wirst dich nicht lange ber sie freuen k”nnen.® ¯Wohl weil ich nun bald sterben muá?® ¯Ja.® Sie nahm mir die Kette aus der Hand und legte sie mir um den Hals. Ich habe sie von diesem Tage an stets getragen, so oft ich im wilden Westen war, und antwortete jetzt der sch”nen Indianerin: ¯Dieses Andenken konntest du mir auch sp„ter bringen. Es eilt nicht so, denn ich werde es hoffentlich noch viele Jahre tragen.® ¯Nein, nur kurze, sehr kurze Zeit.® ¯Glaube das nicht! Eure Krieger werden mich nicht t”ten!® - 264 - ¯Gewiá! Es ist im Rate der Alten beschlossen.® ¯So werden sie anders beschlieáen, wenn sie h”ren, daá ich unschuldig bin.® ¯Das glauben sie nicht!® ¯Sie werden es glauben, denn ich kann es ihnen beweisen.® ¯Beweise es, beweise es! Ich wrde mich sehr, sehr freuen, wenn ich h”rte, daá du kein Lgner und kein Verr„ter bist! Sage mir, womit du es beweisen kannst, damit ich es Winnetou, meinem Bruder, mitteile!® ¯Er mag zu mir kommen, um es zu erfahren.® ¯Das tut er nicht.® ¯So erf„hrt er es nicht. Ich bin nicht gew”hnt, mir Freundschaft zu erbetteln oder durch Boten mit jemand zu verkehren, der selber zu mir kommen kann.® ¯Was seid ihr Krieger doch fr harte Leute! Ich h„tte dir so gern die Verzeihung Winnetous gebracht; du wirst sie aber nicht erhalten.® ¯Verzeihung brauche ich nicht, denn ich habe nichts getan, was mir vergeben werden máte. Aber um einen andern Gefallen werde ich dich bitten.® ¯Um welchen?® ¯Falls du wieder zu Sam Hawkens kommen solltest, so sage ihm, daá er keine Sorge zu haben brauche. Sobald ich mich von meiner Krankheit erholt habe, werden wir frei sein.® ¯Das glaube ja nicht! Diese Hoffnung wird dir nicht in Erfllung gehen.® ¯Es ist keine Hoffnung, sondern eine vollst„ndige Gewiáheit. Du wirst mir sp„ter sagen, daá ich recht gehabt habe.® Der Ton, in welchem ich dies sagte, war so berzeugt, daá sie es aufgab, mir zu widersprechen. Sie ging. Mein Gef„ngnis lag also am Pecosflusse, jedenfalls in einem Nebentale desselben, denn wenn ich durch die Tr blickte, so fiel mein Auge auf die gegenberliegende Felswand, die gar nicht weit entfernt war, w„hrend das Tal des Rio Pecos viel breiter sein muáte. Gern h„tte ich das Pueblo, in oder auf welchem ich mich befand, gesehen; aber ich konnte nicht vom Lager auf, und selbst wenn ich stark genug zum Gehen gewesen - 265 - w„re, wuáte ich nicht, ob es mir erlaubt war, den Raum zu verlassen, in welchem ich mich befand. Als es dunkel wurde, kam die Alte und setzte sich in die Ecke. Sie brachte eine Lampe mit, welche aus einem kleinen ausgeh”hlten Krbis bestand und die ganze Nacht brannte. Diese Alte hatte die gr”beren Arbeiten zu verrichten, w„hrend Nscho-tschi, um mich so auszudrcken, das Prinzip der Gastlichkeit vertreten sollte. Ich tat die ganze Nacht hindurch wieder einen tiefen, kr„ftigenden Schlaf und fhlte mich am andern Morgen st„rker als am vorhergehenden Tage. Heut bekam ich nicht weniger als sechsmal zu essen, immer dicke Fleischbrhe mit Maismehl; das war ebenso nahrhaft wie leichtverdaulich und wurde auch die n„chsten Tage und so lange fortgesetzt, bis ich besser schlingen und also festere Nahrung, besonders Fleisch, zu mir nehmen konnte. Mein Zustand verbesserte sich von Tag zu Tag. Das Skelett bekam wieder Muskeln, und die Geschwulst im Munde nahm stetig ab. Nscho-tschi blieb ganz dieselbe, immer freundlich besorgt und dabei berzeugt, daá mir der Tod immer n„her rcke. Sp„ter bemerkte ich, daá ihr Auge, wenn sie sich unbeachtet glaubte, mit einem wehmtigen, still fragenden Blicke auf mir ruhte. Es schien, daá sie begann, mich zu bedauern. Ich hatte ihr also unrecht getan, als ich annahm, daá sie kein Herz besitze. Ich fragte sie, ob es mir erlaubt sei, meinen Kerker, dessen Tr stets offen stand, zu verlassen; sie verneinte dies und teilte mir mit, daá Tag und Nacht, ohne von mir bemerkt worden zu sein, zwei W„chter vor der Tr gesessen h„tten und mich auch ferner bewachen wrden. Ich hatte es nur meiner Schw„che zu verdanken, daá ich nicht gefesselt worden war, und sie glaubte, daá man mir nun bald Riemen anlegen werde. Das forderte mich zur Vorsicht auf. Ich verlieá mich zwar auf die Haarlocke, aber es war doch vielleicht m”glich, daá sie die beabsichtigte Wirkung verfehlte; dann konnte ich mich nur auf mich selbst verlassen, auf mich und meine K”rperst„rke, und diese Kraft muáte ich ben. Aber wie? Ich lag nur, wenn ich schlief, auf den B„renfellen; sonst - 266 - saá ich auf oder ging im Raume auf und ab. Ich sagte Nscho-tschi, daá ich das niedrige Sitzen nicht gew”hnt sei, und fragte sie, ob nicht ein Stein zu bekommen sei, der mir als Sitz dienen k”nne. Dieser Wunsch wurde Winnetou vorgetragen, und er schickte mir mehrere von verschiedener Gr”áe; der schwerste konnte etwas ber einen Zentner wiegen. Mit diesen Steinen bte ich mich, so oft ich allein war. Gegen meine Pflegerinnen simulierte ich noch Schw„che; in Wirklichkeit aber wurde es mir schon nach vierzehn Tagen nicht mehr schwer, den groáen Stein vielmal nacheinander hoch emporzuheben. Das verbesserte sich noch weiter, und als die dritte Woche vergangen war, wuáte ich, daá ich meine frhere K”rperkraft vollst„ndig wieder hatte. Ich war nun sechs Wochen hier und hatte nicht geh”rt, daá die gefangenen Kiowas entlassen worden seien. Das war eine Leistung, gegen zweihundert Mann so lange zu ern„hren! Jedenfalls aber hatten die Kiowas dafr zu zahlen. Je l„nger sie blieben, ohne auf die Vorschl„ge der Apachen einzugehen, desto bedeutender wurde natrlich das L”segeld. Da, es war an einem sch”nen, sonnigen Sp„therbstmorgen, brachte Nscho-tschi mir mein Frhessen und setzte sich, w„hrend ich aá, bei mir nieder, w„hrend sie sich in der letzten Zeit sofort entfernt hatte. Ihr Auge blieb weich und mit einem feuchten Schimmer auf mir haften, und endlich rollte ihr gar ein Tr„nentropfen ber die Wange herab. ¯Du weinst?® fragte ich. ¯Was ist geschehen, das dich so betrbt?® ¯Es soll erst geschehen, heute.® ¯Was?® ¯Die Kiowas werden frei und ziehen fort. Ihre Boten sind in dieser Nacht unten am Flusse angekommen mit all den Gegenst„nden, die sie uns bezahlen mssen.® ¯Und das betrbt dich so? Du mátest doch eigentlich Freude darber haben!® ¯Du weiát nicht, was du sprichst, und ahnst nicht, was dir bevorsteht. Der Abschied der Kiowas soll dadurch gefeiert werden, daá man dich und deine drei weiáen Brder an die Marterpf„hle bindet.® - 267 - Ich hatte das schon lange kommen sehen und erschrak doch, als ich es h”rte. Also heut war der Tag der Entscheidung, vielleicht mein letzter Tag! Was wrde er mir gebracht haben, wenn er sich am Abende zur Rste neigte? Ich heuchelte Gleichgltigkeit und aá, scheinbar ruhig, weiter; als ich fertig war, gab ich ihr das Gef„á. Sie nahm es, stand auf und ging. Unter dem Eingange drehte sie sich um, kam noch einmal auf mich zu, reichte mir die Hand und sagte, ihre Tr„nen nicht l„nger zurckhaltend: ¯Ich kann jetzt zum letztenmale zu dir sprechen. Leb wohl! Du wirst Old Shatterhand genannt und bist ein starker Krieger. Sei auch stark, wenn sie dich martern! Nscho-tschi ist sehr betrbt ber deinen Tod; aber sie wrde sich sehr freuen, wenn keine Qual es verm”chte, dir einen Laut des Schmerzes und der Klage zu entlocken. Mache mir diese Freude und stirb als ein Held!® Nach dieser Bitte eilte sie hinaus. Ich trat an den Eingang, um ihr nachzublicken; da wurden die L„ufe zweier Gewehre auf mich gerichtet; die beiden W„chter taten ihre Pflicht. H„tte ich einen Schritt hinaus getan, so w„re ich sicher erschossen oder absichtlich so verwundet worden, daá ich nicht weiter konnte. An eine Flucht war nicht zu denken, die berhaupt miálingen muáte, weil ich die Oertlichkeit nicht kannte. Ich zog mich also schnell in mein Gef„ngnis zurck. Was sollte ich tun? Das Beste war jedenfalls, das Kommende ruhig abzuwarten und im gegebenen Augenblicke die Wirkung der Haarlocke zu versuchen. Der Blick, welchen ich jetzt in das Freie geworfen hatte, war ganz geeignet, mich davon zu berzeugen, daá ein Fluchtgedanke Wahnsinn gewesen w„re. Ich hatte zwar von den indianischen Pueblos gelesen, aber noch keines gesehen. Sie sind zum Zwecke der Verteidigung errichtet, und ihre Bauart, so eigenartig sie ist, entspricht dieser Bestimmung auf das allerbeste. Sie fllen gew”hnlich tiefe Felsenlcken aus, bestehen durchweg aus festem Stein- und Mauerwerk und setzen sich aus einzelnen Stockwerken zusammen, deren Zahl sich nach der Oertlichkeit richtet. Jedes h”here Stockwerk tritt ein Stck zurck, so daá vor ihm eine Plattform liegt, welche von der Decke des - 268 - darunterliegenden Stockes gebildet wird. Das Ganze gew„hrt den Anblick einer Stufenpyramide, deren Etagen sich je h”her desto mehr und tiefer in die Felsenlcke hineinziehen. Das Parterre steht also am weitesten vor und ist am breitesten, w„hrend die folgenden Etagen immer schm„ler werden. Diese Stockwerke sind nicht etwa, wie bei unsern H„usern, in ihrem Innern durch Treppen verbunden, sondern man gelangt zu ihnen nur von auáen mittelst Leitern, welche angelegt und wieder weggenommen werden k”nnen. Rckt ein Feind heran, so werden diese Leitern entfernt, und er kann nicht herauf, auáer er h„tte Leitern mitgebracht; aber auch in diesem Falle máte er jede Etage einzeln erstrmen und sich den Geschossen der auf den oberen Plattformen stehenden Verteidiger aussetzen, w„hrend diese vor seinen Waffen vollst„ndig sicher sind. Auf einem solchen Pyramidenpueblo befand ich mich, und zwar, wie ich jetzt gesehen hatte, auf dem achten oder neunten Stockwerke derselben. Wie konnte man da fliehend hinunterkommen, da sich auf allen unter mir liegenden Plattformen Indianer befanden! Nein, ich muáte bleiben. Ich warf mich also auf mein Lager und wartete. Das waren schlimme, beinahe unertr„gliche Stunden; die Zeit rckte mit wahrer Schneckenlangsamkeit vor, und es wurde fast Mittag, ohne daá etwas eintrat, was die Vorhersage der Indianerin best„tigte. Da, endlich h”rte ich drauáen die nahenden Schritte mehrerer Personen. Winnetou kam herein, gefolgt von fnf Apachen. Ich blieb, mich ganz unbefangen stellend, liegen. Er lieá einen langen, forschenden Blick ber mich gleiten und sagte dann: ¯Old Shatterhand mag mir mitteilen, ob er jetzt wieder gesund ist!® ¯Noch nicht ganz,® antwortete ich. ¯Aber sprechen kannst du, wie ich h”re?® ¯Ja.® ¯Und laufen auch?® ¯Ich denke es.® ¯Hast du das Schwimmen gelernt?® ¯Ein wenig.® - 269 - ¯Das ist gut, denn du wirst schwimmen mssen. Weiát du noch, an welchem Tage du mich wiedersehen solltest?® ¯An meinem Todestage.® ¯Du hast es dir gemerkt. Dieser Tag ist heute da. Steh auf; du sollst gefesselt werden.® Es w„re Unsinn gewesen, dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten. Ich hatte sechs Rote gegen mich, denen es nicht schwer werden konnte, mich mit Gewalt aufzurichten. Ich h„tte zwar einige von ihnen niederschlagen k”nnen, aber dadurch nichts erreicht, als daá das Verhalten der andern dadurch gegen mich versch„rft worden w„re. Ich erhob mich also von dem Lager und hielt ihnen meine H„nde hin; sie wurden mir vorn zusammengebunden, und dann bekam ich zwei Riemen so an die Fáe, daá ich zwar langsam gehen oder auch steigen, aber nicht in weiten, schnellen S„tzen entspringen konnte. Dann schaffte man mich hinaus auf die Plattform. Von hier fhrte eine Leiter nach der n„chst unteren Etage; es war nicht eine Leiter nach unserem Begriffe, sondern ein starker Holzpfahl, in welchen tiefe Kerben eingeschnitten waren, die als Stufen dienten. Drei Rote stiegen hinab; hierauf muáte ich folgen, was trotz der Fesseln keine Schwierigkeit bot, und dann folgten die beiden andern. In dieser Weise ging es von Stockwerk zu Stockwerk, immer weiter hinab. Auf allen Plattformen standen Weiber und Kinder, welche mich neugierig aber still betrachteten und dann hinter uns herkamen. Sie z„hlten, als wir nach dem untersten Stockwerke den Boden erreichten, einige Hundert und bildeten auch weiterhin unser Gefolge, das Publikum, welches das Schauspiel unseres Todes genieáen wollte. Es war so, wie ich gedacht hatte; das Pueblo lag in einem schmalen Seitentale, welches bald auf das breite Tal des Rio Pecos mndete. Nach diesem letzteren wurde ich gefhrt. Der Pecos ist berhaupt kein wasserreicher Fluá und hat im Sommer und Herbste noch weniger Wasser als im Winter und Frhling; doch gibt es tiefe Stellen, bei denen man auch w„hrend der heiáen Jahreszeit fast gar keine Abnahme bemerkt; da gibt es dann fetten Gras- und reichen Baumwuchs, welcher die Indianer zum Aufenthalte veranlaát, weil ihre Pferde hier - 270 - immer Weide finden. Eine solche Stelle sah ich vor mir liegen. Das Tal des Flusses war wohl eine gute halbe Wegsstunde breit und an beiden Ufern rechts und links von uns mit Busch und Wald bestanden, woran sich grne Grasstreifen schlossen. Grad vor uns aber erlitt der Wald, auch auf beiden Ufern, eine Unterbrechung, ber deren Ursache nachzudenken ich jetzt nicht Zeit hatte. Grad da, wo das Seitental, in welchem sich das Quertal befand, auf das Tal des Flusses mndete, gab es einen Sandstreifen, welcher wohl fnfhundert Schritte breit war, in ganz gerader Richtung auf das Wasser fhrte und sich jenseits desselben, am andern Ufer, fortsetzte; er glich also einem hellen Striche, welcher quer ber das grne Tal des Rio Pecos gezogen war. Auf dieser breiten, sandigen Linie war kein Gras, kein Strauch, kein Baum zu sehen, eine riesige Zeder ausgenommen, welche jenseits des Flusses mitten auf dem unfruchtbaren Streifen stand. Sie hatte infolge ihrer St„rke dem Naturereignisse widerstanden, durch welches der Sandstreifen quer ber das Tal gezogen worden war. Sie stand nicht am Ufer, sondern in ziemlicher Entfernung von demselben und war von Intschu tschuna bestimmt worden, bei dem Ereignisse des heutigen Tages eine Rolle zu spielen. Am diesseitigen Ufer herrschte reges Leben. Da sah ich zun„chst unsern Ochsenwagen, den die Apachen erbeutet und mitgenommen hatten. Jenseits des unfruchtbaren Sandes weideten die Pferde, welche die Kiowas gebracht hatten, um die Gefangenen auszul”sen. Da waren auch die Zelte aufgeschlagen und die verschiedenen Waffen ausgestellt, welche ebenso als L”segeld dienten. Dazwischen bewegte sich Intschu tschuna mit denjenigen seiner Leute, welche diese Tribute zu taxieren hatten. Tangua war bei ihnen, denn man hatte ihn und die Gefangenen schon freigelassen. Ein kurzer Blick auf das Gewhl von roten, phantastisch gekleideten Gestalten sagte mir, daá gewiá sechshundert Apachen anwesend waren. Als sie uns kommen sahen, zogen sie sich schnell zusammen und bildeten einen weiten, mehrgliedrigen Halbkreis um den Ochsenwagen, zu dem ich gefhrt wurde. Die Kiowas gesellten sich auch zu ihnen. Als wir den Wagen erreichten, sah ich Hawkens, Stone - 271 - und Parker, welche dort angebunden waren, doch nicht an den Wagen, sondern an Pf„hlen, welche fest und tief in die Erde gerammt waren. Ein vierter war leer; an diesen wurde ich befestigt. Das also waren die Marterpf„hle, an denen wir unser Leben in elender, schmerz- und qualhafter Weise beschlieáen sollten! Sie waren in einer Reihe nebeneinander eingeschlagen, und zwar so, daá wir nur durch geringe Zwischenr„ume von- [Illustration Nr. 12: Am Marterpfahl] einander [voneinander] getrennt wurden und miteinander sprechen konnten. Sam befand sich neben mir; dann kamen Stone und Parker. In unserer N„he lagen viele Bndel drren Holzes, welche dazu bestimmt waren, um uns aufgeh„uft zu werden, wenn wir nach den vorangegangenen, vielartigen Martern verbrannt werden sollten. Meine drei Gef„hrten schienen w„hrend ihrer Gefangenschaft auch keine Not gelitten zu haben, denn sie sahen ganz wohlgen„hrt aus, machten aber nichts weniger als frohe Gesichter. - 272 - ¯Ah, Sir, da kommt auch Ihr!® sagte Sam. ¯Ist eine armselige, eine ganz armselige Operation, welche sie mit uns vornehmen wollen, und ich glaube nicht, daá wir sie berstehen werden. Das Sterben und Totgeschlagenwerden greift den K”rper so sehr an, daá man es nur selten berlebt. Sollen nachher sogar noch verbrannt werden, wenn ich mich nicht irre. Was sagt Ihr dazu, Sir?® ¯Habt Ihr Hoffnung auf Rettung, Sam?® fragte ich ihn. ¯Wáte nicht, wer kommen sollte, uns herauszuholen. Habe schon wochenlang alle meine drei Gedanken angestrengt, aber keine einzige passende Idee gefunden. Wir steckten in einem finstern Felsenloche, waren berdies fest angebunden und hatten auáerdem noch mehrere W„chter. Wie will man da loskommen! Wie habt denn Ihr es gehabt?® ¯Sehr gut!® ¯Glaube es; man sieht es Euch an. Seid ja herausgefttert wie ein G„nserich, der zu Martini gebraten werden soll! Wie steht es denn mit der Wunde?® ¯Leidlich. Sprechen kann ich wieder, wie ihr h”rt, und die Geschwulst, die noch brig ist, wird wohl auch bald verschwinden.® ¯Bin berzeugt davon! Diese liebe Geschwulst wird heut so radikal geheilt werden, daá nichts von ihr brig bleibt, aber auch von Euch selber nichts, als ein H„ufchen Menschenasche. Ich sehe keine Rettung fr uns, und dennoch ist es mir gar nicht wie Sterben zu Mute. Ihr m”gt es mir glauben oder nicht, ich habe keine Angst und keine Sorge, [.] Es ist mir ganz so, als ob diese Roten uns ganz und gar nichts anhaben k”nnten, als ob ganz pl”tzlich irgendwoher ein Befreier kommen werde.® ¯M”glich! Auch ich habe die Hoffnung noch nicht verloren. Ich m”chte sogar wetten, daá wir uns heut abend, am Schlusse dieses so gef„hrlichen Tages, ganz wohl befinden werden.® ¯Das k”nnt eben nur Ihr sagen, der Ihr ein ausgemachtes Greenhorn seid. Ganz wohl befinden werden! Dummheit! Von "ganz wohl" kann keine Rede sein; ich wrde Gott danken, wenn ich mich heut abend berhaupt bef„nde.® ¯Ich habe Euch doch ”fters gesagt und wohl auch bewiesen, [Tafel Nr. 6: "Bd. VII. Das Ganze gew„hrte den Anblick einer Felsenpyramide. (Zu S. 268.)"] - 273 - daá deutsche Greenh”rner ganz andere Kerls sind als die hiesigen.® ¯So? Was wollt Ihr damit sagen? Ihr habt so einen eigenen Ton dabei. Ist Euch vielleicht ein guter Gedanke gekommen?® ¯Ja.® ¯Welcher? Und wann?® ¯An dem Abende, an welchem es Winnetou und seinem Vater gelang, zu entfliehen.® ¯Da kam Euch ein Gedanke? Sonderbar! Der wird uns heut nichts ntzen, denn als er Euch damals kam, da wuátet Ihr ja nicht, daá wir hier bei den Apachen so sch”ne Gar‡onlogis bekommen wrden. Wie heiát denn dieser Gedanke?® ¯Haarlocke.® ¯Haarlocke?® wiederholte er erstaunt. ¯Sagt einmal, Sir, wie es sich mit Eurem Oberstbchen verh„lt! Habt Ihr etwa ein Rattennest darin?® ¯Glaube nicht.® ¯Aber was faselt Ihr denn da von einer Haarlocke? Hat Euch etwa eine frhere Geliebte ihren Zopf geschenkt, den Ihr den Apachen zum Pr„sent machen wollt?® ¯Nein, sondern ich habe sie von einem Manne.® Er sah mich an, als ob er an meinem Verstande zweifle, schttelte den Kopf und sagte: ¯H”rt, geliebter Sir, es ist wirklich nicht richtig in Eurem Kopfe. Eure Verwundung muá da etwas zurckgelassen haben, was berflssig ist. Wahrscheinlich habt Ihr die Haarlocke im Gehirn, nicht aber in der Tasche. Denn ich wáte nicht, wie wir durch einen Haarzopf hier von den Marterpf„hlen loskommen k”nnten.® ¯Hm, ja; es ist eben eine Greenhornidee, und wir mssen ruhig abwarten, ob sie sich bew„hrt oder nicht. Was brigens das Loskommen von den Marterpf„hlen betrifft, so bin ich wenigstens in Beziehung auf meine Person sicher, daá ich nicht an dem meinigen h„ngen bleibe.® ¯Natrlich! Wenn man Euch verbrannt hat, h„ngt Ihr nicht mehr daran.® - 274 - ¯Pshaw! Ich komme los, ehe man die Martern mit uns beginnt.® ¯So? Welchen Grund habt Ihr, dies zu glauben?® ¯Ich soll schwimmen.® ¯Schwimmen?® fragte er, indem er abermals einen Blick so auf mich richtete, wie ungef„hr der Irrenarzt auf seinen Patienten. ¯Ja, schwimmen. Und das kann ich doch hier am Pfahle nicht. Man muá mich also losbinden.® ¯Alle Wetter! Wer hat Euch denn gesagt, daá Ihr schwimmen sollt?® ¯Winnetou.® ¯Und wann sollt Ihr schwimmen?® ¯Heut natrlich jetzt.® ¯Good lack! Wenn er dies gesagt hat, so ist es freilich grad wie ein Sonnenstrahl, der durch die Wolken bricht. Es scheint, Ihr sollt um Euer Leben k„mpfen.® ¯Das denke ich auch.® ¯So wird es mit uns ebenso der Fall sein, denn ich glaube nicht, daá man mit Euch anders verfahren wird als mit uns. In diesem Falle ist unsere Lage allerdings nicht so verzweifelt, wie ich bisher angenommen habe.® ¯Das denke ich auch. Wir werden uns wahrscheinlich retten k”nnen.® ¯Oho! Bildet Euch nun nur nicht gleich zu viel ein! Wenn man uns um das Leben k„mpfen l„át, so wird man uns die Sache m”glichst schwierig machen. Aber es gibt Beispiele, daá in solchen F„llen weiáe Gefangene gerettet worden sind. Habt Ihr denn das Schwimmen gelernt, Sir?® ¯Ja.® ¯Aber wie!® ¯So, daá ich glaube, mich vor keinem Indianer frchten zu mssen.® ¯H”rt, bildet Euch nichts ein! Diese Kerls schwimmen wie die Wasserratten, wie die Fische.® ¯Und ich wie ein Fischotter, der Fische f„ngt und friát.® ¯Ihr schneidet auf.® ¯Nein. Das Schwimmen ist eine meiner Lieblingsbesch„f- - 275 - tigungen [Lieblingsbesch„ftigungen] gewesen. Habt Ihr vielleicht einmal vom Wassertreten geh”rt?® ¯Ja.® ¯K”nnt Ihr es?® ¯Nein; ich habe es auch nicht gesehen.® ¯So ist es m”glich, daá Ihr es heut zu sehen bekommt. Wenn es sich wirklich darum handelt, daá man mir Gelegenheit bieten will, mein Leben durchs Schwimmen zu retten, so bin ich fast berzeugt, daá ich diesen Tag berleben werde.® ¯Will es Euch wnschen, Sir! Und hoffentlich bietet man uns eine „hnliche Gelegenheit. Das ist immer besser, als hier am Pfahle h„ngen zu bleiben. Ich will doch lieber im Kampfe fallen, als mich zu Tode martern lassen.® Wir waren nicht gehindert worden, miteinander zu sprechen, denn Winnetou stand, ohne zun„chst weiter auf uns zu achten, mit seinem Vater und Tangua redend zusammen, und die andern Apachen, welche mich mitgebracht hatten, waren damit besch„ftigt, Ordnung in den [dem] Halbring zu schaffen, welcher sich vor und um uns gebildet hatte. Im Innern desselben saáen zun„chst die Kinder und hinter diesen die M„dchen und Frauen, bei denen sich auch Nscho-tschi befand, die, wie ich bemerkte, nur selten ihr Auge von mir verwendete. Dann kamen die jungen Burschen, hinter denen die erwachsenen Krieger standen. So weit war die Ordnung gediehen, als Sam die zuletzt erw„hnten Worte gesprochen hatte. Da erhob Intschu tschuna, der mit Winnetou und Tangua zwischen uns und den Zuschauern stand, seine Stimme und sagte so laut, daá alle es deutlich h”ren konnten: ¯Meine roten Brder, Schwestern und Kinder und auch die M„nner vom Stamme der Kiowas m”gen h”ren, was ich ihnen zu sagen habe!® Er machte eine Pause, und als er sah, daá die Aufmerksamkeit Aller auf ihn gerichtet war, fuhr er fort: ¯Die Bleichgesichter sind die Feinde der roten M„nner; es gibt nur selten eins unter ihnen, dessen Auge freundlich auf uns gerichtet war. Der edelste unter diesen wenigen Weiáen kam zu dem Volke der Apachen, um ein Freund und Vater desselben zu sein. Darum haben wir ihm den Namen Klekih- - 276 - petra weiáer Vater gegeben. Meine Brder und Schwestern haben ihn alle gekannt und lieb gehabt. Sie m”gen es mir bezeugen!® ¯Howgh!® ert”nte das Wort der Beteurung im Kreise. Der H„uptling sprach weiter: ¯Klekih-petra ist unser Lehrer gewesen in allen Dingen, die wir nicht kannten, die aber gut und ntzlich fr uns sind; er hat auch von der Religion der Weiáen gesprochen und von dem groáen Geiste, welcher der Sch”pfer und Ern„hrer aller Menschen ist. Dieser groáe Geist hat befohlen, daá die roten und die weiáen Leute untereinander Brder sein und sich lieben sollen. Haben aber die Weiáen diesen seinen Willen erfllt, haben sie uns Liebe gebracht? Nein! Meine Brder und Schwestern m”gen dies bezeugen!® ¯Howgh!® erklang es im Chore. ¯Sie sind vielmehr gekommen, um uns unser Eigentum zu rauben und uns auszurotten. Dies gelingt ihnen, weil sie st„rker sind als wir. Da, wo die Bffel und die Mustangs grasten, haben sie groáe St„dte gebaut, von denen alles B”se ausgeht, was ber uns kommt. Wo der rote J„ger durch den Urwald oder ber die Savanne ging, da rennt jetzt das dampfende Feuerroá mit den groáen Wagen, in denen es unsere Feinde zu uns bringt. Und wenn der rote Mann vor ihm in die Grnde flieht, die man ihm noch gelassen hat und wo er im Frieden sterben und verhungern will, so dauert es nicht lange, bis er auf Bleichgesichter trifft, die ihm nachgefolgt sind, um dem Feuerrosse auf diesem rechtm„áigen Grund und Boden des roten Mannes neue Pfade zu bauen. Wir haben solche Weiáe getroffen und friedlich mit ihnen gesprochen. Wir haben ihnen gesagt, daá dieses Land unser Eigentum sei und ihnen nicht geh”re. Sie haben nichts dagegen vorbringen k”nnen, sondern es zugeben mssen. Aber als wir sie aufforderten, fortzugehen und darauf zu verzichten, das Feuerroá nach unsern Weidepl„tzen zu bringen, da sind sie unserer Aufforderung nicht gefolgt und haben Klekih-petra, den wir liebten und verehrten, erschossen. Meine Brder und Schwestern m”gen best„tigen, daá ich die Wahrheit gesprochen habe!® ¯Howgh!® erklang laut und einstimmig diese Best„tigung. - 277 - ¯Wir haben die Leiche des Ermordeten hierhergebracht und auf den Tag der Rache aufbewahrt; dieser Tag ist heut angebrochen. Klekih-petra soll heut begraben werden und mit ihm der, der ihn ermordet hat. Mit ihm haben wir auch diejenigen gefangen, welche bei ihm waren, als die Tat geschah. Sie sind seine Freunde und Genossen und haben uns in die H„nde der Kiowas geliefert; aber sie leugnen es. Bei allen andern roten M„nnern wrde das, was wir von ihnen wissen, gengen, sie in den Martertod zu fhren; wir aber wollen den Lehren unsers weiáen Vaters Klekih-petra gehorchen und gerechte Richter sein. Da sie nicht zugeben, unsere Feinde gewesen zu sein, so wollen wir sie verh”ren, und ihr Schicksal soll nach dem bestimmt werden, was wir dabei erfahren. Meine Brder und Schwestern m”gen mir ihre Zustimmung erteilen!® ¯Howgh!® erklang der Beifall rund umher. ¯H”rt, Sir, das klingt gnstig fr uns,® sagte da Sam zu mir. ¯Wenn sie uns verh”ren wollen, liegt die Sache gar nicht so schlimm fr uns, wie wir gedacht haben. Ich hoffe, es gelingt uns, unsere Unschuld zu beweisen. Ich werde diesen Leuten alles so klar machen und sie so berzeugen, daá sie uns freilassen werden.® ¯Sam, das bringt Ihr nicht fertig,® antwortete ich ihm. ¯Nicht? Warum? Meint Ihr etwa, daá ich nicht reden kann?® ¯O, das Sprechen hat man Euch wohl schon als Kind so nach und nach beigebracht; aber wir sind sechs Wochen hier gefangen gewesen, und w„hrend dieser ganzen, langen Zeit ist es Euch nicht gelungen, den Apachen eine bessere Meinung beizubringen.® ¯Euch auch nicht, Sir!® ¯Allerdings nicht, Sam, denn erst konnte ich nicht reden, und dann, als es mir wieder m”glich war, die Zunge zu bewegen, hat sich kein einziger Roter bei mir sehen lassen. Ihr werdet also wohl zugeben, daá ich nicht einmal einen Versuch habe machen k”nnen, uns gegen einen der H„uptlinge zu verteidigen.® ¯So macht ihn ja auch jetzt nicht!® - 278 - ¯Warum?® ¯Weil es Euch nicht gelingen wrde. Ihr seid als Greenhorn viel zu unerfahren in solchen Dingen und k”nnt Euch darauf verlassen, daá Ihr uns nicht heraushelfen, sondern ganz im Gegenteile uns immer tiefer hineinreiten wrdet. Ihr besitzt zwar eine riesige K”rperkraft, die uns aber hier gar nichts ntzen kann, denn hier kommt es vor allen Dingen auf die richtige Erfahrung, auf den Scharfsinn und die Schlauheit an, die Euch abgehen. Ihr k”nnt ja nichts dafr, denn Ihr seid nun einmal ohne diese sch”nen Eigenschaften geboren worden, aber grad darum mát Ihr die Hand aus dem Spiele lassen und es erlauben, daá ich unsere Verteidigung bernehme.® ¯So wnsche ich Euch nur bessern Erfolg, als Ihr bisher gehabt habt, lieber Sam!® ¯Wird nicht fehlen, denn Ihr sollt h”ren, daá ich meine Sache gut machen werde.® Dieser unser Meinungsaustausch hatte ungest”rt stattfinden k”nnen, weil unsere Vernehmung nicht sofort begonnen hatte. Intschu tschuna und Winnetou unterhielten sich leise mit Tangua und hielten dabei ihre Augen oft auf uns gerichtet. Sie sprachen also von uns. Die Blicke der beiden Ersteren wurden immer finsterer und strenger, und die Bewegungen und Mienen des Kiowa waren diejenigen eines Mannes, welcher auf Jemand eifrig einspricht, um Andere bei ihm zu verd„chtigen. Wer weiá, was er fr Lgen von uns erz„hlte, um uns zu verderben! Dann kamen sie auf uns zu. Die beiden Apachen stellten sich rechts von uns auf, w„hrend Tangua sich links neben mich postierte. Nun sagte Intschu tschuna zu uns, wieder mit lauter Stimme, so daá es Alle h”ren konnten: ¯Ihr habt vernommen, was ich vorhin gesprochen habe. Ihr sollt uns die Wahrheit sagen und euch verteidigen drfen. Beantwortet mir die Fragen, welche ich an euch richte! Ihr geh”rtet zu den Weiáen, welche die neue Bahn des Feuerrosses vermessen haben?® ¯Ja. Doch muá ich dir sagen, daá wir Drei hier nicht mit gemessen haben, sondern ihnen nur zum Schutze mitgegeben worden sind,® antwortete Sam. ¯Und was den Vierten hier betrifft, Old Shatterhand genannt, so ® - 279 - ¯Schweig!® unterbrach ihn der H„uptling. ¯Du hast nur meine Fragen zu beantworten und kein weiteres Wort zu sprechen. Redest du mehr, so laá ich dich peitschen, daá dir die Haut aufspringt! Also ihr geh”rtet zu diesen Bleichgesichtern? Antworte kurz mit Ja oder mit Nein!® ¯Ja,® sagte Sam, um sich nicht schlagen lassen zu mssen. ¯Old Shatterhand hat mit vermessen?® ¯Ja.® ¯Und ihr Drei beschtztet diese Leute?® ¯Ja.® ¯So seid ihr noch schlimmer als sie, denn wer Diebe und R„uber beschtzt, der hat doppelte Strafe verdient. Rattler, der M”rder, war euer Gef„hrte?® ¯Ja, doch muá ich dir sagen, daá wir nicht seine Freunde ge ® ¯Schweig, Hund!® fuhr ihn Intschu tschuna an. ¯Du hast nur das zu sagen, was ich wissen will, mehr aber nicht! Kennst du die Gesetze des wilden Westens?® ¯Ja.® ¯Wie wird ein Pferdedieb bestraft?® ¯Mit dem Tode.® ¯Was ist wertvoller, ein Pferd oder das groáe, weite Land, welches den Apachen geh”rt?® Sam antwortete nicht, um sich nicht selbst das Todesurteil zu sprechen. ¯Sprich, sonst laá ich dich mit dem Lasso bis auf das Blut peitschen!® Da knurrte der kleine, mutige Sam: ¯Schlagt zu! Sam Hawkens ist nicht derjenige, welcher sich zum Reden zwingen l„át, wenn er nicht reden will!® Da wendete ich ihm das Gesicht zu und bat ihn: ¯Redet, Sam; es ist besser fr uns!® ¯Well,® antwortete er. ¯Wenn Ihr es wollt, so will ich mich einmal dazu hergeben, zu reden, wo ich eigentlich schweigen sollte.® ¯Also, was ist wertvoller, ein Pferd oder dieses Land?® ¯Das Land.® ¯So hat ein L„nderdieb also noch viel eher den Tod ver- - 280 - dient [verdient] als ein Pferdedieb, und ihr habt uns unser Land rauben wollen. Dazu kommt, daá ihr die Genossen des Menschen seid, welcher Klekih-petra ermordet hat. Das versch„rft die Strafe. Als L„nderdiebe w„ret ihr erschossen worden, ohne vorher Qualen zu erleiden; da ihr aber M”rder seid, so werdet ihr vor euerm Tode den Marterpfahl durchmachen mssen. Aber wir sind mit der Aufz„hlung eurer Taten noch nicht fertig. Ihr habt uns in die H„nde der Kiowas, welche unsere Feinde waren, geliefert?® ¯Nein.® ¯Das ist Lge!® ¯Es ist die Wahrheit.® ¯Bist du nicht mit Old Shatterhand uns nachgeritten, als wir euch verlassen hatten?® ¯Ja.® ¯Das ist doch ein sicheres Zeichen der Feindschaft!® ¯Nein. Ihr hattet uns gedroht, und so muáten wir nach den Regeln, nach welchen man im wilden Westen lebt, wissen, ob ihr euch wirklich entfernt hattet oder nicht. Ihr konntet euch versteckt haben und auf uns schieáen wollen. Nur deshalb ritten wir hinter euch her.® ¯Weshalb du nicht allein? Weshalb nahmst du diesen Old Shatterhand mit?® ¯Um ihn im Lesen der Spuren zu unterrichten, da er noch Neuling ist.® ¯Wenn eure Absicht eine so friedliche war und ihr uns nur der Vorsicht wegen folgtet, warum rieft ihr da die Hilfe der Kiowas an?® ¯Weil wir sahen, daá du vorausgeeilt warest. Du wolltest deine Krieger schnell holen, um uns zu berfallen.® ¯War es da wirklich n”tig, euch an die Kiowas zu wenden?® ¯Ja.® ¯Gab es keinen andern Ausweg?® ¯Nein.® ¯Du lgst abermals. Um uns zu entgehen, brauchtet ihr nur das zu tun, was ich euch befohlen hatte, n„mlich unser Gebiet zu verlassen. Warum habt ihr das nicht getan?® - 281 - ¯Weil wir nicht eher gehen konnten, als bis unsere Arbeit vollendet war.® ¯Also ihr wolltet den Raub, den ich euch verboten hatte, vollst„ndig ausfhren und rieft darum die Kiowas zu Hilfe. Wer aber unsere Feinde auf uns hetzt, ist auch unser Feind und muá get”tet werden. Das ist ein neuer Grund fr uns, euch das Leben zu nehmen. Aber ihr habt es dann nicht etwa den Kiowas allein berlassen, uns zu empfangen, anzugreifen und zu besiegen, sondern ihr habt ihnen dabei geholfen. Giebst du das zu?® ¯Was wir getan haben, das taten wir nur, um Blutvergieáen zu vermeiden.® ¯Willst du, daá ich dich verlache? Bist du uns nicht entgegen gegangen, als wir kamen?® ¯Ja.® ¯Hast uns belauscht?® ¯Ja.® ¯Und eine ganze Nacht in unserer N„he zugebracht? Ist es so oder nicht?® ¯Es ist so.® ¯Hast du nicht die Bleichgesichter nach dem Wasser gefhrt, um uns dorthin zu locken, und dann die Kiowas in den Wald versteckt, damit sie ber uns herfallen sollten?® ¯Das ist wahr; aber ich muá ® ¯Schweig! Ich will eine kurze Antwort, aber keine lange Rede haben. Es wurde uns eine Falle gestellt! Wer hat diese ersonnen?® ¯Ich.® ¯Diesmal sagst du die Wahrheit. Mehrere von uns wurden verwundet, Einige get”tet, die Anderen aber gefangen genommen. Daran seid ihr schuld; dieses vergossene Blut kommt ber euch und ist ein weiterer Grund, daá ihr sterben mát.® ¯Es lag in meinem Plane, daá ® ¯Schweig! Ich habe dich jetzt nicht gefragt. Der groáe, gute Geist sandte uns einen unbekannten, unsichtbaren Retter. Ich kam mit Winnetou, meinem Sohne, frei. Wir schlichen zu unsern Pferden, nahmen aber nur die, welche wir brauchten, damit die Gefangenen, wenn wir sie befreiten, gleich ihre Pferde - 282 - h„tten. Wir ritten fort, um unsere Krieger zu holen, welche gegen die Kiowas zogen. Sie waren auf die Spur derselben getroffen und ihnen gefolgt; darum stieá ich so schnell mit ihnen zusammen, daá wir schon am n„chsten Tage bei euch sein konnten. Da ist wieder viel Blut geflossen; wir haben im ganzen sechzehn Tote, ohne das Blut und die Schmerzen der Verwundeten zu r„chen, ein abermaliger Grund, daá ihr sterben mát. Ihr habt weder Gnade noch Erbarmen zu erwarten und ® ¯Gnade wollen wir gar nicht, sondern nur Gerechtigkeit,® fiel Sam ihm in die Rede. ¯Ich kann ® ¯Wirst du wohl schweigen, Hund!® unterbrach ihn Intschu tschuna zornig. ¯Du hast nur zu sprechen, wenn ich dich frage. Ich bin berhaupt nun mit dir, mit euch fertig. Da du aber von Gerechtigkeit redest, so sollt ihr nicht nur nach deiner eigenen Aussage verurteilt werden, sondern ich will euch einen Zeugen gegenberstellen. Tangua, der H„uptling der Kiowas, mag sich herablassen, in dieser Angelegenheit seine Stimme zu erheben. Sind diese Bleichgesichter unsere Freunde?® ¯Nein,® antwortete der Kiowa, dem man die Genugtuung darber, daá die Sache fr uns einen so bedenklichen Lauf nahm, deutlich ansah. ¯Haben sie uns schonen wollen?® ¯Nein. Sie haben mich vielmehr gegen euch aufgehetzt und mich gebeten, ja keine Nachsicht mit euch zu haben, sondern euch zu t”ten, alle zu t”ten.® Diese Unwahrheit emp”rte mich so, daá ich mein bisheriges Schweigen brach und ihm in das Gesicht sagte: ¯Das ist eine so groáe, unversch„mte Lge, daá ich dich sofort zu Boden schlagen wrde, wenn ich nur eine Hand frei h„tte!® ¯Hund, stinkender!® brauste er auf. ¯Soll ich es sein, der dich erschl„gt?® Er hob die Faust empor; ich antwortete: ¯Schlag zu, wenn du dich nicht sch„mst, dich an Jemandem zu vergreifen, der sich nicht wehren kann! Ihr redet da von einem Verh”re und von Gerechtigkeit? Ist das ein Verh”r, und ist das Gerechtigkeit, wenn man nicht sagen darf, was man - 283 - zu sagen hat? Wir sollen uns verteidigen drfen? K”nnen wir das, wenn wir bis auf das Blut geschlagen werden sollen, falls wir nur ein einziges Wort mehr reden, als ihr h”ren wollt? Intschu tschuna verf„hrt wie ein ungerechter Richter. Er stellt die Fragen so, daá uns die Antworten, welche er uns erlaubt, ins Verderben fhren mssen; andere Antworten drfen wir nicht geben, und wenn wir die Wahrheit sagen wollen, welche uns retten wrde, so unterbricht er uns, l„át uns nicht ausreden und droht uns mit Miáhandlungen. Ein solches Verh”r und eine solche Gerechtigkeit brauchen wir nicht. Da beginnt doch lieber gleich mit den Martern, die ihr uns zugedacht habt! Ihr werdet keinen Laut des Schmerzes von uns zu h”ren bekommen.® ¯Uff, uff!® h”rte ich eine weibliche Stimme bewundernd rufen. Es war die Schwester Winnetous. ¯Uff, uff, uff!® riefen viele Apachen ihr nach. Der Mut ist das, was der Indianer stets achtet und selbst an seinem Feinde anerkennt; daher die Ausrufe der Bewunderung, welche ich jetzt zu h”ren bekam. Ich fuhr fort: ¯Als ich Intschu tschuna und Winnetou zum erstenmale erblickte, sagte mir mein Herz, daá sie tapfere und gerechte M„nner seien, die ich lieben und auch achten k”nne. Ich habe mich geirrt. Sie sind nicht besser als alle Andern, denn sie h”ren auf die Stimme eines Lgners und lassen die Wahrheit nicht zu Worte kommen. Sam Hawkens hat sich einschchtern lassen; ich aber h”re nicht auf eure Drohungen und verachte Jeden, der den Gefangenen unterdrckt, nur weil er sich nicht verteidigen kann. W„re ich frei, so wollte ich noch ganz anders mit euch reden!® ¯Hund, du schimpfest mich einen Lgner!® schrie Tangua. ¯Ich zerschmettere dir die Knochen!® Er hielt sein Gewehr in der Hand, drehte es um und wollte mit dem Kolben nach mir schlagen; da sprang Winnetou herbei, hielt ihn davon ab und sagte: ¯Der H„uptling der Kiowas mag ruhig bleiben! Dieser Old Shatterhand hat sehr khn gesprochen, aber ich stimme einigen seiner Worte bei. Intschu tschuna, mein Vater, der - 284 - Oberh„uptling aller Apachen, mag ihm die Erlaubnis erteilen, zu sagen, was er zu sagen hat!® Tangua muáte sich beruhigen, und Intschu tschuna entschloá sich, dem Wunsche seines Sohnes Folge zu geben. Er trat n„her zu mir heran und sagte: ¯Old Shatterhand ist wie ein Raubvogel, der selbst dann noch beiát, wenn man ihn gefangen hat. Hast du nicht Winnetou zweimal niedergeschlagen? Hast du nicht selbst mich mit deiner Faust bet„ubt?® ¯Habe ich das freiwillig getan? Hast du mich nicht dazu gezwungen?® ¯Gezwungen?® fragte er erstaunt. ¯Ja. Wir wollten uns ohne Gegenwehr ergeben, aber eure Krieger h”rten nicht auf das, was wir sagten. Sie fielen so ber uns her, daá wir uns verteidigen muáten. Aber frage die Betreffenden, ob wir sie auch nur verwundet haben, obgleich wir sie t”ten konnten. Wir sind vielmehr, um keinen von ihnen verletzen zu mssen, geflohen. Da kamst du und griffst mich auch an, ohne auf meine Worte zu achten. Ich muáte mich wehren, und h„tte dich erstechen oder erschieáen k”nnen, aber ich schlug dich nur nieder, weil ich dein Freund bin und dich schonen wollte. Da kam Tangua, der H„uptling der Kiowas, und wollte dir den Skalp nehmen; weil ich dies nicht zugab, k„mpfte er mit mir, doch ich besiegte ihn. Ich habe dir also nicht nur das Leben, sondern auch den Skalp erhalten. Dann als ® ¯Dieser verfluchte Coyote lgt, als ob er hundert verschiedene Zungen h„tte!® schrie Tangua wtend. ¯Ist es wirklich Lge?® fragte ihn Winnetou. ¯Ja. Mein roter Bruder Winnetou zweifelt hoffentlich nicht an der Wahrheit meiner Worte?® ¯Ich kam dazu. Du lagst unbeweglich und mein Vater auch. Das stimmt. Old Shatterhand mag fortfahren!® ¯Also ich hatte Tangua besiegt, um Intschu tschuna zu retten; da kam Winnetou. Ich sah ihn nicht und erhielt von ihm einen Kolbenschlag, der aber nicht meinen Kopf traf. Winnetou stach mich in den Mund und durch die Zunge; ich konnte also nicht sprechen, sonst h„tte ich gesagt, daá ich ihn lieb habe und - 285 - sein Freund und Bruder sein m”chte. Ich war verwundet und am Arm gel„hmt; ich habe ihn trotzdem besiegt; er lag bet„ubt vor mir, grad so wie Intschu tschuna auch; ich konnte Beide t”ten. Habe ich es getan?® ¯Du h„ttest es noch getan,® antwortete Intschu tschuna; ¯aber ein Apachenkrieger kam und schlug dich mit dem Kolben nieder.® ¯Nein; ich h„tte es nicht getan. Sind nicht diese drei Bleichgesichter, welche hier mit mir angebunden sind, freiwillig zu euch gekommen, um sich euch auszuliefern? H„tten sie dies getan, wenn sie euch als Feinde betrachtet h„tten?® ¯Sie haben es getan, weil sie einsahen, daá sie nicht entkommen konnten. Da hielten sie es fr klger, sich freiwillig zu ergeben. Ich gebe zu, daá an deinen Worten etwas ist, was beinahe Glauben erwecken k”nnte; aber als du meinen Sohn Winnetou zum erstenmal bet„ubtest, warst du nicht dazu gezwungen.® ¯O doch.® ¯Durch wen?® ¯Durch die Vorsicht. Wir wollten dich und ihn retten. Ihr seid sehr tapfere Krieger; ihr h„ttet euch ganz gewiá gewehrt und w„ret dann verwundet oder gar get”tet worden. Das wollten wir verhindern; darum schlug ich Winnetou nieder, und du wurdest von meinen drei weiáen Freunden berw„ltigt. Ich hoffe, daá du meinen Worten nun Glauben schenkst.® ¯Lge sind sie, nichts als Lge!® rief Tangua. ¯Ich kam eben dazu, als er dich niedergeschlagen hatte. Nicht ich, sondern er war es, der dir den Skalp nehmen wollte. Ich wollte ihn daran hindern, da traf mich seine Hand, in welcher der groáe, b”se Geist zu wohnen scheint, denn ihr kann Niemand, selbst der st„rkste Mann nicht, widerstehen.® Da wendete ich mich ihm wieder zu und sagte in drohendem Tone: ¯Ja, ihr kann Niemand widerstehen. Ich wende sie nur an, weil ich nicht das Blut eines Menschen vergieáen will; aber wenn ich wieder mit dir k„mpfe, werde ich es nicht mit der Hand, sondern mit der Waffe tun, und dann kommst du nicht mit einer bloáen Bet„ubung weg. Das merke dir!® - 286 - ¯Du mit mir k„mpfen?® hohnlachte er. ¯Wir werden dich verbrennen und deine Asche in alle Winde zerstreuen!® ¯Das denke nicht. Ich werde eher frei sein, als du ahnst, und dann Rechenschaft von dir fordern!® ¯Die kannst du bekommen; ich gebe sie dir. Ich wnsche, deine Worte k”nnten in Erfllung gehen. Ich wrde dann gern mit dir k„mpfen, denn ich weiá, daá ich dich zermalmen wrde.® Intschu tschuna machte diesem Intermezzo ein Ende, indem er zu mir sagte: ¯Old Shatterhand ist sehr khn, wenn er glaubt, wieder freizukommen. Er mag bedenken, wie viel F„lle gegen ihn vorliegen; wenn auch einer derselben aufgegeben wrde, so k”nnte das an seinem Schicksale nichts „ndern. Er hat nur Behauptungen ausgesprochen, aber keine Beweise erbracht.® ¯Habe ich nicht Rattler niedergeschlagen, als er auf Winnetou schoá und Klekih-petra traf? Ist auch das kein Beweis?® ¯Nein. Du kannst dies auch aus andern Grnden getan haben. Hast du noch etwas zu sagen?® ¯Jetzt nicht; vielleicht sp„ter.® ¯Sage es jetzt, denn sp„ter wirst du nichts mehr sagen k”nnen!® ¯Nein, jetzt nicht. Wenn ich es sp„ter sagen will, werdet ihr darauf h”ren, denn Old Shatterhand ist nicht der Mann, dessen Worte man miáachten darf. Ich schweige jetzt, weil ich neugierig bin, das Urteil zu h”ren, welches ihr nun ber uns f„llen werdet.® Intschu tschuna wendete sich von mir ab und gab einen Wink. Auf diesen traten mehrere alte Krieger aus dem Halbkreise hervor und setzten sich mit den drei H„uptlingen zusammen nieder, um Beratnng [Beratung] zu halten. Bei derselben gab sich Tangua natrlich alle Mhe, das Urteil so viel wie m”glich zu versch„rfen. Inzwischen hatten wir Zeit, Bemerkungen gegenseitig auszutauschen. ¯Bin neugierig, was sie zusammenbrauen werden,® meinte Dick Stone. ¯Viel Kluges wird es jedenfalls nicht sein.® ¯Ich bin berzeugt, daá es uns an Kopf und Kragen geht,® sagte Will Parker. - 287 - ¯Ich auch,® stimmte Sam Hawkens bei. ¯Die Kerls glauben ja nichts, wir k”nnen vorbringen, was wir wollen! Habt Eure Sache brigens gar nicht so bel gemacht, Sir! Habe mich ber Intschu tschuna gewundert.® ¯Warum?® fragte ich. ¯Daá er Euch so schwatzen lieá. Mir ist er gleich ber den Mund gefahren, wenn ich ihn ”ffnete.® ¯Schwatzen? Ist das Euer Ernst, Sam?® ¯Ja.® ¯Danke fr diese H”flichkeit!® ¯Schwatzen nenne ich jedes Reden, welches keinen Erfolg hat, wenn ich mich nicht irre. Und Erfolg habt Ihr ja ebenso wenig gehabt wie ich.® ¯Ich denke anders.® ¯Aber ohne Ursache!® ¯Nein, sondern mit ganz gutem Grunde. Winnetou hat vom Schwimmen gesprochen; das ist beschlossene Sache gewesen; darum denke ich, daá sie nur im Verh”re so scharf gewesen sind, um uns bange zu machen. Das Urteil wird wohl viel besser lauten.® ¯Sir, bildet Euch das ja nicht ein! Meint Ihr etwa, daá man Euch Gelegenheit geben wird, Euch durchs Schwimmen zu retten?® ¯Ja.® ¯Unsinn, welch ein Unsinn! Ja, wenn es so ausgemacht ist, wird man Euch schwimmen lassen; aber wiát Ihr auch, wohin?® ¯Nun?® ¯Mitten in den Rachen des Todes hinein. Dann, wenn Ihr tot seid, so denkt daran, daá ich recht gehabt habe hihihihi!® Dieser kleine, sonderbare Kerl brachte es selbst in der schlimmen Lage, in welcher wir uns befanden, fertig, ber diesen seinen zweifelhaften Witz vergngt in sich hineinzukichern. Seine Lustigkeit w„hrte freilich nur einen Augenblick, denn die Beratung war jetzt zu Ende; die Krieger, welche an derselben teilgenommen hatten, zogen sich in den Halbkreis zurck, und Intschu tschuna verkndete mit lauter Stimme: - 288 - ¯H”rt, ihr Krieger der Apachen und Kiowas, was ber diese vier gefangenen Bleichgesichter beschlossen worden ist! Im Rate der Alten war schon vorher verabredet worden, daá wir sie im Wasser jagen, dann miteinander k„mpfen lassen und sie endlich verbrennen wollten. Aber Old Shatterhand, der jngste von ihnen, hat Worte gesprochen, in denen sich Stellen mit der Weisheit des Alters befanden. Sie haben den Tod verdient, aber es scheint doch, als ob sie es nicht so b”s gemeint h„tten, wie wir geglaubt haben. Darum ist unser ursprnglicher Beschluá aufgehoben worden, und wir wollen den groáen Geist zwischen uns und ihnen entscheiden lassen.® Er hielt einige Augenblicke inne, jedenfalls um die Spannung seiner Zuh”rer zu vergr”áern. Dies benutzte Sam zu der Bemerkung: ¯Alle Wetter, das wird interessant, hochinteressant! Wiát Ihr, was er meint, Sir?® ¯Ich ahne es,® antwortete ich. ¯Nun, was?® ¯Einen Zweikampf, ein sogenanntes Gottesurteil. Habe ich recht geraten?® ¯Ja, jedenfalls einen Zweikampf. Aber zwischen wem? Bin furchtbar neugierig, es zu h”ren.® Jetzt fuhr der H„uptling fort: ¯Dasjenige Bleichgesicht, welches Old Shatterhand genannt wird, scheint das vornehmste von ihnen zu sein; also soll die Entscheidung in seine H„nde gelegt werden. Sie soll abh„ngig sein von demjenigen unter uns, welcher am Range auch der h”chste ist. Der bin ich, Intschu tschuna, der H„uptling der Apachen.® ¯Alle Wetter, alle Wetter! Ihr und er!® flsterte Sam in groáer Erregung. ¯Uff, uff, uff!® gingen die Rufe der Verwunderung durch die Reihen der Roten. Sie waren jedenfalls erstaunt darber, daá er selbst mit mir k„mpfen wollte. Er h„tte sich der Gefahr, die es dabei doch wohl auch fr ihn gab, entziehen und einen Andern damit beauftragen k”nnen. Er gab die Erkl„rung, indem er weitersprach: - 289 - ¯Intschu tschuna und Winnetou sind in ihrem Ruhme dadurch gekr„nkt worden, daá es nur der Faust eines Bleichgesichts bedurfte, sie niederzuschlagen und zu bet„uben. Sie mssen diesen Flecken wegwaschen, indem einer von ihnen mit diesem Bleichgesichte k„mpft. Winnetou muá zurcktreten, denn ich bin „lter und der erste H„uptling der Apachen. Er ist damit einverstanden, denn ich werde mit meiner Ehre auch die seinige dadurch reinigen, daá ich Old Shatterhand t”te.® Er lieá wieder eine Pause eintreten. ¯K”nnt Euch freuen, Sir!® sagte Sam. ¯Werdet jedenfalls einen schnelleren Tod haben als wir. Habt den Kerl schonen wollen und werdet nun auf alle F„lle von ihm ausgel”scht!® ¯Das wollen wir abwarten!® ¯Brauche es gar nicht abzuwarten, weiá es im voraus. Oder meint Ihr, daá es sich um gleiche Waffen handeln wird?® ¯Das bilde ich mir nicht ein.® ¯Well! Die Bedingungen werden bei solchen Gelegenheiten so gestellt, daá der Weiáe verloren ist. Kam ja irgendwo und irgendeinmal einer mit dem Leben davon, so ist es eine Ausnahme gewesen, welche die Regel nur best„tigt. H”rt!® Intschu tschuna fuhr fort: ¯Wir werden Old Shatterhand die Fesseln abnehmen und ihn in das Wasser des Flusses lassen, ber den er zu schwimmen hat; aber er bekommt keine Waffe. Ich folge ihm und nehme nur den Tomahawk mit. Kommt Old Shatterhand an das Ufer und lebendig bis zu der Zeder, welche da drben auf der Lichtung steht, so ist er gerettet, und auch seine Gef„hrten sind frei; sie k”nnen gehen, wohin sie wollen. T”te ich ihn aber, bevor er die Zeder erreicht, so sind auch sie dem Tode verfallen und werden zwar nicht gemartert und verbrannt, sondern erschossen. Alle anwesenden Krieger wollen best„tigen, daá sie meine Worte geh”rt und verstanden haben und dieselben beherzigen wollen.® ¯Howgh!® lautete die einstimmige Antwort. Man kann sich denken, daá wir uns in groáer Aufregung befanden, ich wohl nicht so sehr wie Sam, Dick und Will. Der Erstere sagte: - 290 - ¯Das haben diese Kerls sehr schlau angefangen. Weil Ihr der Vornehmste seid, sollt Ihr schwimmen. Unsinn! Weil Ihr ein Greenhorn seid; das ist der Grund. Mich, mich sollten sie in das Wasser lassen! Wollte ihnen zeigen, daá Sam Hawkens wie eine Forelle durch die Wellen geht! Aber Ihr! H”rt, Sir, bedenkt, daá unser Leben von Euch abh„ngig ist! Wenn Ihr verliert und wir sterben mssen, rede ich kein einziges Wort mehr mit Euch. Darauf k”nnt Ihr Euch verlassen, wenn ich mich nicht irre!® ¯Sorgt Euch nicht, alter Sam!® antwortete ich. ¯Was ich tun kann, das tue ich. Ich meine ganz im Gegenteile zu Euch, daá die Roten gar keine ble Wahl getroffen haben. Ich bin berzeugt, daá ich euch leichter retten werde, als Ihr uns retten k”nntet.® ¯Wollen es hoffen! Also, es geht auf Leben und Tod. Ihr drft Intschu tschuna nicht etwa schonen. Laát Euch diesen Gedanken ja nicht in den Kopf kommen!® ¯Wollen sehen!® ¯Das ist nichts gesagt; da gibt es gar nichts zu sehen! Wenn Ihr ihn schont, so seid Ihr verloren, und wir gehen auch zugrunde. Ihr verlaát Euch wohl auf Eure Faust?® ¯Ja.® ¯Das tut nicht, ja nicht! Es wird gar nicht zum Handgemenge kommen.® ¯Ich bin berzeugt, daá es dazu kommt.® ¯Nein nicht!® ¯Wie will er mich denn t”ten?® ¯Mit dem Tomahawk natrlich. Ihr wiát doch, daá man den nicht nur im Nahekampfe anwendet; er ist auch eine frchterliche Waffe fr die Ferne; er wird geworfen, und diese Roten sind darin so gebt, daá sie einem auf hundert Schritte die Spitze des emporgehaltenen Fingers damit abschneiden. Intschu tschuna wird nicht etwa mit dem Beile auf Euch loshacken, sondern es, w„hrend Ihr flieht, hinter Euch her schleudern und Euch beim ersten Wurfe t”ten. Glaubt mir, Ihr m”gt ein noch so vorzglicher Schwimmer sein, Ihr kommt gar nicht ans andere Ufer hinber; er schleudert Euch schon w„hrend des Schwimmens den Tomahawk in den Kopf oder vielmehr - 291 - in den Nacken, was weit sicherer t”tet. Da hilft Euch alle Eure Kunst und alle Eure St„rke nichts.® ¯Das weiá ich, lieber Sam. Und ebenso weiá ich, daá unter Umst„nden ein Fingerhut voll List mehr wirkt als ein groáes Faá voll K”rperkraft.® ¯List? Wie wolltet denn Ihr zu der n”tigen List gekommen sein! Ich sage Euch, daá der alte Sam Hawkens als ein pfiffiger Kerl bekannt ist; aber ich kann trotz dieser Pfiffigkeit nicht einsehen, wie Ihr dem H„uptlinge durch List den Rang ablaufen wollt. Was hilft alle List, die List der ganzen Welt, gegen einen gut geschleuderten Tomahawk!® ¯Sie hilft, Sam, sie hilft!® ¯Wie denn?® ¯Das werdet Ihr sehen, oder vielmehr, das werdet Ihr zun„chst nicht sehen. Ich will Euch aber sagen, daá ich des Gelingens beinahe sicher bin.® ¯Diese gewaltige Prahlerei laát Ihr doch nur los, um uns das Herz leicht zu machen.® ¯Nein.® ¯Jawohl, um uns zu tr”sten! Aber was ntzt uns ein Trost, der schon in der n„chsten Minute zu Schanden wird!® ¯Beruhigt Euch doch. Ich habe einen guten, einen ganz vortrefflichen Plan.® ¯Einen Plan? Auch das noch! Hier gibt es keinen andern Plan als hinber zu schwimmen, und dabei trifft Euch der Tomahawk.® ¯Nein. Paát auf! Wenn ich ertrinke, so sind wir gerettet.® ¯Ertrinke gerettet! Sir, Ihr liegt schon jetzt im Sterben; darum redet Ihr so irre!® ¯Ich weiá, was ich will. Merkt es Euch: Wenn ich ertrinke, so haben wir nichts mehr zu frchten.® Ich sprach diese Worte schnell und hastig, denn die drei H„uptlinge kamen jetzt zu uns. Intschu tschuna sagte: ¯Wir binden Old Shatterhand jetzt los; er mag aber ja nicht denken, daá er davonlaufen kann! Es wrden sofort mehrere hundert Verfolger hinter ihm her sein.® ¯F„llt mir nicht ein!® antwortete ich. ¯Selbst wenn ich - 292 - entkommen k”nnte, w„re es eine Schlechtigkeit von mir, meine Gef„hrten zu verlassen.® Ich wurde losgemacht und bewegte die Arme, um ihre Beweglichkeit zu prfen. Dann sagte ich: ¯Es ist eine groáe Ehre fr mich, mit dem berhmtesten H„uptlinge der Apachen um die Wette oder vielmehr um Leben und Tod zu schwimmen; aber fr ihn ist es keine Ehre.® ¯Warum nicht?® ¯Weil ich kein Gegner fr ihn bin. Ich habe zuweilen in einem Bache gebadet und mir dabei Mhe gegeben, nicht unterzugehen. Aber ber einen so breiten, tiefen Fluá zu kommen, das getraue ich mir nicht.® ¯Uff, uff! Das freut mich nicht. Ich und Winnetou sind die besten Schwimmer unsers Stammes; was bedeutet da ein Sieg ber einen so schlechten Schwimmer!® ¯Und du bist bewaffnet, und ich bin es nicht! Ich gehe also dem Tode entgegen, und meine Gef„hrten haben sich auch darauf gefaát gemacht, zu sterben. Dennoch m”chte ich gern wissen, wie ich mir diesen Kampf zu denken habe. Wer hat eher in das Wasser zu gehen?® ¯Du!® ¯Und du folgst mir nach?® ¯Ja.® ¯Und wann greifst du mich mit dem Tomahawk an?® ¯Wann es mir beliebt,® antwortete er mir mit dem stolzen, ja ver„chtlichen L„cheln eines Virtuosen, der mit einem Stmper spricht. ¯Das kann also auch schon im Wasser geschehen?® ¯Ja.® Ich tat, als ob ich immer unruhiger, besorgter und niedergeschlagener wrde, und fragte weiter: ¯Also du darfst mich t”ten. Ich dich auch?® Er machte ein Gesicht, in welchem die sehr deutliche Antwort lag: "Armer Wurm, daran ist ja gar nicht zu denken! Diese Frage kann dir nur von der Todesangst eingegeben worden sein!" und sagte dann: ¯Es ist ein Schwimmen und K„mpfen auf Tod und Leben; - 293 - du kannst also auch mich t”ten, denn nur falls dir dies gelingen sollte, wirst du imstande sein, die Zeder zu erreichen.® ¯Und dein Tod wrde mir nicht schaden?® ¯Nein. T”te ich dich, so erreichst du das Ziel nicht, und deine Gef„hrten mssen sterben; t”test du mich, so gelangst du an die Zeder, und ihr seid von diesem Augenblicke an nicht mehr gefangen, sondern frei. Komm!® Er dreht [drehte] sich um, und ich zog meinen Jagdrock und die Stiefel aus. Was ich im Grtel und in den Taschen stecken hatte, legte ich hin. Dabei klagte Sam: ¯Es wird schief gehen, Sir, sehr schief. Wenn Ihr Euer Gesicht sehen k”nntet! Und der jammervolle Ton bei Euren letzten Fragen! Mir ist himmelangst um Euch und uns!® Ich konnte ihm nichts antworten, weil die drei H„uptlinge es geh”rt h„tten, aber ich wuáte sehr wohl, warum ich so kl„glich tat. Ich wollte Intschu tschuna sicher machen und, wie man sich vulg„r auszudrcken pflegt, ihn auf den Leim fhren. ¯Noch eine Frage!® bat ich, ehe ich ihm folgte. ¯Bekommen wir unser Eigentum zurck, falls wir frei werden?® Er stieá ein kurzes, ungeduldiges Lachen aus, denn er hielt diese Frage fr geradezu verrckt, und antwortete: ¯Ja, ihr bekommt es.® ¯Alles?® ¯Alles.® ¯Auch die Pferde, die Gewehre?® Da schnauzte er mich zornig an: ¯Alles, ich habe es gesagt! Hast du keine Ohren? Eine Kr”te wollte mit dem Adler um die Wette fliegen und fragte ihn, was er ihr geben wrde, wenn sie ihn besiegte! Wenn du ebenso dumm schwimmst, wie du fragst, so sch„me ich mich, daá ich dir keine alte Squaw zur Gegnerin gegeben habe!® Wir gingen fort, durch den Halbkreis, welcher sich uns ”ffnete, dem Ufer zu. Ich kam da ganz in der N„he von Nscho-tschi vorber und fing von ihr einen Blick auf, mit welchem sie fr das Leben von mir Abschied nahm. Die Indianer folgten hinter uns und lagerten sich dann beliebig nieder, um das interessante Schauspiel, das sie erwarteten, bequem zu genieáen. - 294 - Es verstand sich ganz von selbst, daá ich mich in der „uáersten Gefahr befand. Ich mochte gerade, schief oder im Zickzack ber den Fluá schwimmen, so war ich verloren, [;] der Tomahawk des H„uptlings muáte mich treffen. Es gab nur einen Rettungsweg: durch das Tauchen, und da war ich glcklicherweise nicht der Stmper, fr den mich Intschu tschuna gehalten hatte. Aber selbst auf das Tauchen allein durfte ich mich nicht verlassen. Ich muáte doch empor um [empor, um] Atem zu holen, und bot dann meinen Kopf dem Tomahawk. Nein, ich durfte gar nicht wieder an die Oberfl„che kommen, wenigstens vor den Augen der Roten nicht. Wie aber das anfangen? Ich musterte das Ufer auf- und abw„rts und sah mit groáer Befriedigung, daá die Oertlichkeit mir zu Hilfe kam. Wir befanden uns, wie schon gesagt, auf der vollst„ndig freien Sandfl„che, doch oberhalb der Mitte derselben. Ihr aufw„rts liegendes Ende, wo der Wald wieder begann, war nur etwas ber hundert Schritte von mir entfernt, und noch weiter oben machte der Fluá eine Biegung, die ihn meinem Auge entzog. Abw„rts lag das Ende der Sandlichtung, wohl vierhundert Schritte von mir entfernt. Wenn ich ins Wasser sprang und nicht wieder heraufkam, so glaubte man mich wohl ertrunken und suchte nach meinem K”rper; dies geschah jedenfalls abw„rts; folglich lag meine Rettung in der entgegengesetzten Richtung, also aufw„rts. Da sah ich zun„chst eine Stelle, an welcher der Fluá das Ufer untersplt hatte; es hing ber und war vortrefflich geeignet, mir eine kurze Zuflucht zu bieten. Weiter oben war allerlei Holzwerk angesplt worden und hing so fest, daá ich es recht gut zu demselben Zwecke benutzen konnte. Vorher aber war es geraten, ein wenig „ngstlich zu tun. Intschu tschuna entkleidete sich bis auf die leichte, indianische Hose, steckte den Tomahawk in den Grtel, nachdem er die anderen in demselben befindlichen Gegenst„nde entfernt hatte, und sagte dann: ¯Es kann beginnen. Spring hinein!® ¯Darf ich nicht erst probieren, wie tief es ist?® fragte ich verzagt. - 295 - Es ging ein unendlich ver„chtliches L„cheln ber sein Gesicht; er rief nach einer Lanze. Man brachte mir dieselbe, und ich stieá sie in das Wasser. Sie erreichte den Boden nicht. Das war mir unendlich lieb, ich tat aber wom”glich noch niedergeschlagener als vorher, kauerte am Wasser nieder und wusch mir die Stirne, wie Einer, welcher befrchtet, einen Schlaganfall zu bekommen, wenn er in das Wasser geht, ohne sich vorher abzukhlen. Es lieá sich hinter mir ein allgemeines Murren der Geringsch„tzung h”ren, ein sicheres Zeichen, daá ich meinen Zweck erreicht hatte, und die Stimme Sams rief: ¯Um Gottes willen, kommt lieber wieder her, Sir! Das kann ich nicht ansehen. Sie m”gen uns tot schinden. Das ist noch besser, als so ein Jammerbild vor Augen zu haben!® Es kam mir unwillkrlich der Gedanke, was Nscho-tschi von mir denken werde. Ich drehte mich um. Das Gesicht Tanguas war der ganze, fleischgewordene Hohn; Winnetou hatte die Oberlippe emporgezogen, so daá man seine Z„hne sah; er war wtend darber, mir jemals seine Teilnahme geschenkt zu haben. Und seine Schwester hielt die Augen niedergeschlagen; sie sah mich gar nicht mehr an. ¯Ich bin bereit,® herrschte Intschu tschuna mir zu. ¯Was z”gerst du noch? Hinein mit dir!® ¯Muá es denn wirklich sein?® fragte ich. ¯Geht es gar nicht anders?® Es erscholl ein brausendes Gel„chter, ber welches Tanguas Stimme t”nte: ¯Gebt diesen Frosch frei! Schenkt ihm das Leben! An einen solchen Feigling darf kein Krieger seine Hand legen!® Und mit dem grimmigen Knurren eines erzrnten Tigers schrie mich Intschu tschuna an: ¯Hinein, sonst haue ich dir augenblicklich den Tomahawk ins Genick!® Da stellte ich mich sehr erschrocken, setzte mich an den Rand des Flusses, hielt erst die Fáe und dann die Unterschenkel in das Wasser und tat so, als ob ich recht hbsch langsam hineinrutschen wolle. ¯Hinein mit dir!® schrie Intschu tschuna abermals und versetzte mir einen Fuátritt in den Rcken. Das hatte ich - 296 - gewollt. Ich warf wie hilflos die Arme auseinander, stieá einen durchdringenden Angstschrei aus und plumpste in das Wasser. Im n„chsten Augenblicke aber hatte die Verstellung ein Ende. Ich fhlte den Grund, stieá den Kopf hinab und schwamm, natrlich unter Wasser, aufw„rts hart am Ufer hin. Gleich darauf h”rte ich hinter und ber mir ein Ger„usch; [Illustration Nr. 13: Ein Tritt ins Wasser] Intschu tschuna war mir nachgesprungen. Wie ich sp„ter erfuhr, war es erst seine Absicht gewesen, mir einen Vorsprung zu lassen und mich dann an das jenseitige Ufer zu treiben, wo mich das Beil treffen sollte. Infolge meiner Feigheit aber gab er diesen Gedanken auf und sprang mir schnell nach, um mich zu erschlagen, sobald ich in die H”he k„me. Mit so einer Memme muáte kurzer Prozeá gemacht werden. Ich erreichte die berh„ngende Uferstelle und tauchte auf, doch so, daá nur der Kopf bis zum Mund zum Vorschein kam. Niemand konnte mich sehen, als nur der H„uptling allein, weil - 297 - er sich im Wasser befand. Zu meiner Freude hielt er sein Gesicht abw„rts gerichtet. Ich holte tief und schnell Atem und ging wieder auf den Grund hinab, um weiter zu schwimmen. Dann kam ich an das angeschwemmte Holz, unter welchem ich auftauchte und wieder Atem holte; es verbarg meinen Kopf so vollst„ndig, daá ich es wagen konnte, l„nger oben zu bleiben. Ich sah den H„uptling auf dem Wasser liegen wie ein Raubtier, welches bereit ist, augenblicklich auf seine Beute zu stoáen. Nun hatte ich noch die letzte, aber auch l„ngste Strecke vor mir liegen, die bis zum Beginn des Waldes, wo Strauchwerk ber das Ufer herab ins Wasser hing. Auch dort kam ich glcklich an und stieg, von diesem Gestr„uch vollst„ndig gedeckt, an das Ufer. Ich muáte natrlich die erw„hnte Krmmung des Flusses erreichen, um jenseits derselben nach dem jenseitigen Ufer zu schwimmen, und das geschah am schnellsten, indem ich dorthin lief. Vorher aber blickte ich durch die Bsche nach denen, die ich get„uscht hatte. Sie standen rufend und gestikulierend am Ufer, w„hrend der H„uptling, noch immer auf mich wartend, hin und her schwamm, obgleich ich unm”glich so lange h„tte lebend unter Wasser bleiben k”nnen. Ob wohl Sam Hawkens jetzt an meine Worte: wenn ich ertrinke, so sind wir gerettet, dachte? Nun lief ich im Walde weiter, so schnell wie m”glich, bis ich die Biegung des Flusses hinter mir hatte, ging da wieder in das Wasser und kam fr”hlich drben an, jedenfalls nur infolge meiner Verstellung, also des Umstandes, daá sie mich fr einen schlechten Schwimmer hielten, fr einen Menschen, der sich vor dem Wasser frchtete. Es war brigens eine ganz plumpe List gewesen, durch welche sie sich hatten t„uschen lassen, denn so, wie sie mich bisher kannten, hatten sie gar keine Veranlassung, mich fr feig zu halten. Drben folgte ich dem Walde wieder abw„rts, bis er zu Ende ging. Dort wieder hinter Bschen versteckt, sah ich zu meinem groáen Vergngen, daá mehrere Rote in das Wasser gesprungen waren und mit Lanzen nach dem ertrunkenen Old Shatterhand stocherten. Ich h„tte nun in aller Gem„chlichkeit nach der Zeder gehen k”nnen und dann gewonnen gehabt, tat - 298 - dies aber nicht, denn ich wollte meinen Sieg nicht der List allein verdanken, sondern Intschu tschuna eine Lehre geben und ihn mir zugleich zur Dankbarkeit verpflichten. Er schwamm noch immer suchend auf und ab; es kam ihm gar nicht in den Sinn, sein Auge herber nach dem anderen Ufer zu richten. Ich glitt wieder in das Wasser, legte mich auf den Rcken, so daá nur die Nase und der Mund aus dem Wasser ragten, half durch leise, abw„rts gerichtete Handschl„ge nach und lieá mich langsam forttreiben. Kein Mensch bemerkte mich. Als ich ihnen aber gegenber angekommen war, tauchte ich wieder unter, schwamm ein Stck hinber, kam dann empor und rief, das Wasser tretend, mit lauter Stimme: ¯Sam Hawkens, Sam Hawkens, wir haben gewonnen gewonnen!® Es hatte ganz das Aussehen, als ob ich an einer seichten Stelle st„nde. Die Roten h”rten mich und blickten herber. Welch ein Geheul erhob sich da! Es war, als ob tausend Teufel losgelassen seien und um die Wette brllten. Wer so etwas auch nur einmal geh”rt hat, der vergiát es in seinem ganzen Leben nicht. Kaum hatte Intschu tschuna mich gesehen, so stieá er in langen, kraftvollen Schl„gen aus und kam herbergeschwommen oder, richtiger gesagt, herbergeeilt. Ich durfte ihn nicht zu weit heranlassen und schoá wieder auf das jenseitige Ufer, das ich erklomm und wo ich dann stehen blieb. ¯Fort, weiter fort, Sir!® schrie mir Sam zu. ¯Macht doch, daá Ihr an die Zeder kommt!® Ja, daran konnte mich niemand hindern; auch Intschu tschuna h„tte nicht vermocht, es zu verhten; aber ich wollte ihm eben die beabsichtigte Lehre geben und entfernte mich nicht eher, als bis er ungef„hr noch vierzig Schritte von mir entfernt war. Dann rannte ich fort, auf den Baum zu. H„tte ich mich im Wasser befunden, so w„re ihm wohl der Angriff mit dem Tomahawk gelungen, so aber war ich berzeugt, daá er sich des Schlacht- und Wurfbeiles nicht eher bedienen k”nne, als bis er das Ufer erreicht haben werde. Der Baum war dreihundert Schritte von demselben entfernt. Als ich die H„lfte dieses Weges in schnellen Sprngen zurckgelegt hatte, blieb ich wieder stehen und sah zurck. Eben - 299 - stieg der H„uptling aus dem Wasser. Er ging in die Falle, welche ich ihm stellte. Einholen konnte er mich nicht mehr; h”chstens sein Tomahawk konnte mich erreichen. Er riá ihn aus dem Grtel und rannte vorw„rts. Ich floh noch immer nicht; aber als er mir gef„hrlich nahe gekommen war, wendete ich mich wieder zur Flucht, doch nur scheinbar. Ich sagte mir folgendes: So lange ich ruhig stand, warf er das Beil sicherlich nicht, denn ich sah es kommen und konnte ihm ausweichen, w„hrend er, wenn er es behielt, mich einholen und niederschlagen konnte. Daá er werfen wrde, war nur dann anzunehmen, wenn ich floh und ihm dabei den Rcken zukehrte, so daá ich die heranschwirrende Waffe nicht sah. Ich ergriff also zum Scheine die Flucht, tat aber h”chstens zwanzig Sprnge und blieb dann, mich schnell umwendend, wieder stehen. Richtig! Er hatte, um einen sicheren Wurf zu haben, im Laufe angehalten und das Beil um den Kopf geschwungen. Eben, als ich ihn wieder in das Auge faáte, schleuderte er es mir nach. Ich tat zwei, drei rasche Sprnge zur Seite es flog an mir vorber und grub sich dann im Sande ein. Das hatte ich gewollt. Ich rannte hin, hob es auf und ging nun, anstatt nach dem Baume zu eilen, dem H„uptlinge ruhigen Schrittes entgegen. Er schrie vor Grimm auf und kam wie ein Wtender auf mich zugesprungen. Da schwang ich den Tomahawk und rief ihm drohend entgegen: ¯Halt, Intschu tschuna! Du hast dich in Old Shatterhand abermals get„uscht. Willst du dein eigenes Beil in den Kopf haben?® Er hielt im Laufen inne und schrie: ¯Hund, wie bist du mir im Wasser entkommen? Der b”se Geist hat dir abermals geholfen!® ¯Glaube dies nicht! Wenn hier von einem Geiste gesprochen werden muá, so ist es der gute Manitou, der mir beigestanden hat.® Ich sah bei diesen Worten, daá seine Augen, wie unter einem heimlichen Entschlusse leuchtend, auf mich gerichtet waren, und fuhr, ihn warnend, fort: ¯Du willst mich berraschen, mich angreifen; ich sehe es dir an. Tue dies ja nicht, denn es wrde dein Tod sein! - 300 - Dir soll nichts geschehen, denn ich habe dich und Winnetou wirklich lieb; aber wenn du dich heranwagst, muá ich mich wehren. Du weiát, daá ich dir selbst ohne Waffe berlegen bin, und ich habe doch den Tomahawk. Also sei klug und ® Ich konnte nicht weiter sprechen. Der ihn beherrschende Grimm raubte ihm die ruhige Ueberlegung. Die H„nde wie ge”ffnete Krallen nach mir ausstreckend, warf er sich mir entgegen. Schon glaubte er, mich zu haben, da glitt ich, mich schnell bckend[,] zu [zur] Seite, und die Gewalt des Stoáes, mit welchem er mich hatte zu Boden bringen wollen, warf ihn selber nieder. Sofort war ich bei ihm, setzte ihm das linke Knie auf den einen, das rechte auf den andern Arm, faáte ihn mit der linken Hand beim Halse, schwang den Tomahawk und rief: ¯Intschu tschuna, bittest du um Gnade?® ¯Nein.® ¯So spalte ich dir den Kopf.® ¯T”te mich, Hund!® keuchte er unter dem vergeblichen Versuche, loszukommen. ¯Nein, du bist der Vater Winnetous und sollst leben; aber unsch„dlich machen muá ich dich einstweilen. Du zwingst mich dazu.® Ich schlug ihm die flache Seite des Tomahawk gegen den Kopf ein r”chelnder Hauch; seine Glieder zuckten krampfhaft und streckten sich dann lang aus. Das hatte drben, wo die Roten standen, das Aussehen, als ob ich ihn erschlge. Es erscholl ein noch viel entsetzlicheres Geheul als das, welches ich vorhin geh”rt hatte. Ich band ihm mit dem Grtel die Arme fest an den Leib, trug ihn zur Zeder und legte ihn dort nieder. Diesen unntzen Weg muáte ich machen, denn nach dem Wortlaute unserer Vereinbarung war ich gezwungen, die Zeder zu erreichen. Dann aber lieá ich ihn liegen und rannte schnell nach dem Flusse zurck, denn ich sah, daá viele Rote sich ins Wasser warfen, um herberzuschwimmen, an ihrer Spitze Winnetou. Das konnte, falls sie nicht gewillt waren, Wort zu halten, gef„hrlich fr mich und meine Gef„hrte [Gef„hrten] werden. Darum rief ich, am Wasser angekommen, ihnen zu: ¯Zurck mit euch! Der H„uptling lebt; ich habe ihm nichts getan; aber wenn ihr kommt, erschlage ich ihn. Nur Winnetou soll herber; mit ihm will ich sprechen!® - 301 - Sie beachteten diese Warnung nicht; da b„umte Winnetou sich, um von allen gesehen zu werden, im Wasser empor und rief ihnen einige Worte zu, die ich nicht verstand. Ihm gehorchten sie, indem sie umkehrten, und er kam allein herber. Ich erwartete ihn am Wasser und sagte, als er aus demselben stieg: ¯Das war gut, daá du deine Krieger zurckschicktest, denn sie h„tten deinen Vater in Gefahr gebracht.® ¯Du hast ihn mit dem Tomahawk erschlagen?® ¯Nein. Er zwang mich, ihn zu bet„uben, weil er sich mir nicht ergeben wollte.® ¯Und konntest ihn doch t”ten! Er war in deiner Hand!® ¯Ich t”te nicht gern einen Feind, am allerwenigsten aber einen Mann, welcher der Vater Winnetous ist und den ich also lieb habe. Hier hast du seine Waffe! Du wirst bestimmen, ob ich gesiegt habe und ob man mir und meinen Gef„hrten Wort halten wird.® Er nahm den Tomahawk, den ich ihm hinhielt, und sah mich lange, lange an. Sein Blick wurde mild und milder; der Ausdruck desselben steigerte sich zur Bewunderung, und dann rief er aus: ¯Was ist Old Shatterhand doch fr ein Mann! Wer kann ihn begreifen!® ¯Du wirst mich verstehen lernen.® ¯Du gibst mir dieses Beil, ohne zu wissen, ob wir dir Wort halten werden! Du k”nntest dich mit demselben wehren. Weiát du, daá du dich dadurch in meine H„nde lieferst?® ¯Pshaw! Ich frchte mich nicht, denn ich habe fr alle F„lle meine Arme und F„uste, und Winnetou ist kein Lgner, sondern ein edler Krieger, der sein Wort nie brechen wird.® Da streckte er mir die Hand entgegen und antwortete, indem seine Augen ergl„nzten: ¯Du hast recht; du bist frei, und die andern Bleichgesichter sind es auch, auáer dem Manne, welcher Rattler heiát. Du hast Vertrauen zu mir, k”nnte ich doch zu dir auch welches haben!® ¯Du wirst mir so vertrauen, wie ich dir; warte nur noch kurze Zeit. Komm jetzt mit zu deinem Vater!® - 302 - ¯Ja, komm! Ich muá nach ihm sehen, denn wenn Old Shatterhand zuschl„gt, kann leicht der Tod eintreten, obwohl er dies nicht beabsichtigte.® Wir gingen nach der Zeder und banden dem H„uptlinge die Arme los. Winnetou untersuchte ihn und sagte dann: ¯Er lebt, wird aber sp„t erwachen und nachher einen lange schmerzenden Kopf haben. Ich darf nicht hier bleiben und werde ihm einige M„nner herbersenden. Mein Bruder Old Shatterhand mag mit mir kommen.® Dies war das erste Mal, daá er mich "mein Bruder" nannte. Wie oft habe ich sp„ter dieses Wort aus seinem Munde geh”rt, und wie ernst, treu und wahr ist dasselbe stets gemeint gewesen! Wir gingen wieder an den Fluá und schwammen hinber. Die Roten standen drben und sahen uns gespannt entgegen. Jetzt, da wir so friedlich nebeneinander herschwammen, merkten sie nicht bloá, daá wir einig waren, sondern sie muáten auch erkennen, wie falsch sie mich beurteilt hatten, als ich der Gegenstand ihres Spottes und Hohngel„chters gewesen war. Als wir an das Ufer stiegen, sagte Winnetou, indem er mich bei der Hand nahm, mit lauter Stimme: ¯Old Shatterhand hat gesiegt. Er und seine drei Gef„hrten sind frei!® ¯Uff, uff, uff!® riefen die Apachen. Tangua aber stand da und blickte finster drein. Mit ihm hatte ich noch abzurechnen, denn seine Lgen und seine Bemhungen, uns den Tod zu bringen, muáten bestraft werden, nicht bloá um unsertwillen, sondern auch der Zukunft und derjenigen Weiáen wegen, mit denen er sp„ter zusammentreffen wrde. Winnetou schritt mit mir an ihm vorber, ohne einen Blick auf ihn zu werfen. Er fhrte mich zu den Pf„hlen, an denen die drei Kameraden hingen. ¯Halleluja!® rief Sam. ¯Wir sind gerettet; wir werden nicht ausgel”scht! Mensch, Mann, Freund, Jngling und Greenhorn, wie habt Ihr das nur angefangen?® Winnetou gab mir sein Messer und sagte: ¯Schneide sie los! Du hast es verdient, dies selbst tun zu drfen.® - 303 - Ich tat es. Kaum waren sie frei, so warfen sie sich auf mich und nahmen mich in ihre sechs Arme, um mich auf eine Weise zu drcken und zu quetschen, daá es mir angst und bange werden wollte. Sam káte mir sogar die Hand und beteuerte, indem Tr„nen aus seinen kleinen Aeuglein in den Bartwald tropften: ¯Sir, wenn ich Euch dies jemals vergesse, so soll mich der erste B„r, der mir begegnet, mit Haut und Haar verschlingen! Wie habt Ihr es nur angefangen? Ihr waret verschwunden. Ihr hattet solche Angst vor dem Wasser, und so dachten alle, daá Ihr ertrunken w„ret.® ¯Habe ich nicht gesagt: Wenn ich ertrinke, so sind wir gerettet!® ¯Das hat Old Shatterhand gesagt?® fragte Winnetou. ¯Also war das alles Verstellung?® ¯Ja,® nickte ich. ¯Mein Bruder wuáte, was er wollte. Er ist hier hben unter Wasser stromaufw„rts geschwommen und dann drben wieder herab, wie ich vermute. Mein Bruder ist nicht nur stark wie ein B„r, sondern auch listig wie der Fuchs der Prairie; wer sein Feind ist, der hat sich vor ihm sehr in acht zu nehmen.® ¯Und so ein Feind ist Winnetou gewesen?® ¯Ich war es, bin es aber nicht mehr.® ¯So glaubst du nicht mehr Tangua, dem Lgner, sondern mir?® Er sah mich wieder so lange und forschend an wie vorhin drben am jenseitigen Ufer, reichte mir die Hand und antwortete: ¯Deine Augen sind gute Augen, und in deinen Zgen wohnt keine Unehrlichkeit. Ich glaube dir.® Ich hatte die vorhin abgelegten Kleidungsstcke wieder angezogen, nahm die Sardinenbchse aus der Tasche des Jagdrockes und sagte: ¯Da hat mein Bruder Winnetou das Richtige getroffen; ich werde es ihm beweisen. Vielleicht kennt er das, was ich ihm jetzt zeigen werde.® Ich langte die zusammengerollte Haarlocke heraus, zog sie auseinander und hielt sie ihm hin. Er streckte die Hand dar- - 304 - nach [darnach] aus, griff sie aber doch nicht an, sondern trat, ganz und gar berrascht, einen Schritt zurck und rief aus: ¯Das ist Haar von meinem Kopfe! Wer hat dir dies gegeben?® ¯Intschu tschuna erz„hlte vorhin, daá ihr an die B„ume gebunden gewesen seid; da habe euch der groáe, gute Geist einen unsichtbaren Retter gesandt. Ja, unsichtbar war er, denn er durfte sich vor den Kiowas nicht sehen lassen; jetzt aber braucht er sich nicht mehr vor ihnen zu verbergen. Nun wirst du es wohl glauben, daá ich nicht dein Feind, sondern stets dein Freund gewesen bin.® ¯Du du du also hast uns losgebunden! Dir also haben wir die Freiheit und wohl auch das Leben zu verdanken!® stieá er, noch immer ganz betroffen, hervor, er, der sonst nie durch Etwas zu erstaunen oder zu berraschen war. Dann nahm er mich bei der Hand und zog mich fort, hin nach der Stelle, an welcher, uns mit jedem ihrer Blicke beobachtend, seine Schwester stand. Er stellte mich vor sie hin und sagte: ¯Nscho-tschi sieht hier den tapfern Krieger, welcher mich und den Vater heimlich befreit hat, als uns die Kiowas an die B„ume gebunden hatten; sie mag sich bei ihm bedanken!® Nach diesen Worten drckte er mich an sich und gab mir auf jede Wange einen Kuá. Sie reichte mir die Hand und sagte das eine Wort: ¯Verzeih!® Sie sollte sich bedanken und bat mich statt dessen um Verzeihung! Warum? Ich verstand sie recht gut. Sie hatte mir im stillen Unrecht getan. Sie als meine Pflegerin muáte mich besser kennen als die Andern, und doch hatte sie, als ich mich aus List verstellte, auch geglaubt, daá es Wahrheit sei. Sie hatte mich fr eine feige, ungeschickte Memme gehalten, und dies gut zu machen, das war ihr wichtiger als der Dank, den Winnetou von ihr verlangte. Ich drckte ihr die Hand und antwortete: ¯Nscho-tschi wird sich alles dessen erinnern, was ich ihr gesagt habe. Nun ist es eingetroffen. Will meine Schwester jetzt an mich glauben?® ¯Ich glaube an meinen weiáen Bruder!® [Tafel Nr. 7: "Bd. VII. Sam Hawkens, wir haben gewonnen! (Zu S. 298.)"] - 305 - Tangua stand in der N„he. Es war ihm anzusehen, wie wtend er war. Ich trat zu ihm hin und fragte, indem ich ihm fest ins Gesicht blickte: ¯Ist Tangua, der H„uptling der Kiowas, ein Lgner oder liebt er die Wahrheit?® ¯Willst du mich beleidigen?® fuhr er auf. ¯Nein! Ich will nur wissen, woran ich mit dir bin. Also antworte!® ¯Old Shatterhand mag wissen, daá ich die Wahrheit liebe.® ¯Wollen sehen! Dann h„ltst du wohl auch Wort, wenn du etwas versprochen hast?® ¯Ja.® ¯Das muá auch sein, denn wer nicht tut, was er sagt, den muá man verachten. Du weiát doch noch, was du zu mir gesagt hast?® ¯Wann?® ¯Vorhin, als ich noch angebunden war.® ¯Da habe ich Verschiedenes gesagt.® ¯Allerdings. Du wirst aber wohl wissen, welches von deinen Worten ich meine.® ¯Nein.® ¯So muá ich dich erinnern. Du wolltest mir Rechenschaft geben.® ¯Habe ich das gesagt?® fragte er, indem er die Brauen in die H”he zog. ¯Ja. Du hast ferner gesagt, daá du gern mit mir k„mpfen wrdest, denn du wátest genau, daá ich von dir zermalmt werden wrde.® Es mochte ihm bei dem Tone, in welchem ich jetzt mit ihm sprach, unheimlich werden, denn er meinte bed„chtig: ¯Ich erinnere mich dieser Worte nicht. Old Shatterhand muá mich falsch verstanden haben.® ¯Nein. Winnetou war dabei; er wird es mir bezeugen.® ¯Ja,® best„tigte Winnetou bereitwillig. ¯Tangua hat Old Shatterhand Rechenschaft geben wollen und sich gerhmt, daá er sehr gern mit ihm k„mpfen und ihn zermalmen werde.® ¯Du siehst also ein, daá du diese Worte gesprochen hast. Willst du sie halten?® - 306 - ¯Verlangst du es?® ¯Ja. Du hast mich einen Frosch genannt, der keinen Mut besitzt; du hast mich verleumdet und dir alle Mhe gegeben, uns in das Verderben zu bringen. Wer so verwegen ist, dies zu tun, der muá es auch wagen, sich gegen mich zu verteidigen.® ¯Pshaw! Ich k„mpfe nur mit H„uptlingen!® ¯Ich bin ein H„uptling!® ¯Beweise es!® ¯Sch”n! Ich werde es dir dadurch beweisen, daá ich dich mit einem Stricke dort an dem ersten Baume aufh„nge, wenn du dich weigerst, mir Rechenschaft zu geben.® Einem Indianer mit dem H„ngen drohen, ist eine Beleidigung, welcher schwerlich eine andere gleichkommt. Er riá auch sofort sein Messer aus dem Grtel und schrie: ¯Hund, soll ich dich erstechen?® ¯Ja, aber nicht so, wie du es jetzt willst, sondern im ehrlichen Kampfe, Mann gegen Mann und Messer gegen Messer.® ¯Das f„llt mir nicht ein; ich habe mit Old Shatterhand nichts zu schaffen!® ¯Aber vorhin, als ich festgebunden war und mich nicht wehren konnte, da machtest du dir mit mir zu schaffen, Feigling!® Er wollte auf mich eindringen; da stellte sich Winnetou zwischen ihn und mich und sagte: ¯Mein Bruder Old Shatterhand hat recht. Tangua hat ihn verleumdet und hat ihm Rechenschaft geben wollen. Wenn er dieses Wort nicht erfllt, so ist er ein Feigling und verdient, von seinem Stamme ausgestoáen zu werden. Diese Sache muá sofort entschieden werden, denn niemand soll den Kriegern der Apachen nachsagen, daá sie Feiglinge als G„ste bei sich haben. Was gedenkt der H„uptling der Kiowas zu tun?® Dieser warf, ehe er antwortete, einen Blick rund umher. Es waren fast viermal mehr Apachen als Kiowas vorhanden, und diese letzteren befanden sich mitten im Gebiete der ersteren; es zu einem Zerwrfnisse zwischen beiden kommen lassen, das war unm”glich, jetzt, wo er ein solches L”segeld hatte zahlen mssen und doch noch, streng genommen, halber Gefangener war. ¯Ich werde es mir berlegen,® antwortete er ausweichend. ¯Fr einen tapferen Krieger gibt es da nichts zu ber- - 307 - legen [berlegen]. Entweder du gehst auf den Kampf ein oder wirst als Feigling betrachtet.® Da raffte er sich zusammen und schrie: ¯Tangua ein Feigling? Wer das sagt, dem stoáe ich das Messer in die Brust!® ¯Ich sage es, ich!® antwortete Winnetou stolz und ruhig, ¯wenn du das Wort nicht h„ltst, welches du Old Shatterhand gegeben hast.® ¯Ich halte es!® ¯Du bist also bereit, mit ihm zu k„mpfen?® ¯Ja.® ¯Und sofort?® ¯Sofort! Es verlangt mich sehr, m”glichst bald sein Blut zu sehen.® ¯Wohlan, so mag bestimmt werden, mit welchen Waffen dieser Kampf vorgenommen werden soll.® ¯Wer hat dies zu bestimmen?® ¯Old Shatterhand.® ¯Warum?® ¯Weil du ihn beleidigt hast.® ¯Nein, sondern ich.® ¯Du?® ¯Ja, ich, denn er hat mich beleidigt, und ich bin ein H„uptling, w„hrend er ein gew”hnlicher Weiáer ist. Ich bin also viel mehr als er.® ¯Old Shatterhand ist mehr als ein roter H„uptling.® ¯Das behauptet er auch, hat es aber nicht zu beweisen vermocht. Eine Drohung ist kein Beweis.® Da entschied ich die Frage: ¯Tangua mag w„hlen; mir ist es ganz gleich, mit welcher Waffe ich ihn besiege.® ¯Du wirst mich nicht besiegen,® brllte er mich wtend an. ¯Denkst du, ich w„hle den Faustkampf, wo du Jeden niederschl„gst, oder das Messer, mit welchem du "Blitzmesser" erstochen hast, oder den Tomahawk, welcher sogar Intschu tschuna verderblich geworden ist?® ¯Was denn?® - 308 - ¯Das Gewehr. Wir werden auf einander schieáen, und meine Kugel wird dir im Herzen sitzen!® ¯Sch”n! Ich stimme bei. Aber hat mein Bruder Winnetou geh”rt, was Tangua jetzt eingestanden hat?® ¯Was?® ¯Daá ich mit "Blitzmesser" gek„mpft und ihn niedergestochen habe. Dies tat ich, um die gefangenen Apachen vom Marterpfahle zu retten; er aber hat es bis zu diesem Augenblicke geleugnet. Man h”rt, wie recht ich hatte, als ich ihn einen Lgner nannte.® ¯Einen Lgner? Mich?® donnerte mich der Kiowa an. ¯Das sollst du mit dem Leben bezahlen! Schnell die Gewehre her! Der Kampf mag sofort beginnen, damit ich diesen kl„ffenden Hund zum Schweigen bringe!® Er hatte sein Gewehr in der Hand. Winnetou schickte einen Apachen in das Pueblo, um meine Bchse und die Munition, welche ich bei mir gehabt hatte, zu holen. Es war alles sorgf„ltig aufgehoben worden, weil Winnetou sich, trotzdem er mich fr seinen Feind hielt, so lebhaft fr mich interessiert hatte. Dann forderte er mich auf: ¯Mein weiáer Bruder mag sagen, aus welcher Entfernung und wieviel Male geschossen werden soll!® ¯Ist mir gleich,® antwortete ich. ¯Wer die Waffen bestimmt hat, mag auch hier entscheiden.® ¯Ja, ich entscheide,® sagte Tangua. ¯Zweihundert Schritte und soviel Schsse, bis einer von uns niederstrzt und nicht wieder aufstehen kann.® ¯Gut,® sagte Winnetou. ¯Ich werde aufpassen. Es hat einmal Dieser und einmal Jener zu schieáen, also abwechselnd. Ich stehe mit meinem Gewehre dabei und werde demjenigen, welcher schieát, ohne an der Reihe zu sein, eine Kugel in den Kopf geben. Wer aber hat den ersten Schuá?® ¯Ich natrlich!® rief der Kiowa. Winnetou schttelte miábilligend den Kopf und sagte: ¯Tangua will alle Vorteile fr sich haben. Old Shatterhand mag zuerst schieáen.® ¯Nein,® antwortete ich; ¯er soll seinen Willen haben. Er einen Schuá und ich einen; dann ist's aus.® - 309 - ¯Nein,® entgegnete Tangua. ¯Wir schieáen so lange, bis Einer f„llt!® ¯Allerdings, denn mein erster Schuá wird dich niederstrecken.® ¯Prahler!® ¯Pshaw! Eigentlich sollte ich dich t”ten; aber ich will es nicht tun. Die geringste Strafe fr das, was du getan hast, ist jedoch, daá ich dich l„hme. Ich werde dir das rechte Knie zerschmettern. Merke es dir!® ¯Habt ihr es geh”rt?® lachte er. ¯Dieses Bleichgesicht, welches von seinen eigenen Freunden ein Greenhorn genannt wird, will bei zweihundert Schritten vorhersagen k”nnen, daá er mich in das Knie treffen wird! Lacht ihn aus, ihr Krieger, lacht ihn aus!® Er blickte auffordernd rund umher, aber es lachte niemand. Da fuhr er fort: ¯Ihr frchtet euch vor ihm! Ich aber werde euch zeigen, wie ich ihn verlache. Kommt, laát uns diese zweihundert Schritte abmessen!® W„hrend dies geschah, wurde mir mein B„rent”ter gebracht. Ich untersuchte ihn; er befand sich in gutem Zustande. Beide L„ufe waren geladen. Um meiner Sache ganz sicher zu sein, schoá ich sie ab und lud sie von neuem, so sorgf„ltig, wie die gegenw„rtige Veranlassung es forderte. Dabei kam Sam zu mir und sagte: ¯Sir, ich habe hundert Fragen an Euch und finde doch keine Gelegenheit dazu. Jetzt nur die eine: Wollt Ihr diesen Kerl wirklich in das Knie treffen?® ¯Ja.® ¯Nur?® ¯Es ist das Strafe genug.® ¯Nein, gewiá nicht. Solches Ungeziefer muá ausgerottet werden, wenn ich mich nicht irre. Bedenkt doch, was er alles verschuldet hat und was alles geschehen ist, nur deshalb, daá er die Pferde der Apachen hat stehlen wollen!® ¯Daran sind die Weiáen, welche ihn verfhrten, wenigstens ebenso schuld.® ¯Er mag sich nicht verfhren lassen! Ich an Eurer Stelle - 310 - wrde ihm eine Kugel in den Kopf geben. Er zielt ganz gewiá nach dem Eurigen!® ¯Oder nach der Brust; ich bin berzeugt davon.® ¯Wird aber nicht treffen. Das Schieázeug dieser Kerls ist nichts wert.® Jetzt war die Entfernung abgemessen und wir stellten uns an den beiden Endpunkten auf. Ich war ruhig wie gew”hnlich, Tangua aber erging sich in gar nicht wiederzugebenden Schm„hungen gegen mich. Darum sagte Winnetou, welcher seitw„rts grad in der Mitte zwischen uns stand: ¯Der H„uptling der Kiowas mag schweigen und aufpassen! Ich z„hle bis drei, dann wird geschossen; wer aber eher schieát, der bekommt meine Kugel in den Kopf!® Es l„át sich denken, daá alle Anwesenden von der gr”áten Spannung ergriffen worden waren. Sie hatten sich in zwei Reihen rechts und links von uns aufgestellt, so daá eine breite Straáe entstanden war, deren Endpunkte wir beide markierten. Es herrschte tiefe Stille. ¯Der H„uptling der Kiowas mag beginnen,® sagte Winnetou ¯eins zwei drei!® Ich stand still da und bot meinem Gegner meine ganze K”rperbreite dar. Er legte gleich beim ersten Worte Winnetous das Gewehr an, zielte sorgf„ltig und drckte ab. Die Kugel ging nahe an mir vorber. Kein Mensch lieá einen Ruf h”ren, der diesem Schusse gelten sollte. ¯Nun mag Old Shatterhand schieáen,® forderte mich Winnetou auf. ¯Eins zwei ® ¯Halt!® unterbrach ich ihn. ¯Ich habe dem H„uptling der Kiowas grad und ehrlich gegenbergestanden; er aber dreht sich halb um und wendet mir nicht das Gesicht, sondern die Seite zu.® ¯Das kann ich,® antwortete er. ¯Wer will es mir verbieten? Es ist nicht bestimmt worden, wie wir stehen sollen.® ¯Das ist wahr, und Tangua kann sich also stellen, wie es ihm beliebt. Er kehrt mir seine schmale Seite zu, weil er meint, daá ich ihn da nicht so leicht treffen k”nnte; aber er irrt sich, denn ich treffe unbedingt. Ich h„tte schieáen k”nnen, ohne ein Wort sagen zu brauchen; aber ich will ehrlich mit ihm sein. - 311 - Er soll meine Kugel in das rechte Knie bekommen; das kann aber nur dann geschehen, wenn er mir das Gesicht zukehrt; wendet er mir aber die Seite zu, so wird ihm die Kugel beide Kniee zerschmettern. Das ist der Unterschied. Er kann stehen, wie er will; ich habe ihn gewarnt.® [Illustration Nr. 14: Tangua bricht zusammen] ¯Schieá nicht mit Worten, sondern mit Kugeln!® h”hnte er, indem er meine Warnung miáachtete und seitlich stehen blieb. ¯Old Shatterhand schieát,® wiederholte Winnetou: ¯eins zwei drei!® Mein Schuá krachte; Tangua stieá einen lauten Schrei aus, lieá sein Gewehr fallen, warf die Arme auseinander, wankte hin und her und strzte dann nieder. ¯Uff, uff, uff!® rief es berall, und Alle dr„ngten sich zu ihm, um zu sehen, wo ich ihn getroffen hatte. - 312 - Ich ging nun auch hin, und man machte mir ehrerbietig Platz. ¯In beide Kniee, in beide Kniee!® h”rte ich rechts und links sagen. Als ich ihn erreichte, lag er wimmernd an der Erde. Winnetou kniete bei ihm und untersuchte die Verletzung. Er sah mich kommen und sagte: ¯Die Kugel ist genau so gegangen, wie mein weiáer Bruder vorherverkndet hat; es sind beide Kniee zerschmettert. Tangua wird nie wieder ausreiten k”nnen, um sein Auge auf die Pferde anderer St„mme zu werfen.® Als der Verwundete mich erblickte, warf er mir eine ganze Flut von Schimpfreden entgegen. Ich herrschte ihn so an, daá er fr einige Augenblicke schwieg, und sagte: ¯Ich habe dich gewarnt, und du hast nicht auf mich geh”rt; du bist selber schuld.® Er wagte nicht, zu jammern, weil ein Indianer dieses selbst bei den „rgsten Schmerzen nicht darf; er biá sich auf die Lippen, sah finster vor sich nieder und knirschte dann: ¯Ich bin verwundet und kann nicht heimkehren. Ich muá bei den Apachen bleiben.® Da schttelte Winnetou den Kopf und antwortete in sehr bestimmtem Tone: ¯Du wirst doch heimkehren mssen, denn wir haben keinen Raum fr die Diebe unserer Pferde und die M”rder unserer Krieger. Wir haben uns nicht mit Blut ger„cht und uns mit Tieren und Sachen begngt; mehr kannst du nicht verlangen. Ein Kiowa geh”rt nicht in unser Pueblo.® ¯Aber ich kann nicht heimreiten!® ¯Old Shatterhand war noch schwerer verwundet als du und konnte auch nicht reiten; dennoch muáte er mit. Denke recht oft an ihn! Das wird dir ntzlich sein! Die Kiowas wollten uns heut verlassen; sie m”gen dies ja tun, denn denjenigen von ihnen, den wir morgen in der N„he unserer Weidepl„tze treffen, den werden wir so behandeln, wie nach ihrem Wunsche Old Shatterhand behandelt werden sollte. Ich habe gesprochen. Howgh!® Er nahm mich bei der Hand und fhrte mich fort. Als - 313 - wir aus dem Gedr„nge der Menschen heraus waren, sahen wir seinen Vater mit den zwei M„nnern geschwommen kommen, die er ihm hinber gesandt hatte. Er ging ihm bis an das Ufer entgegen, und ich suchte Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker auf. ¯Endlich, endlich drfen wir Euch einmal fr uns haben!® sagte der Erstere. ¯Sagt doch gleich erst vor allen Dingen, was waren das fr Haare, welche Ihr Winnetou zeigtet?® ¯Ich hatte sie ihm abgeschnitten.® ¯Wann?® ¯Als ich ihn und seinen Vater losschnitt.® ¯So h„ttet alle Teufel! Ihr h„ttet Ihr, das Greenhorn, h„ttet h„ttet sie befreit?® ¯Freilich.® ¯Ohne uns ein Wort zu sagen?!® ¯War nicht n”tig!® ¯Aber, wie habt Ihr das denn angefangen?® ¯Grad so, wie es ein Greenhorn anzufangen pflegt.® ¯Redet verst„ndig, Sir! Das war eine auáerordentlich schwierige Sache!® ¯Ja, Ihr zweifeltet sogar daran, ob sie Euch selbst gut gelingen wrde.® ¯Und Euch ist sie gelungen! Entweder habe ich gar keinen Verstand, oder er steht mir still!® ¯Das erstere ist der Fall, das erstere, Sam!® ¯Macht keine dummen Witze! So ein Heimtcker! Macht die H„uptlinge los und tr„gt den Zopf, welcher Wunder wirkte, mit sich herum, ohne uns ein Wort davon zu sagen! Hat so ein ehrliches Gesicht, der Kerl, aber man darf eben keinem Menschen mehr trauen! Und wie ist es denn heut gewesen! Es ist mir da Einiges unklar geblieben. Ihr waret ertrunken und dann pl”tzlich wieder da!® Ich erz„hlte es ihm. Als ich geendet hatte, rief er aus: ¯Mensch, Freund und Greenhorn, Ihr seid doch ein ganz frchterlicher Racker, wenn ich mich nicht irre! Ich muá Euch wieder fragen, wie schon frher einmal: Ihr seid wirklich noch nie im wilden Westen gewesen?® ¯Nein.® - 314 - ¯Auch berhaupt in den Vereinigten Staaten nicht?® ¯Nein.® ¯Dann mag Euch der Kuckuck begreifen, ich aber nicht! Ihr seid in Allem Anf„nger und doch in Allem gleich fertig. So ein Patron, wie Ihr seid, ist mir wirklich noch nicht vorgekommen. Muá Euch loben, wirklich loben. Habt Eure Sache schlau angefangen, hihihihi! Unser Leben hing wirklich nur an einem Haare. Braucht Euch aber auf dieses Lob nichts einzubilden, gar nichts. Werdet dafr um so gr”áere Dummheiten machen. Sollte mich wirklich wundern, wenn aus Euch einmal ein brauchbarer Westmann wrde!® Er h„tte in dieser Weise wohl noch fortgefahren; aber da kam Winnetou mit Intschu tschuna herbei. Dieser Letztere sah mir grad so wie vorher sein Sohn lange und ernst in das Gesicht und sagte dann: ¯Ich habe von Winnetou Alles geh”rt. Ihr seid frei und werdet uns verzeihen. Du bist ein sehr tapferer und sehr listiger Krieger und wirst noch manchen Feind besiegen. Der handelt klug, der dich zu seinem Freunde macht. Willst du das Calumet des Friedens mit uns rauchen?® ¯Ja; ich m”chte euer Freund und Bruder sein!® ¯So kommt mit mir und Nscho-tschi, meiner Tochter, jetzt ins Pueblo hinauf! Ich will meinem Ueberwinder eine Wohnung anweisen, wie sie seiner wrdig ist. Winnetou bleibt hier unten, um die Ordnung zu wahren.® Wir stiegen mit ihm und Nscho-tschi als freie M„nner nach der Pyramidenburg hinauf, die wir als Gefangene verlassen hatten, um in den Tod geschleppt zu werden. - 315 - [unpag.] Fnftes Kapitel. ¯Sch”ner Tag®. Als wir jetzt nach dem Pueblo zurckkehrten und bei demselben anlangten, sah ich erst, welch ein m„chtiger, imposanter Steinbau dasselbe war. Man h„lt die amerikanischen V”lkerschaften fr bildungsunf„hig; aber Menschen, welche solche Felsenmassen zu bewegen und zu einer solchen mit den damaligen Waffen uneinnehmbaren Festung aufeinander zu trmen verstanden hatten, konnten unm”glich nur auf der untersten, niedrigsten Kulturstufe gestanden haben. Und wenn man sagt, daá diese Nationen frher bestanden haben und daá die jetzigen Indianer keineswegs Abk”mmlinge derselben seien, so will ich das weder zugeben noch bestreiten; aber wenn es wirklich so sein sollte, dann ist das noch kein Grund zu der Behauptung, daá die Indianer geistig nicht vorw„rts kommen k”nnen. Natrlich, wenn man ihnen nicht die Zeit und den Raum dazu g”nnt, so mssen sie verkommen und untergehen. Wir stiegen mittels der vorhandenen Leitern bis zur dritten Plattform empor, hinter welcher die besten R„ume des Pueblo lagen. Da wohnte Intschu tschuna mit seinen beiden Kindern, und da bekamen wir unsere Wohnung angewiesen. Die meinige war groá. Sie hatte zwar auch keine Fenster”ffnungen und erhielt ihr Licht nur durch die Tr, aber diese war so breit und hoch, daá es an der n”tigen Helligkeit nicht mangelte. Der Raum war leer, doch Nscho-tschi m”blierte ihn mir bald mit Fellen, Decken und Ger„tschaften so gut aus, daá ich mich weit mehr als den Verh„ltnissen angemessen behag- - 316 - lich [behaglich] fhlen konnte. Hawkens, Stone und Parker bekamen zusammen ein „hnliches Gemach angewiesen. Als mein "Gastzimmer" so weit eingerichtet war, daá ich es betreten konnte, brachte "Sch”ner Tag" mir eine pr„chtig geschnittene Friedenspfeife und Tabak dazu. Sie stopfte sie mir selbst und setzte den Tabak dann in Brand. Als ich die ersten Zge tat, sagte sie: ¯Dieses Calumet sendet dir Intschu tschuna, mein Vater. Er selbst hat den Thon dazu aus den heiligen Steinbrchen geholt, und ich habe den Kopf daraus geschnitten. Sie ist noch in keines Menschen Munde gewesen, und wir bitten dich, sie von uns als dein Eigentum anzunehmen und unser zu gedenken, wenn du daraus rauchest.® ¯Eure Gte ist groá,® antwortete ich. ¯Sie besch„mt mich fast, denn ich kann dieses Geschenk nicht erwidern.® ¯Du hast uns bereits soviel gegeben, daá wir dir gar nicht dafr danken k”nnen, n„mlich wiederholt das Leben Intschu tschunas und Winnetous, meines Bruders. Beide waren wiederholt in deine Hand gegeben, ohne daá du sie t”tetest. Heut wieder konntest du Intschu tschuna das Leben nehmen, ohne daá du dafr bestraft worden w„rest; du hast es aber nicht getan. Dafr sind dir unsere Herzen zugewendet, und du sollst unser Bruder sein, wenn du es unsern Kriegern erlaubst, dich als solchen zu betrachten.® ¯Wenn das geschieht, so ist mein gr”áter Wunsch erfllt. Intschu tschuna ist ein sehr berhmter H„uptling und Krieger, und Winnetou habe ich gleich vom ersten Augenblicke an lieb gehabt. Es ist mir nicht nur eine groáe Ehre, sondern eine ebenso groáe Freude, der Bruder solcher M„nner genannt zu werden. Ich wnsche nur, daá meine Gef„hrten auch daran teilnehmen drfen.® ¯Wenn sie wollen, wird man sie so betrachten, als ob sie als Apachen geboren worden seien.® ¯Wir danken euch dafr. Also du selbst hast diesen Pfeifenkopf aus dem heiligen Thone geschnitten? Wie kunstvoll deine H„nde sind!® Sie err”tete ber dieses Lob und antwortete: ¯Ich weiá, daá die Frauen und T”chter der Bleichgesichter - 317 - noch viel kunstfertiger und geschickter sind als wir. Ich werde dir jetzt noch etwas holen.® Sie ging und brachte mir dann meine Revolver, mein Messer, alle meine Munition und die sonstigen Gegenst„nde, welche sich nicht in meinen Taschen befunden hatten; denn alles, was darin gewesen war, das hatte man mir gelassen. Ich bedankte mich, erkannte an, daá mir nun nicht mehr das Geringste fehle, und fragte: ¯Werden auch meine Kameraden wieder bekommen, was ihnen abgenommen worden ist?® ¯Ja, alles. Sie werden es jetzt schon haben, denn w„hrend ich dich hier bediene, sorgt Intschu tschuna fr sie.® ¯Und wie steht es mit unsern Pferden?® ¯Die sind auch da. Du wirst das deinige wieder reiten und Hawkens seine Mary auch.® ¯Ah, du kennst den Namen seines Maultiers?® ¯Ja, auch den Namen seiner alten Flinte, welche er Liddy nennt. Ich habe oft, ohne daá ich es dir erz„hlte, mit ihm gesprochen. Er ist ein sehr scherzhafter Mann, aber doch ein tchtiger J„ger.® ¯Ja, das ist er, und noch weit mehr, n„mlich ein treuer, aufopferungsf„higer Gef„hrte, den man lieb haben muá. Aber ich m”chte dich etwas fragen; wirst du mir die richtige Antwort geben, mir die Wahrheit sagen?® ¯Nscho-tschi lgt nicht,® antwortete sie stolz und doch so einfach. ¯Am allerwenigsten aber wrde sie dir eine Unwahrheit sagen.® ¯Eure Krieger hatten den gefangenen Kiowas alles abgenommen, was sie bei sich hatten?® ¯Ja.® ¯Auch meinen drei Kameraden?® ¯Ja.® ¯Warum da mir nicht auch? Man hat den Inhalt meiner Taschen nicht angerhrt.® ¯Weil Winnetou, mein Bruder, es so befohlen hatte.® ¯Und weiát du, weshalb er diesen Befehl gab?® ¯Weil er dich liebte.® ¯Trotzdem er mich fr seinen Feind hielt?® - 318 - ¯Ja. Du sagtest vorhin, daá du ihn gleich vom ersten Augenblicke an lieb gehabt habest; dasselbe ist auch bei ihm mit dir der Fall gewesen. Es hat ihm sehr leid getan, dich fr einen Feind halten zu mssen, und nicht nur fr einen Feind ® Sie hielt inne, denn sie hatte etwas sagen wollen, wovon sie dachte, daá es mich beleidigen werde. ¯Sprich weiter,® bat ich. ¯Nein.® ¯So will ich es an deiner Stelle tun. Mich fr seinen Feind halten zu mssen, das konnte ihm nicht wehe tun, denn man kann auch einen Feind achten; aber er hat geglaubt, daá ich ein Lgner, ein falscher, hinterlistiger Mensch sei. Nicht?® ¯Du sagst es.® ¯Hoffentlich sieht er nun ein, daá er sich da geirrt hat. Und nun noch eine Frage: Wie steht es mit Rattler, dem M”rder Klekih-petras?® ¯Der wird soeben an den Marterpfahl gebunden.® ¯Was? Jetzt? Soeben?® ¯Ja.® ¯Und das sagt man mir nicht? Warum hat man es mir verschwiegen?® ¯Winnetou wollte es so haben.® ¯Ja, aber warum?® ¯Er glaubte, deine Augen k”nnten es nicht ersehen und deine Ohren es nicht erh”ren.® ¯Wahrscheinlich hat er sich da nicht geirrt, und doch ist es mir m”glich, es zu ersehen und auch zu erh”ren, wenn man meinen Wunsch bercksichtigt.® ¯Welchen?® ¯Sag erst, wo die Marter stattfinden wird!® ¯Unten am Flusse, wo du dich vorhin befunden hast. Intschu tschuna hat euch fortgefhrt, weil ihr nicht dabei sein sollt.® ¯Ich will aber dabei sein! Welche Qualen hat man denn fr ihn bestimmt?® ¯Alle, welche gegen Gefangene ausgebt zu werden pflegen. Er ist das schlimmste Bleichgesicht, welches den Apachen jemals in die H„nde geraten ist. Er hat unsern weiáen Vater, den - 319 - wir liebten und verehrten, den Lehrer Winnetous, ohne alle Veranlassung ermordet; darum soll er nicht an nur einigen Qualen sterben, wie es bei anderen Gefangenen zu geschehen pflegt, sondern man wird alle Martern, die wir kennen, nach und nach an ihm erproben.® ¯Das darf nicht sein; das ist unmenschlich!® ¯Er hat es verdient!® ¯K”nntest du dabei sein, es mit ansehen?® ¯Ja.® ¯Du, ein M„dchen!® Ihre langen Wimpern senkten sich. Sie richtete den Blick einige Zeit zur Erde, hob ihn dann wieder, sah mir ernst, beinahe vorwurfsvoll in die Augen und antwortete: ¯Wunderst du dich darber?® ¯Ja. Ein Weib soll so etwas nicht ansehen k”nnen.® ¯Ist es so bei euch?® ¯Ja.® ¯Wirklich?® ¯Ja.® ¯Du sagst die Unwahrheit, bist aber doch kein Lgner, denn du sagst sie unabsichtlich, unwissentlich. Du irrst dich.® ¯So willst du das Gegenteil behaupten?® ¯Ja.® ¯Dann mátest du unsere Frauen und M„dchen besser kennen als ich!® ¯Vielleicht kennst du sie nicht! Wenn eure Verbrecher vor dem Richter stehen, so k”nnen andere Leute mit zuh”ren. Ist es so?® ¯Ja.® ¯Ich habe geh”rt, daá es da mehr Zuh”rerinnen als Zuh”rer gibt. Geh”rt eine Squaw dorthin? Ist es sch”n von ihr, sich von ihrer Neugierde nach einem solchen Orte treiben zu lassen?® ¯Nein.® ¯Und wenn bei euch ein M”rder hingerichtet wird, wenn man ihn aufh„ngt oder ihm den Kopf abschl„gt, sind dann keine weiáen Squaws dabei?® ¯Das war frher.® - 320 - ¯Jetzt ist es ihnen verboten?® ¯Ja.® ¯Und den M„nnern auch?® ¯Ja.® ¯Also ist es allen verboten! W„re es allen noch erlaubt, so wrden auch die Squaws mitkommen. Oh, die Frauen der Bleichgesichter sind nicht so zart, wie du denkst. Sie k”nnen die Schmerzen sehr gut ertragen, aber die Schmerzen, welche Andere, Menschen oder Tiere erdulden. Ich bin nicht bei euch gewesen, aber Klekih-petra hat es uns erz„hlt. Dann ging Winnetou nach den groáen St„dten des Ostens, und als er zurckkehrte, berichtete er mir alles, was er gesehen und beobachtet hatte. Weiát du, was eure Squaws mit den Tieren tun, die sie kochen, braten und dann essen?® ¯Nun?® ¯Sie ziehen ihnen die Haut*) bei lebendigem Leibe ab; sie ziehen ihnen auch, w„hrend sie noch leben**), den Darm heraus und werfen sie in das kochende Wasser. Und weiát du, was die Medizinm„nner der Weiáen tun?® ¯Was meinst du?® ¯Sie werfen lebendige Hunde in das kochende Wasser, um zu erfahren, wie lange sie dann noch leben, und ziehen ihnen die verbrhte Haut vom Leibe. Sie schneiden ihnen die Augen, die Zungen heraus; sie ”ffnen ihnen die Leiber; sie qu„len sie auf noch viele andere Arten, um dann Bcher darber zu machen.® ¯Das ist Vivisektion und geschieht zum Besten der Wissenschaft.® ¯Wissenschaft! Klekih-petra ist auch mein Lehrer gewesen; darum weiá ich, was du mit diesem Worte meinst. Was muá euer groáer, guter Geist zu einer Wissenschaft sagen, welche nichts lehren kann, ohne daá sie seine Gesch”pfe zu Tode martert! Und solche Martern nehmen eure Medizinm„nner in ihren Wohnungen vor, wo die Squaws doch mit wohnen und es sehen mssen! Oder h”ren sie nicht das Schmerzgeheul der armen Tiere? Haben eure Squaws nicht V”gel in K„figen in ihren *) Bei den Aalen. **) Bei den Krebsen. - 321 - Zimmern? Wissen sie nicht, welche Qual dies fr den Vogel ist? Sitzen eure Squaws nicht zu tausenden dabei, wenn bei Wettrennen Pferde zu Tode geritten werden? Sind nicht Squaws dabei, wenn Boxer sich zerfleischen? Ich bin ein junges, unerfahrenes M„dchen und werde von euch zu den "Wilden" gerechnet; aber ich k”nnte dir noch vieles sagen, was eure zarten Squaws tun, ohne daá sie dabei den Schauder empfinden, den ich fhlen wrde. Z„hle die vielen Tausende von zarten, sch”nen, weiáen Frauen, welche ihre Sklaven zu Tode gepeinigt und mit l„chelndem Munde dabei gestanden haben, wenn eine schwarze Dienerin totgepeitscht wurde! Und hier haben wir einen Verbrecher, einen M”rder. Er soll sterben, so wie er es verdient hat. Ich will dabei sein, und das verurteilst du! Ist es wirklich unrecht von mir, daá ich so einen Menschen ruhig sterben sehen kann? Und wenn es ein Unrecht w„re, wer tr„gt die Schuld, daá die Roten ihre Augen an solche Dinge gew”hnt haben? Sind es nicht die Weiáen, welche uns zwingen, ihre Grausamkeiten mit H„rte zu vergelten?® ¯Ich glaube nicht, daá ein weiáer Richter einen gefangenen Indianer zum Marterpfahle verurteilen wird.® ¯Richter! Zrne mir nicht, wenn ich das Wort sage, welches ich so oft von Hawkens geh”rt habe: Greenhorn! Du kennst den Westen nicht. Wo gibt es hier Richter, n„mlich das, was du mit diesem Worte meinst? Der St„rkere ist der Richter, und der Schwache wird gerichtet. Laá dir erz„hlen, was an den Lagerfeuern der Weiáen geschehen ist! Sind die unz„hligen Indianer, welche im Kampfe gegen die weiáen Eindringlinge untergingen, alle schnell an einer Kugel, an einem Messerstiche gestorben? Wie viele von ihnen wurden zu Tode gemartert! Und doch hatten sie nichts getan als ihre Rechte verteidigt! Und nun bei uns ein M”rder sterben soll, der seine Strafe verdient hat, soll ich meine Augen davon abwenden, weil ich eine Squaw, ein M„dchen bin? Ja, einst waren wir anders; aber ihr habt uns gelehrt, Blut flieáen zu sehen, ohne daá wir mit der Wimper zucken. Ich werde gehen, um dabei zu sein, wenn der M”rder Klekih-petras seine Strafe erleidet!® Ich hatte die sch”ne, junge Indianerin als ein sanftes, stilles Wesen kennen gelernt; jetzt stand sie vor mir mit blitzen- - 322 - den [blitzenden] Augen und glhenden Wangen, das lebende Bild einer Racheg”ttin, die kein Erbarmen kennt. Fast wollte sie mir da noch sch”ner als vorher vorkommen. Durfte ich sie verurteilen? Hatte sie unrecht? ¯So geh,® sagte ich; ¯aber ich gehe mit.® ¯Bleib lieber hier!® bat sie, wieder in einem ganz andern Tone sprechend. ¯Intschu tschuna und Winnetou sehen es nicht gern, wenn du mitkommst.® ¯Werden sie mir zrnen?® ¯Nein. Sie wnschen es nicht, werden es dir aber nicht verbieten; du bist unser Bruder.® ¯So gehe ich mit, und sie werden es verzeihen.® Als ich mit ihr hinaus auf die Plattform trat, stand Sam Hawkens da. Er rauchte aus seiner alten, kurzen Savannenpfeife, denn er hatte auch Tabak erhalten. ¯Ist jetzt eine andere Sache, Sir,® sagte er schmunzelnd. ¯Bis vorhin Gefangene gewesen und jetzt die groáen Herren spielen; das ist ein Unterschied. Wie geht es Euch unter den neuen Verh„ltnissen?® ¯Danke, gut,® antwortete ich. ¯Mir auch ausgezeichnet. Der H„uptling hat uns selbst bedient. Das ist doch fein, wenn ich mich nicht irre!® ¯Wo ist Intschu tschuna jetzt?® ¯Fort, wieder nach dem Flusse.® ¯Wiát Ihr, was jetzt dort geschieht?® ¯Kann es mir denken.® ¯Nun, was?® ¯Z„rtlicher Abschied von den lieben Kiowas.® ¯Das weniger.® ¯Was denn sonst?® ¯Rattler wird gemartert.® ¯Rattler wird gemartert? Und da fhrt man uns hierher? Da muá ich auch dabei sein! Kommt, Sir! Wir wollen schnell hinab!® ¯Langsam! K”nnt Ihr denn solche Szenen ersehen, ohne daá Euch der Schauder forttreibt?® ¯Ersehen? Schauder? Was Ihr doch fr ein Greenhorn seid, geliebter Sir! Wenn Ihr Euch erst l„nger hier im Westen - 323 - befindet, so werdet Ihr auch nicht mehr ans Schaudern denken. Der Kerl hat den Tod verdient und wird auf indianische Weise hingerichtet; das ist alles!® ¯Aber es ist Grausamkeit.® ¯Pshaw! Redet doch bei so einem Subjekte nicht von Grausamkeit! Sterben muá er doch! Oder seid Ihr etwa auch damit nicht einverstanden?® ¯O ja. Aber sie m”gen es kurz mit ihm machen! Er ist ein Mensch!® ¯Ein solcher Mann, der einen Andern, welcher ihm nicht das Mindeste getan hat, niederschieát, der ist kein Mensch mehr. Er war betrunken wie ein Vieh.® ¯Das ist doch ein Milderungsgrund. Er wuáte nicht mehr, was er tat.® ¯Laát Euch nicht auslachen! Ja, da drben bei Euch im alten Lande, da sitzen die Herren Juristen zu Gericht und rechnen einem Jeden, dem es beliebt, in der Betrunkenheit ein Verbrechen zu begehen, den Schnaps als Milderungsgrund an. Versch„rfen sollten sie die Strafe, Sir, versch„rfen! Wer sich so sinnlos betrinkt, daá er wie ein wildes Tier ber seinen Nebenmenschen herf„llt, der sollte doch doppelt bestraft werden. Ich habe nicht das geringste Mitleid mit diesem Rattler. Denkt doch daran, wie er Euch behandelt hat!® ¯Ich denke daran, aber ich bin ein Christ und kein Indianer. Ich werde alles versuchen, einen kurzen Tod fr ihn zu erreichen.® ¯Das laát bleiben, Sir! Erstens verdient er es nicht, und zweitens wird alle Eure Mhe vergeblich sein. Klekih-petra ist der Lehrer, der geistige Vater des Stammes gewesen; sein Tod ist ein unersetzlicher Verlust fr die Apachen, und der Mord geschah ohne alle Veranlassung. Aus diesen Grnden ist es gewiá unm”glich, die Roten zur Nachsicht zu bewegen.® ¯Ich versuche es doch!® ¯Aber vergeblich!® ¯In diesem Falle schieáe ich Rattlern eine Kugel in das Herz.® ¯Um seine Qualen zu beenden? Das laát ums Himmels willen sein! Ihr wrdet Euch dadurch den ganzen Stamm - 324 - zum Feinde machen. Es ist sein gutes Recht, die Art der Strafe zu bestimmen, und wenn Ihr ihn um dieses bringt, so ist es mit der jungen Freundschaft, welche wir geschlossen haben, sofort wieder aus. Also geht Ihr mit?® ¯Ja.® ¯Sch”n; aber macht ja keine Dummheiten! Ich will Dick und Will rufen.® Er verschwand im Eingange zu seiner Wohnung und kehrte bald mit den beiden Genannten zurck. Wir stiegen die Etagen hinab. Nscho-tschi war uns vorangegangen und nicht mehr zu sehen. Als wir aus den [dem] Seitentale in das Haupttal des Rio Pecos kamen, sahen wir die Kiowas nicht mehr. Sie waren mit ihrem verwundeten H„uptling fortgeritten, und Intschu tschuna war so klug und umsichtig gewesen, ihnen heimlich Sp„her nachzusenden, da es ihnen einfallen konnte, unbemerkt zurckzukehren, um sich zu r„chen. Ich habe schon gesagt, daá unser Ochsenwagen auf dem Platze stand. Als wir kamen, hatten die Apachen einen weiten Kreis um denselben gebildet. In der Mitte desselben standen die beiden H„uptlinge mit einigen Kriegern. Nscho-tschi war bei ihnen und sprach mit Winnetou. Obgleich sie die Tochter des H„uptlings war, durfte sie sich nicht in die Angelegenheiten der M„nner mischen; wenn sie sich trotzdem jetzt nicht bei den Frauen befand, so war es gewiá nichts Unwichtiges, was sie ihrem Bruder zu sagen hatte. Als sie uns kommen sah, machte sie ihn, wie ich bemerkte, auf uns aufmerksam und zog sich dann zu den Squaws zurck. Sie hatte also wohl von uns mit ihm gesprochen. Winnetou durchbrach den Kreis seiner Krieger, kam uns entgegen und sagte in ernstem Tone: ¯Warum sind meine weiáen Brder nicht oben im Pueblo geblieben? Gefallen ihnen die Wohnungen nicht, in welche sie gefhrt worden sind?® ¯Sie gefallen uns,® antwortete ich, ¯und wir danken unsrem roten Bruder fr die Frsorge, die er fr uns getroffen hat. Wir kehren zurck, weil wir h”rten, daá Rattler jetzt sterben soll. Ist dies so?® ¯Ja.® ¯Ich sehe ihn doch nicht!® - 325 - ¯Er liegt im Wagen bei der Leiche des Ermordeten.® ¯Welche Todesart soll er erleiden?® ¯Den Martertod.® ¯Ist dies unvermeidlich beschlossen worden?® ¯Ja.® ¯Einen solchen Tod kann mein Auge nicht ersehen!® ¯Deshalb hat Intschu tschuna, mein Vater, euch nach dem Pueblo gebracht. Warum seid ihr zurckgekehrt? Warum willst du etwas ansehen, was du nicht ersehen kannst?® ¯Ich hoffe, daá ich seinem Tode beiwohnen kann, ohne daá ich mich mit Grauen abzuwenden brauche. Meine Religion gebietet mir, fr Rattler zu bitten.® ¯Deine Religion? War sie nicht auch die seinige?® ¯Ja.® ¯Hat er nach den Geboten derselben gehandelt?® ¯Leider nein.® ¯So hast du nicht n”tig, ihre Gebote seinetwegen zu erfllen. Deine und seine Religion verbietet den Mord; er hat trotzdem gemordet, folglich sind die Lehren dieser Religion nicht auf ihn anzuwenden.® ¯Nach dem, was er getan hat, kann ich mich nicht richten. Ich muá meine Pflicht erfllen, ohne nach den Gesinnungen und Taten anderer Menschen zu fragen. Ich bitte dich, eure Strenge zu mildern und diesen Mann eines schnellen Todes sterben zu lassen!® ¯Was beschlossen ist, muá ausgefhrt werden!® ¯Unbedingt?® ¯Ja.® ¯So gibt es also kein Mittel, meinen Wunsch in Erfllung gehen zu sehen?® Er blickte sehr ernst und nachdenklich zu Boden; dann antwortete er: ¯Es gibt eines.® ¯Welches?® ¯Ehe ich es meinem weiáen Bruder sage, muá ich ihn bitten, es lieber nicht in Anwendung zu bringen, weil dir dies bei unsern Kriegern sehr, sehr schaden wrde.® ¯Inwiefern?® - 326 - ¯Sie wrden dich nicht so achten k”nnen, wie ich es um deinetwillen wnsche.® ¯So ist dieses Mittel ein ehrloses, ein ver„chtliches?® ¯Nach den Begriffen der roten M„nner, ja.® ¯Sage es mir!® ¯Du mátest unsere Dankbarkeit anrufen.® ¯Ah! Das tut allerdings kein braver Mann!® ¯Nein. Wir haben dir unser Leben zu verdanken. Wolltest du dich darauf berufen, so wrdest du mich und Intschu tschuna, meinen Vater, zwingen, uns deines Wunsches anzunehmen.® ¯In welcher Weise?® ¯Wir wrden eine neue Beratung halten und w„hrend derselben so fr dich sprechen, daá unsere Krieger den Dank, den du forderst, anerkennen máten. Dann aber wrde alles, was du getan hast, ferner wertlos sein. Ist dieser Rattler ein solches Opfer wert?® ¯Allerdings nicht!® ¯Mein Bruder h”rt, daá ich aufrichtig mit ihm rede. Ich weiá, welche Gedanken und Gefhle in seinem Herzen wohnen; aber meine Krieger k”nnen solche Empfindungen nicht begreifen. Ein Mann, welcher Dank fordert, wird von ihnen verachtet. Soll Old Shatterhand, welcher der gr”áte und berhmteste Krieger der Apachen werden kann, heute von uns fortgehen mssen, weil meine Krieger vor ihm ausspucken werden?® Es wurde mir schwer, hierauf eine Antwort zu geben. Mein Herz gebot mir, bei meiner Frbitte zu bleiben; mein Verstand, oder besser gesagt, mein Stolz war dagegen. Winnetou fhlte Teilnahme fr den Zwiespalt in meinem Innern und sagte: ¯Ich werde mit Intschu tschuna, meinem Vater, sprechen. Mein Bruder mag hier warten!® Er ging. ¯Macht keine Dummheiten, Sir!® bat Sam. ¯Ihr ahnt gar nicht, was hierbei auf dem Spiele steht, vielleicht gar das Leben.® ¯Das jedenfalls nicht!® ¯O doch! Es ist wahr: der Rote verachtet einen Jeden, - 327 - welcher direkt Dank von ihm fordert, ihn an das mahnt, was er ihm schuldet. Er tut dann wohl das, was man von ihm fordert, aber nachher kennt er den Betreffenden nicht mehr. Wir máten wirklich heut noch fort und haben die feindlichen Kiowas vor uns. Was das bedeutet, das muá ich Euch doch wohl nicht erst sagen.® Intschu tschuna und Winnetou sprachen eine Weile sehr ernst miteinander; dann kamen sie zu uns herbei, und der Erstere sagte: ¯H„tte Klekih-petra uns nicht so viel von eurem Glauben gesagt, so wrde ich dich fr einen Mann halten, mit dem zu sprechen eine Schande ist. So aber kann ich deinen Wunsch sehr wohl begreifen, doch meine Krieger wrden es nicht verstehen und dich verachten.® ¯Es handelt sich nicht nur um mich, sondern auch um Klekih-petra, von dem du redest.® ¯Wieso um ihn?® ¯Er besaá denselben Glauben, der mir meine Bitte gebietet, und ist in diesem Glauben gestorben. Seine Religion gebot ihm, dem Feinde zu verzeihen. Glaube mir, wenn er noch lebte, so wrde er es nicht zugeben, daá sein M”rder eines solchen Todes sterbe.® ¯Denkst du das wirklich?® ¯Ja, ich bin davon berzeugt.® Er schttelte langsam den Kopf und sagte: ¯Was sind diese Christen doch fr Menschen! Entweder sind sie schlecht, und dann ist ihre Schlechtigkeit so groá, daá man sie nicht zu begreifen vermag. Oder sie sind gut, und dann ist ihre Gte ebenso unbegreiflich!® Hierauf sah er seinem Sohne und dieser wieder ihm in die Augen. Sie verstanden sich; sie hielten Zwiesprache miteinander nur durch diese Blicke. Dann wendete sich Intschu tschuna wieder mir zu, indem er fragte: ¯Dieser M”rder war auch dein Feind?® ¯Ja.® ¯Hast du ihm verziehen?® ¯Ja.® ¯So h”re, was ich dir sage! Wir wollen erfahren, ob - 328 - noch eine kleine, kleine Spur des Guten in ihm wohnt. Ist dies der Fall, so werde ich versuchen, dir deinen Wunsch zu erfllen, ohne daá es dir Schaden macht. Setzt euch hier nieder und wartet, was geschieht. Wenn ich dir einen Wink gebe, so kommst du zu dem M”rder und forderst von ihm, daá er dich um Verzeihung bitte. Tut er dies, so soll er schnell sterben.® ¯Darf ich ihm dies sagen?® ¯Ja.® Intschu tschuna kehrte mit Winnetou wieder in den Kreis zurck, und wir setzten uns da nieder, wo wir jetzt gestanden hatten. ¯Das h„tte ich nicht gedacht,® meinte Sam, ¯daá der H„uptling doch auf Euren Wunsch eingeht. Ihr mát sehr gut bei ihm stehen.® ¯Das tut es nicht; der Grund ist ein anderer.® ¯Welcher?® ¯Es ist der Einfluá Klekih-petras, der sich selbst nach seinem Tode geltend macht. Diese Roten haben vom wahren, innern Christentume mehr in sich aufgenommen, als sie ahnen. Ich bin sehr neugierig, was nun geschieht.® ¯Werdet es gleich sehen. Paát nur auf!® Jetzt wurde die Plahe von dem Wagen entfernt. Wir sahen, daá man einen langen, koffer„hnlichen Gegenstand, auf welchem ein Mensch festgebunden war, herabnahm. ¯Das ist der Sarg,® meinte Sam Hawkens; ¯aus hohlgebrannten Baumkl”tzen zusammengesetzt und mit naágemachten Fellen berzogen. Wenn das Leder trocken wird, zieht es sich zusammen, und der Sarg wird dadurch luftdicht verschlossen.® Unfern von der Stelle, wo das Seiten- auf das Haupttal stieá, erhob sich ein Felsen, an welchem aus groáen Steinen ein vorn offenes Viereck zusammengesetzt worden war. Daneben lagen noch viele Steine, welche hier zusammengetragen worden waren. Nach diesem Steinvierecke wurde der Sarg mitsamt dem Manne, der mit ihm zusammengebunden war, getragen. Dieser Mann war Rattler. ¯Wiát Ihr, warum man dort die Steine zusammengeschafft hat?® fragte Sam. ¯Ich denke es mir.® - 329 - ¯Nun, wozu?® ¯Man will das Grab daraus bauen.® ¯Richtig! Ein Doppelgrab.® ¯Fr Rattler mit?® ¯Ja. Der M”rder wird mit seinem Opfer begraben, was eigentlich nach jedem Morde geschehen sollte, wenn es m”glich w„re.® ¯Schrecklich! Lebendig an den Sarg des Ermordeten gefesselt zu sein und dabei zu wissen, daá dies zugleich die eigene letzte Lagerst„tte ist!® ¯Ich glaube gar, Ihr bedauert den Menschen wirklich! Daá Ihr fr ihn gebettelt habt, das kann ich noch begreifen, aber Mitleid mit ihm zu haben, das verstehe ich wirklich nicht.® Jetzt wurde der Sarg aufgerichtet, so daá Rattler auf seine Fáe zu stehen kam. Man band beide, den Sarg und den Menschen, mit starken Riemen an die Steinmauer fest. Die Roten, M„nner, Frauen und Kinder, n„herten sich der Stelle und bildeten einen Halbkreis um dieselbe. Es herrschte tiefe, erwartungsvolle Stille. Winnetou und Intschu tschuna standen neben dem Sarge, der Eine rechts und der Andere links davon. Da erhob der H„uptling seine Stimme: ¯Die Krieger der Apachen sind hier versammelt, Gericht zu halten, denn es hat das Volk der Apachen ein groáer, schwerer Verlust betroffen, den der Schuldige mit seinem Leben bezahlen soll.® Intschu tschuna sprach weiter, indem er in der indianischen, bilderreichen Weise von Klekih-petra, seinem Charakter und seinem Wirken redete und dann ausfhrlich erz„hlte, in welcher Weise sich die Ermordung ereignet hatte. Er berichtete ber die Gefangennahme Rattlers und machte zum Schlusse bekannt, daá dieser jetzt zu Tode gemartert und dann grad so, wie er an den Sarg gebunden war, mit dem Toten begraben werden solle. Hierauf sah er zu mir herber und gab mir den erwarteten Wink. Wir standen auf und wurden, als wir hinkamen, in den Halbkreis aufgenommen. Vorhin hatte ich wegen der Entfernung den Verurteilten nicht deutlich sehen k”nnen; jetzt stand - 330 - ich vor ihm und fhlte, so schlecht und gottlos er gewesen war, doch ein tiefes Mitleid mit diesem Menschen. Der auf das Fuáende gestellte Sarg war ber doppelt mannesstark und ber vier Ellen lang. Er sah aus, als habe man von einem dicken Baumstamm einen Klotz abges„gt und diesen mit Leder berzogen. Rattler war in der Weise mit dem Rcken auf diesen Sarg befestigt, daá seine Arme nach hinten lagen und seine Fáe jetzt auseinander standen. Man sah ihm an, daá er weder Hunger noch Durst zu leiden gehabt hatte. Ein Knebel verschloá ihm den Mund; er hatte also jetzt nicht sprechen k”nnen. Auch sein Kopf war so befestigt, daá er denselben nicht bewegen konnte. Als ich kam, nahm Intschu tschuna ihm den Knebel aus dem Mund und sagte zu mir: ¯Mein weiáer Bruder hat mit diesem M”rder reden wollen. Es mag geschehen!® Rattler sah, daá ich frei war; ich muáte mich also mit den Indianern befreundet haben; das konnte er sich sagen. Darum hatte ich geglaubt, er werde mich bitten, bei ihnen ein gutes Wort fr ihn einzulegen. Statt dessen aber fuhr er, sobald der Knebel entfernt worden war, mich giftig an: ¯Was wollt Ihr von mir? Packt Euch fort; ich mag nichts mit Euch zu schaffen haben!® ¯Ihr habt geh”rt, daá Ihr zum Tode verurteilt worden seid, Mr. Rattler,® antwortete ich ruhig. ¯Daran ist nichts zu „ndern. Sterben mát Ihr unbedingt. Aber ich will Euch ® ¯Fort, Hund, fort!® unterbrach er mich, wobei er mich anspucken wollte, mich aber nicht traf, weil er den Kopf nicht bewegen konnte. ¯Also sterben mát Ihr,® fuhr ich unbeirrt fort, ¯doch in welcher Weise, das soll auf Euch ankommen. Ihr sollt zu Tode gemartert werden; das heiát, man wird Euch lange, lange qu„len, vielleicht heut, vielleicht auch noch morgen den ganzen Tag. Das ist entsetzlich, und ich mag es nicht haben. Auf meine Bitte hat sich Intschu tschuna bereit erkl„rt, Euch schnell sterben zu lassen, falls Ihr die Bedingung erfllt, welche er daran knpfte.® - 331 - Ich hielt inne, denn ich dachte, daá er mich nach dieser Bedingung fragen werde. Statt dessen aber warf er mir einen so schrecklichen Fluch zu, daá es ganz unm”glich ist, denselben wiederzugeben. ¯Diese Bedingung ist, daá Ihr mich um Verzeihung bitten sollt,® erkl„rte ich weiter. ¯Um Verzeihung? Dich um Verzeihung bitten?® schrie er. ¯Lieber beiáe ich mir die Zunge ab und erleide alle Qualen, die sich diese roten Schufte ausdenken k”nnen!® ¯Wohlgemerkt, Mr. Rattler, ich bin es nicht, der diese Bedingung gestellt hat, denn ich brauche Eure Bitte nicht. Intschu tschuna hat es so gewollt, und da ich es Euch sagen sollte, so will ich dies hiermit getan haben. Bedenkt, in welcher Lage Ihr Euch befindet, und was Euch droht! Es steht Euch Schreckliches bevor, eine ganz entsetzliche Todesart, welcher Ihr dadurch entgehen k”nnt, daá Ihr nur das eine, kleine Wort "Pardon" aussprecht.® ¯F„llt mir nicht ein, nie, nie! Macht Euch fort von hier! Ich mag Euer schurkisches Gesicht nicht sehen. Geht zum Teufel und meinetwegen auch noch weiter!® ¯Wenn ich Euch den Willen tue und fortgehe, ist's fr Euch zu sp„t; ich komme dann nicht wieder. Also seid verst„ndig, und sagt das kleine Wort!® ¯Nein, nein und nein!® brllte er. ¯Ich bitte Euch darum!® ¯Fort, fort, sage ich! Himmel und H”lle, warum bin ich angebunden! H„tte ich die H„nde frei, so wollte ich Euch den Weg zeigen!® ¯Well, Ihr sollt Euren Willen haben, aber ich sage Euch, daá ich nicht wiederkommen werde, wenn Ihr mich nachher ruft.® ¯Ich dich rufen? Dich, dich? Das bilde dir ja nicht ein! Packe dich fort, sage ich, packe dich!® ¯Ich will gehen. Vorher aber noch Eins: Habt Ihr noch einen Wunsch? Ich will ihn Euch erfllen. Einen Gruá an irgend Jemand? Habt Ihr Verwandte, denen ich vielleicht Nachricht bringen kann?® ¯Geh in die H”lle, und sag dort, daá du ein verdammter - 332 - Schurke bist! Du hast mit diesen Roten gemeinschaftliche Sache gemacht und mich in ihre Gewalt gebracht. Dafr mag ® ¯Ihr irrt,® unterbrach ich ihn. ¯Also Ihr habt keinen Wunsch vor Eurem Tode?® ¯Nur den einen, daá Ihr mir bald nachfolgen m”gt, nur diesen einen!® ¯Gut, so sind wir fertig, und ich habe nichts mehr zu tun, als Euch als Christ den Rat zu geben: Fahrt nicht in Euern Snden dahin, sondern denkt an Eure Taten und an die Vergeltung, die Euch jenseits erwartet!® Was er hierauf antwortete, kann ich wieder nicht sagen; es berlief mich eiseskalt bei seinen Worten. Intschu tschuna nahm mich bei der Hand und fhrte mich fort, indem er sagte: ¯Mein junger, weiáer Bruder sieht, daá dieser M”rder keine Frbitte verdient; er ist ein Christ. Ihr nennt uns Heiden; aber wrde ein roter Krieger solche Worte sprechen?® Ich antwortete ihm nicht, denn was h„tte ich auch sagen k”nnen oder sollen? Dieses Verhalten Rattlers hatte ich nicht erwartet. Er hatte sich frher so feig, so furchtsam gezeigt und wirklich gezittert, als von den Marterpf„hlen der Indianer die Rede gewesen war. Und nun, heute tat er so, als ob er sich aus allen Qualen der Welt gar nichts mache! ¯Das ist nicht etwa Mut von ihm,® sagte Sam, ¯sondern Wut, nichts als Wut.® ¯Worber?® ¯Ueber Euch, Sir. Er denkt, Ihr seid schuld, daá er in die H„nde der Roten gefallen ist. Er hat Euch seit dem Tage, an welchem wir gefangen genommen wurden, nicht erblickt; jetzt sieht er Euch und uns frei; die Roten sind freundlich gegen uns, w„hrend er sterben soll. Das ist fr ihn natrlich Grund genug, anzunehmen, daá wir falsche Karte gespielt haben. Aber laát nur die Qualen beginnen, so wird er ganz anders pfeifen. Paát auf, ich habe es gesagt, wenn ich mich nicht irre!® Die Apachen lieáen uns nicht lange auf den Beginn des traurigen Spieles warten. Ich hatte eigentlich die Absicht, mich zu entfernen; aber ich hatte so Etwas noch nicht gesehen und beschloá also, so lange zu bleiben, bis es mir nicht mehr m”glich sei, l„nger zuzusehen. - 333 - Die Zuschauer setzten sich nieder. Mehrere junge Krieger traten, mit den Messern in den H„nden, vor und stellten sich ungef„hr fnfzehn Schritte von Rattler auf. Sie warfen ihre Messer nach ihm, hteten sich aber, ihn zu treffen, sondern die Klingen fuhren alle in den Sarg, auf den er gebunden war. Das erste Messer stak links und das zweite rechts von seinem Fuáe, aber so nahe an demselben, daá fast gar kein Zwischenraum vorhanden war. Die beiden n„chsten Messer wurden weiter aufw„rts gezielt, und so ging es fort, bis seine beiden Beine von vier Messerreihen eng einges„umt waren. Bis jetzt hatte er sich leidlich gehalten. Nun aber schwirrten die Messer h”her und immer h”her auf ihn zu, denn es galt, die Umrisse seines K”rpers mit denselben zu spicken. Da bekam er Angst. Sobald ein Messer auf ihn zugeflogen kam, stieá er einen Angstschrei aus. Und diese Schreie wurden um so lauter und schriller, je h”her die Indianer ihr Ziel nahmen. Als dann der Oberk”rper auch zwischen lauter Messern steckte, kam der Kopf daran. Das erste Messer fuhr rechts neben seinem Halse in den Sarg, das zweite links; so ging es hben und drben am Gesichte bis zum Scheitel empor, bis keine Klinge mehr Platz finden konnte. Dann wurden die Messer alle wieder herausgezogen. Es war das nur ein Vorspiel gewesen, ausgefhrt von jungen Leuten, welche zeigen sollten, daá sie gelernt hatten, ruhig zu zielen und sicher zu werfen. Sie suchten ihre Pl„tze auf und setzten sich nieder. Hierauf bestimmte Intschu tschuna „ltere Leute, welche auf dreiáig Schritte Entfernung werfen sollten. Als der Erste dazu bereit war, trat der H„uptling zu Rattler heran, zeigte auf seinen rechten Oberarm und gebot: ¯Hierher treffen.® Das Messer kam geflogen, traf ganz genau den bezeichneten Punkt und fuhr durch den Muskel, diesen anspieáend, in den Sargdeckel. Das war Ernst. Rattler fhlte den Schmerz und stieá ein Geheul aus, als ob es ihm bereits an das Leben gehe. Das zweite Messer fuhr durch denselben Muskel des andern Armes, und das Geheul verdoppelte sich. Der dritte und vierte Wurf waren nach dem Oberschenkel gerichtet und trafen auch dort ganz genau die Stellen, welche der H„uptling - 334 - jedesmal vorher bezeichnete. Man sah kein Blut flieáen, da Rattler nicht entkleidet war und die Indianer fr jetzt nur solche Stellen treffen durften, wo die Verwundung keine Gefahr und also keine Verkrzung des Schauspieles mit sich brachte. Vielleicht hatte Rattler geglaubt, daá man es gar nicht so ernst mit seinem Tode meine; jetzt muáte er einsehen, daá dies eine falsche Ansicht gewesen war. Er bekam noch Messer in die Vorderarme und in die Unterschenkel. Hatte er vorher nur einzelne Schreie ausgestoáen, so heulte er jetzt in Einem fort. Die Zuschauer murrten, zischten und gaben in vielf„ltig anderer Weise ihre Miáachtung zu erkennen. Ein Indianer am Marterpfahle benimmt sich da ganz anders. Sobald das Schauspiel, welches mit seinem Tode endigen soll, beginnt, stimmt er seinen Sterbegesang an, in welchem er seine Taten preist und diejenigen, die ihn martern, verh”hnt. Je gr”áere Schmerzen man ihm zufgt, desto gr”áer sind die Beleidigungen, die er ihnen zuwirft; nie aber wird er eine Klage ausstoáen, einen Schmerzensschrei h”ren lassen. Ist er dann tot, verkndigen seine Feinde seinen Ruhm und begraben ihn mit allen indianischen Ehren. Es ist ja dann auch fr sie eine Ehre gewesen, zu einem so ruhmvollen Tode beizutragen. Anders ist es bei einem Feiglinge, welcher bei der geringsten Verwundung schreit und brllt und wohl gar um Gnade bittet. Diesen zu martern, ist keine Ehre, sondern beinahe eine Schande; darum findet sich schlieálich kein wackerer Krieger mehr, der sich ferner mit ihm besch„ftigen will, und er wird erschlagen oder auf sonst eine ehrlose Weise vom Leben zum Tode gebracht. So ein Feigling war Rattler. Seine Verwundungen waren gering und noch nicht gef„hrlich; sie mochten ihm zwar einige Schmerzen bereiten, aber von Qualen war noch gar keine Rede. Dennoch heulte und zeterte er, als ob er alle Qualen der H”lle fhle, und brllte dabei immerfort meinen Namen, mich auffordernd, zu ihm zu kommen. Da lieá Intschu tschuna eine Pause eintreten und forderte mich auf: ¯Mein junger, weiáer Bruder mag zu ihm gehen und ihn - 335 - fragen, warum er so schreit. Die Messer k”nnen ihm bis jetzt noch gar nicht wehe getan haben.® ¯Ja, kommt her, Sir, kommt her!® rief Rattler. ¯Ich muá mit Euch reden!® Ich ging hin und fragte: ¯Was wollt Ihr nun von mir?® ¯Zieht mir die Messer aus den Armen und Beinen!® ¯Das darf ich nicht.® ¯Aber ich muá doch daran sterben! Wer kann denn so viele Verwundungen aushalten?® ¯Sonderbar! Habt Ihr denn etwa geglaubt, daá Ihr leben bleiben sollt?® ¯Ihr lebt doch auch!® ¯Ich habe niemanden ermordet!® ¯Ich kann nicht dafr, daá ich es tat. Ihr wiát ja, daá ich betrunken war!® ¯Die Tat bleibt dieselbe. Ich habe Euch oft vor dem Branntwein gewarnt. Ihr h”rtet nicht und habt nun die Folgen zu tragen.® ¯Ihr seid ein ganz harter und gefhlloser Mensch! So bittet doch fr mich!® ¯Das habe ich getan. Sagt Pardon, so werdet Ihr schnell sterben und nicht langsam gequ„lt werden.® ¯Schnell sterben! Ich will aber nicht sterben! Ich will leben, leben, leben!® ¯Das ist unm”glich.® ¯Unm”glich? Also gibt es keine Rettung?® ¯Nein.® ¯Keine Rettung keine, keine, keine!® Er brllte das aus vollem Halse hinaus und begann dann ein solches Wehklagen und Jammern, daá ich es nicht l„nger bei ihm aushalten konnte, sondern mich entfernte. ¯Bleibt doch, Sir, bleibt bei mir!® schrie er mir nach. ¯Sonst fangen sie wieder mit mir an!® Da fuhr ihn der H„uptling an: ¯Heule nicht l„nger, Hund! Du bist ein stinkender Coyote, den kein Krieger mit seiner Waffe mehr berhren mag.® Und sich an seine Leute wendend, fuhr er fort: - 336 - ¯Welcher von den S”hnen der tapferen Apachen will sich noch mit diesem Feiglinge abgeben?® Keiner antwortete. ¯Also niemand?® Wieder dasselbe Schweigen wie vorher. ¯Uff! Dieser M”rder ist nicht wert, von uns get”tet zu werden. Er soll auch nicht mit Klekih-petra begraben werden. Wie k”nnte eine solche Kr”te neben einem Schwane in den ewigen Jagdgrnden erscheinen. Schneidet ihn los!® Er gab zwei kleinen Knaben einen Wink. Diese sprangen auf, liefen hin, zogen ihm die Messer aus den Gliedern und schnitten ihn von dem Sarge los. ¯Bindet ihm die H„nde auf den Rcken!® befahl der H„uptling weiter. Die Knaben, die nicht „lter als zehn Jahre waren, taten dies, und Rattler wagte nicht die geringste Bewegung des Widerstandes dabei. Welch eine Schande! Ich sch„mte mich fast, ein Weiáer zu sein. ¯Fhrt ihn an den Fluá, und stoát ihn in das Wasser!® lautete die n„chste Weisung. ¯Wenn er das jenseitige Ufer glcklich erreicht, soll er frei sein.® Rattler stieá einen Jubelruf aus und lieá sich von den Knaben nach dem Flusse schaffen. Sie stieáen ihn auch wirklich hinein, denn er besaá nicht einmal so viel Ehrgefhl, selbst hineinzuspringen. Er ging zun„chst unter, kam aber bald wieder empor und bemhte sich, auf dem Rcken schwimmend vorw„rts zu kommen. Das war gar nicht schwer, obwohl ihm die H„nde auf dem Rcken zusammengebunden waren. Der Mensch geht infolge seines geringen spezifischen Gewichtes im Wasser nicht ganz unter, und die Beine hatte er ja frei; er konnte sich mit ihrer Hilfe fortbewegen, was ihm auch ganz leidlich gelang. Sollte er das jenseitige Ufer erreichen drfen? Das wnschte ich selbst gar nicht. Er hatte den Tod verdient. Lieá man ihn leben und entkommen, so machte man sich geradezu der Verbrechen schuldig, welche er in Zukunft begehen wrde. Die beiden Knaben standen noch hart am Wasser und blickten ihm nach. Da gab ihnen Intschu tschuna den Befehl: [Tafel Nr. 8: "Bd. VII. Das Grabmahl fr Klekih-petra. (Zu S. 341.)"] - 337 - ¯Nehmt Flinten, und schieát ihn in den Kopf!® Sie liefen zu der Stelle, wo einige der Krieger ihre Gewehre hingelegt hatten, und nahmen sich jeder eins davon. Diese kleinen Kerls wuáten ganz wohl, wie man eine solche Waffe zu handhaben hat. Sie knieten am Ufer nieder und zielten auf Rattlers Kopf. ¯Nicht schieáen, um Gottes willen, nicht schieáen!® schrie er voller Entsetzen. Die Knaben sprachen einige Worte mit einander; sie behandelten den Vorfall als kleine Sportsmen, indem sie ihn weiter und immer weiter schwimmen lieáen, was ihnen der [Illustration Nr. 15: Rattler's Exekution] H„uptling stillschweigend zulieá. Ich ersah daraus, daá er gar wohl wuáte, ob sie schieáen konnten oder nicht. Dann stieáen sie mit ihren hellen Kinderstimmen einen auffordernden Schrei aus und schossen ihre Gewehre ab. Rattler wurde in den Kopf getroffen und verschwand augenblicklich unter dem Wasser. Kein Jubelruf erscholl, wie es sonst Gewohnheit der Roten ist, bei dem Tode dieses ihres Feindes. Ein solcher Feigling war es nicht wert, daá man seinetwegen nur einen Laut h”ren lieá. Die Verachtung der Indianer war so groá, daá sie sich gar nicht um seine Leiche kmmerten; sie lieáen ihn fluáabw„rts treiben, ohne ihm einen Blick nachzusenden. Er konnte ja auch nur verwundet anstatt erschossen worden sein; ja, er konnte nur so getan haben, als ob er getroffen worden sei, - 338 - und, so wie ich, untergetaucht sein, um an einer andern, fr sie unsichtbaren Stelle wieder auf der Oberfl„che zu erscheinen. Sie hielten es aber gar nicht fr der Mhe wert, sich weiter mit ihm zu besch„ftigen. Intschu tschuna kam zu mir und fragte: ¯Ist mein junger, weiáer Bruder jetzt mit mir zufrieden?® ¯Ja. Ich danke dir!® ¯Du hast keinen Grund zum Danke. Auch wenn ich deinen Wunsch nicht gekannt h„tte, wrde ich genau so gehandelt haben. Dieser Hund war gar nicht wert, den Martertod zu erleiden. Heut hast du den Unterschied zwischen uns Heiden und euch Christen, zwischen tapfern, roten Kriegern und weiáen Feiglingen gesehen. Die Bleichgesichter sind zu allen b”sen Taten f„hig, aber wenn es gilt, Mut zu zeigen, dann heulen sie vor Angst wie Hunde, welche Schl„ge bekommen sollen.® ¯Der H„uptling der Apachen darf nicht vergessen, daá es berall tapfere und feige, gute und b”se Menschen gibt!® ¯Du hast recht, und ich wollte dich nicht beleidigen; aber dann darf auch kein Volk denken, daá es besser als ein anderes sei, weil dieses nicht dieselbe Farbe hat.® Um ihn von diesem heiklen Gegenstand abzulenken, erkundigte ich mich: ¯Was werden die Krieger der Apachen jetzt nun tun? Klekih-petra begraben?® ¯Ja.® ¯Darf ich mit meinen Gef„hrten dabei sein?® ¯Ja. Wenn du nicht gefragt h„ttest, wrde ich dich darum gebeten haben. Du hast damals mit Klekih-petra gesprochen, als wir fortgingen, um die Pferde zu holen. War es nur ein gew”hnliches Gespr„ch?® ¯Nein, sondern ein sehr ernstes, fr ihn und auch fr mich wichtiges. Darf ich euch sagen, wovon wir geredet haben?® Ich wendete jetzt die Mehrzahl an, weil Winnetou zu uns getreten war. ¯Sage es!® antwortete dieser. ¯Als ihr fort waret, setzten wir uns zueinander. Wir bemerkten bald, daá seine Heimat auch die meinige sei, und - 339 - unterhielten uns in unserer Muttersprache. Er hatte viel erlebt und viel erduldet und erz„hlte es mir. Er sagte mir, wie lieb er euch habe und daá es sein Wunsch sei, fr Winnetou sterben zu k”nnen. Der groáe Geist hat ihm diesen Wunsch nur wenige Minuten sp„ter erfllt.® ¯Warum wollte er fr mich sterben?® ¯Weil er dich liebte, und aus noch einem anderen Grunde, den ich dir sp„ter wohl mitteilen werde. Sein Tod sollte eine Shne sein.® ¯Als er sterbend an meinem Herzen lag, redete er zu dir in einer Sprache, welche ich nicht verstand. Welche war es?® ¯Unsere Muttersprache.® ¯Sprach er da auch von mir?® ¯Ja.® ¯Was?® ¯Er bat mich, dir treu zu bleiben.® ¯Mir treu zu bleiben ? Du kanntest mich doch noch gar nicht!® ¯Ich kannte dich, denn ich hatte dich gesehen, und wer Winnetou sieht, der weiá, wen er vor sich hat, und er hatte mir ja von dir erz„hlt!® ¯Was antwortetest du ihm?® ¯Ich versprach ihm, diesen Wunsch zu erfllen.® ¯Es war sein letzter, den er im Leben hatte. Du bist sein Erbe geworden. Du hast ihm gelobt, mir treu zu sein, hast mich behtet, bewacht und geschont, w„hrend ich dich als meinen Feind verfolgte. Der Stich meines Messers w„re fr jeden Andern t”dlich gewesen, doch dein starker K”rper hat ihn berwunden. Ich stehe in tiefer, tiefer Schuld bei dir. Sei mein Freund!® ¯Ich bin es l„ngst.® ¯Mein Bruder!® ¯Von ganzem Herzen gern.® ¯So wollen wir den Bund am Grabe dessen schlieáen, der meine Seele der deinigen bergeben hat! Ein edles Bleichgesicht ist von uns gegangen und hat uns, noch im Verscheiden, ein anderes, ebenso edles zugefhrt. Mein Blut soll dein Blut und dein Blut soll mein Blut sein! Ich werde das - 340 - deinige und du wirst das meinige trinken. Intschu tschuna, der gr”áte H„uptling der Apachen, der mein Vater und Erzeuger ist, wird es mir erlauben!® Intschu tschuna reichte uns seine H„nde und sagte in einem von Herzen kommenden Tone: ¯Ich erlaube es. Ihr werdet nicht nur Brder, sondern ein einziger Mann und Krieger mit zwei K”rpern sein. Howgh!® Wir begaben uns nach der Stelle, wo das Grab errichtet werden sollte. Ich erkundigte mich nach dem Maáe, der Bauart und der H”he desselben und bat mir dann einige Tomahawks aus. Hierauf ging ich mit Sam, Dick Stone und Will Parker fluáaufw„rts in den Wald, wo wir uns passendes Holz aussuchten und mit Hilfe der Tomahawks aus demselben ein Kreuz zimmerten. Als wir mit demselben nach dem Lagerplatze zurckkehrten, hatten die Trauerfeierlichkeiten begonnen. Die Roten hatten sich um den Bau, der rasch fortgeschritten und beinahe beendet war, niedergelassen und sangen ihre eint”nigen, ganz eigenartigen und tief ergreifenden Totenlieder. Der dumpfe, monotone Klang derselben wurde von Zeit zu Zeit von einem schrillen, spitzen Klageschrei bert”nt, welcher wie ein rascher Blitz aus schweren, dichten Wolkenmassen emporschoá. Ein Dutzend Indianer waren unter Anleitung der beiden H„uptlinge an dem Baue besch„ftigt, und zwischen ihnen und der klagenden Schar tanzte in grotesken, langsamen Bewegungen und Sprngen eine sonderbar verhllte und mit allerlei Insignien behangene Gestalt herum. ¯Wer ist das?® fragte ich. ¯Der Medizinmann?® ¯Ja,® antwortete Sam. ¯Indianische Gebr„uche bei dem Begr„bnisse eines Christen! Was sagt Ihr dazu, lieber Sam?® ¯Paát Euch das nicht?® ¯Eigentlich nicht.® ¯Laát es Euch ruhig gefallen, Sir! Sagt ja kein Wort dagegen! Ihr wrdet die Apachen ganz frchterlich beleidigen.® ¯Aber dieser Mummenschanz widerstrebt mir auáerordentlich, mehr, als Ihr denkt!® - 341 - ¯Er ist gut gemeint. Meint Ihr vielleicht, daá er heidnisch sei?® ¯Natrlich!® ¯Unsinn! Diese braven, guten Leute glauben an einen groáen Geist, zu dem der verstorbene Freund und Lehrer gegangen ist. Sie begehen die Abschieds-, die Todesfeier in ihrer Weise, und alles, was der Medizinmann dabei tut und vornimmt, ist von symbolischer Bedeutung. Laát sie also ruhig gew„hren! Sie werden uns auch nicht hindern, das Grabmal mit unserm Kreuze zu kr”nen.® Als wir dieses neben dem Sarge niederlegten, fragte Winnetou: ¯Soll dieses Zeichen des Christentums mit an die Steine kommen?® ¯Ja.® ¯Das ist recht. Ich h„tte meinen Bruder Old Shatterhand gebeten, ein Kreuz zu machen, denn Klekih-petra hatte in seiner Wohnung eins und betete vor demselben. Darum wnschte ich, daá dieses Zeichen seines Glaubens auch an seinem Grabe wache. Welchen Platz soll es bekommen?® ¯Es soll oben aus dem Grabmale ragen.® ¯So wie bei den groáen, hohen H„usern, in denen die Christen zum guten Geiste beten? Ich werde es so anbringen lassen, wie du es wnschest. Setzt euch nieder, und seht zu, ob wir es richtig machen!® Nach einiger Zeit war der Bau vollendet; er wurde von unserm Kreuze gekr”nt und hatte vorn eine Oeffnung fr den Sarg, der jetzt noch im Freien stand. Da kam Nscho-tschi. Sie war eben im Pueblo gewesen, um zwei aus Ton gebrannte Schalen zu holen, mit denen sie zum Flusse ging, um sie mit Wasser zu fllen. Als sie dies getan hatte, kam sie zu uns und stellte sie auf den Sarg, wozu, das sollte ich bald erfahren. Jetzt war alles fr das Begr„bnis vorbereitet. Intschu tschuna gab mit der Hand ein Zeichen, worauf die Klageges„nge verstummten. Der Medizinmann hockte sich auf die Erde nieder. Der H„uptling trat an den Sarg und sprach langsam und in feierlichem Tone: - 342 - ¯Die Sonne geht des Morgens im Osten auf und sinkt des Abends im Westen nieder, und das Jahr erwacht zur Frhlingszeit und geht im Winter wieder schlafen. So ist es auch mit dem Menschen. Ist es so?® ¯Howgh!® erschallte es dumpf rund umher. ¯Der Mensch geht auf wie die Sonne und sinkt wieder nieder in das Grab. Er kommt wie ein Frhling auf die Erde und legt sich wie der Winter zur Ruhe. Aber wenn die Sonne untergegangen ist, so erscheint sie am n„chsten Morgen wieder, und wenn der Winter verstreicht, so ist der Frhling wieder da. Ist es so?® ¯Howgh!® ¯So hat uns Klekih-petra gelehrt. Der Mensch wird in das Grab gelegt, aber jenseits des Todes steht er auf wie ein neuer Tag und wie ein neuer Frhling, um im Lande des groáen, guten Geistes weiter zu leben. Das hat uns Klekih-petra gesagt, und jetzt weiá er, ob er die Wahrheit gesprochen hat, denn er ist verschwunden wie der Tag und das Jahr, und seine Seele ging ein zur Wohnung der Verstorbenen, nach der er sich immer sehnte. Ist es so?® ¯Howgh!® ¯Sein Glaube war nicht der unserige, und der unserige war nicht der seinige. Wir lieben unsere Freunde und hassen unsere Feinde; er aber lehrte, daá man auch seine Feinde lieben solle, denn sie seien auch unsere Brder. Das wollten wir nicht glauben; aber so oft wir ihm und seinen Worten gehorchten, hat es uns zum Nutzen und zur Freude gereicht. Vielleicht ist sein Glaube doch auch der unserige, nur daá wir ihn nicht so begreifen konnten, wie er wnschte, daá wir ihn verstehen sollten. Wir sagen, unsere Seelen gehen nach den ewigen Jagdgrnden, und er behauptete, die seinige gehe ein zur ewigen Seligkeit. Oft denke ich, unsere Jagdgrnde seien diese ewige Seligkeit. Ist es so?® ¯Howgh!® ¯Oft erz„hlte er uns von dem Erl”ser, welcher gekommen sei, alle Menschen selig zu machen. Wir haben an die Wahrheit seiner Worte geglaubt, denn in seinem Munde hat es niemals eine Lge gegeben. Dieser Erl”ser ist fr alle Menschen - 343 - gekommen. Ist er auch schon bei den roten M„nnern gewesen? Wenn er k„me, so wrden wir ihn willkommen heiáen, denn wir werden von den Bleichgesichtern unterdrckt und ausgerottet und sehnen uns nach ihm. Ist es so?® ¯Howgh!® ¯Das war seine Lehre. Nun spreche ich von seinem Ende. Es ist ber ihn gekommen wie das Raubtier ber seine Beute. Pl”tzlich und unerwartet war es da. Er war gesund und rstig und stand an unserer Seite. Er sollte zu Pferde steigen und mit uns heimkehren; da traf ihn die Kugel eines M”rders. Meine Brder und Schwestern m”gen es beklagen!® Es erschallte ein dumpfes Wehegeschrei, welches immer st„rker und heller wurde, bis es in einem durchdringenden Heulen endete. Dann fuhr der H„uptling fort: ¯Wir haben seinen Tod ger„cht. Aber die Seele des M”rders ist ihm entgangen; sie kann ihn nicht jenseits des Grabes bedienen, denn sie war feig und wollte ihm nicht im Tode folgen. Der r„udige Hund, dem sie geh”rte, ist von Kindern erschossen worden, und seine Leiche schwimmt den Fluá hinab. Ist es so?® ¯Howgh!® ¯Nun ist er fort von uns; aber sein K”rper ist uns geblieben, damit wir ihm ein Denkmal setzen, an welchem wir und unsere Nachkommen uns und sich erinnern k”nnen an den guten, weiáen Vater, der unser Lehrer war und den wir lieb gehabt haben. Er war nicht in diesem Lande geboren, sondern er kam aus einem fernen Reiche, welches jenseits des groáen Wassers liegt und welches man daran erkennt, daá dort die Eichen wachsen. Darum haben wir ihm zu Liebe und ihm zu Ehren Eicheln geholt, um sie um sein Grab zu s„en. So wie sie keimen und aus der Erde wachsen, so wird seine Seele aus dem Grabe erwachen und jenseits desselben groá werden. Und so wie diese Eichen wachsen, so werden die Worte, die wir von ihm geh”rt haben, sich in unsern Herzen ausbreiten, daá unsere Seelen unter ihnen Schatten finden k”nnen. Er hat stets an uns gedacht und fr uns gesorgt. Er ist auch nicht von uns gegangen, ohne uns ein Bleichgesicht zu senden, welches an seiner Stelle unser Freund und Bruder werden soll. Hier seht ihr - 343 - Old Shatterhand, den weiáen Mann, welcher aus demselben Lande stammt, aus welchem Klekih-petra zu uns kam. Er weiá alles, was dieser wuáte, und ist ein noch st„rkerer Krieger als er. Er hat den Grizzlyb„ren mit dem Messer erstochen und schl„gt jeden Feind mit seiner Faust zu Boden. Intschu tschuna und Winnetou waren wiederholt in seine Hand gegeben; aber er hat uns nicht get”tet, sondern uns das Leben gelassen, weil er uns liebt und ein Freund der roten M„nner ist. Ist es so?® ¯Howgh!® ¯Es ist Klekih-petras letztes Wort und letzter Wille gewesen, daá Old Shatterhand sein Nachfolger bei den Kriegern der Apachen sein m”ge, und Old Shatterhand hat ihm versprochen, diesen Wunsch zu erfllen. Darum soll er in den Stamm der Apachen aufgenommen werden und als H„uptling gelten. Es soll so sein, als ob er rote Farbe h„tte und bei uns geboren w„re. Damit dies bekr„ftigt werde, máte er mit jedem erwachsenen Krieger der Apachen das Calumet rauchen; aber dies ist nicht n”tig, denn er wird das Blut Winnetous trinken, und dieser wird das seinige genieáen; dann ist er Blut von unserm Blute und Fleisch von unserm Fleische. Sind die Krieger der Apachen damit einverstanden?® ¯Howgh, howgh, howgh!® lautete dreimal die freudige Antwort aller Anwesenden. ¯So m”gen Old Shatterhand und Winnetou herbei zum Sarge treten und ihr Blut in das Wasser der Brderschaft tropfen lassen!® Also eine Blutsbruderschaft, eine richtige, wirkliche Blutsbruderschaft, von der ich so oft gelesen hatte! Sie kommt bei vielen wilden oder halbwilden V”lkerschaften vor und wird dadurch geschlossen, daá die beiden Betreffenden entweder Blut von sich mischen und dann trinken oder daá das Blut des Einen von dem Andern und so auch umgekehrt getrunken wird. Die Folge davon ist, daá diese Beiden dann fester, inniger und uneigenntziger zusammenhalten, als wenn sie von Geburt Brder w„ren. Hier war es so, daá ich Winnetous Blut und er das meinige trinken sollte. Wir stellten uns zu beiden Seiten des - 345 - Sarges auf, und Intschu tschuna entbl”áte den Vorderarm seines Sohnes, um ihn mit dem Messer zu ritzen. Es quollen aus dem kleinen, unbedeutenden Schnitte einige Blutstropfen, welche der H„uptling in die eine Wasserschale fallen lieá. Dann nahm er mit mir dieselbe Prozedur vor, bei welcher einige Tropfen in die andere Schale fielen. Winnetou bekam die Schale mit meinem Blute und ich die mit dem seinigen in die Hand; dann sagte Intschu tschuna: ¯Die Seele lebt im Blute. Die Seelen dieser beiden jungen Krieger m”gen ineinander bergehen, daá sie eine einzige Seele bilden. Was Old Shatterhand dann denkt, das sei auch Winnetous Gedanke, und was Winnetou will, das sei auch der Wille Old Shatterhands. Trinkt!® Ich leerte meine Schale und Winnetou die seinige. Es war Rio Pecos-Wasser mit einigen Blutstropfen, die man nicht schmeckte. Darauf reichte der H„uptling mir die Hand und sagte: ¯Du bist nun grad wie Winnetou, der Sohn meines Leibes und ein Krieger unseres Volkes. Der Ruf deiner Taten wird schnell und berall bekannt werden, und kein anderer Krieger wird dich bertreffen. Du trittst als H„uptling der Apachen ein, und alle St„mme unseres Volkes werden dich als solchen ehren!® Das war ein schnelles Avancement! Vor kurzem noch Hauslehrer in St. Louis, war ich dann Surveyor geworden, um jetzt als H„uptling unter "Wilden" aufgenommen zu werden! Aber ich gestehe, daá diese Wilden mir weit besser gefielen als die Weiáen, mit denen ich es in der letzten Zeit zu tun gehabt hatte. Um etwaigen Miáverst„ndnissen vorzubeugen, muá ich hier eine Bemerkung machen. Es kommt auch bei uns vor, daá von abenteuerlich gestimmten Leuten Blutsbruderschaften in „hnlicher Weise oder wohl gar mit absonderlichen, auf Aberglauben beruhenden Zeremonien geschlossen werden. Solchen Bruderschaften schreibt man ganz auáerordentliche, geheimnisvolle Wirkungen zu, unter anderm auch die, daá beide Brder in demselben Augenblicke sterben mssen. Wenn z. B. der eine, schw„chere, kr„nkliche, nach Italien reist und dort an der Cholera stirbt, - 346 - so wird der andere, starke, gesunde, der in Deutschland zurckgeblieben ist, in ganz derselben Sekunde tot umfallen. Das ist natrlich Unsinn. Von einem solchen Aberglauben war bei dem, was zwischen Winnetou und mir geschah, ganz und gar keine Rede. Es wurde dabei dem Genusse des Blutes weder von mir, noch von den Apachen irgendwelche Wirkung zugeschrieben, sondern er hatte nur eine rein symbolische, also bildliche Bedeutung. Und doch, h”chst sonderbar, trafen sp„ter stets die Worte Intschu tschunas zu, daá wir eine Seele mit zwei K”rpern sein wrden. Wir verstanden uns, ohne uns unsere Gefhle, Gedanken und Entschlsse mitteilen zu mssen. Wir brauchten uns nur anzusehen, um genau zu wissen, was wir gegenseitig wollten; ja, dies war gar nicht einmal notwendig, sondern wir handelten selbst dann, wenn wir voneinander fern waren, mit einer wirklich erstaunlichen Uebereinstimmung, und es hat nie, niemals irgend eine Differenz zwischen uns gegeben. Das war aber nicht etwa die Wirkung des genossenen Blutes, sondern eine sehr natrliche Folge unserer innigen gegenseitigen Zuneigung und des liebevollen Eingehens und Einlebens des Einen in die Ansichten und individuellen Eigentmlichkeiten des Andern. Als Intschu tschuna seine letzten Worte sprach, hatten sich alle Apachen, auch die Kinder, erhoben, um ein lautes, bekr„ftigendes Howgh auszurufen. Dann fgte der H„uptling hinzu: ¯Jetzt ist der neue, der lebende Klekih-petra bei uns aufgenommen, und wir k”nnen den Toten seinem Grabe bergeben. Meine Brder m”gen dies nun tun!® Er meinte diejenigen, welche mit an dem Grabmale gebaut hatten. Ich bat um Aufschub und winkte Hawkens, Stone und Parker herbei. Als sie bei mir standen, sprach ich ber dem Sarge einige kurze Worte und schloá ein Gebet daran. Dann wurden die Ueberreste des einstigen Revolution„rs und sp„teren Báers in das Innere des Steinbaues geschoben, worauf sich die Roten daran machten, die Oeffnung zu verschlieáen. Das war meine erste Leichenfeier unter Wilden. Sie hatte mich tief ergriffen. Ich will nicht die Anschauungen kritisieren, welche Intschu tschuna dabei vorgebracht hatte. Es war viel - 347 - Wahrheit mit viel Unklarheit vermengt gewesen; aber aus allem hatte ein Schrei nach Erl”sung geklungen, nach einer Erl”sung, welche er, wie einst das Volk Israel, sich „uáerlich dachte, w„hrend sie doch nur eine innerliche, eine geistige sein konnte. W„hrend das Grab geschlossen wurde, erklangen wieder die Totenklagen der Indianer, und erst dann, als der letzte Stein eingefgt worden war, konnte die Feier als beendet gelten, und Jeder ging nun heiterern Besch„ftigungen nach. Dies war vor allen Dingen das Essen, zu welchem mich Intschu tschuna zu sich einlud. Er bewohnte das gr”áte Gemach der schon erw„hnten Etage. Es war sehr einfach ausgestattet, aber an den W„nden hing eine reiche, indianische Waffensammlung, welche mein lebhaftes Interesse in Anspruch nahm. "Sch”ner Tag" bediente uns, n„mlich ihren Vater, Winnetou und mich, und ich fand, daá sie Meisterin in der Zubereitung indianischer Gerichte war. Gesprochen wurde wenig, ja fast gar nicht. Der Rote schweigt berhaupt gern, und heute war schon so viel geredet worden, daá man alles, was noch zu verhandeln war, gern fr sp„ter aufhob. Nach dem Essen war die D„mmerung schnell da. Winnetou fragte mich: ¯Will mein weiáer Bruder ruhen oder mit mir gehen?® ¯Ich gehe mit,® antwortete ich, ohne mich zu erkundigen, wohin er wollte. Wir stiegen vom Pueblo herab und gingen nach dem Flusse. Das hatte ich erwartet. Eine so tief gegrndete Natur wie Winnetou wurde unbedingt zum Grabe des heute bestatteten Lehrers getrieben. Bei demselben angekommen, setzten wir uns dort nebeneinander nieder. Winnetou ergriff meine Hand und behielt sie in der seinigen, ohne lange Zeit ein Wort zu sagen, und ich hatte keine Veranlassung, die Stille zu unterbrechen. Notwendigerweise muá ich hier bemerken, daá nicht alle Apachen, welche ich bisher gesehen hatte, mit ihren Angeh”rigen im Pueblo wohnten. Dazu w„re dieses, so groá es war, denn doch viel, viel zu klein gewesen. Es wurde nur von Intschu tschuna und seinen hervorragendsten Kriegern bewohnt und bildete den Mittelpunkt fr die mit ihren Pferdeherden und jagend - 348 - herumziehenden Zugeh”rigen des Stammes der Mescalero-Apachen. Von hier aus regierte der H„uptling diesen Stamm, und von hier aus unternahm er auch die weiten Ritte zu den andern St„mmen, die ihn als obersten H„uptling anerkannten. Dies waren die Llaneros, Jicarillas, Taracones, Chiriguais, Pinalenjos, Gilas, Mimbrenjos, Lipans, Kupferminenapachen und andere; ja selbst die Navajos pflegten sich, wenn nicht seinen Befehlen, so doch seinen Anordnungen zu fgen. Diejenigen Mescaleros, welche nicht in das Pueblo geh”rten, hatten sich nach dem Begr„bnisse entfernt, und es waren nur so viele von ihnen zurckgeblieben, wie n”tig waren, um die von den Kiowas berkommenen Pferde, welche in der N„he weideten, zu beaufsichtigen. Darum saá ich jetzt mit Winnetou allein und unbeobachtet am Grabe Klekih-petras. Von diesem will ich erw„hnen, daá am n„chsten Tage wirklich Eicheln um dasselbe in die Erde gebracht wurden, welche sp„ter aufgingen. Die B„ume stehen noch jetzt. Endlich brach Winnetou das Schweigen, indem er mich fragte: ¯Wird mein Bruder Old Shatterhand vergessen, daá wir seine Feinde gewesen sind?® ¯Es ist bereits vergessen,® antwortete ich. ¯Aber eines wirst du nicht vergeben k”nnen.® ¯Was?® ¯Die Beleidigung, welche mein Vater dir zugefgt hat.® ¯Wann?® ¯Als wir dich zum erstenmale trafen.® ¯Ah, daá er mir in das Gesicht spuckte?® ¯Ja.® ¯Warum sollte ich dies nicht vergeben k”nnen?® ¯Weil Speichel nur mit dem Blute des Betreffenden abgewaschen werden kann.® ¯Winnetou mag sich nicht sorgen. Auch das ist bereits vergessen.® ¯Mein Bruder sagt etwas, was ich unm”glich glauben kann.® ¯Du kannst es glauben. Es ist ja l„ngst bewiesen, daá ich es vergeben habe.® - 349 - ¯Wodurch?® ¯Dadurch, daá ich es Intschu tschuna, deinem Vater, gar nicht belgenommen habe. Oder meinst du, Old Shatterhand lasse sich anspucken, ohne auf diese Beleidigung, wenn er sie als eine solche betrachtet, sofort mit der Faust zu antworten?® ¯Ja, wir wunderten uns sp„ter, daá du dies nicht getan hast.® ¯Der Vater meines Winnetou konnte mich nicht beleidigen. Ich wischte den Speichel ab; dann war es vergeben und vergessen. Sprechen wir nicht mehr davon!® ¯Und doch muá ich davon sprechen; das bin ich dir, meinem Bruder, schuldig.® ¯Warum?® ¯Du muát die Sitten unsers Volkes erst noch kennen lernen. Kein Krieger gesteht gern einen Fehler ein, und ein H„uptling darf dies noch weniger tun. Intschu tschuna weiá, daá er unrecht gehabt hat, aber er darf dich nicht um Verzeihung bitten. Darum hat er mich beauftragt, mit dir zu sprechen. Winnetou bittet dich an Stelle seines Vaters.® ¯Das ist gar nicht n”tig; wir sind quitt, denn auch ich habe euch beleidigt.® ¯Nein.® ¯Doch! Ist nicht ein Faustschlag eine Beleidigung? Und ich habe euch doch mit der Faust geschlagen.® ¯Das war im Kampfe, wo es nicht als Beleidigung gilt. Mein Bruder ist edel und groámtig; wir werden es ihm nicht vergessen.® ¯Reden wir von anderen Dingen! Ich bin heut Apache geworden. Wie steht es mit meinen Kameraden?® ¯Die k”nnen nicht in den Stamm aufgenommen werden, aber sie sind unsere Brder.® ¯Ohne Zeremonie?® ¯Wir werden morgen mit ihnen die Pfeife des Friedens rauchen. In der Heimat meines weiáen Bruders gibt es wohl kein Calumet?® ¯Nein. Christen sind alle Brder, ohne daá es der Ausbung irgend eines Gebrauches bedarf.® ¯Alle Brder? Gibt es keinen Krieg zwischen ihnen?® - 350 - ¯Allerdings auch.® ¯So sind sie auch nicht anders und besser als wir. Sie lehren die Liebe und fhlen sie nicht. Warum hat mein Bruder sein Vaterland verlassen?® Es ist bei den Roten nicht Sitte, solche Fragen auszusprechen. Winnetou konnte es aber tun, weil er jetzt mein Bruder war, der mich kennen lernen muáte. Doch wurde seine Frage nicht nur aus teilnehmender Neugierde ausgesprochen; er hatte noch einen andern Grund dabei. ¯Um hier hben das Glck zu suchen,® antwortete ich. ¯Das Glck! Was ist das Glck?® ¯Reichtum!® Er lieá, als ich dies sagte, meine Hand los, die er bis jetzt fest gehalten hatte, und es trat wieder eine Pause ein. Ich wuáte, er hatte jetzt das Gefhl, sich doch in mir get„uscht zu haben. ¯Reichtum!® flsterte er dann. ¯Ja, Reichtum,® wiederholte ich. ¯Also darum darum darum!® ¯Was?® ¯Darum haben wir dich bei bei ® Es tat ihm doch wehe, das Wort aussprechen zu sollen. Ich vollendete es: ¯Bei den L„nderdieben gesehen?® ¯Du sagst es. Du tatest es also, um reich zu werden. Meinst du denn wirklich, daá Reichtum glcklich macht?® ¯Ja.® ¯Da irrst du dich. Das Gold hat die roten M„nner nur unglcklich gemacht; des Goldes wegen dr„ngen uns noch heut die Weiáen von Land zu Land, von Ort zu Ort, so daá wir langsam aber sicher untergehen werden. Das Gold ist die Ursache unsers Todes. Mein Bruder mag ja nicht danach trachten.® ¯Das tu ich auch nicht.® ¯Nicht? Und doch sagtest du, daá du das Glck im Reichtum suchest.® ¯Ja, das ist wahr. Aber es gibt Reichtum verschiedener Art, Reichtum an Gold, an Weisheit und Erfahrung, an Ge- - 351 - sundheit, an Ehre und Ruhm, an Gnade bei Gott und den Menschen.® ¯Uff, uff! So meinst du es! Welcher Reichtum ist es denn, nach welchem du da trachtest?® ¯Der letztere.® ¯Gnade bei Gott! So bist du wohl ein sehr frommer, ein sehr gl„ubiger Christ?® ¯Ob ich ein guter Christ bin, das weiá ich nicht, das weiá nur Gott; aber ich m”chte es gern sein.® ¯So h„ltst du uns fr Heiden?® ¯Nein. Ihr glaubt an den groáen, guten Geist und betet keine G”tzen an.® ¯So erflle mir eine Bitte!® ¯Gern! Welche?® ¯Sprich nicht vom Glauben zu mir! Trachte nicht danach, mich zu bekehren! Ich habe dich sehr, sehr lieb und m”chte nicht, daá unser Bund zerrissen werde. Es ist so, wie Klekih-petra sagte. Dein Glaube mag der richtige sein, aber wir roten M„nner k”nnen ihn noch nicht verstehen. Wenn uns die Christen nicht verdr„ngten und ausrotteten, so wrden wir sie fr gute Menschen halten und auch ihre Lehre fr eine gute. Dann f„nden wir wohl auch Zeit und Raum, das zu lernen, was man wissen muá, um euer heiliges Buch und eure Priester zu verstehen. Aber der, welcher langsam und sicher zu Tode gedrckt wird, kann nicht glauben, daá die Religion dessen, der ihn t”tet, eine Religion der Liebe sei.® ¯Du muát unterscheiden zwischen der Religion und dem Anh„nger derselben, welcher sich nur „uáerlich zu ihr bekennt, aber nicht nach ihr handelt!® ¯So sagen die Bleichgesichter alle; sie nennen sich Christen, handeln aber nicht danach. Wir aber haben unsern groáen Manitou, welcher will, daá alle Menschen gut seien. Ich bemhe mich, ein guter Mensch zu sein, und bin da vielleicht ein Christ, ein besserer Christ als diejenigen, die sich zwar so nennen, aber keine Liebe besitzen und nur nach ihrem Vorteile trachten. Also sprich nie zu mir vom Glauben, und versuche nie, aus mir einen Mann zu machen, der ein Christ genannt wird, ohne es vielleicht zu sein! Das ist die Bitte, welche du mir erfllen muát!® - 352 - Ich habe sie ihm erfllt und nie ein Wort der Bekehrung zu ihm gesagt. Aber muá man denn reden? Ist nicht die Tat eine viel gewaltigere, eine viel berzeugendere Predigt als das Wort? "An ihren Werken sollt ihr sie erkennen", sagt die heilige Schrift, und nicht in Worten, sondern durch mein Leben, durch mein Tun bin ich der Lehrer Winnetous gewesen, bis er einst, nach Jahren, an einem mir unvergeálichen Abende, mich selbst aufforderte, zu sprechen. Da saáen wir stundenlang beisammen, und in jener weihevollen Nacht ging all der im Stillen ges„ete Samen pl”tzlich auf und brachte herrliche Frucht. Jetzt begngte ich mich damit, ihm die Hand zu drcken, zum Zeichen, daá ich seinen Wunsch erfllen wolle. Dann fuhr er fort: ¯Wie ist es denn gekommen, daá mein Bruder Old Shatterhand sich den L„nderdieben angeschlossen hat? Wuáte er denn nicht, daá dies ein Verbrechen an den roten M„nnern war?® ¯Ich h„tte es mir sagen k”nnen, habe aber gar nicht daran gedacht. Ich war froh, Surveyor werden zu drfen, denn ich wurde sehr gut bezahlt.® ¯Bezahlt? Ich denke, ihr seid gar nicht fertig geworden? Bezahlte man euch denn, bevor die Arbeit vollendet war?® ¯Nein. Ich erhielt einen Vorschuá und die Ausrstung. Das, was ich mir verdient habe, w„re mir nach beendetem Werke ausgezahlt worden.® ¯Und nun kommst du um dieses Geld?® ¯Ja.® ¯Ist es viel?® ¯Fr meine Verh„ltnisse sehr viel.® Er schwieg eine Weile; dann sagte er: ¯Es tut mir sehr leid, daá mein Bruder durch uns solchen Schaden erlitten hat. Du bist nicht reich?® ¯An allem andern reich, aber in Beziehung auf das Geld bin ich ein armer Teufel.® ¯Wie lange h„ttet ihr noch zu messen gehabt, um zu Ende zu kommen?® ¯Nur einige Tage.® - 353 - ¯Uff! H„tte ich dich so gekannt, wie ich dich jetzt kenne, so w„ren wir einige Tage sp„ter ber die Kiowas hergefallen.® ¯Damit ich h„tte fertig werden k”nnen?® fragte ich gerhrt durch diesen Edelmut. ¯Ja.® ¯Das heiát, du h„ttest uns den Diebstahl vollends ausfhren lassen?® ¯Den Diebstahl nicht, sondern nur die Vermessung. Die Linien, welche ihr auf das Papier zeichnet, schaden uns noch nichts, denn damit ist der Raub noch nicht ausgefhrt. Dieser beginnt vielmehr eigentlich erst dann, wenn die Arbeiter der Bleichgesichter kommen, um den Pfad des Feuerrosses zu bauen. Ich wrde dir ® Er hielt mitten in seiner Rede inne, um ber einen Gedanken, der ihm gekommen war, klar zu werden. Dann fuhr er fort: ¯Mátest du, um dein Geld zu erhalten, die Papiere haben, von denen ich soeben sprach?® ¯Ja.® ¯Uff! So wird es dir nie ausgezahlt werden, denn alles, was ihr gezeichnet habt, ist vernichtet worden.® ¯Und was ist mit unsern Instrumenten geschehen?® ¯Die Krieger, denen sie in die H„nde fielen, wollten sie zerschlagen, aber ich gab dies nicht zu. Obgleich ich keine Schule der Bleichgesichter besucht habe, weiá ich doch, daá solche Gegenst„nde einen hohen Wert besitzen, und darum gab ich den Befehl, sie sorgf„ltig aufzubewahren. Wir haben sie mit hierher gebracht und gut aufgehoben. Ich werde sie meinem Bruder Old Shatterhand wiedergeben.® ¯Ich danke dir. Ich nehme dieses Geschenk von dir an, obgleich es mir direkt nun keinen Nutzen bringt. Es ist mir aber sehr lieb, daá ich die Instrumente wieder abliefern kann.® ¯Nutzen also bringen sie dir nicht?® ¯Nein. Den wrde ich nur dann haben, wenn ich die Vermessung vollends ausfhren k”nnte.® ¯Aber es fehlen dir doch die Papiere, welche vernichtet worden sind!® - 354 - ¯Nein. Ich war so vorsichtig, die Zeichnungen zweimal anzufertigen.® ¯So besitzest du die zweiten noch?® ¯Ja, hier in meiner Tasche. Du bist so gtig gewesen, zu befehlen, daá mir nichts genommen werden solle.® ¯Uff, uff!® Dieser Ausruf klang halb wie Verwunderung und halb wie Befriedigung; dann schwieg er wieder. Er bewegte, wie ich sp„ter erfuhr, in seinem Herzen einen Gedanken von solchem Edelmute, wie ein Weiáer ihn wohl nie gefaát, am allerwenigsten aber ausgefhrt haben wrde. Nach einiger Zeit stand er auf und sagte: ¯Wir wollen heimkehren. Mein weiáer Bruder ist durch uns gesch„digt worden. Winnetou wird fr Ersatz dieses Verlustes sorgen. Zun„chst aber muát du dich bei uns vollends erholen.® Wir gingen nach dem Pueblo zurck, in welchem wir vier Weiáe heut zum erstenmal als freie M„nner schliefen. Am n„chsten Tage wurde unter groáen Feierlichkeiten zwischen Hawkens, Stone, Parker und den Apachen die Pfeife des Friedens geraucht. Es versteht sich ganz von selbst, daá dabei lange Reden gehalten wurden. Die sch”nste davon war diejenige Sams, welcher sie nach seiner Art so mit drolligen Ausdrcken spickte, daá die ernsten Indianer sich alle Mhe geben muáten, die Lustigkeit, welche sich ihrer dabei bem„chtigte, nicht „uáerlich merken zu lassen. Im Verlaufe dieses Tages wurde alles, was in Beziehung auf die Ereignisse der letzten Zeit unklar geblieben war, an das Tageslicht gezogen. Dabei kam wieder in Erw„hnung, daá ich Intschu tschuna und Winnetou an jenem Abend losgeschnitten hatte, und Hawkens hielt mir da die folgende Standrede: ¯Ihr seid ein hinterlistiger Mensch, ein ganz und gar hinterlistiger Mensch, Sir! Man pflegt doch gegen Freunde aufrichtig zu sein, besonders wenn man ihnen so viel zu verdanken hat wie Ihr uns. Wer und was waret Ihr denn eigentlich, als wir Euch in St. Louis zum erstenmal sahen? Ein Hauslehrer, welcher seinen Kindern das A b c vorw„rts und das kleine Einmaleins rckw„rts einbl„uen muáte. Und - 355 - so ein unglcklicher Kerl w„ret Ihr geblieben, wenn wir uns Eurer nicht so liebevoll und nachsichtig angenommen h„tten. Wir haben Euch aus diesem unglcklichen Einmaleins herausgerissen und mit bewundernswerter Sanftmut ber die Savanne geschleppt, wenn ich mich nicht irre. Wir haben ber Euch gewacht, wie eine z„rtliche Mutter ber ihr kleinstes Baby oder eine Henne ber die von ihr ausgebrtete junge Ente wacht. Bei uns seid Ihr nach und nach zu Verstand gekommen, und wir sind es gewesen, die Euer Gehirn so ausgebildet haben, daá es nach der bisherigen Dunkelheit in demselben nun schon zuweilen bei Euch zu d„mmern beginnt. Kurz und gut, wir sind Vater und Mutter, Onkel und Tante fr Euch gewesen, haben Euch auf den H„nden getragen, haben Euch k”rperlich mit den saftigsten Fleischbissen und geistig mit unserer Weisheit und Erfahrung aufgefttert und drfen dafr erwarten, daá Ihr uns Achtung, Ehrerbietung und Dankbarkeit zollt und nicht als Ente in das Wasser lauft, in welchem wir als Hennen elendiglich ertrinken máten. Trotzdem habt Ihr stets das, was Euch verboten war, getan. Es tut mir in meinem alten Jagdrocke wehe, so viel Liebe und Aufopferung mit so viel Ungehorsam und Undankbarkeit vergolten zu sehen. Wollte ich alle Eure schlechten Streiche nacheinander aufz„hlen, so w„re gar kein Ende abzusehen. Der allerschlimmste aber war der, daá Ihr die beiden H„uptlinge losmachtet, ohne es uns dann zu sagen. Das kann ich weder vergessen noch vergeben und werde es Euch nachtragen, so lange ich in dieser meiner jetzigen Haut stecke. Die Folgen dieser heimtckischen Verschwiegenheit haben dann auch nicht auf sich warten lassen. Anstatt gestern so recht hbsch am Pfahl geschmort und gebraten zu werden und heut in den lieblichen Jagdgrnden der abgeschiedenen Indianerseelen zu erwachen, sind wir gar nicht fr wert gehalten worden, umgebracht zu werden. Nun sitzen wir bei vollem Leben und guter Gesundheit hier in diesem abgelegenen Pueblo, wo man sich alle Mhe gibt, uns mit Leckerbissen den Magen zu verderben und aus einem Greenhorn, welches Ihr doch seid, einen wahren Halbgott zu machen. Dieses Unheil haben wir nur Euch zu verdanken, besonders deshalb, weil Ihr ein so ganz und gar niedertr„chtiger Schwimmer seid. Aber - 356 - die Liebe ist unter allen Umst„nden ein unbegreifliches Frauenzimmer; je mehr sie miáhandelt wird, desto wohler fhlt sie sich, und so wollen wir Euch selbst dieses Mal noch nicht aus unserer Mitte und aus unserem Herzen stoáen, sondern glhende Kohlen auf Eurem Haupte sammeln, indem wir Euch verzeihen, allerdings in der festen und bestimmten Hoffnung, daá Ihr nun endlich in Euch geht und anders werdet, wenn ich mich nicht irre. Hier ist meine Hand. Wollt Ihr mir Besserung versprechen, geliebter Sir?® ¯Ja,® antwortete ich, indem ich ihm die Hand schttelte. ¯Ich werde dem edlen Vorbilde, welches Ihr mir gegeben habt und jetzt noch gebt, so eifrig nachstreben, daá man mich schon in kurzer Zeit fr den reinen Sam Hawkens halten soll.® ¯Verehrtester, das laát hbsch bleiben! Es w„re eine ganz vergebliche Mhe, die Ihr Euch da geben wrdet. Ein Greenhorn, wie Ihr seid, und Sam Hawkens „hnlich werden! Die reinste Unm”glichkeit! Das w„re grad und genau so, als wenn ein Grasfrosch Operns„nger werden wollte, und so will ® Da fiel ihm Dick Stone, zwar lachend aber doch ein wenig unwillig in die Rede: ¯Stop! Sei endlich einmal still, alter Schwadron„r [Schwadron”r]! Es ist ja gar nicht mehr zum Aushalten mit dir! Du drehst ja alles um, machst alles verkehrt und ziehst den rechten Handschuh an die linke Hand! Ich an Old Shatterhands Stelle wrde mir das ewige Greenhorn nicht so ruhig gefallen lassen.® ¯Was kann und soll er denn dagegen haben? Es ist doch wahr; er ist ja eins!® ¯Unsinn! Wir haben ihm unser Leben zu verdanken. Unter hundert erfahrenen Westm„nnern, uns und dich nicht ausgenommen, w„re wohl kein einziger, der das fertig gebracht h„tte, was er gestern tat. Anstatt daá wir ihn beschtzen, beschtzt er uns; das merke dir! Wenn er nicht gewesen w„re, s„áen wir nicht so munter hier, und du st„kst nicht so heiler Haut unter deiner alten, falschen Percke!® ¯Was? Falsche Percke? Das sag mir ja nicht noch einmal! Es ist eine ganz richtige Percke. Wenn du das noch nicht weiát, so schau sie dir einmal an!® Er nahm sie ab und hielt sie Stone hin. - 357 - ¯Fort, fort mit diesem Fell!® lachte dieser. Sam stlpte sie sich wieder auf den Kopf und sagte in vorwurfsvollem Tone: ¯Sch„me dich, Dick, die Zierde meines Hauptes ein Fell zu nennen! Das h„tte ich von so einem guten Kameraden, wie du bist, nicht gedacht! Ihr versteht es alle nicht, den Wert Eures alten Sam zu wrdigen. Ich strafe Euch also mit Verachtung und suche jetzt meine Mary auf. Muá doch sehen, ob diese sich auch so wohl befindet wie ich.® Er fuhr mit den Armen geringsch„tzig durch die Luft und ging. Wir lachten lustig hinter ihm her, denn es war wirklich unm”glich, ihm etwas bel zu nehmen. Am n„chsten Tage kehrten die Kundschafter zurck, welche den Kiowas heimlich gefolgt waren; sie meldeten, daá diese ohne Unterbrechung fortgezogen seien und also nicht die Absicht hegten, jetzt eine Feindseligkeit auszufhren. Hierauf folgte eine Zeit der Ruhe und fr mich doch der T„tigkeit. Sam, Dick und Will lieáen sich die Gastfreundschaft der Apachen sehr gefallen; sie ruhten sich grndlich aus. Die einzige T„tigkeit, welcher Hawkens sich hingab, war die, daá er seine Mary t„glich spazieren ritt, damit sie, wie er sich ausdrckte, "seine Finessen bewundern lerne" und sich an seine Art und Weise, zu reiten, gew”hne. Ich aber legte mich nicht auf die B„renhaut. Winnetou hatte es darauf abgesehen, mich in die "indianische Schule" zu nehmen. Wir waren oft ganze Tage fort, machten weite Ritte, w„hrend welcher ich mich in allem, was zur Jagd und zum Kriege geh”rte, ben muáte. Wir krochen in den W„ldern herum, wobei ich vortrefflich Unterricht im Anschleichen erhielt. Er fhrte f”rmliche "Felddienstbungen" mit mir aus. Oft trennte er sich von mir und stellte mir die Aufgabe, ihn zu suchen. Er gab sich alle Mhe, seine Spuren zu verwischen, und ich strengte mich ebenso an, sie aufzufinden. Wie oft steckte er dann in einem dichten Gebsche oder stand, von dem berh„ngenden Gestr„uch versteckt, im Wasser des Pecos und sah zu, wie ich nach ihm suchte. Er machte mich auf meine Fehler aufmerksam und zeigte mir durch sein Beispiel, wie ich mich zu benehmen und was ich zu tun oder zu lassen hatte. Das war - 358 - ein auáerordentlich vortrefflicher Unterricht, den er mit eben solcher Lust erteilte, wie ich mit Freude und Bewunderung sein Schler war. Dabei kam nie ein Lob ber seine Lippen, auch nie das, was man unter einem Tadel versteht. Ein Meister in allen Fertigkeiten, welche das Indianerleben erfordert, war er auch ein Meister im Unterrichte. Wie oft kam ich da ermdet und wie mit zerschlagenen Gliedern heim! Aber dann gab es noch keine Ruhe fr mich, denn ich wollte die Sprache der Apachen erlernen und nahm im Pueblo Unterricht. Ich hatte da zwei Lehrer und eine Lehrerin: Nscho-tschi lehrte mich den Dialekt der Mescaleros, Intschu tschuna denjenigen der Llaneros und Winnetou den der Navajos. Da diese Sprachen untereinander sehr verwandt sind und keinen groáen Wortschatz besitzen, so ging es auch mit diesen Uebungen schnell vorw„rts. Wenn Winnetou sich mit mir nicht weit vom Pueblo entfernte, so kam es zuweilen vor, daá Nscho-tschi sich an unsern Ausg„ngen beteiligte. Sie hatte dann sichtlich groáe Freude, wenn ich meine Aufgaben gut l”ste. Einmal befanden wir uns im Walde, wo Winnetou mich aufforderte, mich zu entfernen und erst nach einer Viertelstunde wieder an Ort und Stelle zu sein. Ich sollte dann beide nicht mehr vorfinden und nach Nscho-tschi suchen, welche sich sehr gut verstecken werde. Ich ging also eine ziemliche Strecke fort, wartete da, bis die Zeit verflossen war, und kehrte dann zurck. Die Spuren beider, welche von hier ausgingen, waren anfangs ziemlich deutlich; dann aber fehlten pl”tzlich die Fuáeindrcke der Indianerin. Ich wuáte freilich, daá sie einen auáerordentlich leichten Gang hatte; aber der Boden war weich, und so muáte also unbedingt wenigstens eine, wenn auch noch so leise Andeutung der F„hrte vorhanden sein; aber ich fand nichts, gar nichts, nicht ein einziges niedergedrcktes oder umgebrochenes Pfl„nzchen, obgleich es grad an dieser Stelle sehr dichtes und empfindliches Moos gab. Nur die Spur Winnetous war deutlich eingedrckt; aber die ging mich nichts an, denn ich sollte nicht ihn, sondern seine Schwester suchen. Er hielt sich jedenfalls in der N„he, um mich heimlich zu beobachten, ob ich Fehler mache oder nicht. - 359 - Ich suchte noch einmal und noch einmal im Kreise, fand aber auch nicht den leisesten Anhalt. Das war befremdlich. Ich berlegte. Sie muáte und muáte unbedingt eine Spur hinterlassen haben, denn es konnte hier kein Fuá den Boden berhren, ohne von dem weichen Moose verraten zu werden. Ein Fuá den Boden berhren? Ah! Wie nun, wenn Nscho-tschi ihn gar nicht berhrt hatte? Ich untersuchte Winnetous Stapfen; sie waren tief eingedrckt, tiefer als vorher. Sollte er seine Schwester auf die Arme genommen und fortgetragen haben? Dann war die Aufgabe, welche er mir gestellt hatte, seiner Ansicht nach eine sehr schwere, aber meiner Ansicht nach eine sehr leichte von dem Augenblicke an, an welchem ich eben erriet, daá er Nscho-tschi getragen habe. Infolge dieser Last hatten sich seine Fáe tiefer eingedrckt. Es kam nun darauf an, Spuren von der Indianerin zu finden. Diese durfte ich freilich nicht unten an der Erde, sondern ich muáte sie weiter oben suchen. War Winnetou allein durch den Wald gegangen, so hatte er die Arme frei und keine Mhe gehabt, durch das Unterholz zu kommen. Hatte er aber seine Schwester getragen, so muáte es unbedingt zerknickte Zweige geben. Ich folgte seinen Stapfen und richtete dabei mein Hauptaugenmerk nicht auf die F„hrte, sondern auf das Gebsch. Richtig! Indem er mit seiner Last durch dasselbe gedrungen war, hatte er die Arme nicht frei gehabt und dasselbe nicht vorsichtig auseinander schieben k”nnen; Nscho-tschi war nicht auf den Gedanken gekommen, dies zu tun, und so fand ich an mehreren Stellen geknickte Zweige und besch„digte Bl„tter, also Zeichen, welche nicht h„tten entstehen k”nnen, wenn Winnetou allein hindurchgegangen w„re. Die Spur fhrte in schnurgerader Richtung nach einer lichten Stelle des Waldes und in ebenso gerader Linie ber dieselbe hinber. Da drben, am jenseitigen Rande der Lichtung, steckten jedenfalls die beiden, stillvergngt darber, daá es mir unm”glich sein werde, meine Aufgabe zu l”sen. Ich h„tte direkt hinbergehen k”nnen; aber ich wollte es noch besser machen und sie f”rmlich berrumpeln. Darum schlich ich mich, immer sorgf„ltig in Deckung bleibend, um die Lichtung herum. - 360 - Jenseits angekommen, suchte ich zun„chst wieder nach Winnetous Spur. War er weiter gegangen, so muáte ich sie sehen. Sah ich sie nicht, so hatte er sich mit Nscho-tschi versteckt. Ich legte mich auf die Erde nieder und schob mich ger„uschlos in einem Halbkreise fort, indem ich mich bemhte, immer hinter B„umen und Bschen verborgen zu bleiben. Es war kein Fuáeindruck zu sehen. Folglich steckten sie, wie ich vermutet hatte, am Rande der freien Stelle, und zwar da, wo die F„hrte, welcher ich bis vorhin gefolgt war, diesen Rand berhrte. Leise, ganz, ganz leise, schob ich mich nach dieser Stelle hin. Sie saáen still, und ihren gebten Ohren konnte kein Ger„usch entgehen; ich muáte also eine ungew”hnliche Vorsicht entfalten. Es gelang mir besser, als ich es fr m”glich gehalten hatte. Ich sah die Beiden. Sie saáen eng nebeneinander mitten in einem wilden Pflaumengebsch, mit dem Rcken nach mir, da sie mich, falls ich ja kommen wrde, von der entgegengesetzten Seite erwarten muáten. Sie sprachen miteinander, aber flsternd, so daá ich ihre Worte nicht verstehen konnte. Ich freute mich ungemein auf die Ueberraschung und schob mich immer weiter zu ihnen hinan. Jetzt war ich so nahe, daá ich beide mit der Hand erreichen konnte. Schon wollte ich den Arm ausstrecken und Winnetou von hinten fassen, da wurde ich durch ein Wort, welches er sagte, abgehalten, dies zu tun. ¯Soll ich ihn holen?® fragte er flsternd. ¯Nein,® antwortete Nscho-tschi. ¯Er kommt selbst.® ¯Er kommt nicht.® ¯Er kommt!® ¯Meine Schwester irrt sich. Er hat alles sehr schnell gelernt; aber deine Spur geht durch die Luft. Wie will er sie finden?® ¯Er findet sie. Mein Bruder Winnetou hat mir gesagt, daá Old Shatterhand schon jetzt nicht mehr irre zu fhren sei. Warum spricht er jetzt das Gegenteil?® ¯Weil es heut die schwierigste Aufgabe ist, die es geben kann. Sein Auge wird jede F„hrte finden; die deinige ist aber nur mit den Gedanken zu lesen, und das hat er noch nicht gelernt.® - 361 - ¯Er wird dennoch kommen, denn er kann alles, alles, was er will.® Sie flsterte diese Worte nur, dennoch war ihrem Tone eine Zuversicht, ein Vertrauen anzuh”ren, daá ich darauf h„tte stolz sein k”nnen. [Illustration Nr. 16: Belauscht] ¯Ja, ich habe noch keinen Mann gekannt, der sich so leicht in alles findet. Es gibt nur eins, worein er sich nicht finden wird, und dies tut Winnetou sehr leid.® ¯Was ist das?® ¯Der Wunsch, den wir alle haben.® Eben jetzt hatte ich mich ihnen bemerkbar machen wollen; da sprach Winnetou von einem Wunsche; das bestimmte mich, noch zu warten. Welchen Wunsch h„tte ich diesen lieben, guten Menschen nicht gern erfllt! Sie hegten einen und sagten ihn - 362 - mir nicht, weil sie glaubten, daá ich ihn nicht erfllen werde. Vielleicht h”rte ich jetzt, was fr einer es war. Darum schwieg ich noch und lauschte. ¯Hat mein Bruder Winnetou schon mit ihm darber gesprochen?® fragte Nscho-tschi. ¯Nein,® antwortete Winnetou. ¯Und Intschu tschuna, unser Vater, auch noch nicht?® ¯Nein. Er wollte es ihm sagen, aber ich gab es nicht zu.® ¯Nicht? Warum? Nscho-tschi liebt dieses Bleichgesicht sehr; sie ist die Tochter des obersten H„uptlings aller Apachen!® ¯Das ist sie, und sie ist noch mehr, noch weit mehr. Jeder rote Krieger und jedes Bleichgesicht wrde glcklich sein, wenn meine Schwester seine Squaw werden wollte, nur Old Shatterhand nicht.® ¯Wie kann mein Bruder Winnetou dies wissen, da er noch nicht mit ihm darber gesprochen hat?® ¯Ich weiá es trotzdem, denn ich kenne ihn. Er ist nicht wie andere Weiáe; er trachtet nach H”herem als sie. Er nimmt keine Indianerin zur Squaw.® ¯Hat er dies gesagt?® ¯Nein.® ¯Geh”rt sein Herz vielleicht einer Weiáen?® ¯Auch nicht.® ¯Das weiát du sicher?® ¯Ja. Wir sprachen von weiáen Frauen, und da habe ich aus seinen Worten entnommen, daá sein Herz noch nicht gesprochen hat.® ¯So wird es bei mir sprechen!® ¯Meine Schwester mag sich nicht t„uschen! Old Shatterhand denkt und empfindet anders, als du meinst. Wenn er sich eine Squaw erw„hlt, so muá sie unter den Frauen das sein, was er unter den M„nnern ist.® ¯Bin ich das nicht?® ¯Unter den roten M„dchen, ja; da kommt meiner sch”nen Schwester keines gleich. Aber was hast du gesehen und geh”rt? Was hast du gelernt? Du kennst das Frauenleben der roten V”lker, aber nichts von dem, was eine weiáe Squaw gelernt haben und wissen muá. Old Shatterhand sieht nicht auf den - 363 - Glanz des Goldes und auf die Sch”nheit des Angesichtes; er trachtet nach andern Dingen, die er bei einem roten M„dchen nicht finden kann.® Sie senkte den Kopf und schwieg. Da strich er ihr mit der Hand liebkosend ber die Wange und sagte: ¯Es schmerzt mich, daá ich dem Herzen meiner guten Schwester wehe tue, aber Winnetou ist gew”hnt, stets die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie keine frohe ist. Vielleicht kennt er einen Weg, auf welchem Nscho-tschi zu dem Ziele, nach welchem sie strebt, gelangen kann.® Da hob sie rasch den Kopf wieder und fragte: ¯Welcher Weg ist dies?® ¯Der nach den St„dten der Bleichgesichter.® ¯Dorthin soll ich, meinst du?® ¯Ja.® ¯Warum?® ¯Um zu lernen, was du wissen und k”nnen muát, wenn Old Shatterhand dich lieben soll.® ¯So will ich hin, bald, sehr bald! Will mein Bruder Winnetou mir einen Wunsch erfllen?® ¯Welchen?® ¯Sprich mit Intschu tschuna, unserm Vater darber! Bitte ihn, mich nach den groáen St„dten der Bleichgesichter gehen zu lassen! Er wird nicht Nein sagen, denn ® Mehr h”rte ich nicht, denn ich kroch jetzt leise wieder zurck. Es kam mir fast wie eine Snde vor, dieses Gespr„ch der Geschwister belauscht zu haben. Wenn sie es nur nicht merkten! Welche Verlegenheit fr sie und noch viel mehr auch fr mich! Es galt, jetzt bei meinem Rckzuge noch viel vorsichtiger zu sein als vorhin bei meiner Ann„herung. Das geringste Ger„usch, der kleinste Zufall konnte es verraten, daá ich das Geheimnis der sch”nen Indianerin erfahren hatte. Und in diesem Falle war ich gezwungen, meine roten Freunde heut noch zu verlassen. Glcklicherweise gelang es mir, mich unbemerkt zurckzuziehen. Als ich auáer H”rweite angelangt war, erhob ich mich vom Boden und ging im Kreise schnell um die Lichtung herum, bis ich wieder auf die F„hrte traf. Auf dieser trat ich dann - 364 - auf der Seite, von welcher ich vorhin gekommen war, und von welcher ich von Nscho-tschi erwartet wurde, zwei oder drei Schritte auf die Lichtung hinaus und rief ber dieselbe hinber: ¯Mein Bruder Winnetou mag herberkommen!® Es regte sich nichts drben; darum fuhr ich fort: ¯Mein Bruder mag kommen, denn ich sehe ihn!® Er kam trotzdem nicht. ¯Er sitzt drben im Gebsch der wilden Pflaumen. Soll ich ihn vielleicht holen?® Da bewegten sich die Zweige, und Winnetou trat hervor, doch allein. Er hatte nicht l„nger stecken bleiben k”nnen, wollte aber das Versteck seiner Schwester noch geheim halten und fragte mich: ¯Hat mein Bruder Old Shatterhand Nscho-tschi gefunden?® ¯Ja.® ¯Wo?® ¯Da, wo sie verborgen ist, im Gebsch.® ¯In welchem Gebsch?® ¯In demjenigen, wohin mich ihre F„hrte fhrt.® ¯Hast du denn ihre F„hrte gesehen?® Das klang sehr verwundert. Er wuáte nicht, woran er mit mir war. Daá ich die Unwahrheit sagte, das glaubte er nicht; aber von einer F„hrte wuáte er nichts, und da er nicht einen Augenblick von seiner Schwester weggekommen war, so hegte er die Ueberzeugung, daá ich sie nicht entdeckt hatte. Seiner Meinung nach muáte ich mich im Irrtume befinden, durch irgend etwas get„uscht worden sein. ¯Ja,® antwortete ich; ¯ich habe sie gesehen.® ¯Aber meine Schwester hat sich doch so in acht genommen, daá keine Spur zu sehen ist!® ¯Du irrst. Sie ist zu sehen.® ¯Nein.® ¯An der Erde nicht, aber im Gezweig. Nscho-tschi hat mit ihren Fáen den Boden nicht berhrt, aber indem du sie trugest, habt ihr Zweige geknickt und Bl„tter besch„digt.® ¯Uff! Ich h„tte sie getragen?® ¯Ja.® ¯Wer sagte es dir?® - 365 - ¯Deine Fuástapfen. Sie waren pl”tzlich tiefer geworden, weil du schwerer geworden warst. Da du aber dein Gewicht nicht ver„ndert haben konntest, so muátest du eine Last aufgenommen haben. Diese Last war deine Schwester, deren Fuá, wie ich sah, das Moos nicht berhrt hatte.® ¯Uff! Du irrst. Geh noch einmal zurck, und suche nach!® ¯Das wrde vergeblich sein und ist auch h”chst berflssig, denn Nscho-tschi sitzt dort, wo du gesessen hast. Ich werde sie holen.® Ich ging vollends ber die Lichtung hinber; da kam sie aber schon aus dem Gestr„uch und sagte im Tone der Befriedigung zu ihrem Bruder: ¯Ich sagte dir, daá er mich finden wrde, und ich hatte recht.® ¯Ja, meine Schwester hatte recht, und ich irrte mich. Mein Bruder Old Shatterhand kann die F„hrte eines Menschen nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Gedanken lesen. Es gibt da fast nichts mehr, was er noch zu lernen hat.® ¯O noch sehr, sehr viel,® antwortete ich. ¯Mein Bruder Winnetou sagt da ein Lob, welches ich noch nicht verdiene; aber was ich noch nicht kann, das werde ich noch von ihm lernen.® Es war wirklich das erste Lob, welches ich aus seinem Munde h”rte, und ich gestehe es, daá ich ebenso stolz auf dasselbe war, wie frher auf ein gelegentliches Lob irgend eines meiner Professoren. Am Abend desselben Tages brachte er mir einen sehr gut gearbeiteten und mit roten, indianischen Stichstickereien verzierten Jagdanzug von weiágegerbtem Leder. ¯Nscho-tschi, meine Schwester, bittet dich, diese Kleidung zu tragen,® sagte er. ¯Dein Anzug ist fr Old Shatterhand nicht mehr gut genug.® Da hatte er freilich sehr recht. Mein Habit sah sogar fr indianische Augen sehr herabgekommen aus. W„re ich in einer europ„ischen Stadt in demselben ertappt worden, so h„tte man mich auf der Stelle als einen Hauptvagabunden arretiert. Aber durfte ich von Nscho-tschi ein solches Geschenk annehmen? Winnetou schien meine Gedanken zu erraten; er sagte: ¯Du darfst diesen Anzug nehmen, denn ich habe ihn bestellt [;] - 366 - er ist ein Geschenk von Winnetou, den du vom Tode errettet hast, und nicht von seiner Schwester. Ist es den Bleichgesichtern verboten, von einer Squaw Geschenke anzunehmen?® ¯Wenn es nicht seine eigene Squaw oder Verwandte ist, ja.® ¯Du bist mein Bruder; Nscho-tschi ist dir also verwandt. Dennoch ist dies Geschenk von mir und nicht von ihr; sie hat es nur fr dich gefertigt.® Als ich den Anzug am n„chsten Morgen anprobierte, saá er wie angegossen. Ein New Yorker Herrenschneider h„tte das Maá nicht besser treffen k”nnen. Ich zeigte mich natrlich meiner sch”nen Freundin, welche auáerordentlich ber das Lob, welches ich aussprach, erfreut war. Kurze Zeit sp„ter stellten sich Dick Stone und Will Parker bei mir ein, um sich von mir bewundern zu lassen; sie waren auch mit neuen Anzgen beschenkt worden, welche aber nicht von Nscho-tschi, sondern von andern Squaws gefertigt worden waren. Und abermals kurze Zeit sp„ter befand ich mich im Haupttale, um mich im Werfen des Tomahawk zu ben, da kam eine kleine, sonderbare Gestalt in sehr gravit„tischer Haltung auf mich zu. Es war ein neuer, lederner, indianischer Anzug, welcher unten in einem Paar alter, ungeheuer groáer Indianerstiefel endete. Oben drber gab es einen noch „lteren Filzhut mit sehr wehmtig herabh„ngender Kr„mpe, unter welcher ein sehr verworrener Bartwald, eine riesige Nase und zwei kleine, listige Aeuglein hervorblickten. Daran erkannte ich meinen kleinen Sam Hawkens. Er pflanzte sich, die dnnen, krummen Beinchen weit auseinander spreizend, h”chst anspruchsvoll vor mir auf und fragte: ¯Sir, kennt Ihr vielleicht den Mann, der jetzt vor Euch steht?® ¯Hm!® antwortete ich. ¯Will einmal sehen!® Ich nahm ihn bei seinen Armen, drehte ihn dreimal um sich selbst, betrachtete ihn dabei von allen Seiten und sagte dann: ¯Das scheint wahrhaftig Sam Hawkens zu sein, wenn ich mich nicht irre!® ¯Yes, mylord! Ihr irrt Euch nicht. Ich bin es, in eigener Person und Lebensgr”áe. Merkt Ihr etwas?® ¯Funkelnagelneuer Anzug!® ¯Will es meinen!® - 367 - ¯Von wem?® ¯Von der B„renhaut, die Ihr mir geschenkt habt.® ¯Das sehe ich, Sam. Wenn ich aber frage: "von wem?" so will ich die Person wissen, von der Ihr den Anzug habt.® ¯Die Person? Hm! Ach so! Ja, die Person, Sir! Das ist so eine Sache. Eigentlich ist sie gar keine Person.® ¯Was denn?® ¯Ein Pers”nchen.® ¯Wieso?® ¯Na, kennt Ihr denn die hbsche Kliuna-ai nicht?® ¯Nein. Kliuna-ai heiát Mond. Ist's ein M„dchen oder eine Squaw?® ¯Beides, oder vielmehr keins von beiden.® ¯Also Groámutter?® ¯Unsinn! Wenn sie sowohl Squaw als auch M„dchen oder vielmehr keins von beiden ist, so muá sie natrlich Witwe sein. Sie ist die hinterlassene Squaw eines Apachen, der im letzten Kampfe mit den Kiowas gefallen ist.® ¯Und die Ihr darber tr”sten wollt?® ¯Well, Sir,® nickte er. ¯Bin ihr gar nicht abgeneigt; habe sogar ein Auge auf sie geworfen, oder vielmehr alle beide.® ¯Aber, Sam, eine Indianerin!® ¯Was ist's weiter? Wrde sogar eine Negerin heiraten, wenn sie nicht schwarz w„re. Uebrigens ist Kliuna-ai eine vortreffliche Partie.® ¯Warum?® ¯Weil sie das beste Leder im ganzen Stamme gerbt.® ¯Wollt Ihr Euch gerben lassen?® ¯Macht keine Witze, Sir! Es ist mir ernst. Ein trautes Heim versteht Ihr mich? Sie hat so ein volles, rundes Gesicht, grad wie der Mond.® ¯Mit einem ersten und einem letzten Viertel?® ¯Ich bitte nochmals, mit dem Monde keine Witze zu machen! Sie ist Vollmond, und ich heirate sie, wenn ich mich nicht irre.® ¯Hoffentlich wird kein Neumond draus. Wie habt Ihr denn diese Bekanntschaft gemacht?® ¯Eben durch die Gerberei. Erkundigte mich nach der besten - 368 - Gerberin, n„mlich des B„renfells wegen; da wurde sie mir empfohlen. Trug ihr also das Fell hin und merkte sofort, daá sie Wohlgefallen hatte.® ¯An dem Felle?® ¯Unsinn! An mir natrlich!® ¯Das verr„t Geschmack, lieber Sam!® ¯Ja, den hat sie! O, die ist gar nicht ungebildet! Das beweist sie auch schon dadurch, daá sie nicht bloá das Fell gegerbt, sondern einen neuen Anzug fr mich daraus angefertigt hat. Wie gefalle ich Euch?® ¯Der reine Stutzer!® ¯Gentleman, nicht wahr? Ja, Gentleman! Sie war ganz weg, als sie mich vorhin in diesem Anzuge sah. K”nnt Euch darauf verlassen, Sir; ich heirate sie!® ¯Wo steckt Euer alter Anzug?® ¯Habe ihn weggeschmissen.® ¯So, so! Und eines sch”nen Tages sagtet Ihr einmal, daá Euch Euer Rock nicht fr zehntausend Dollars feil sei!® ¯Das war damals. Da gab es keine Kliuna-ai. Die Zeiten „ndern sich. Well!® Das kleine, b„renlederne Freiersm„nnchen drehte sich um und stampfte stolz von dannen. Das menschenfreundliche Gefhl, welches er fr die indianische Wittib empfand, verursachte mir gar keine moralischen Schmerzen und Bedenken. Man muáte Sam ansehen, um vollst„ndig beruhigt zu sein. Die berm„áig groáen Fáe, die dnnen, krummen Beinchen, dann das Gesicht, o weh! Er glich einer m„nnlichen Pastrana mit einem Geierschnabel im Gesichte. Das war selbst fr eine Indianerin zu toll. Er war noch nicht weit fort von mir, da drehte er sich noch einmal um und rief mir zu: ¯Ist doch ein ganz anderes Ding, dieser neue Habitus, Sir! Bin wie neugeboren. Mag den alten nicht wiedersehen. Sam geht auf Freiersfáen, hihihihi!® Am n„chsten Tage begegnete ich ihm unten am Pueblo. Er machte ein nachdenkliches Gesicht. ¯Was gehen Euch fr astronomische Gedanken durch den Kopf, lieber Sam?® fragte ich ihn. ¯Astronomische? Warum grad solche?® - 369 - ¯Weil Ihr ein Gesicht macht, als ob Ihr einen Kometen oder einen Nebelfleck entdecken wolltet.® ¯Ist auch fast so. Dachte, daá es ein Komet sei, wird aber wohl ein Nebelfleck sein.® ¯Wer?® ¯Sie, die Kliuna-ai.® ¯Ach so! Der Vollmond ist heut schon ein Nebelfleck! Warum?® ¯Habe sie gefragt, ob sie sich wieder einen Mann nehmen will. "Nein" hat sie geantwortet.® ¯Das darf Euch nicht abhalten, vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken. Rom wurde nicht an einem Tage gebaut.® ¯Und mein neuer Anzug nicht in einer Stunde geflickt. Ihr habt recht, Sir; ich gehe noch immer auf Freiersfáen.® Er stieg die Treppe hinan, um seine Kliuna-ai zu besuchen. Am n„chsten Tage sattelte ich meinen Rotschimmel, um mit Winnetou auf die Bffeljagd zu reiten, da kam Sam Hawkens zu mir und fragte: ¯Darf ich mit, Sir?® ¯Auf die Bffeljagd? Nein, nein! Ihr jagt doch jetzt ein besseres Wild.® ¯H„lt aber nicht stand!® ¯So?® ¯Ja. Und macht Ansprche.® ¯Wieso?® ¯War wieder bei ihr. Da sagte sie mir, den Anzug habe sie mir auf Befehl Winnetous n„hen mssen.® ¯Also nicht aus Liebe?® ¯Es scheint nicht so. Dann meinte sie weiter, das Gerben h„tte ich bei ihr bestellt; was ich ihr dafr geben wolle.® ¯Also Bezahlung!® ¯Yes! Ist das ein Zeichen von Liebe?® ¯Weiá nicht. Habe keine Erfahrung in solchen Sachen. Kinder lieben ihre Eltern, und doch mssen diese alles fr sie bezahlen. Vielleicht ist dies grad ein Beweis fr die Gegenliebe Eures Vollmondes.® ¯Vollmond? Hm! Ist auch m”glich, daá es nur das letzte Viertel ist. Also Ihr nehmt mich nicht mit?® - 370 - ¯Winnetou will allein mit mir reiten.® ¯So kann ich nichts dagegen haben.® ¯Ihr wrdet auch Euern neuen Jagdrock zu Schanden machen, lieber Sam!® ¯Allerdings, das ist wahr. Blutflecke sind nichts fr ein so feines Habit.® Er ging, drehte sich aber nochmals um und fragte: ¯Meint Ihr nicht, Sir, daá mein alter Anzug doch viel praktischer war?® ¯M”glich.® ¯Nicht nur m”glich, sondern sehr wahrscheinlich.® Damit war die Sache fr heute abgemacht. Aber in den n„chsten Tagen wurde Sam immer nachdenklicher und einsilbiger. Sein Mond schien immer weiter abzunehmen. Da, eines Morgens sah ich ihn aus seiner Wohnung treten im alten Anzuge! ¯Was ist denn das, Sam?® fragte ich ihn. ¯Ich denke, Ihr habt dieses Habit abgelegt, oder gar "weggeschmissen", wie Ihr Euch ausdrcktet.® ¯War auch so.® ¯Und es doch wieder hervorgesucht!® ¯Yes.® ¯Vor Aerger?® ¯Natrlich! Bin f”rmlich wtend!® ¯Auf das letzte Viertel?® ¯Ist Neumond geworden. Kann und mag diese Kliuna-ai gar nicht mehr sehen!® ¯Habe es Euch also ganz richtig prophezeit!® ¯Ja. Ist genau so geworden, wie Ihr sagtet. War aber eine Bewandtnis dabei, die mich fuchsteufelswild gemacht hat.® ¯Darf ich erfahren, welche?® ¯Ja, Euch will ich es sagen. War also gestern wieder bei ihr. Hat mich in den letzten Tagen schlecht behandelt, sehr schlecht, mich fast gar nicht angesehen und mir immer nur ganz kurz geantwortet. Sitze also gestern bei ihr und lehne mich dabei mit dem Kopf an einen h”lzernen Pfahl. Dieser mag einen Splitter gehabt haben, an den mein Haar geraten ist. - 371 - Als ich aufstehe, um zu gehen, gibt's einen gewaltigen Zupfer auf meinem ehrwrdigen Sch„del; da drehe ich mich um, und was sehe ich da, Sir was sehe ich?® ¯Eure Percke, wie ich vermute?® ¯Ja, meine Percke ist an dem Holzsplitter h„ngen geblieben und der Hut heruntergerissen worden und zu Boden gefallen.® ¯Da wurde natrlich der frhere hbsche Vollmond zum Neumonde?® ¯Ganz und gar! Erst stand sie da und starrte mich an wie wie nun, wie einen Menschen, der auf dem Kopfe keine Haare hat.® ¯Und dann?® ¯Dann schrie und heulte sie, als ob sie selber einen Glatzkopf h„tte.® ¯Und endlich?® ¯Endlich? Nun, endlich wurde Neumond draus. Sie strzte n„mlich fort und war nicht mehr zu sehen.® ¯Vielleicht geht sie Euch bald wieder als erstes Viertel und Vollmond auf!® ¯Die nicht! Sie hat mir's n„mlich sagen lassen.® ¯Was?® ¯Daá ich nicht mehr zu ihr kommen soll. Sie will n„mlich dummerweise nur einen solchen Mann haben, der Haare auf dem Kopfe hat. Ist das nicht h”chst albern?® ¯Hm!® ¯Da wird nichts gehmt, Sir! Wenn eine Frau heiratet, kann es ihr doch h”chst gleichgltig sein, ob ihr Mann seine Haare auf dem Kopfe oder in der Percke hat, wenn ich mich nicht irre. Es ist sogar weit ehrenvoller, sie in der Percke zu haben, denn da haben sie Geld gekostet; wachsen aber tun sie umsonst!® ¯So wrde ich an Eurer Stelle sie mir auch wachsen lassen, lieber Sam!® ¯Verehrter Sir, Euch soll der Kuckuck holen! Ich suche Trost in meinem Liebesgram und Heiratskummer bei Euch und bekomme Spott zu h”ren. Ich wollte, Ihr h„ttet auch eine Percke und dann eine rote Witwe, die Euch zur Tre hinauswirft. Gehabt Euch wohl!® - 372 - Er rannte wtend davon. ¯Sam!® rief ich ihm nach, ¯noch eine Frage!® ¯Was denn?® erkundigte er sich, indem er stehen blieb. ¯Wo ist er denn?® ¯Wer?® ¯Der neue Anzug?® ¯Habe ihn ihr zurckgeschickt. Mag nichts davon wissen. Wollte Hochzeit darinnen machen, ihn bei der Trauung tragen; nun aber nichts aus der Hochzeit wird, mag ich auch den Rock nicht haben. Howgh!® So endete die Freundschaft meines Sam mit Kliuna-ai, dem immer mehr abnehmenden roten Monde. Uebrigens war er sehr bald wieder guter Dinge und gestand mir, daá er sich freue, ein unverheirateter Jngling geblieben zu sein. Er werde seinem alten Rocke nie wieder den Abschied geben, denn dieser sei besser, praktischer und bequemer als s„mtliche Jagdr”cke von allen indianischen Schneiderinnen. Es war also ganz so gekommen, wie ich mir gedacht hatte. Sam als Ehemann war einfach undenkbar. Am Abende desselben Tages aá ich, wie gew”hnlich, mit Intschu tschuna und Winnetou zusammen. Der Letztere entfernte sich nach dem Essen, und ich wollte auch gehen, da fing der H„uptling mit mir von Sams Abenteuer mit Kliuna-ai an und brachte hierauf die Rede auf Verbindungen zwischen Weiáen und Indianerinnen. Ich merkte, daá er mich examinieren wollte. ¯H„lt mein junger Bruder Old Shatterhand eine solche Ehe fr unrecht oder recht?® fragte er. ¯Wenn sie von einem Priester geschlossen und die Indianerin vorher Christin geworden ist, sehe ich nichts Unrechtes darin,® antwortete ich. ¯Also mein Bruder wrde nie ein rotes M„dchen so, wie sie ist, zur Squaw nehmen?® ¯Nein.® ¯Und ist es sehr schwer, Christin zu werden?® ¯Nein, gar nicht.® ¯Darf eine solche Squaw dann ihren Vater noch ehren, auch wenn er nicht Christ ist?® - 373 - ¯Ja. Unsere Religion fordert von jedem Kinde, die Eltern zu achten und zu ehren.® ¯Was fr eine Squaw wrde mein junger Bruder vorziehen, eine rote oder eine weiáe?® Durfte ich sagen, eine weiáe? Nein, denn das h„tte ihn beleidigt. Darum antwortete ich: ¯Das kann ich nicht so beantworten. Es kommt auf die Stimme des Herzens an. Wenn diese spricht, so gehorcht man ihr, gleichviel, was die Squaw fr eine Farbe hat. Vor dem groáen Geiste sind alle Menschen gleich, und die, welche fr einander passen und fr einander bestimmt sind, die werden sich finden.® ¯Howgh! Die werden sich finden, wenn sie zu einander passen. Mein Bruder hat sehr richtig gesprochen; er redet ja immer recht und gut.® Hiermit war dieses Thema beendet, so, wie ich es wnschte, glaubte ich. Daá eine Indianerin erst Christin werden msse, wenn sie die Squaw eines Weiáen sein wolle, das hatte ich in ganz bestimmter Absicht scharf betont. Ich g”nnte Nscho-tschi den allerbesten, edelsten roten Krieger und H„uptling; ich aber war nicht nach dem wilden Westen gekommen, um mir eine rote Squaw zu nehmen; ich hatte nicht einmal an eine weiáe gedacht. Mein Lebensplan schloá, wie ich annahm, eine Verheiratung berhaupt aus. Welchen Erfolg meine Unterredung mit Intschu tschuna gehabt hatte, erfuhr ich am zweiten Tag darauf. Er fhrte mich hinunter in das erste Stockwerk, wo ich noch nicht gewesen war. Dort lagen in einem besonderen, kleinen Beh„ltnisse unsere Meáinstrumente. ¯Siehe diese Sachen an, ob etwas davon fehlt,® forderte mich der H„uptling auf. Ich tat es und fand, daá nichts abhanden gekommen war. Die Gegenst„nde waren auch nicht besch„digt worden, einige Verbiegungen abgerechnet, welche ich leicht reparieren konnte. ¯Diese Sachen sind fr uns Medizin gewesen,® sagte er. ¯Darum wurden sie so gut verwahrt und aufgehoben. Mein junger, weiáer Bruder mag sie nehmen; sie sind wieder sein.® Ich wollte mich fr diese hochwillkommene Gabe bedanken; - 374 - er wehrte aber den Dank ab, indem er, mir in die Rede fallend, erkl„rte: ¯Sie sind dein gewesen, und wir nahmen sie, weil wir dich fr unsern Feind hielten; nun wir aber wissen, daá du unser Bruder bist, muát du alles wieder bekommen, was dir geh”rt. Du hast fr nichts zu danken. Was wirst du nun mit diesen Gegenst„nden tun?® ¯Wenn ich von hier fortgehe, nehme ich sie mit, um sie den Leuten wiederzugeben, von denen ich sie habe.® ¯Wo wohnen diese?® ¯In St. Louis.® ¯Ich kenne den Namen dieser Stadt und weiá auch, wo sie liegt. Winnetou mein Sohn ist dort gewesen und hat mir von ihr erz„hlt. Also du willst fort von uns?® ¯Ja, wenn auch nicht sofort.® ¯Das tut uns leid. Du bist ein Krieger unsers Stammes geworden, und ich habe dir sogar die Macht und Ehre eines H„uptlings der Apachen gegeben. Wir glaubten, du wrdest fr immer bei uns bleiben, wie Klekih-petra bis zu seinem Tode bei uns geblieben ist.® ¯Meine Verh„ltnisse sind anders, als die seinigen waren.® ¯Kennst du sie denn?® ¯Ja. Er hat mir alles erz„hlt.® ¯So hat er ein groáes Vertrauen zu dir gehabt, obwohl er dich zum erstenmal sah.® ¯Wohl, weil wir aus demselben Lande stammten.® ¯Das ist es nicht allein gewesen. Er sprach sogar noch bei seinem Tode mit dir. Ich konnte die Worte nicht verstehen, weil ich die Sprache nicht kenne, in welcher sie gesprochen wurden; aber du hast es uns gesagt, was es war. Du bist nach Klekih-petras Willen der Bruder Winnetous geworden und willst ihn doch verlassen. Ist das nicht ein Widerspruch?® ¯Nein. Brder brauchen nicht stets beisammen zu sein; sie gehen oft auseinander, wenn sie verschiedene Aufgaben zu erfllen haben.® ¯Aber sie sehen sich doch wieder?® ¯Ja. Ihr werdet mich wiedersehen, denn mein Herz wird mich zu euch zurcktreiben.® - 375 - ¯Das h”rt meine Seele gern. So oft du kommst, wird groáe Freude bei uns vorhanden sein. Ich beklage es sehr, daá du von einer andern Aufgabe sprichst. K”nntest du dich denn nicht auch hier bei uns glcklich fhlen?® ¯Das weiá ich nicht. Ich bin so kurze Zeit hier, daá ich diese Frage nicht beantworten kann. Es wird wohl so sein, wie wenn zwei V”gel im Schatten eines Baumes sitzen. Der eine ern„hrt sich von den Frchten dieses Baumes und bleibt also da; der andere aber braucht eine andere Speise und kann also nicht lange bleiben; er muá fort.® ¯Und doch darfst du glauben, daá wir dir alles geben wrden, wonach du verlangtest.® ¯Das weiá ich; aber wenn ich jetzt von Speise sprach, so war nicht die Nahrung gemeint, welche der K”rper braucht.® ¯Ja, ich weiá es, daá ihr Bleichgesichter auch von einer Speise des Geistes redet; ich habe das von Klekih-petra erfahren. Ihm fehlte diese Speise bei uns; darum war er zuweilen sehr traurig, obwohl er uns das nicht merken lassen wollte. Du bist jnger, als er war, und so wrdest du dich wohl noch eher und noch leichter fortsehnen als er. Darum magst du gehen; aber wir bitten dich, wiederzukommen. Vielleicht hast du dann deinen Sinn ge„ndert und siehst ein, daá du dich auch bei uns wohlbefinden kannst. Aber wissen m”chte ich gern, was du tun wirst, nachdem du in die St„dte der Bleichgesichter zurckgekehrt bist.® ¯Das weiá ich noch nicht.® ¯Wirst du bei den Weiáen bleiben, welche den Pfad des Feuerrosses bauen wollen?® ¯Nein.® ¯Daran tust du recht. Du bist ein Bruder der roten M„nner geworden und darfst nicht mittun, wenn die Bleichgesichter uns wieder um unser Land und Eigentum betrgen wollen. Aber da, wohin du willst, kannst du nicht von der Jagd leben wie hier. Du muát Geld haben, und Winnetou sagte mir, daá du arm seiest. Du h„ttest Geld bekommen, wenn wir Euch nicht berfallen h„tten; darum hat mein Sohn mich gebeten, dir Ersatz zu bieten. Willst du Gold?® Er sah mich bei dieser Frage so scharf und forschend an, - 376 - daá ich mich wohl htete, mit einem Ja zu antworten. Er wollte mich auf die Probe stellen. ¯Gold?® sagte ich. ¯Ihr habt mir keines abgenommen, und so habe ich keines von euch zu verlangen.® Das war eine diplomatische Antwort, weder ein Ja noch ein Nein. Ich wuáte, daá es Indianer gibt, welche Fundorte edler Metalle kennen, aber niemals einem Weiáen einen solchen Ort verraten. Intschu tschuna kannte jedenfalls solche Stellen, und jetzt fragte er mich: "Willst du Gold?" Welcher Weiáe h„tte da wohl mit einem direkten Nein geantwortet! Ich habe nie nach Sch„tzen getrachtet, welche von dem Roste und von Motten gefressen werden; dennoch hat das Gold fr mich als Mittel zum guten Zwecke einen Wert, den ich gar nicht leugnen will. Diese Anschauung aber konnte der Apachenh„uptling wohl schwerlich begreifen. ¯Nein, geraubt haben wir dir keines,® antwortete er; ¯aber du hast wegen uns nicht bekommen, was du bekommen h„ttest, und dafr will ich dich entsch„digen. Ich sage dir, in den Bergen liegt das Gold in groáen Mengen. Die roten M„nner kennen die Stellen, wo es zu finden ist; sie brauchen nur hinzugehen, um es wegzunehmen. Wnschest du, daá ich welches fr dich hole?® Hundert Andere an meiner Stelle h„tten dieses Angebot angenommen und nichts bekommen; das sah ich dem eigentmlich lauernden Blicke seiner Augen an; darum sagte ich: ¯Ich danke dir! Den Reichtum mhelos geschenkt zu bekommen, das bringt keine Befriedigung; nur das, was man sich erarbeitet und erworben hat, besitzt wahren Wert. Wenn ich auch arm bin, so ist das kein Grund, zu glauben, daá ich nach meiner Rckkehr zu den Bleichgesichtern Hungers sterben werde.® Da lieá die Spannung, welche auf seinem Gesichte gelegen hatte, nach; er gab mir die Hand und meinte in einem wirklich wohltuenden herzlichen Tone: ¯Diese deine Worte sagen mir, daá wir uns nicht in dir get„uscht haben. Der Goldstaub, nach welchem die weiáen Goldsucher streben, ist ein Staub des Todes; wer ihn zuf„llig findet, geht daran zu Grunde. Trachte nie danach, ihn zu - 377 - erlangen, denn er t”tet nicht nur den Leib, sondern auch die Seele! Ich wollte dich prfen. Gold h„tte ich dir nicht gegeben, aber Geld sollst du bekommen, jenes Geld, auf welches du gerechnet hast.® ¯Das ist nicht m”glich.® ¯Ich will es so, also ist es m”glich. Wir werden nach der Gegend reiten, in welcher ihr gearbeitet habt. Du wirst die unterbrochene Arbeit vollenden und dann den Lohn bekommen, welcher euch versprochen worden ist.® Ich sah ihm staunend und wortlos in das Gesicht. Scherzte er? Nein; solchen Spaá treibt ein Indianerh„uptling nicht. Oder sollte dies wieder eine Prfung sein? Auch dies war unwahrscheinlich. ¯Mein junger, weiáer Bruder sagt nichts,® fuhr er fort. ¯Ist ihm mein Anerbieten nicht willkommen?® ¯Sogar auáerordentlich willkommen! Aber ich kann nicht glauben, daá du im Ernste sprichst.® ¯Warum nicht?® ¯Ich soll das vollenden, was du an meinen weiáen Mitarbeitern mit dem Tode bestraft hast! Ich soll das tun, was du bei unserer ersten Begegnung so streng an mir verurteiltest!® ¯Du handeltest ohne Erlaubnis derer, denen das Land geh”rt; jetzt aber sollst du diese Erlaubnis bekommen. Mein Anerbieten kommt nicht von mir, sondern von meinem Sohne Winnetou. Er hat mir gesagt, daá es uns keinen Schaden macht, wenn du das unterbrochene Werk zu Ende fhrst.® ¯Das ist ein Irrtum. Die Bahn wird gebaut; die Weiáen kommen ganz gewiá!® Er sah finster vor sich nieder und gab dann nach einer kleinen Weile zu: ¯Du hast recht. Wir k”nnen sie nicht hindern, uns aber- und abermal zu berauben. Erst senden sie so kleine Trupps voran, wie der eurige war; die k”nnen wir vernichten; aber das „ndert nichts, denn sp„ter kommen sie in Scharen, vor denen wir zurckweichen mssen, wenn wir uns nicht erdrcken lassen wollen. Aber auch du kannst dies nicht anders machen. Oder meinst du, daá sie nicht kommen werden, wenn du darauf verzichtest, die Strecke vollends zu vermessen?® - 378 - ¯Nein, das meine ich nicht. Wir m”gen tun oder lassen, was wir wollen, das Feuerroá wird unbedingt durch jene Gegend dampfen.® ¯So nimm mein Anerbieten an! Du ntzest dir viel und schadest uns nichts. Ich habe mich mit Winnetou besprochen. Wir reiten mit dir, er und ich, und dreiáig Krieger werden uns begleiten. Das ist genug, dich w„hrend deiner Arbeit zu beschtzen und dir bei derselben behilflich zu sein. Dann bringen uns diese dreiáig Mann so weit nach dem Osten, bis wir sichere Pfade finden und mit dem Kanoe des Dampfes nach St. Louis fahren k”nnen.® ¯Was sagt mein roter Bruder? Habe ich ihn richtig verstanden? Er will nach dem Osten?® ¯Ja, mit dir, ich, Winnetou und Nscho-tschi.® ¯Nscho-tschi auch?® ¯Meine Tochter auch. Sie m”chte gern die groáen Wohnpl„tze der Bleichgesichter sehen und so lange dortbleiben, bis sie ganz so geworden ist wie eine weiáe Squaw.® Ich mochte wohl kein sehr geistreiches Gesicht zu diesen Worten machen, denn er fgte, mich l„chelnd ansehend, hinzu: ¯Mein junger, weiáer Bruder scheint berrascht zu sein. Hat er vielleicht etwas dagegen, daá wir ihn begleiten? Er mag es aufrichtig sagen!® ¯Etwas dagegen? Wie k”nnte ich! Ich freue mich im Gegenteil auáerordentlich darber! Unter eurer Begleitung komme ich ohne Gefahr nach dem Osten zurck; schon deshalb muá dieselbe mir willkommen sein. Dazu ist noch zu rechnen, daá die, welche ich so liebgewonnen habe, bei mir bleiben.® ¯Howgh!® nickte er befriedigt. ¯Du wirst deine Arbeit vollenden, und dann geht es nach dem Osten. Wird Nscho-tschi dort Leute finden, bei denen sie wohnen und lernen kann?® ¯Ja. Ich werde das sehr gern besorgen. Aber der H„uptling der Apachen muá dabei in Betracht ziehen, daá die Bleichgesichter nicht die Gastfreundschaft der roten M„nner ausben k”nnen.® ¯Ich weiá es. Wenn Bleichgesichter nicht als Feinde zu uns kommen, so erhalten sie alles, was sie brauchen, ohne daá sie uns etwas dafr zu geben haben; suchen aber wir sie auf, - 379 - so mssen wir nicht nur alles bezahlen, sondern doppelt so viel geben, als weiáe Wanderer geben wrden. Und selbst dann bekommen wir alles schlechter als diese. Nscho-tschi wird also auch bezahlen mssen.® ¯Das ist leider wahr, braucht euch aber nicht zu kmmern. Infolge deines edelmtigen Anerbietens bekomme ich viel Geld ausgezahlt, und ihr werdet dann meine G„ste sein.® ¯Uff, uff! Was denkt mein junger, weiáer Bruder von Intschu tschuna und Winnetou, den H„uptlingen der Apachen! Ich habe dir vorhin doch gesagt, daá die roten M„nner viele Orte kennen, an denen Gold zu finden ist. Es gibt Berge, welche mit goldenen Adern durchzogen sind, und T„ler, in denen der herabgewaschene Goldstaub unter der dnnen Erddecke liegt. Wenn wir nach den St„dten der Weiáen gehen, haben wir zwar kein Geld, aber Gold, soviel Gold, daá niemand uns auch nur einen Schluck Wassers zu schenken braucht. Und wenn Nscho-tschi mehrere Sonnen*) lang dort bleiben máte, so wrde ich ihr mehr Gold zurcklassen, als sie fr diese lange Zeit n”tig hat. Nur die Ungastlichkeit der Bleichgesichter zwingt uns, die Fundorte des goldenen Staubes aufzusuchen, sonst aber beachten und bentzen wir sie nie. Wann wird mein junger Bruder zum Aufbruche fertig sein?® ¯Zu jeder Zeit, sobald es euch beliebt.® ¯So wollen wir nicht z”gern, denn es ist die Zeit des sp„ten Herbstes, auf welchen schnell der Winter folgt. Ein roter Krieger braucht selbst fr einen so weiten Ritt keine Vorkehrungen zu treffen; wir k”nnten also schon morgen aufbrechen, falls auch du dazu bereit w„rest.® ¯Ich bin bereit. Es ist nichts n”tig, als kurz zu sagen, was wir mitzunehmen haben, wie viele Pferde und ® ¯Das wird Winnetou besorgen,® unterbrach er mich. ¯Er hat schon an alles gedacht, und mein junger, weiáer Bruder braucht sich um nichts zu sorgen.® Wir verlieáen das Stockwerk, in welchem wir uns befanden, und kehrten nach oben zurck. Als ich in meine Wohnung treten wollte, kam Sam Hawkens heraus. *) Jahre. - 380 - ¯Ich habe Euch etwas Neues mitzuteilen, Sir,® sagte er freudestrahlend. ¯Werdet Euch wundern, auáerordentlich wundern, wenn ich mich nicht irre.® ¯Worber?® ¯Ueber die Nachricht, welche ich Euch bringe. Oder wiát Ihr es vielleicht schon?® ¯Laát erst h”ren, was Ihr meint, lieber Sam!® ¯Es geht fort, fort von hier!® ¯Ach so! Das weiá ich freilich schon.® ¯Ihr wiát es schon? Wollte Euch mit meiner Mitteilung eine Freude machen; komme also zu sp„t.® ¯Ich habe es soeben von Intschu tschuna erfahren. Wer hat es Euch gesagt?® ¯Winnetou. Traf ihn unten am Wasser, wo er die betreffenden Pferde ausw„hlte. Sogar Nscho-tschi reitet mit! Wiát Ihr das auch?® ¯Ja.® ¯Ist ein sonderbarer Gedanke, mir aber sehr recht. Soll, wie es scheint, im Osten in einem Pensionate untergebracht werden; weshalb und wozu, das ist mir unbegreiflich, wenn nicht ® Er hielt mitten im Satze inne, lieá seine kleinen Aeuglein mit einem vielsagenden Ausdrucke an mir niedergleiten und fuhr dann fort: ¯Wenn nicht wenn nicht hm! Nscho-tschi soll vielleicht Eure Kliuna-ai werden. Meint Ihr nicht, geliebter Sir und Shatterhand?® ¯Meine Kliuna-ai, also mein Mond? Solche Geschichten berlasse ich Euch, Sam. Was ntzt mir ein Mond, der immerfort abnimmt, bis er ganz verschwindet? Es kann mir nicht einfallen, einer Indianerin wegen meine Percke zu verlieren.® ¯Eure Percke? H”rt, das habt Ihr schlecht gemacht. Das war ein sehr fauler Witz, auf den Ihr Euch nichts einbilden drft. Ist berdies sehr gut, daá meine Liebe zu diesem abnehmenden Monde eine so unglckliche war.® ¯Warum?® ¯Weil ich ihn doch nicht hier lassen k”nnte, sondern mitnehmen máte. Wer aber reitet gern mit einem Neumonde - 381 - ber die Prairie! Hihihihi! Ist doch bei jedem Unglck auch ein Glck! Es „rgert mich nur eins dabei!® ¯Was?® ¯Das sch”ne Grizzlyfell. H„tte ich es selbst verarbeitet, so wrde ich jetzt in einem famosen Jagdrocke stecken; so aber ist der Rock und auch das Fell dahin.® ¯Leider! Hoffentlich gibt es sp„ter einmal Gelegenheit, wieder einen Grizzly zu erlegen. Dann schenke ich Euch die Haut.® ¯Ihr mir? Oder wohl ich Euch? Ihr drft nicht denken, daá die grauen B„ren nur so herumlaufen, um sich von dem ersten besten Greenhorn niederstechen zu lassen. Das war damals ein Zufall, auf den Ihr Euch noch viel weniger einzubilden braucht, als auf Euern Witz vorhin. Wollen uns berhaupt keine B„ren wnschen, wenigstens nicht in n„chster Zeit, wo wir zu arbeiten haben. Ist doch ein kolossaler Gedanke, daá Ihr weitermessen sollt! Nicht?® ¯Edelmtig, Sam, sehr edelmtig!® ¯Yes! Dadurch kommt Ihr zu Euerm Gelde, und wir erhalten das unserige auch. Vielleicht thunderstorm! Wollte es Euch g”nnen, wenn ich jetzt richtig geraten h„tte!® ¯Was habt Ihr geraten?® ¯Daá Ihr das ganze Geld bekommt das ganze!® ¯Ich verstehe Euch nicht.® ¯Ist aber ganz leicht zu verstehen. Wenn die Arbeit gemacht ist, muá sie auch bezahlt werden. Die Andern sind ausgel”scht worden; sie leben nicht mehr, also mssen ihre Anteile Euch mit ausbezahlt werden.® ¯Das bildet Euch nicht ein, Sam. Man wird sich sehr hten, das, was Ihr so klug erraten habt, in Erfllung gehen zu lassen.® ¯Ist alles m”glich, alles! Mát es nur richtig anfangen; mát das Ganze verlangen. Habt ja auch fast die ganze Arbeit getan. Wollt Ihr?® ¯Nein. Es f„llt mir natrlich nicht ein, mich dadurch l„cherlich zu machen, daá ich mehr verlange, als ich zu bekommen habe.® ¯Greenhorn, wieder Greenhorn! Ich sage Euch, daá hier - 382 - in diesem Lande Eure deutsche Bescheidenheit ganz am unrechten Platze ist. Ich meine es gut mit Euch; darum h”rt auf das, was ich Euch sage: Den Gedanken, ein Westmann zu werden, den laát ja fallen; denn so etwas wird im ganzen Leben nicht aus Euch; dazu habt Ihr nicht das mindeste Geschick. Ihr mát also an eine andere Laufbahn denken, und dazu geh”rt zun„chst Geld und dann wieder Geld. Jetzt k”nnt Ihr, wenn Ihr gescheit seid, es zu einer hbschen Summe bringen, und dann ist Euch fr einige Zeit hinaus geholfen. Folgt Ihr aber meinem Rate nicht, so schwimmt Euer Stock verkehrt den Fluá hinab*), und Ihr geht zugrunde wie ein Fisch, der auf das Land ger„t.® ¯Wollen das abwarten. Ich bin nicht ber den Mississippi gegangen, um ein Westmann zu werden, also habe ich, wenn keiner aus mir wird, nicht etwa eine verlorene Hoffnung zu beklagen. In diesem Falle w„ret nur Ihr zu bedauern.® ¯Ich? Warum ich?® ¯Weil Ihr Euch so viel Mhe gegeben habt, etwas aus mir zu machen. Ich h”re schon im voraus die Leute zu mir sagen, daá ich einen Lehrmeister gehabt haben muá, der nichts versteht.® ¯Nichts versteht? Ich? Sam Hawkens und nichts verstehen, hihihihi! Ich verstehe alles, alles; ich verstehe es sogar, Euch hier stehen zu lassen, Sir!® Er ging, drehte sich aber nach einigen Schritten wieder um und sagte: ¯Merkt Euch aber das: Wenn Ihr nicht das ganze Geld verlangt, so verlange ich es und stecke es Euch dann in die Tasche! Howgh!® Nach diesen Worten entfernte er sich mit Schritten, welche gravit„tisch sein sollten, aber grad das Gegenteil davon waren. Das liebe Kerlchen wnschte mir alles Gute, also auch das ganze Honorar, woran aber gar nicht zu denken war. Das, was Intschu tschuna gesagt hatte, bew„hrte sich: ein roter Krieger bedarf selbst zur weitesten Reise keiner groáen Vorkehrungen. Das Leben im Pueblo nahm auch heut seinen *) Trapperausdruck fr: schlechten Erfolg haben. - 383 - gew”hnlichen, ruhigen Verlauf, ohne daá irgend etwas auf unsere baldige Abreise schlieáen lieá. Auch Nscho-tschi, welche uns, wie stets vorher, beim Essen bediente, war so wie immer. Welche Aufregung und Vorarbeit gibt es bei einer weiáen Dame, die einen kleinen Ausflug machen will! Diese Indianerin hatte einen weiten und gef„hrlichen Ritt vor sich, um die vielgerhmten Herrlichkeiten der Zivilisation kennen zu lernen, und doch war nicht die leiseste Spur einer Ver„nderung an ihr zu bemerken. Ich wurde weder nach etwas gefragt noch sonst zu Rate gezogen oder gar bel„stigt. Das einzige, was ich vorzunehmen hatte, war die Verpackung der Instrumente, zu welchem Zwecke ich von Winnetou eine Anzahl weicher, wollener Decken bekam. Wir saáen, wie gew”hnlich, w„hrend des ganzen Abends beisammen, ohne daá ein Wort ber den beabsichtigten Ritt gesprochen wurde, und als ich mich schlafen legte, war es mir gar nicht so, als ob ich vor einer so weiten Reise stnde. Die Ruhe und Kaltbltigkeit der Indianer hatte mich angesteckt. Am Morgen erwachte ich nicht von selbst, sondern ich wurde von Hawkens geweckt, welcher mir sagte, daá alles zum Aufbruche bereit sei. Der Tag war kaum angebrochen, ein sp„ter Herbstmorgen, dessen Khle allerdings bewies, daá es Zeit gewesen war, die Reise nicht l„nger aufzuschieben. Es gab ein kurzes Frhstck, und dann begleiteten uns s„mtliche Bewohner des Pueblo, "Kind und Kegel", wie man sich auszudrcken pflegt, hinab nach dem Flusse, wo eine Zeremonie vorgenommen werden sollte, die ich noch nicht gesehen hatte: der Medizinmann hatte zu erkl„ren, ob die Reise eine glckliche oder unglckliche sein werde. Zu dieser Feierlichkeit waren auch die in der N„he des Pueblo sich aufhaltenden Apachen herbeigekommen. Unser groáer Ochsenwagen stand noch da; er konnte von uns natrlich nicht mitgenommen werden, weil er zu schwerf„llig war und die Schnelligkeit, welche wir uns vorgenommen hatten, beeintr„chtigt h„tte. Er bildete das Sanktuarium des Medizinmannes, welcher ihn mit Decken verhangen hatte, hinter denen er steckte. Es wurde ein weiter Kreis um den Wagen gebildet. Als dieser geschlossen war, begann die fr die Roten "heilige Handlung", welche ich aber im Stillen mit dem Ausdrucke "Vorstellung" - 384 - bezeichnete, mit einem aus dem Wagen t”nenden Knurren und Pfauchen, als ob mehrere Hunde und Katzen im Begriffe st„nden, einen Kampf zu beginnen. Ich stand zwischen Winnetou und seiner Schwester. Die groáe Aehnlichkeit, welche zwischen den Geschwistern herrschte, trat heut ganz besonders hervor, weil Nscho-tschi nicht ein Frauengewand trug, sondern M„nnerkleider angelegt hatte. Ihr Anzug glich genau demjenigen ihres Bruders, welcher schon beschrieben worden ist. Auch sie hatte keine Kopfbedeckung und ihr Haar in einen solchen Schopf geordnet, wie er das seinige. An ihrem Grtel hingen mehrere Beutel mit verschiedenem Inhalte; in demselben steckten ein Messer und eine Pistole, und ber ihrem Rcken hing ein Gewehr. Ihr Anzug war neu und mit bunten Fransen und Stickereien verziert. Sie sah sehr kriegerisch und dabei doch so m„dchenhaft und reizend aus, daá aller Blicke auf sie gerichtet waren. Da ich den Anzug trug, welchen ich geschenkt bekommen hatte, so waren wir drei beinahe gleich gekleidet. Ich mochte, als das Pfauchen sich h”ren lieá, ein nicht grad feierliches Gesicht machen, denn Winnetou sagte: ¯Mein Bruder kennt diesen unsern Gebrauch noch nicht; er wird im Stillen ber uns lachen.® ¯Mir ist kein religi”ser Gebrauch, und wenn ich ihn noch so wenig verstehen und begreifen kann, l„cherlich,® antwortete ich. ¯Das ist das richtige Wort: religi”s. Was du hier sehen und h”ren wirst, ist keine heidnische Mummerei, sondern jede Bewegung und jeder Laut des Medizinmannes hat eine Bedeutung. Das, was du jetzt vernimmst, sind die gegen einander streitenden Stimmen des guten und des b”sen Geschickes.® In dieser Weise erkl„rte er mir auch den fernern Verlauf des Medizintanzes. Auf das Pfauchen folgte ein immer wiederkehrendes Geheul, welches mit sanfteren T”nen abwechselte. Das Geheul ert”nte in den Augenblicken, wenn der in die Zukunft forschende Medizinmann b”se Anzeichen wahrnahm, und die zarteren Laute dann, wenn er Gutes voraussah. Als dies l„ngere Zeit gedauert hatte, kam er pl”tzlich aus dem Wagen gesprungen und rannte wie ein Wtender und brllend im Kreise herum. Nach und nach - 385 - verlangsamten sich seine Schritte; das Brllen h”rte auf; die so gut "gemimte" Angst, welche ihn herumgetrieben hatte, legte sich, und er begann einen langsamen, grotesken Tanz, welcher um so seltsamer war, als er sich das Gesicht mit einer schrecklich aussehenden Maske bedeckt und den K”rper mit allerlei [Illustration Nr. 17: Der Tanz des Medizinmannes] wunderlichen, teils auch ungeheuerlichen Gegenst„nden behangen hatte. Diesen Tanz begleitete er mit einem eint”nigen Gesange. Beide, Gesang und Tanz, waren erst bewegter, wurden nach und nach immer ruhiger, bis sie aufh”rten und der Medizinmann sich niedersetzte, um, den Kopf zwischen die Knie niederbeugend, eine ganze lange Weile laut- und bewegungslos zu - 386 - verharren, bis er pl”tzlich aufsprang und das Resultat seiner Seherschaft in den laut gerufenen Worten verkndete: ¯H”rt, h”rt, ihr S”hne und T”chter der Apachen! Das ist es, was Manitou, der groáe, gute Geist, mich erforschen lieá. Intschu tschuna und Winnetou, die H„uptlinge der Apachen, und Old Shatterhand, der unser weiáer H„uptling ist, reiten mit ihren roten und weiáen Kriegern fort, um Nscho-tschi, die junge Tochter unseres Stammes, nach den Wohnpl„tzen der Bleichgesichter zu begleiten. Der gute Manitou ist bereit, sie zu beschtzen. Sie werden einige Abenteuer erleben, ohne Schaden davon zu haben, und glcklich zu uns zurckkehren. Auch Nscho-tschi, welche l„ngere Zeit bei den Bleichgesichtern bleibt, kommt glcklich wieder, und nur einer von ihnen ist es, den wir nicht wiedersehen werden.® Er hielt inne und senkte den Kopf tief herab, um seiner Trauer ber diese letztere Tatsache Ausdruck zu geben. ¯Uff, uff, uff!® riefen die Roten neugierig und bedauernd aus; aber keiner wagte es, zu fragen, wen er meine. Da der Medizinmann l„ngere Zeit in seiner gebckten Haltung und seinem Schweigen verharrte, so ging meinem kleinen Sam Hawkens die Geduld aus, und er fragte: ¯Wer ist es denn, der nicht zurckkehren wird? Der Mann der Medizin mag es doch sagen!® Der Angerufene machte eine verweisende Armbewegung, wartete nun grad noch lange Zeit, erhob dann seinen Kopf, richtete die Augen auf mich und rief: ¯Es w„re besser, wenn nicht nach ihm gefragt worden w„re. Ich wollte ihn nicht nennen; nun aber hat Sam Hawkens, das neugierige Bleichgesicht, mich gezwungen, es zu sagen. Old Shatterhand ist es, der nicht wiederkommen wird. Der Tod trifft ihn in kurzer Zeit. Die, denen ich eine glckliche Heimkehr verkndet habe, m”gen sich vor seiner N„he hten, wenn sie nicht ihr Leben mit dem seinen lassen wollen! Sie befinden sich bei ihm in Gefahr, von ihm entfernt aber stets in Sicherheit. Das sagt der groáe Geist Howgh!® Nach diesen Worten kehrte er in den Wagen zurck. Die Roten lieáen, scheue Blicke auf mich richtend, Ausdrcke des - 387 - Bedauerns h”ren. Ich galt ihnen von jetzt an als ein verfemter Mann, den man zu meiden hatte. ¯Was ist diesem Kerl denn eingefallen?® meinte Sam zu mir. ¯Ihr sollt sterben? F„llt auáer diesem Schafskopf keinem andern Menschen ein! Diese Idee ist natrlich seinem schwindschtigen Gehirn entsprungen. Wie mag er doch auf sie gekommen sein?® ¯Fragt lieber, welche Absicht er dabei verfolgt! Er will mir nicht wohl. Kein indianischer Medizinmann wird der Freund eines Christen sein; dieser hier hat niemals ein Wort an mich gerichtet, und ich habe ihn natrlich mit gleicher Mnze bezahlt; er war Luft fr mich. Er frchtet meinen Einfluá auf die H„uptlinge, welcher sich bald auf den ganzen Stamm erstrecken kann, und hat nunmehr die passende Gelegenheit ergriffen, dem zuvorzukommen.® ¯Soll ich hingehen und ihm einige Ohrfeigen in das rote Gesicht pflanzen, Sir?® ¯Macht keine Dummheit, Sam! Die Sache ist ja der Aufregung gar nicht wert.® Intschu tschuna, Winnetou und Nscho-tschi hatten, als sie die Weissagung des Medizinmannes h”rten, einander betroffen angeschaut. Ob sie an die Wahrheit der Prophezeiung glaubten oder nicht, das blieb sich gleich; aber sie kannten die Wirkung derselben auf ihre Untergebenen. Es sollten dreiáig Mann mit uns reiten; wenn diese glaubten, daá meine N„he Verderben bringe, so waren Unzutr„glichkeiten aller Art gar nicht zu vermeiden. Dem konnte, da der Ausspruch des Medizinmannes nicht abzu„ndern war, nur dadurch vorgebeugt werden, daá die Anfhrer gegen mich dieselben blieben wie vorher und dies ihren Leuten sogleich zeigten. Darum ergriffen sie beide meine H„nde und Intschu tschuna sagte so laut, daá alle es h”rten: ¯Meine roten Brder und Schwestern m”gen meine Worte vernehmen! Unser Medizinbruder besitzt den Blick, in die Geheimnisse der Zukunft zu dringen, und sehr oft ist das, was er vorherverkndet hat, eingetroffen; aber wir haben auch erfahren, daá er sich irren kann. Er hat in der Zeit groáer Drre den Regen herbeigezogen, der aber nicht gekommen ist. Vor dem letzten Zuge gegen die Komanchen verkndete er uns, daá wir - 388 - groáe Beute machen wrden, doch der Sieg, den wir errangen, hat uns nur einige alte Pferde und drei schlechte Gewehre eingebracht. Als er uns im vorletzten Herbste sagte, daá wir nach dem Wasser des Tugah gehen máten, wenn wir viel Bffel erlegen wollten, haben wir nach seinen Worten getan, jedoch wir machten so wenig Fleisch, daá dann im Winter beinahe eine Hungersnot ausbrach. Ich k”nnte euch noch mehrere solche Beispiele anfhren, welche beweisen, daá sein Auge zuweilen dunkel ist. Darum ist es sehr wohl m”glich, daá er sich auch jetzt mit unserm Bruder Old Shatterhand irrt. Ich nehme seine Worte so, als ob sie nicht gesprochen worden seien, und fordere meine Brder und Schwestern auf, dies auch zu tun. Wir wollen abwarten, ob sie zutreffen.® Da trat mein kleiner Sam Hawkens vor und rief: ¯Nein, wir warten nicht; wir brauchen nicht zu warten, denn es gibt ein Mittel, sofort zu erfahren, ob der Medizinmann die Wahrheit verkndet hat.® ¯Welches Mittel meint mein weiáer Bruder?® erkundigte sich der H„uptling. ¯Ich will es euch sagen. Nicht nur die Roten, sondern auch die Weiáen haben ihre Medizinm„nner, welche es verstehen, die Zukunft zu erforschen, und ich, Sam Hawkens, bin der berhmteste unter ihnen.® ¯Uff, uff!® riefen die Apachen erstaunt. ¯Ja, da wundert ihr euch! Ihr habt mich bisher fr einen gew”hnlichen Westmann gehalten, weil ihr mich noch nicht kennt; aber ich kann mehr als Kirschen essen, und ihr sollt mich kennen lernen, hihihihi! Einige von den roten Kriegern m”gen ihre Tomahawks nehmen und ein enges, aber tiefes Loch in die Erde graben.® ¯Will mein weiáer Bruder in das Innere der Erde blicken?® fragte Intschu tschuna. ¯Ja, denn die Zukunft liegt im Schoáe der Erde verborgen, zuweilen auch in den Sternen; da ich jedoch jetzt am hellen Tage keine Sterne sehe, die ich befragen k”nnte, muá ich mich an die Erde wenden.® Einige Indianer folgten seiner Aufforderung, indem sie mit ihren Kriegsbeilen ein Loch machten. - 389 - ¯Treibt keinen Humbug, Sam,® flsterte ich ihm zu. ¯Wenn die Roten merken, daá Ihr Unsinn macht, so verschlimmert Ihr die Sache, anstatt daá Ihr sie verbessert!® ¯Humbug? Unsinn? Was ist es denn, was der Medizinmann treibt? Doch auch Unsinn! Was der kann und darf, das kann und darf ich auch, wenn ich mich nicht irre, verehrter Sir. Ich weiá, was ich tue. Wenn nichts geschieht, so zeigen sich die Leute, welche wir mitnehmen, obstinat. Darauf k”nnt Ihr Euch verlassen.® ¯Davon bin ich allerdings auch berzeugt; aber ich bitte Euch, ja nichts L„cherliches vorzunehmen!® ¯O, es ist ernst, sehr ernst. Habt keine Sorge!® Es war mir trotz dieser seiner Aufforderung nicht ganz wohl zu Mute. Ich kannte ihn nur zu gut. Er war ein Spaávogel. Darum h„tte ich ihn gern noch weiter gewarnt, aber er lieá mich stehen und ging zu den Indianern, um ihnen zu sagen, wie tief das Loch zu machen sei. Als es fertig war, trieb er sie fort und zog seinen alten, ledernen Jagdrock aus. Nachdem er ihn wieder zugekn”pft hatte und auf die Erde setzte, stand das alte Kleidungsstck so steif, als w„re es aus Blech oder Holz gemacht. Er stellte den Rock, welcher einen hohlen Zylinder bildete, auf das Loch, gab sich ein wichtiges Aussehen und rief: ¯Die M„nner, Frauen und Kinder der Apachen werden sehen, was ich tue und erfahre, und darber staunen. Die Erde wird mir, wenn ich meine Zauberworte gesprochen habe, ihren Schoá ”ffnen, so daá ich alles sehe, was in n„chster Zeit mit uns geschehen wird.® Hierauf entfernte er sich ein kleines Stck von dem Loche und ging dann langsam und mit feierlichen Schritten um dasselbe herum, wobei er zu meinem Entsetzen das kleine Einmaleins von der Eins bis mit der Neun hersagte. Glcklicherweise tat er dies so schnell, daá die Roten wohl gar nicht merkten, was er sprach. Als er mit der Neun zu Ende war, wurden seine Schritte immer schneller, bis er im Galopp um den Rock sprang, wobei er ein lautes Geheul h”ren lieá und seine Arme wie Windmhlenflgel bewegte. Als er sich auáer Atem gelaufen und gebrllt hatte, trat er zu seinem Rocke hin, machte mehrere - 390 - tiefe Verbeugungen und steckte den Kopf oben hinein, um durch den Jagdrock hinab ins Loch zu sehen. Mir war um den Erfolg dieser Kinderei bange. Ich blickte mich im Kreise um und bemerkte zu meiner Beruhigung, daá die Roten alle mit groáem Ernste bei der Sache waren. Auch die Gesichter der beiden H„uptlinge verrieten keine Miábilligung; ich war aber berzeugt, daá Intschu tschuna recht wohl wuáte, daá Sams Treiben bloáe Spiegelfechterei war. Sein Kopf steckte wohl fnf Minuten lang in der Kragen”ffnung seines Rockes. W„hrend dieser Zeit bewegte er zuweilen seine Arme in einer Weise, welche andeuten sollte, daá er ganz Wichtiges und Wunderbares vor den Augen habe. Endlich zog er den Kopf heraus. Seine Miene war im h”chsten Grade ernst. Er kn”pfte den Rock wieder auf, zog ihn an und gebot: ¯Meine roten Brder m”gen das Loch zumachen, denn so lange es offen steht, darf ich nichts sagen!® Als diese Aufforderung befolgt worden war, holte er tief Atem, als ob er sich sehr angegriffen fhle, und rief dann: ¯Euer roter Medizinbruder hat falsch gesehen, denn es wird grad das Gegenteil von dem geschehen, was er sagte. Ich habe alles erfahren, was uns die n„chsten Wochen bringen; aber es ist mir verboten, es mitzuteilen. Nur einiges darf ich berichten. Ich habe Gewehre in dem Loche gesehen und Schsse geh”rt; wir werden also K„mpfe zu bestehen haben. Der letzte Schuá kam aus dem B„rent”ter Old Shatterhands. Wer den letzten Schuá hat, kann doch nicht gefallen und gestorben, sondern er muá Sieger sein. Meinen roten Brdern droht Unheil. Sie k”nnen demselben nur dadurch entgehen, daá sie sich in der N„he Old Shatterhands halten. Wenn sie aber das tun, was der Medizinmann von ihnen forderte, so gehen sie zugrunde. Ich habe gesprochen. Howgh!® Die Wirkung dieser Weissagung war, wenigstens in diesem Augenblicke, diejenige, welche Sam beabsichtigt hatte. Die Roten glaubten ihm, das sah man ihnen an. Sie blickten erwartungsvoll nach dem Wagen. Sie glaubten wohl, daá der Medizinmann aus demselben kommen werde, um sich zu verteidigen. Er lieá sich aber nicht sehen, und so nahmen sie an, daá er sich - 391 - besiegt fhle. Sam Hawkens kam auf mich zu, funkelte mich mit seinen kleinen Aeuglein listig an und fragte: ¯Nun, Sir, wie habe ich meine Sache gemacht?® ¯Wie ein echter, richtiger Schwindelmeier.® ¯Well! Also gut? Nicht?® ¯Ja. Wenigstens hat es den Anschein, als ob Ihr Euern Zweck erreicht h„ttet.® ¯Habe ihn vollst„ndig erreicht. Der Medizinmann ist geschlagen; er l„át sich nicht sehen und nicht h”ren.® Winnetou lieá seine Augen mit einem stillen und doch vielsagenden Blicke auf uns ruhen. Sein Vater war weniger schweigsam; er trat zu uns und sagte zu Sam: ¯Mein weiáer Bruder ist ein kluger Mann; er hat den Worten unsers Medizinmannes die Kraft genommen, und er besitzt einen Rock, in welchem wichtige Weissagungen stecken. Dieser kostbare Rock wird berhmt werden von einem groáen Wasser bis zum andern. Aber Sam Hawkens ist mit seiner Vorherverkndigung zu weit gegangen.® ¯Zu weit? Wieso?® erkundigte sich der Kleine. ¯Es h„tte gengt, zu sagen, daá Old Shatterhand uns keinen Schaden bringe. Warum hat Sam Hawkens hinzugefgt, daá uns Schlimmes bevorstehe?® ¯Weil ich es im Loche gesehen habe.® Da machte Intschu tschuna eine abwehrende Handbewegung und erkl„rte: ¯Der H„uptling der Apachen weiá, woran er ist; das mag Sam Hawkens glauben. Es war nicht n”tig, von schlimmen Dingen zu sprechen und unsere Leute mit Besorgnis zu erfllen.® ¯Mit Besorgnis? Die Krieger der Apachen sind doch tapfere M„nner, die sich nicht frchten werden.® ¯Sie frchten sich nicht; das werden sie beweisen, falls unser Ritt, der ein friedlicher sein soll, uns mit Feinden zusammenfhren sollte. Wir wollen ihn nun beginnen.® Die Pferde wurden gebracht. Es war eine ziemliche Zahl von Packtieren dabei, von denen einige meine Instrumente zu tragen hatten; die brigen waren mit Proviant und andern Notwendigkeiten beladen. Es herrscht bei den Indianern der Brauch, daá die fort- - 392 - ziehenden [fortziehenden] Krieger von den zurckbleibenden eine Strecke weit begleitet werden. Dies geschah heut nicht, weil Intschu tschuna es nicht gewollt hatte. Die dreiáig Roten, welche mit uns ritten, nahmen nicht einmal von ihren Frauen und Kindern Abschied. Sie hatten dies wohl schon vorher getan, denn es ”ffentlich zu tun, erlaubte ihre Kriegerwrde nicht. Einen Einzigen gab es, welcher mit Worten Abschied nahm, n„mlich Sam Hawkens. Er sah Kliuna-ai unter den Frauen stehen, lenkte, als er bereits im Sattel saá, sein Maultier zu ihr hin und fragte: ¯Hat "Mond" geh”rt, was ich im Loche der Erde gesehen habe?® ¯Du hast es gesagt, und ich h”rte es,® antwortete sie. ¯Ich h„tte noch mehr, noch viel mehr sagen k”nnen, zum Beispiele auch von dir.® ¯Von mir? Habe ich auch mit im Loche gesteckt?® ¯Ja. Ich sah deine ganze Zukunft vor mir liegen. Soll ich sie dir mitteilen?® ¯Ja, tue das!® bat sie schnell und eifrig. ¯Was wird mir die Zukunft bringen?® ¯Sie wird dir nicht etwas bringen, sondern etwas rauben, etwas, was dir sehr wert und teuer ist.® ¯Was ist das?® erkundigte sie sich „ngstlich. ¯Dein Haar. Du wirst es in einigen Monden verlieren und einen frchterlichen Kahlkopf bekommen, grad so wie der Mond, der ja auch keine Haare hat. Dann werde ich dir meine Percke schicken. Leb wohl, du trauriger Mondschein, du!® Er trieb lachend sein Maultier von dannen, und sie wendete sich ab, sehr besch„mt darber, daá sie sich durch ihre Neugierde hatte auf das Eis fhren lassen. Die Ordnung, in welcher wir ritten, machte sich ganz von selbst. Intschu tschuna und Winnetou mit seiner Schwester und ich waren an der Spitze; dann folgten Hawkens, Parker und Stone, und hinter ihnen kamen die dreiáig Apachen, welche miteinander abwechselten, die Packpferde zu leiten. Nscho-tschi saá rittlings, also nach M„nnerart, auf ihrem Pferde. Sie war, wie ich schon wuáte und es sich auch im Verlaufe unserer Reise zeigte, eine ausgezeichnete und auch aus- - 393 - dauernde [ausdauernde] Reiterin. Ebenso gut wuáte sie ihre Waffen zu handhaben. Wer uns begegnet w„re, ohne sie zu kennen, h„tte sie fr einen jngeren Bruder Winnetous halten mssen; einem sch„rferen Auge aber konnte die frauenhafte Weichheit ihrer Gesichtszge und K”rperformen nicht entgehen. Sie war sch”n, wirklich sch”n, selbst trotz ihres m„nnlichen Anzuges und ihrer m„nnlichen Art, zu reiten, sch”n! Die ersten Tage unserer Reise verliefen ohne irgend ein Ereignis, welches erw„hnt zu werden verdiente. Wie bekannt, hatten die Apachen fnf Tage gebraucht, um von dem Orte des Ueberfalles nach dem Pueblo am Rio Pecos zu kommen. Der Transport der Gefangenen und Verwundeten hatte diesen Ritt verlangsamt. Wir erreichten schon nach drei Tagen die Stelle, an welcher Klekih-petra von Rattler ermordet worden war. Dort wurde Halt und Nachtlager gemacht. Die Apachen trugen Steine zu einem einfachen Denkmale zusammen. Winnetou war an dieser St„tte noch ernster als gew”hnlich gestimmt. Ich erz„hlte ihm, seinem Vater und seiner Schwester, was Klekih-petra mir ber sein frheres Leben mitgeteilt hatte. Am n„chsten Morgen ging es weiter, bis in die Gegend, wo unsere Meáarbeit so pl”tzlich durch den Ueberfall unterbrochen worden war. Die Pf„hle steckten noch, und ich konnte sofort beginnen, tat dies aber nicht, weil es zun„chst noch Notwendigeres zu tun gab. Es war n„mlich den Apachen damals nach dem Kampfe nicht eingefallen, die toten Weiáen und Kiowas zu begraben, sondern sie hatten die Leichen liegen lassen, wie sie lagen. Was von ihnen unterlassen worden war, hatten die Geier und andere Raubtiere bernommen, doch freilich in anderer Weise. Die Knochen lagen umher, oft v”llig abgenagt, oft auch mit faulenden Fleischresten behangen; es war eine schaurige Arbeit fr mich, Sam, Dick und Will, diese Ueberreste zu sammeln und in ein gemeinschaftliches Grab zu legen. Die Apachen beteiligten sich natrlich nicht dabei. Darber verging der Tag, und ich fing erst am n„chsten Morgen meine Arbeit an. Abgesehen von den Kriegern, welche mir die n”tigen Handreichungen taten, half mir besonders Winnetou dabei, und seine Schwester kam kaum von meiner Seite. - 394 - Es war ein ganz anderes Schaffen als damals, wo ich es mit so unsympathischen Menschen zu tun gehabt hatte. Die Roten, welche ich nicht besch„ftigte, streiften in der Gegend herum und brachten dann abends manche Jagdbeute mit. Es l„át sich denken, daá ich die Arbeit sehr rasch f”rderte. Ich erreichte trotz der Schwierigkeit des Terrains den Anschluá an die n„chste Sektion schon nach drei Tagen und bedurfte nur noch eines vierten Tages, um die Zeichnungen und Notizen zu vervollst„ndigen. Dann war ich fertig, und das war gut, denn der Winter rckte schnell heran; die N„chte waren schon empfindlich kalt, so daá wir die Feuer bis zum Morgen nicht ausgehen lieáen. Wenn ich gesagt habe, daá die Apachen mir behilflich waren, so kann ich doch leider nicht behaupten, daá sie dies gern getan h„tten. Sie gehorchten dabei den Befehlen ihrer H„uptlinge; ohne dieselben h„tten sie mich wohl schwerlich untersttzt. Man sah es jedem, den ich besch„ftigte, an, daá er sich freute, wenn seine Handreichungen nicht mehr gebraucht wurden. Und wenn wir dann am Abende beisammen saáen, so lagerten die dreiáig Indsmen stets entfernter von uns, als n”tig war und ihnen die Achtung vor ihren H„uptlingen gebot. Diese letzteren bemerkten dies sehr wohl, schwiegen aber darber. Sam beobachtete es auch und meinte zu mir: ¯Wollen gar nicht so recht ans Zeug, diese Roten. Es ist und bleibt doch immer wahr: der Rote ist ein tchtiger J„ger und tapferer Krieger, sonst aber ein Faulpelz. Die Arbeit schmeckt ihm nicht.® ¯Das, was sie fr mich tun, strengt nicht im mindesten an und ist gar keine Arbeit zu nennen. Ihr Widerwille hat wohl einen andern Grund.® ¯So? Welchen denn?® ¯Sie scheinen an die Prophezeiung ihres Medizinmannes zu denken und derselben mehr zu glauben als der Eurigen, lieber Sam.® ¯Mag sein, w„re aber dumm von ihnen.® ¯Und sodann ist ihnen meine Arbeit doch jedenfalls ein Greuel. Die hiesige Gegend geh”rt ihnen, und ich vermesse sie fr andere Leute, fr ihre Feinde. Daran mát Ihr auch denken, Sam.® - 395 - ¯Aber ihre H„uptlinge wollen es doch so!® ¯Allerdings. Das setzt aber nicht voraus oder vielmehr hat nicht zur Folge, daá sie auch damit einverstanden sind. Sie sind im Stillen dagegen. Und wenn ich sie beobachte, wie sie beisammen sitzen und leise miteinander sprechen, so sehe ich es ihren Mienen an, daá sie von mir reden, und zwar nichts, worber ich mich freuen wrde, wenn ich es h”rte.® ¯Kommt mir auch so vor. Kann uns aber sehr gleichgltig sein. Was sie denken und reden, kann uns nichts schaden. Wir haben es mit Intschu tschuna, Winnetou und Nscho-tschi zu tun, und ber diese Drei k”nnen wir doch wohl nicht klagen.® Da hatte er recht. Winnetou und sein Vater waren mir in Allem behilflich und von einer wahrhaft brderlichen Zuvorkommenheit, und die Indianerin sah mir gar jeden Wunsch an den Augen ab. Es war, als ob sie jeden meiner Gedanken erraten k”nne. Sie tat immer nur, was ich wollte, ohne daá ich es auszusprechen brauchte, und das erstreckte sich auf Dinge und Kleinigkeiten, die kein Mensch sonst zu beachten pflegt. Ich wurde ihr mit jedem Tage mehr zur Dankbarkeit verpflichtet. Sie war eine scharfe Beobachterin und aufmerksame Zuh”rerin, und ich bemerkte zu meiner Freude und Genugtuung, daá ich, absichtlich oder unabsichtlich, ihr Lehrer war, von dem sie mit Begierde lernte. Wenn ich sprach, hing ihr Auge an meinen Lippen, und was ich tat, tat sie dann sp„ter genau ebenso, selbst wenn es den Gewohnheiten ihrer Rasse widersprach. Sie schien nur fr mich da zu sein und war fr meine Bequemlichkeit und mein Wohlbefinden viel besorgter als ich selbst, der ich gar nicht daran dachte, es besser haben zu wollen als die Andern. Also am Ende des vierten Tages war ich fertig und verpackte die Meáinstrumente in die dazu mitgebrachten Decken. Wir machten uns reisefertig und brachen am Morgen des fnften Tages auf. Die beiden H„uptlinge hatten sich fr ganz dieselbe Route entschlossen, auf welcher ich von Sam in diese Gegend gebracht worden war. Als wir derselben zwei Tage lang gefolgt waren, hatten wir eine Begegnung. Wir befanden uns in einer flachen, grasigen und hier und da durch Buschwerk unterbrochenen Gegend, die uns einen guten Ausblick gew„hrte, was im Westen immer - 396 - von Vorteil ist. Man kann nicht wissen, auf was fr Menschen man trifft, und da ist es gut, wenn man jede Ann„herung im Voraus bemerkt. Wir sahen vier Reiter uns entgegenkommen; sie waren Weiáe. Sie erblickten uns natrlich ebenso wie wir sie und hielten an, ungewiá, ob sie ihren Weg fortsetzen oder uns ausweichen sollten. Dreiáig Roten zu begegnen, das ist nicht angenehm fr Weiáe, die nur zu Vieren sind, zumal wenn sie nicht wissen, welchem Stamme die Indianer angeh”ren. Aber sie sahen, daá Weiáe bei den Indsmen waren, und das schien ihr Bedenken zu heben, denn sie lieáen ihre Pferde in derselben Richtung weitergehen. Sie waren wie Cowboys gekleidet und mit Gewehren, Messern und Revolvern bewaffnet. Als sie uns auf zwanzig Schritte nahe gekommen waren, hielten sie ihre Pferde an, nahmen, der Uebung gem„á, ihre Gewehre schuáfertig in die Hand, und der Eine von ihnen rief uns an: ¯Good day, Mesch'schurs! Ist es n”tig, den Finger am Drcker zu haben, oder nicht?® ¯Good day, Gents,® antwortete Sam. ¯Tut eure Schieáh”lzer getrost weg! Wir haben nicht die Absicht, euch aufzufressen. Darf man erfahren, woher ihr kommt?® ¯Vom alten Mississippi herber.® ¯Und wohin wollt ihr?® ¯Hinauf ins New-Mexiko und von dort aus nach Kalifornien hinber. Haben geh”rt, daá dort Rinderhirten gebraucht und besser bezahlt werden als da, woher wir kommen.® ¯K”nnt recht haben, Sir; mát aber noch einen weiten Weg machen, bis ihr eine solche feine Anstellung erhaltet. Wir kommen von da oben herunter und wollen nach St. Louis. Ist der Weg jetzt rein?® ¯Ja. Wenigstens haben wir nichts vom Gegenteile geh”rt. Brauchtet euch aber auch in einem solchen Falle nicht zu frchten; seid ja zahlreich genug. Oder reiten die roten Gentlemen nicht weit mit?® ¯Nur die beiden Krieger hier mit ihrer Tochter und Schwester, Intschu tschuna und Winnetou, die H„uptlinge der Apachen.® ¯Was Ihr sagt, Sir! Eine rote Lady, welche nach St. Louis will? Darf man vielleicht eure Namen erfahren?® - 397 - ¯Warum nicht! Sind ehrliche Namen; brauchen sie nicht zu verheimlichen. Ich werde Sam Hawkens genannt, wenn ich mich nicht irre. Da sind meine Kameraden Dick Stone und Will Parker, und hier neben mir seht ihr Old Shatterhand, einen Boy, der den grauen B„r mit dem Messer ersticht und den st„rksten Menschen mit der Faust zu Boden schl„gt. Nun habt ihr wohl die Gewogenheit, mir eure Namen auch zu nennen?® ¯Gern. Von Sam Hawkens haben wir geh”rt, von den andern Gentlemen noch nicht. Ich heiáe Santer und bin kein so berhmter Westl„ufer wie Ihr, sondern ein einfacher, armer Cowboy.® Er nannte auch die Namen seiner drei Gef„hrten, welche ich mir nicht gemerkt habe, tat noch einige Fragen, welche sich auf den Weg bezogen, und dann ritten sie weiter. Als sie fort waren, fragte Winnetou Sam: ¯Warum hat mein Bruder diesen Leuten so genaue Auskunft gegeben?® ¯Sollte ich sie ihnen verweigern?® ¯Ja.® ¯Wáte nicht, warum. Wir wurden h”flich gefragt, und so muáte ich h”flich antworten; so wenigstens tut Sam Hawkens stets.® ¯Der H”flichkeit der Bleichgesichter traue ich nicht. Sie waren h”flich, weil wir achtmal mehr z„hlten als sie. Es ist mir nicht lieb, daá du ihnen gesagt hast, wer wir sind.® ¯Warum? Meinst du, daá dies uns Schaden machen kann?® ¯Ja.® ¯In welcher Weise?® ¯In mancherlei Weise. Diese Bleichgesichter haben mir nicht gefallen. Die Augen dessen, der mit dir sprach, waren keine guten Augen.® ¯Habe das nicht bemerkt. Aber selbst wenn es so w„re, uns tut es nichts. Sie sind fort; sie reiten dahin und wir dorthin; es wird ihnen nicht einfallen, umzukehren und uns zu bel„stigen.® ¯Dennoch will ich wissen, was sie tun. Meine Brder m”gen langsam weiterreiten; ich aber werde mit Old Shatterhand umkehren und diesen Bleichgesichtern eine Strecke folgen. - 398 - Ich muá wissen, ob sie wirklich weiterreiten oder sich nur den Schein gegeben haben, dies zu tun.® W„hrend die Andern hierauf ihren Weg fortsetzten, ritt er mit mir auf unserer Spur, welcher die vier Fremden gefolgt waren, zurck. Ich muá sagen, daá dieser Santer mir auch nicht gefallen hatte, und seine drei Gef„hrten hatten ebenso wenig vertrauenswrdig ausgesehen. Nur vermochte ich mir nicht zu sagen, was sie uns anhaben konnten oder wollten. Selbst wenn sie zu den Leuten geh”rten, welche das Eigentum anderer Menschen mit dem ihrigen zu verwechseln pflegen, fragte ich mich vergeblich, was sie verlocken k”nnte, anzunehmen, daá bei uns ein Fang zu machen sei. Und selbst wenn sie dies glaubten, war es mir h”chst unwahrscheinlich, daá sie es wagen wrden, sie, die Vier, gegen siebenunddreiáig wohl bewaffnete Personen vorzugehen. Aber als ich eine hierauf bezgliche Frage an Winnetou richtete, erkl„rte er mir: ¯Wenn sie Diebe sind, so kehren sie sich nicht an unsere Ueberzahl, da sie nicht beabsichtigen, uns offen anzugreifen; sie folgen uns vielmehr heimlich, um den Augenblick zu erlauschen, an welchem sich der, auf den sie es abgesehen haben, von der Gesellschaft absondert.® ¯Auf wen k”nnten sie es abgesehen haben? Sie kennen uns ja gar nicht.® ¯Auf den, bei dem sie Gold vermuten.® ¯Gold? Wie k”nnen sie wissen, ob welches vorhanden ist, und welche von so vielen Personen es bei sich hat? Sie máten allwissend sein.® ¯O nein. Sie brauchen nur nachzudenken, um es sich fast mit Sicherheit sagen zu k”nnen. Sam Hawkens ist so unvorsichtig gewesen, ihnen zu verraten, daá wir H„uptlinge sind und nach St. Louis wollen. Mehr brauchen sie nicht zu wissen.® ¯Ah, jetzt ahne ich, was mein roter Bruder meint. Wenn Indianer nach dem Osten gehen, brauchen sie Geld; da sie nun keine gepr„gten Mnzen haben, so nehmen sie Gold mit sich, dessen Fundorte sie kennen. Und wenn sie gar H„uptlinge sind, so kennen sie solche Orte ganz gewiá und nehmen sehr wahrscheinlich viel Gold mit.® ¯Mein Bruder Old Shatterhand hat es erraten. Wir - 399 - beiden H„uptlinge sind es, auf welche diese Weiáen ihr Augenmerk richten wrden, falls sie einen Diebstahl oder Raub beabsichtigten. Sie wrden freilich jetzt nichts bei uns finden.® ¯Nicht? Ihr wolltet Euch doch mit Gold versehen!® ¯Wir werden dies erst morgen tun. Warum es bei uns tragen, wenn wir es nicht brauchen? Wir haben bisher nichts zu bezahlen gehabt; dies wird erst geschehen, wenn wir in den Forts einkehren, die auf unserm Wege liegen. Darum werden wir uns nun erst Gold holen, wahrscheinlich morgen schon.® ¯So liegt ein Fundort in der N„he unserer Route?® ¯Ja. Es ist ein Berg, welcher Nugget-tsil genannt wird, doch nur von uns; bei andern Leuten, welche nicht wissen, daá es dort Gold gibt, hat er einen andern Namen. Wir kommen heut abend in seine N„he und werden uns holen, was wir brauchen.® Ich gestehe, daá mich eine Bewunderung berkam, welche mit ein wenig Neid gemischt war. Diese Menschen wuáten das kostbare Metall in Menge liegen und fhrten, anstatt es zu benutzen, ein Leben, welches fast gar keinen Anspruch zivilisierter Menschen kannte! Sie fhrten keine B”rsen und Portemonnaies bei sich, aber sie hatten berall, wohin sie kamen, verborgene Schatzkammern liegen, in welche sie nur zu greifen brauchten, um sich die Taschen mit Gold zu fllen. Wer dies, wenigstens das Letztere und nicht ihr anspruchsloses Leben, nur auch so haben k”nnte! Wir muáten vorsichtig sein, denn Santer sollte nicht merken, daá wir ihm folgten; daher benutzten wir jede Erderh”hung und jeden Strauch, um uns zu decken. Nach einer guten Viertelstunde sahen wir die Vier. Sie trabten munter und unaufhaltsam ihres Weges; sie schienen es eilig zu haben, vorw„rts zu kommen, und an ein Umkehren gar nicht gedacht zu haben oder noch zu denken. Wir hielten an. Winnetou beobachtete sie, bis sie unsern Augen entschwanden, und sagte dann: ¯Sie haben keine b”sen Absichten, und wir k”nnen also ruhig sein.® Er ahnte ebenso wenig wie ich, wie sehr er sich da irrte. Diese Kerls hatten gar wohl Absichten; aber sie waren auáerordentlich schlaue Menschen, wie ich sp„ter durch sie selbst erfuhr. - 400 - Sie nahmen an, daá wir sie eine Weile beobachten wrden, und gaben sich darum den Anschein, als ob sie Eile h„tten. Sp„ter aber kehrten sie um und folgten uns. Wir wendeten unsere Pferde und holten unsere Gef„hrten, da wir galoppierten, schnell wieder ein. Am Abend machten wir an einem Wasser Halt. Gew”hnt, stets vorsichtig zu sein, suchten die H„uptlinge die Umgegend erst sehr sorgf„ltig ab, ehe sie die Weisung erteilten, uns zu lagern. Das Wasser war ein Spring*), der hell und stark aus der Erde hervorsprudelte. Gras fr die Pferde gab es genug, und da der Platz rings von B„umen und Gebsch umschlossen war, so konnten wir helle Feuer brennen, ohne daá dieselben weit gesehen wurden. Zudem stellte Intschu tschuna zwei Wachen aus, und so schien alles geschehen zu sein, was durch die Sorge fr unsere Sicherheit geboten war. Die dreiáig Apachen lagerten sich, wie gew”hnlich, in gar nicht n”tiger Entfernung von uns nieder, um, als die Feuer brannten, ihre Portion Drrfleisch zu essen. Wir Sieben saáen am Rande des Buschwerkes um unser Feuer. Diese N„he des Gestr„uches war aufgesucht worden, weil wir da vor dem khlen Winde geschtzt waren, welcher heut abend wehte. Nach dem Abendessen pflegten wir uns einige Zeit zu unterhalten; so auch heut. Im Laufe dieses Gespr„ches sagte Intschu tschuna, daá wir morgen sp„ter als gew”hnlich, n„mlich erst zu Mittag, aufbrechen wrden, und von Sam Hawkens nach dem Grunde dieser Verz”gerung gefragt, erkl„rte er mit einer Aufrichtigkeit, welche ich sp„ter tief beklagte: ¯Es sollte eigentlich ein Geheimnis sein; aber meinen weiáen Brdern darf ich es anvertrauen, wenn sie mir versprechen, demselben nicht nachzuspren.® Als wir dieses Versprechen gegeben hatten, fuhr er fort: ¯Wir brauchen Geld; darum werde ich morgen frh mit meinen Kindern von hier fortgehen, um Nuggets zu holen, und erst am Mittag wiederkommen.® Stone und Parker lieáen Rufe der Verwunderung h”ren, und Hawkens erkundigte sich, nicht weniger erstaunt: *) Quell. - 401 - ¯So gibt es Gold hier in der N„he?® ¯Ja,® antwortete Intschu tschuna. ¯Niemand ahnt etwas davon; auch meine Krieger wissen es nicht. Ich habe es von meinem Vater erfahren, der es von dem seinigen erfuhr. Solche Geheimnisse vererben sich nur von den V„tern auf die S”hne und werden sehr heilig gehalten. Man teilt sie selbst dem besten Freund nicht mit. Ich habe jetzt zwar davon gesprochen, wrde aber den Ort keinem Menschen sagen oder gar zeigen und einen jeden niederschieáen, der es wagte, uns zu folgen, um ihn zu erfahren.® [Illustration Nr. 18: Am Lagerfeuer] ¯Auch uns wrdest du t”ten?® ¯Auch euch! Ich habe euch Vertrauen erwiesen; wenn ihr es t„uschtet, h„ttet ihr den Tod verdient. Ich weiá aber, daá ihr diesen Lagerplatz nicht eher verlassen werdet, als bis wir von unserem Gange zurckgekehrt sind.® - 402 - Damit brach er kurz und in warnendem Tone ab, und das Gespr„ch nahm eine andere Wendung. Dasselbe wurde nach einiger Zeit durch Sam unterbrochen. Intschu tschuna, Winnetou, Nscho-tschi und ich saáen mit dem Rcken nach dem Gebsch gekehrt; Sam, Dick und Will hatten die Pl„tze an der andern Seite des Feuers inne und also das Gestr„uch vor ihren Augen. Mitten in der Unterhaltung stieá Hawkens einen Ruf aus, griff nach seinem Gewehre, legte es an und schickte eine Kugel in die Bsche. Dieser Schuá versetzte natrlich das ganze Lager in Alarm. Die Indianer sprangen auf und kamen herbei. Auch wir erhoben uns schnell und fragten Sam, warum er geschossen habe. ¯Ich habe zwei Augen gesehen, welche hinter Intschu tschuna aus dem Gestr„uch hervorblickten,® erkl„rte er. Sofort rissen die Roten Br„nde aus den Feuern und drangen in das Gebsch ein. Ihr Suchen war vergeblich. Man beruhigte sich und setzte sich wieder nieder. ¯Sam Hawkens wird sich geirrt haben,® sagte Intschu tschuna. ¯Bei einem flackernden Feuer sind solche T„uschungen sehr leicht m”glich.® ¯Sollte mich wundern; glaube, die zwei Augen ganz gewiá gesehen zu haben.® ¯Der Wind wird zwei Bl„tter umgedreht haben; mein weiáer Bruder hat da ihre untere Seite gesehen, welche heller ist, und sie fr Augen gehalten.® ¯Das w„re allerdings m”glich; habe also Bl„tter totgeschossen hihihihi!® Er lachte in seiner Weise in sich hinein. Winnetou betrachtete die Sache nicht von dieser spaáhaften Seite, sondern sagte in ernstem Tone: ¯Mein Bruder Sam hat auf jeden Fall einen Fehler begangen, vor welchem er sich sp„ter stets hten mag!® ¯Einen Fehler? Ich? Wieso?® ¯Es durfte nicht geschossen werden.® ¯Nicht? Das w„re! Wenn ein Spion im Busche steckt, so habe ich das Recht, ihm eine Kugel zu geben, wenn ich mich nicht irre.® ¯Weiá man, ob der Sp„her feindliche Absichten hat? Er - 403 - entdeckt uns und schleicht sich heran, um zu erfahren, wer wir sind. Vielleicht tritt er dann hervor, um uns zu gráen.® ¯Hm, das ist freilich wahr,® gestand der Kleine ein. ¯Der Schuá war fr uns gef„hrlich,® fuhr Winnetou fort. ¯Entweder hat Sam sich geirrt und keine Augen gesehen; da war der Knall berflssig und kann nur Feinde herbeilocken, die sich vielleicht in der N„he befinden. Oder es ist wirklich ein Mensch dagewesen, dessen Augen Sam bemerkt hat; auch da war es falsch, auf ihn zu schieáen, weil vorauszusehen war, daá die Kugel nicht treffen wrde.® ¯Oho! Sam Hawkens ist seiner Kugel sicher! M”chte den sehen, der mir einen Fehlschuá nachweist!® ¯Ich kann auch schieáen, wrde aber wahrscheinlich doch nicht treffen. Der Sp„her sieht doch, daá ich auf ihn ziele; er erkennt daraus, daá er bemerkt worden ist, und wird eine schnelle Bewegung machen, um von der Mndung meines Gewehrs wegzukommen. Die Kugel geht dann fehl, und der Mann verschwindet in der Nacht.® ¯Ja, ja; aber was h„tte mein roter Bruder denn an meiner Stelle getan?® ¯Entweder den Knieschuá angewendet oder mich still von hier entfernt, um dem Sp„her auf einem Umwege in den Rcken zu kommen.® Der Knieschuá ist der schwierigste Schuá, den es gibt. Viele, viele Westm„nner, die sonst gute Schtzen sind, bringen ihn nicht fertig. Ich hatte nichts davon gewuát, mich aber dann, von Winnetou auf ihn aufmerksam gemacht, in der letzten Zeit darin gebt. Ich setze den Fall, daá ich mich, allein oder mit Anderen, das ist gleich, am Lagerfeuer befinde; mein Gewehr liegt mir, wie es Regel ist, griffbereit zur rechten Hand. Da bemerke ich zwei Augen, welche aus einem Verstecke mich beobachten. Das Gesicht des Sp„hers kann ich nicht sehen, denn es befindet sich im Dunkeln; aber die Augen sind zu sehen, wenn er nicht so vorsichtig ist, durch die gesenkten Wimpern zu blicken. Sie haben einen matten, phosphoreszierenden Glanz, welcher um so bemerkbarer wird, je mehr der Mann das Auge anstrengt. Man glaube aber ja nicht, daá es leicht ist, des Nachts unter - 404 - Millionen von Bl„ttern im Gebsch zwei ge”ffnete Augen zu gewahren. Das lernt man nicht, sondern diese Sch„rfe, diese Sicherheit des Blickes muá angeboren sein. Bin ich berzeugt, einen feindlichen Sp„her vor mir zu haben, so muá ich, um mich zu retten, ihn unsch„dlich machen, ihn t”ten, und zwar durch eine Kugel, welche ihn zwischen die Augen trifft, denn auf diese muá ich zielen, weil sie das Einzige sind, was ich von ihm sehe. Wenn ich aber das Gewehr wie gew”hnlich anlege, es also an die Wange nehme, so sieht er, daá ich auf ihn ziele, und verschwindet augenblicklich. Ich muá mein Ziel also in einer Weise nehmen, daá er es nicht bemerkt. Dies geschieht beim Knieschusse. Ich krmme n„mlich das rechte Bein derart, daá sich das Knie erhebt und mein Oberschenkel eine Linie bildet, deren Verl„ngerung die beiden Augen, welche ich sehe, treffen wrde. Dann greife ich, scheinbar gedankenlos, wie spielend, nichts beabsichtigend, zum Gewehre, nehme den Lauf an meinen Oberschenkel, so daá er genau, in [genau in] die Verl„ngerung desselben zu liegen kommt, und drcke ab. Das ist schwer, sehr schwer, zumal man nur die rechte Hand dazu nehmen darf, da beim Gebrauche beider H„nde der Vorgang keineswegs die so notwendige scheinbare Harmlosigkeit besitzen wrde. Mit dieser einen Hand das Gewehr richten, es fest an den Schenkel halten und dann abdrcken, das bringen hunderte nicht fertig. Dabei ist noch gar nicht mitgerechnet, wie schwer es ist, in dieser Lage und ohne das Auge an das Visier bringen zu k”nnen, ein sicheres Ziel zu nehmen. Und dieses Ziel besteht noch dazu nur aus zwei kaum und ungewiá sichtbaren Punkten mitten in einer vom Flackenfeuer berzitterten, und vielleicht auch vom Winde bewegten Laub- und Bl„ttermasse! Dies meinte Winnetou, als er vom Knieschusse sprach; er war Meister in demselben. Mir war dieser Schuá meist deshalb nicht leicht geworden, weil mein B„rent”ter so schwer wog und mit einer Hand in dieser Weise kaum regiert werden konnte. Die fortgesetzte Uebung brachte mich dann aber doch zu dem gewnschten Erfolge. W„hrend die andern alle sich durch das resultatlose Durchsuchen der Umgebung befriedigt oder beruhigt fhlten, war dies mit Winnetou nicht der Fall. Er stand nach einiger Zeit wie- - 405 - der [wieder] auf und entfernte sich, um die Forschung selbst noch einmal vorzunehmen und fortzusetzen. Es verging ber eine Stunde, bis er wiederkam. ¯Es ist kein Mensch da,® sagte er; ¯Sam Hawkens wird sich also wohl geirrt haben.® Trotzdem stellte er statt der bisherigen zwei nun vier Wachen aus und wies sie an, m”glichst aufmerksam zu sein und den Umkreis des Lagers ”fters abzupatrouillieren. Dann legten wir uns schlafen. Mein Schlaf war kein ruhiger; ich wachte ”fters auf und hatte in den Zwischenzeiten kurze, aber unangenehme Tr„ume, in denen Santer mit seinen drei Gef„hrten die Hauptrolle spielte. Das war gewiá die einfache, leicht erkl„rliche Folge unserer Begegnung mit ihm, gab aber, als wir mit dem Morgen aufstanden, seiner Person eine Bedeutung, die ich mir vergeblich auszureden suchte. Man macht ja die Erfahrung, daá die Person, von welcher ein Mensch tr„umt, dann eine gr”áere Wichtigkeit fr ihn besitzt als vorher. Nach dem Frhstcke, welches aus Fleisch und einer Einrhrung von Mehl in Wasser bestand, machte sich Intschu tschuna mit seinem Sohne und seiner Tochter auf den Weg. Ehe sie gingen, bat ich um die Erlaubnis, sie wenigstens eine Strecke weit begleiten zu k”nnen. Damit sie berzeugt sein sollten, daá ich dies nicht in der Absicht tue, den Weg nach dem Goldorte zu finden, sagte ich ihnen, daá ich den Gedanken an Santer nicht los werden k”nne. Ich wunderte mich ber mich selber, denn ich hegte, ohne irgend einen stichhaltigen Grund zu haben, heute frh die Ueberzeugung, daá er mit seinen Leuten doch zurckgekehrt sei. Das war wohl die Folge meiner Tr„ume. ¯Mein Bruder braucht sich nicht um uns zu sorgen,® antwortete Winnetou. ¯Um ihn zu beruhigen, werde ich noch einmal nach Spuren suchen. Wir wissen, daá er nicht nach Gold strebt; aber wenn er auch nur eine kurze Strecke mit uns ginge, wrde er den Ort ahnen und ganz sicher dann das Fieber bekommen, welches nach dem t”dlichen Staube strebt und das Bleichgesicht nicht eher verl„át, bis es an Leib und Seele zu Grunde gegangen ist. Wir bitten dich also nicht aus Miátrauen, sondern aus Liebe und Vorsicht, nicht mit uns zu gehen.® - 406 - Damit muáte ich mich bescheiden. Er forschte noch einmal nach, ohne aber eine Spur zu entdecken, und dann gingen sie fort. Daraus, daá sie nicht ritten, zog ich den Schluá, daá der Ort, den sie aufsuchen wollten, nicht sehr weit entfernt sein k”nne. Ich legte mich ins Gras, brannte mein Calumet an und unterhielt mich mit Sam, Dick und Will, alles nur, um meine grundlosen Befrchtungen loszuwerden. Aber ich hatte keine Ruhe; ich stand bald wieder auf; es war etwas in mir, was mich forttrieb. Darum warf ich das Gewehr ber und entfernte mich. Vielleicht entdeckte ich ein Wild, welches meine Gedanken ablenkte. Intschu tschuna hatte das Lager sdw„rts verlassen; darum ging ich nordw„rts, damit es ja nicht heiáen solle, daá ich auf verbotenen Wegen gehen wolle. Als ungef„hr eine Viertelstunde vergangen war, traf ich zu meinem Erstaunen auf eine F„hrte, welche von drei Personen hinterlassen worden war. Sie hatten Mokassins getragen. Ich unterschied zwei groáe, zwei mittlere und zwei kleinere Fáe. Die Spuren waren neu. Das muáten Intschu tschuna, Winnetou und Nscho-tschi gewesen sein. Sie hatten sich sdw„rts entfernt, dann aber ihren Weg nach Norden genommen, natrlich um uns zu t„uschen. Wir sollten den Fundort des Goldes im Sden vermuten. Durfte ich weitergehen? Nein. Es war m”glich, daá sie mich sahen; h”chst wahrscheinlich stieáen sie bei ihrer Rckkehr auf meine Spur, und da sollte bei ihnen nicht der Gedanke aufkommen, daá ich ihnen heimlich nachgelaufen sei. Aber in das Lager wollte ich auch noch nicht, und so spazierte ich in ”stlicher Richtung weiter. Schon nach kurzer Zeit muáte ich wieder anhalten, denn ich traf auf eine zweite F„hrte. Die Untersuchung derselben ergab, daá sie von vier M„nnern stammte, welche Stiefel mit Sporen getragen hatten. Ich dachte sofort an Santer. Die Spur fhrte nach der Richtung, in welcher ich die beiden H„uptlinge wuáte, und schien aus einem nicht weit entfernten Gebsch zu kommen, aus welchem einige noch belaubte Scharlacheichen hoch emporragten. Dorthin muáte ich zun„chst. - 407 - Es war richtig: die F„hrte kam aus diesem Gebsch, und als ich in dasselbe eindrang, fand ich die vier Pferde angebunden, welche Santer und seine Leute geritten hatten. Dem Boden war deutlich anzusehen, daá die vier Kerls hier w„hrend der Nacht geherbergt hatten. Sie waren also doch umgekehrt! Warum? Jedenfalls unsertwegen. Sie trugen sich gewiá mit den Gedanken herum, welche Winnetou mir gestern erkl„rt hatte. Sam Hawkens hatte gestern abend sich nicht geirrt, sondern wirklich zwei Augen gesehen, den Sp„her aber durch sein falsches Verhalten vertrieben, noch ehe der Schuá abgefeuert wurde. Wir waren also belauscht worden. Santer beobachtete uns, um einen Augenblick zu erwarten, an welchem er den, auf den er es abgesehen hatte, allein abfangen k”nne. Aber diese Stelle war so weit von unserem Lager entfernt. Wie konnte er uns da beobachten? Ich betrachtete die B„ume. Sie waren zwar sehr hoch, doch nicht zu stark und leicht zu erklettern. Die Rinde des einen zeigte Risse, welche nur von Sporen eingeritzt sein konnten. Man war also hinaufgeklettert, und von dieser H”he aus konnte man unbedingt, wenn nicht das Lager selbst, aber doch jeden, der dasselbe verlieá, recht gut sehen. Himmel! Welcher Gedanke kam mir jetzt! Wovon hatten wir gestern abend gesprochen, ehe Sam die Augen entdeckte? Davon, daá Intschu tschuna heut fortgehen wollte, um mit seinen Kindern Gold zu holen! Das hatte der Lauscher geh”rt. Heut frh war die Eiche von ihm bestiegen worden, und da hatte er die drei Erwarteten vorberkommen sehen. Kurz darauf war er ihnen mit seinen drei Spieágesellen gefolgt. Winnetou in Gefahr! Nscho-tschi und ihr Vater auch! Ich muáte fort, augenblicklich fort und m”glichst schnell hinter den Buschkleppern her. Ich durfte mir gar nicht Zeit nehmen, vorher nach unserem Lager zurckzukehren, um dasselbe zu alarmieren. Rasch band ich eins der vier Pferde los, zog es aus dem Gebsch ins Freie, schwang mich auf und galoppierte auf ihrer eigenen F„hrte, welche sich bald mit den Spuren der H„uptlinge vereinigte, den Halunken nach. Dabei suchte ich nach Anhaltepunkten, zu erraten, wo, falls ich diese F„hrte verlieren sollte, der Fundort des Goldes gesucht - 408 - werden msse. Winnetou hatte von einem Berge, den er Nugget-tsil nannte, gesprochen. Nuggets sind Goldk”rner, welche man in verschiedener Gr”áe findet; tsil ist ein Apachenwort und bedeutet Berg. Nugget-tsil heiát also Nuggetberg. Der Ort lag sonach jedenfalls hoch. Ich musterte die Gegend, durch welche ich jagte. N”rdlich von mir, grad in meiner Richtung, lagen einige betr„chtliche H”hen, welche mit Wald bewachsen waren. Eine von ihnen muáte der Nuggetberg sein; das war fr mich in diesem Augenblicke zweifellos. Der alte Gaul, auf welchem ich saá, war mir nicht schnell genug. Ich riá im Vorberjagen eine Rute von einem Busch und trieb ihn mit derselben an. Er tat, was seine Kr„fte vermochten, und die Ebene verschwand hinter mir; die Berge ”ffneten sich. Die Spur fhrte zwischen zwei derselben hinein, doch konnte ich sie nach einiger Zeit nicht mehr erkennen, denn die Bergwasser hatten hier viel grobes Steinger”ll von den H”hen geschwemmt. Ich stieg aber trotzdem nicht ab, denn es verstand sich ganz von selbst, daá die Gesuchten hier weiter, das Tal hinauf, gegangen waren. Sp„ter aber ”ffnete sich rechts eine Seitenschlucht, deren Grund ebenso steinig war. Jetzt galt es, zu erfahren, ob sie da rechts abgewichen oder geradeaus gegangen waren. Ich sprang aus dem Sattel und untersuchte das Ger”ll; es wurde mir nicht leicht, die Spur zu entdecken; ich fand sie aber doch; sie fhrte in die Schlucht hinein. Ich stieg wieder auf und folgte ihr. Bald aber teilte sich der Weg, und ich muáte abermals absteigen. Voraussichtlich geschah dies sp„ter wieder, und da konnte mir das Pferd nur hinderlich sein. Ich band es also an einen Baum und eilte zu Fuáe weiter, nachdem ich gesehen hatte, wohin die F„hrte wies. Ich hastete in einem engen, felsigen Gerinne weiter, in welchem sich jetzt kein Wasser befand. Die Angst trieb mich zu einer Eile an, welche mir nach und nach den Atem raubte. Auf einer scharfkantigen H”he angekommen, muáte ich stehen bleiben, um die Lunge ruhiger werden zu lassen; dann ging es weiter, drben ein Stck hinab, bis die Spur pl”tzlich links in den Wald einbog. Ich rannte mehr, als ich lief, unter den B„umen hin. Sie standen erst dicht beisammen, dann weiter auseinander, - 409 - bis es so licht vor mir wurde, daá ich annahm, einen freien Platz vor mir zu haben. Noch hatte ich denselben nicht erreicht, da h”rte ich mehrere Schsse fallen. Einige Augenblicke darauf erscholl ein Schrei, der mir wie ein Degen durch den K”rper drang; es war der Todesschrei der Apachen. Nun rannte ich nicht nur, sondern ich schnellte mich f”rmlich weiter, in langen S„tzen wie ein Raubtier, welches sich auf seine Beute werfen will. Wieder ein Schuá und noch einer das war das Doppelgewehr Winnetous; ich kannte seinen Knall. Gott sei Dank! Er lebte also noch; denn wer tot ist, kann nicht schieáen. Ich hatte nur noch einige Sprnge zu tun, dann hatte ich die Lichtung erreicht und blieb unter dem letzten Baume stehen, denn was ich sah, fesselte meinen Fuá f”rmlich an den Boden. Die Lichtung war nicht groá. Fast mitten auf ihr lagen Intschu tschuna und seine Tochter. Ob sie noch lebten, sich noch bewegten, konnte ich zun„chst nicht bestimmen. Unweit davon befand sich ein kleiner Felsblock, hinter welchem Winnetou steckte; er war soeben besch„ftigt, sein abgeschossenes Gewehr wieder zu laden. Links von mir standen zwei Kerls, von B„umen beschtzt, mit angelegten Gewehren bereit, sofort zu schieáen, sobald sich Winnetou eine Bl”áe geben werde. Rechts von mir schlich ein dritter vorsichtig unter den B„umen hin, um Winnetou zu umgehen und ihm in den Rcken zu kommen. Der Vierte lag grad vor mir, tot, durch den Kopf geschossen. Die zwei waren fr den Augenblick dem jungen H„uptlinge gef„hrlicher als der Dritte. Ich nahm den B„rent”ter auf und schoá sie Beide nieder; dann sprang ich, ohne mir vorher Zeit zum Laden zu nehmen, hinter dem Dritten her. Er hatte meine Schsse geh”rt und sich rasch umgedreht. Er sah mich kommen, zielte auf mich und drckte ab. Ich sprang zur Seite; er traf mich nicht; da gab er sein Spiel verloren und floh in den Wald hinein. Ich eilte ihm nach, denn es war Santer; ich wollte ihn fangen. Aber die Entfernung zwischen ihm und mir war so groá gewesen, daá ich ihn zwar am Rande der Lichtung hatte sehen k”nnen, im Walde jedoch nicht mehr sah. Ich muáte mich also nach seinen Fuáeindrcken richten, da konnte ich leider nicht so schnell hinter ihm her, wie ich - 410 - wollte. Es war nicht m”glich, ihn einzuholen; darum kehrte ich schon nach kurzer Zeit wieder um, zumal ich mir sagte, daá Winnetou mich vielleicht brauchen werde. Er kniete, als ich die Waldbl”áe wieder erreichte, bei seinem Vater und seiner Schwester, „ngstlich suchend, ob noch Leben in ihnen sei. Als er mich kommen sah, stand er fr einen Augenblick auf. Seine Augen hatten einen Ausdruck, den ich niemals vergessen werde. Es sprach ein fast wahnsinniger Grimm und Schmerz aus ihnen. ¯Mein Bruder Old Shatterhand sieht, was geschehen ist. Nscho-tschi, die sch”nste und beste der Apachent”chter, wird nicht nach den St„dten der Bleichgesichter gehen; es ist noch ein wenig Leben in ihr, aber sie wird wohl ihre Augen nicht wieder ”ffnen.® Ich war keines Wortes f„hig; ich konnte nichts sagen und nichts fragen. Wonach h„tte ich auch fragen sollen? Ich sah ja, wie es stand! Sie lagen in einer tiefen Blutlache nebeneinander, Intschu tschuna mitten durch den Kopf und "Sch”ner Tag" durch die Brust geschossen. Er war sofort tot gewesen; sie atmete noch, schwer und r”chelnd, w„hrend die sch”ne Bronze ihres Gesichtes immer matter und matter wurde. Die vollen Wangen fielen ein, und der Ausdruck des Todes breitete sich ber die mir so teuern Zge. Da bewegte sie sich leise. Sie wendete den Kopf nach der Seite, wo ihr Vater lag, und ”ffnete langsam die Augen. Sie sah Intschu tschuna im Blute liegen und erschrak auf das Heftigste, nur daá bei ihrer Mattigkeit der Schreck nicht den lebhaften Ausdruck wie sonst finden konnte. Sie schien nachzusinnen; dann kam sie zum Bewuátsein dessen, was geschehen war und fuhr sich mit dem kleinen H„ndchen nach dem Herzen. Sie fhlte das warme, von dort entrinnende Blut und stieá einen tiefen, r”chelnden Seufzer aus. ¯Nscho-tschi, meine gute, einzige Schwester!® klagte Winnetou mit einem Ausdrucke seiner brechenden Stimme, der unm”glich in Worten wiedergegeben werden kann. Da erhob sie den Blick zu ihm. ¯Winnetou mein Bruder !® flsterte sie. ¯R„che r„che mich!® - 411 - Dann glitt ihr Auge von ihm zu mir herber, und ein frohes, aber schnell ersterbendes L„cheln spielte um ihre erblichenen Lippen. ¯Old Shatter hand!® hauchte sie. ¯Du bist da! Nun sterbe ich so ® Mehr h”rten wir nicht, denn der Tod lieá sie nicht aussprechen, sondern schloá ihr fr immer den Mund. Es war, als wolle mir das Herz zersprengen; ich muáte mir Luft machen, sprang auf, denn wir hatten uns bei ihr niedergekniet, und stieá einen lauten, lauten Schrei aus, dessen Echo von den W„nden der benachbarten Berge widerhallte. Winnetou stand auch auf, langsam, als ob er von zentnerschweren Gewichten niedergehalten werde. Er schlang beide Arme und mich und sagte: ¯Nun sind sie tot! Der gr”áte, edelste H„uptling der Apachen und Nscho-tschi, meine Schwester, welche dir ihre Seele gegeben hatte. Sie starb mit deinem Namen auf den Lippen. Vergiá dies nicht, vergiá es nicht, mein lieber Bruder!® ¯Nie, nie werde ich es vergessen!® rief ich aus. Dann nahm sein Gesicht einen ganz andern Ausdruck an, und seine Stimme klang wie fernes, drohendes Donnerrollen, als er fragte: ¯Hast du geh”rt, was ihre letzte Bitte an mich war?® ¯Ja.® ¯Rache! Ich soll sie r„chen, und, ja, ich werde sie r„chen, wie noch nie ein Mord ger„cht worden ist. Weiát du, wer die M”rder waren? Du hast sie gesehen. Bleichgesichter waren es, denen wir nichts getan hatten. So ist es stets gewesen, und so wird es immer, immer sein, bis der letzte rote Mann ermordet worden ist. Denn wenn er auch eines natrlichen Todes sterben sollte, ein Mord ist es doch, ein Mord, welcher an meinem Volke geschieht. Wir wollten nach den St„dten dieser verruchten Bleichgesichter; Nscho-tschi wollte werden wie eine weiáe Squaw, denn sie liebte dich und glaubte, dein Herz zu gewinnen, wenn sie sich das Wissen und die Sitten der Weiáen aneignete. Das hat sie mit dem Leben bezahlt. M”gen wir euch hassen, oder m”gen wir euch lieben, es ist ganz gleich: Wo ein Bleichgesicht seinen Fuá hinsetzt, da folgt hinter ihm das - 412 - Verderben fr uns. Es wird ein Klagen gehen durch alle St„mme der Apachen, und ein Wut- und Rachegeheul wird erklingen berall, an jedem Orte, wo sich ein Angeh”riger unserer Nation befindet. Die Augen aller Apachen schauen jetzt auf Winnetou, um zu sehen, wie er den Tod seines Vaters und seiner Schwester r„chen wird. Mein Bruder Old Shatterhand mag h”ren, was ich hier bei diesen beiden Leichen gelobe! Ich schw”re bei dem groáen Geiste und bei allen meinen tapfern Vorfahren, welche in den ewigen Jagdgrnden versammelt sind, daá ich von heut an jeden Weiáen, jeden, jeden Weiáen, der mir begegnet, mit dem Gewehre, welches der toten Hand meines Vaters entfallen ist, erschieáen oder ® ¯Halt!® fiel ich ihm schaudernd in die Rede, denn ich wuáte, daá es ihm unnachsichtlicher, unerbittlicher Ernst mit diesem Schwure sein wrde. ¯Halt! Mein Bruder Winnetou mag jetzt nicht schw”ren jetzt nicht!® ¯Warum jetzt nicht?® fragte er, fast zornig. ¯Ein Schwur muá mit ruhiger Seele gesprochen werden.® ¯Uff! Meine Seele ist in diesem Augenblicke so ruhig wie das Grab, in welche [welches] ich diese meine beiden Toten legen werde. Wie es sie nie wieder zurckgeben wird, ebenso wenig werde ich jemals ein Wort von dem, was ich schw”re, zurckneh ® ¯Sprich nicht weiter!® unterbrach ich ihn abermals. Da funkelten mich seine Augen beinahe drohend an, und er rief aus: ¯Will Old Shatterhand mich hindern, meine Pflicht zu tun? Sollen die alten Weiber mich anspucken, und soll ich aus meinem Volke gestoáen werden, weil ich nicht den Mut besitze, das zu r„chen, was heut hier geschehen ist?® ¯Es sei ferne von mir, dies von dir zu verlangen. Auch ich will Strafe fr den M”rder. Drei von ihnen hat sie schon ereilt; der vierte ist entflohen, doch entkommen wird er uns nicht.® ¯Wie sollte er entkommen!® fuhr er auf. ¯Aber ich habe es nicht allein mit ihm zu tun. Er hat gehandelt als Sohn jener bleichen Rasse, die uns Vernichtung bringt; sie ist verantwortlich fr das, was sie ihn gelehrt hat, und ich werde sie zur Verantwortung ziehen, ich, Winnetou, nunmehr der erste und oberste H„uptling aller St„mme der Apachen!® - 413 - Er stand stolz und hoch aufgerichtet vor mir, ein Mann, der sich trotz seiner Jugend als K”nig all der Seinen fhlte! Ja, er war der Mann dazu, das auszufhren, was er wollte. Ihm, ihm w„re es gewiá gelungen, die Krieger aller roten Nationen unter sich zu versammeln und mit den Weiáen einen Riesenkampf zu beginnen, einen Verzweiflungskampf, dessen Ende zwar kein zweifelhaftes sein konnte, der aber den wilden Westen mit Hunderttausenden von Opfern bedecken muáte. Jetzt, in diesem Augenblicke entschied es sich, ob der Tomahawk des Todes in dieser erbitterten Weise wten sollte oder nicht! Ich nahm ihn bei der Hand und sagte: ¯Du sollst und wirst tun, was du willst; vorher aber h”re eine Bitte, welche vielleicht meine letzte sein wird; dann wirst du die Stimme deines weiáen Freundes und Bruders niemals wieder h”ren. Hier liegt Nscho-tschi. Du sagst es selbst, daá sie mich lieb gehabt hat und mit meinem Namen auf den Lippen gestorben ist. Auch dich hat sie lieb gehabt, mich als Freund und dich als Bruder, und du hast ihr ihre Liebe reichlich zurckgegeben. Bei dieser unserer Liebe bitte ich dich, sprich den Schwur, welchen du tun willst, nicht jetzt aus, sondern erst dann, wenn die Steine des Grabes sich ber der edelsten Tochter der Apachen geschlossen haben!® Er sah mich ernst, fast finster an und senkte dann den Blick auf die Tote nieder. Ich sah, daá seine Zge milder wurden, und endlich richtete er das Auge wieder auf mich und sagte: ¯Mein Bruder Old Shatterhand hat eine groáe Macht ber die Herzen aller, mit denen er verkehrt. Nscho-tschi wrde ihm seine Bitte gewiá erfllen, und so will auch ich sie ihm gew„hren. Erst dann, wenn mein Auge diese beiden Leichen nicht mehr sieht, mag es sich entscheiden, ob der Mississippi mit allen seinen Nebenflssen das Blut der weiáen und der roten V”lker nach dem Meere fhren soll. Ich habe gesprochen. Howgh!® Gott sei Dank! Es war mir, wenigstens fr einstweilen [,] gelungen, groáes Unheil abzuwenden. Ich drckte ihm dankend die Hand und sprach: ¯Mein roter Bruder wird sogleich einsehen, daá ich keine Gnade fr den Schuldigen erbitten will; ihn mag die Strafe - 414 - so schwer und so streng treffen, wie er es verdient. Es muá dafr gesorgt werden, daá er nicht Zeit findet, zu entkommen. Wir drfen ihm keinen Vorsprung einr„umen. Winnetou mag mir sagen, was in Beziehung auf ihn jetzt geschehen soll!® ¯Meine Fáe sind gebunden,® erkl„rte er, nun wieder dster. ¯Die Gebr„uche meines Volkes gebieten mir, bei diesen Toten, weil sie mir so nahe verwandt waren, zu bleiben, bis sie begraben sind. Erst nachher darf ich den Weg der Rache antreten.® ¯Und wann wird das Begr„bnis stattfinden?® ¯Das will ich mit meinen Kriegern beraten. Entweder begraben wir sie hier an der Stelle, wo sie gestorben sind, oder wir schaffen sie nach dem Pueblo, wo sie bei den Ihren wohnten. Aber selbst dann, wenn sie hier ihre Ruhest„tte finden, werden mehrere Tage vergehen, bevor den Erfordernissen Genge geschehen ist, welche beim Begr„bnisse eines so groáen H„uptlings zu machen sind.® ¯Dann wird aber der M”rder sicher entkommen!® ¯Nein. Denn wenn Winnetou ihn auch nicht verfolgen darf, so kann doch von andern geschehen, was n”tig ist. Mein Bruder mag mir recht kurz erz„hlen, wie es geschah, daá er hierher kam!® Jetzt, wo es sich um rein Sachliches handelte, war er so ruhig wie gew”hnlich. Ich erz„hlte ihm, was er zu wissen begehrte, und dann trat eine kurze Pause des Nachdenkens ein. W„hrend derselben h”rten wir einen schweren Seufzer, welcher von der Stelle kam, wo die beiden Strolche lagen, die ich glaubte erschossen zu haben. Wir gingen schnell hin. Dem Einen war meine Kugel grad durch das Herz gegangen; der Andere war so wie Nscho-tschi getroffen worden; er hatte noch Leben und kam grad jetzt wieder zu sich. Er starrte uns verst„ndnislos an und murmelte Worte, welche ich nicht verstehen konnte. Ich bog mich zu ihm nieder und rief ihm zu: ¯Mann, kommt zu Euch! Wiát Ihr, wer jetzt bei Euch ist?® Er gab sich sichtlich Mhe, sich zu besinnen. Sein Auge wurde auch wirklich klarer, und ich h”rte leise fragen: ¯Wo wo ist Santer?® ¯Entflohen,® antwortete ich, denn es wollte mir nicht gelingen, einen Sterbenden, obgleich er ein M”rder war, zu belgen. - 415 - ¯Wo wohin?® ¯Das weiá ich nicht; aber ich hoffe, von Euch einen Wink zu erhalten. Eure andern Gef„hrten sind tot, und auch Ihr habt nur noch Sekunden zu leben. Ihr werdet doch an der Pforte des Grabes besser handeln, als vorher! Woher stammt Santer?® ¯Weiá es nicht.® ¯Heiát er wirklich Santer?® ¯Hat viele viele Namen.® ¯Was ist er eigentlich?® ¯Weiá auch auch nicht.® ¯Habt ihr Bekannte hier in der N„he, vielleicht auf irgend einem Fort?® ¯Nein nicht.® ¯Wo wolltet ihr hin?® ¯Nir nirgends. Hin, wo Geld Beute ® ¯Also waret ihr Gauner von Profession! Schrecklich! Wie kamt ihr denn auf den Gedanken, die beiden Apachen mit dem M„dchen zu berfallen?® ¯Nug Nuggets.® ¯Aber ihr konntet doch von den Nuggets nichts wissen.® ¯Wollten nach nach dem ® Er hielt inne. Es fiel ihm auáerordentlich schwer, zu antworten. Ich erriet, was er sagen wollte, und fragte: ¯Ihr h”rtet, daá diese Apachen nach dem Osten wollten, und nahmt infolgedessen an, daá sie Gold bei sich h„tten?® Er nickte. ¯Ihr nahmt euch also vor, sie zu berfallen; da ihr aber dachtet, daá wir vorsichtig sein und euch beobachten wrden, rittet ihr eine tchtige Strecke weiter und kehrtet erst dann um, als ihr annehmen konntet, daá wir beruhigt sein wrden?® Er nickte wieder. ¯Dann seid ihr umgekehrt und uns nachgeritten. Habt ihr uns am Abende belauscht?® ¯Ja Santer.® ¯Also Santer selbst war es! Hat er euch gesagt, was er bei uns erhorcht hat?® ¯Apachen Nugget-tsil Nuggets holen frh ® - 416 - ¯Ganz so, wie ich dachte. Dann habt ihr euch in das Gebsch versteckt und uns von den B„umen aus beobachtet. Ihr wolltet den Ort, wo die Apachen das Gold holten, kennen lernen?® Er hatte die Augen geschlossen und antwortete nicht. ¯Oder wolltet ihr sie bloá bei ihrer Rckkehr berfallen, um ® Da unterbrach mich Winnetou: ¯Mein Bruder mag nicht weiter fragen, denn dieses Bleichgesicht kann nicht mehr antworten; es ist tot. Diese weiáen Hunde wollten unser Geheimnis kennen lernen; aber sie kamen zu sp„t. Wir befanden uns schon auf dem Rckwege, als sie uns kommen h”rten. Da versteckten sie sich hinter die B„ume und schossen auf uns. Intschu tschuna und "Sch”ner Tag" strzten getroffen nieder; mir aber streifte die Kugel nur den Aermel hier. Da schoá ich auf einen, der aber, eben als ich losdrckte, hinter einen andern Baum sprang; darum traf ich ihn nicht; aber meine zweite Kugel streckte einen andern nieder. Dann suchte ich hinter diesem Steine Schutz, der mir aber das Leben nicht h„tte retten k”nnen, wenn mein Bruder Old Shatterhand nicht gekommen w„re. Denn zwei hielten mich von dieser Seite fest, und der dritte wollte hinter mich, wo ich keine Deckung hatte; seine Kugel h„tte mich treffen mssen. Da aber h”rte ich die starke Stimme von Old Shatterhands B„rent”ter und war gerettet. Nun weiá mein Bruder alles und soll erfahren, wie es anzufangen ist, Santer zu ergreifen.® ¯Wem wird diese Aufgabe zufallen?® ¯Old Shatterhand wird sie l”sen; er wird die Spur des Flchtlings ganz gewiá finden.® ¯Allerdings; aber w„hrend ich mhsam nach ihr suche, wird viel Zeit vergehen.® ¯Nein. Mein Bruder braucht nicht nach ihr zu suchen, denn sie wird ganz gewiá zu seinen Pferden fhren, welche er zun„chst aufsuchen muá. Dort, wo er mit seinen Leuten w„hrend der Nacht gelagert hat, gibt es Gras, und Old Shatterhand wird also sehr leicht sehen, wohin er sich gewendet hat.® ¯Und dann?® ¯Dann nimmt mein Bruder zehn Krieger mit sich, um ihm zu folgen und ihn festzunehmen. Die andern zwanzig Krieger [Tafel Nr. 9: "Bd. VII. Tod von "Sch”ner Tag". (Zu S. 410.)"] - 417 - sendet er mir hierher, damit sie mit mir die Klagen des Todes anstimmen.® ¯So soll es geschehen. Und ich hoffe, daá ich das Vertrauen, welches mein roter Bruder in mich setzt, rechtfertigen werde.® ¯Ich weiá, daá Old Shatterhand grad so handeln wird, als ob ich selbst an seiner Stelle w„re. Howgh!® Er reichte mir die Hand hin; ich schttelte sie ihm, beugte mich noch einmal auf die Gesichter der beiden Toten nieder und ging. Am Rande der Lichtung drehte ich mich um. Winnetou verhllte soeben ihre K”pfe und stieá dabei jene dumpfen Klaget”ne aus, mit denen die Roten ihre Todesges„nge beginnen. Wie weh war mir, o wie so weh! Aber ich hatte zu handeln und eilte den Weg zurck, auf welchem ich gekommen war. Ich war der Ansicht, daá Winnetous Vorhersagung eintreffen werde; aber w„hrend ich ber den erw„hnten H”hengrat stieg, kam mir ein Bedenken. Santer muáte vor allen Dingen auf schleunigste Flucht bedacht sein, vor allen Dingen so schnell wie m”glich aus unserer N„he zu kommen suchen; das gerade Gegenteil davon geschah aber, wenn er nach seinem Lager lief. Dies konnte er nur in der Absicht tun, sich ein Pferd zu holen. Wie aber nun, wenn er dasjenige fand, auf welchem ich gekommen war? Er war doch wohl auf demselben Weg geflohen, der ihn auch hergefhrt hatte. Da sah er unbedingt das Pferd. Dieser Gedanke verdoppelte meine Schritte. Ich rannte den Berg hinab, im h”chsten Grade darauf gespannt, ob ich es noch antreffen wrde. Welcher Aerger fr mich, als ich an die betreffende Stelle kam und da sah, daá es fort war! Ich hielt nur einen Augenblick an und flog mehr, als ich lief, durch die Schlucht. Hier konnte ich mich noch beeilen, weil wegen des Steinger”lles ein zeitraubendes Suchen nach der Spur doch erfolglos gewesen w„re. Als ich aber unten das Tal erreichte, hielt ich an, um die F„hrte sorgf„ltig zu lesen. Es gelang mir nicht sofort, denn der Boden war hier noch zu hart. Zehn Minuten sp„ter gab es weichen Grund, wo es leichter war, die Eindrcke der Fáe und Hufe zu erkennen. Da sah ich mich denn vollst„ndig entt„uscht. Ich konnte suchen und forschen, wie ich wollte, und meine Augen und mei- - 418 - nen Scharfsinn noch so sehr anstrengen, es wurde nicht anders Santer war hier nicht geritten. Er muáte weiter oben an einer dazu passenden Stelle, wo auf dem Fels keine Spur zurckblieb, die Schlucht verlassen haben; anders war es gar nicht m”glich. Da stand ich nun! Was war zu tun? Sollte ich zurck, um nach der betreffenden Stelle zu suchen? Es konnten Stunden vergehen, ehe ich sie fand, und einen solchen Zeitverlust glaubte ich denn doch nicht verantworten zu k”nnen. Besser war es auf alle F„lle, nach unserm Lager zu eilen und dort Hilfe zu holen. Dies tat ich denn. Es war ein Dauerlauf, wie ich noch keinen gemacht hatte, doch hielt ich ihn aus, weil ich von Winnetou belehrt worden war, wie man sich dabei zu verhalten hat, um bei Atem zu bleiben und nicht zu ermden. Man l„át n„mlich das K”rpergewicht nur von einem Beine tragen und wechselt dann, wenn dieses ermdet ist, auf das andere ber. Auf diese Weise kann man stundenlang Trab laufen, ohne daá man sich allzu sehr anzustrengen hat; aber eine gute, gesunde Lunge muá man haben. Als ich meinem Ziele nahe gekommen war, wendete ich mich zun„chst nach Santers Lager. Die drei Pferde standen noch im Gestr„uch. Ich band sie los, bestieg eins, nahm die andern beiden an den Zgeln und ritt nach unserm Lager. Es war l„ngst Mittag vorber, und Sam rief mir zu: ¯Wo treibt Ihr Euch denn herum, Sir! Habt das Essen vers„umt, und ich ® er stockte in der Rede, musterte die Pferde mit einem erstaunten Blicke und fuhr dann fort: ¯Alle Wetter! Ihr seid zu Fuá fortgegangen und kommt beritten zurck! Seid wohl gar Pferdedieb geworden?® ¯Das weniger. Habe diese Tiere erbeutet.® ¯Wo?® ¯Gar nicht weit von hier.® ¯Von wem?® ¯Seht sie nur richtig an! Ich erkannte sie sofort, und Ihr habt doch auch gute Augen.® ¯Ja, die habe ich. Sah sogleich, wem sie geh”ren, wollte es aber nicht begreifen. Das sind ja die Pferde von Santer und seinen Begleitern; es fehlt aber eins.® - 419 - ¯Das werden wir uns suchen und auch den, der darauf sitzt.® ¯Aber wie kommt ® ¯Still, lieber Sam!® unterbrach ich ihn. ¯Es ist sehr Wichtiges, sehr Trauriges geschehen. Wir mssen sofort fort von hier.® ¯Von hier? Warum?® Anstatt ihm zu antworten, rief ich die Apachen, von denen sich einige entfernt hatten, zusammen und teilte ihnen die Kunde von dem Tode Intschu tschunas und seiner Tochter mit. Nach meinem letzten Worte herrschte ein tiefes, allgemeines Schweigen ringsum. Man konnte nicht glauben, was ich sagte; meine Botschaft war zu ungeheuerlich. Da erz„hlte ich ausfhrlicher, was geschehen war, und fgte hinzu: ¯Nun m”gen mir meine roten Brder sagen, wer die Zukunft besser verkndet hat, Sam Hawkens oder euer Medizinmann! Intschu tschuna und Nscho-tschi haben den Tod gefunden, weil sie sich von mir entfernten, und Winnetou ist durch mich gerettet worden. Bringt meine N„he also den Tod oder das Leben?® Jetzt konnten sie nicht mehr zweifeln, und es erhob sich ein Geheul, welches sicher meilenweit zu h”ren war, selbstverst„ndlich englische Meilen gemeint. Die Roten rannten wie wtend umher, schwangen ihre Waffen und schnitten, um ihrem Grimm Ausdruck zu geben, die frchterlichsten Gesichter. Erst nach einiger Zeit war es meiner Stimme m”glich, ihr Geschrei zu berschallen. ¯Die Krieger der Apachen m”gen schweigen,® gebot ich ihnen. ¯Das Geheul fhrt zu nichts. Wir mssen fort, um den M”rder zu fangen.® ¯Fort, ja fort, fort, fort!® schrieen sie, indem sie zu ihren Pferden sprangen. ¯Ruhig doch!® befahl ich abermals. ¯Meine Brder wissen ja gar nicht, was sie tun sollen. Ich werde es ihnen sagen.® Nun dr„ngten sie sich so an mich, daá ich mich wehren muáte, nicht umgerissen zu werden. W„re Santer jetzt hier gewesen, so h„tten sie ihn in Stcke gerissen. Hawkens, Stone - 420 - und Parker standen still beisammen. Die Nachricht hatte einen niederschmetternden Eindruck auf sie gemacht. Jetzt kamen sie herbei, und Sam sagte: ¯Ich bin wie vor den Kopf geschlagen und kann es noch immer nicht fassen. Schrecklich, entsetzlich! Die liebe, sch”ne, gute, junge rote Miá! Ist stets so freundlich mit mir gewesen und soll nun ausgel”scht worden sein! Wiát Ihr, Sir, es ist mir grad so ® ¯Wie es Euch ist, das behaltet fr Euch, lieber Sam!® fiel ich ihm in die Rede. ¯Wir mssen dem M”rder nach. Sprechen ntzt nichts.® ¯Well! Stimme Euch bei. Aber wiát Ihr denn, wohin er ist?® ¯Jetzt noch nicht.® ¯Dachte es mir. Habt ja seine Spur nicht gesehen. Wie sollen wir sie nun auffinden? Scheint unm”glich oder wenigstens auáerordentlich schwierig zu sein.® ¯Es ist nicht schwierig, sondern sehr leicht.® ¯Meint Ihr? Hm! Wollt wohl sagen, daá wir hinauf in die Schlucht mssen, wo er seitw„rts ausgekniffen ist? Wird ein langes Suchen geben!® ¯Von der Schlucht ist gar keine Rede.® ¯Nicht? Dann bin ich neugierig, was Ihr fr einen Gedanken bringen werdet. Ja, manchmal kann ein Greenhorn auch einen Gedanken haben, doch ® ¯Schweigt mit Eurem Greenhorn! Mir ist nicht so zu Mute, solche Redensarten anzuh”ren. Mir blutet das Herz; darum behaltet Eure Witze fr Euch!® ¯Witze? Halloh! Wer da etwa denkt, daá ich die Sache scherzhaft nehme, der bekommt von mir einen Box in den Leib, daá er von hier bis hinber nach Kalifornien fliegt! Kann nur nicht begreifen, wie Ihr Santer finden wollt, ohne daá wir unsere Augen auf die Stelle setzen, wo seine Spur verloren gegangen ist.® ¯Da máten wir, wie schon gesagt, lange Zeit suchen. Und wenn wir die Spur f„nden, h„tten wir ihr ber Berg und Tal und durch den dichten Wald zu folgen, was auch sehr langsam gehen wrde. Darum denke ich, wir fangen es anders an. - 421 - N„mlich wenn ich mir die Berge dort so betrachte, so m”chte ich behaupten, daá sie nicht mit andern zusammenh„ngen, sondern isoliert stehen ® ¯Ist auch ganz richtig. Kenne diese Gegend recht leidlich. Haben hier Ebene und jenseits wieder Ebene. Diese Berge geh”ren nicht zu einem Gebirgs- oder H”henzug, sondern sie haben sich ganz fr sich allein in die offene Pr„rie hineingesetzt.® ¯Pr„rie? Also gibt es Gras?® ¯Ja, rundum Gras, grad so wie hier.® ¯Darauf habe ich gerechnet. Santer mag auf oder zwischen diesen Bergen reiten, wie er will; das geht uns nichts an; aber sobald er sie verl„át, kommt er auf die offene Pr„rie und muá im Grase eine Spur hinterlassen.® ¯Das versteht sich ja ganz von selbst, verehrter Sir!® ¯H”rt nur weiter. Wir bilden zwei Trupps und umreiten die Berge, wir vier Weiáen von rechts und die zehn Apachen, welche Winnetou mir angewiesen hat, von links. Jenseits treffen wir zusammen und werden dann erfahren, ob einer der Trupps auf die F„hrte gestoáen ist. Ich bin berzeugt, daá dies der Fall sein wird, und dann folgen wir ihr.® Mein kleiner Sam sah mich von der Seite an, machte ein nicht auáerordentlich erbautes Gesicht und rief aus: ¯Lack-a-day! Wer h„tte das gedacht! Daá ich nicht auch darauf gekommen bin! Ist ja das Einfachste und Sicherste was es gibt; das muá eigentlich jedes Kind einsehen, wenn ich mich nicht irre!® ¯Ihr seid also einverstanden, Sam?® ¯Vollst„ndig, Sir, vollst„ndig. Sucht Euch nur schnell zehn Rote aus!® ¯Ich werde diejenigen w„hlen, welche am besten beritten sind. Wer weiá, wie lange wir den Kerl zu jagen haben. Darum mssen wir uns auch reichlich mit Proviant versehen. Wenn Ihr diese Gegend leidlich kennt, so wiát Ihr vielleicht, wie lange es dauert, bis man von hier aus die andere Seite der Berge erreicht?® ¯Wenn wir uns sehr beeilen, so kann es trotzdem ber zwei Stunden w„hren.® ¯So wollen wir nicht l„nger z”gern.® - 422 - Ich bestimmte die zehn Apachen, welche sich ber meine Wahl freuten, denn dem M”rder nachzusetzen, war ihnen lieber, als bei den Leichen Totenlieder zu singen. Die brigen zwanzig instruierte ich genau ber den Weg, welcher zu Winnetou fhrte, und dann ritten sie davon. Kurze Zeit sp„ter brachen meine zehn auf, um die Berge nach links, also in einem nach Westen gekrmmten Bogen zu umreiten, w„hrend unsere Richtung uns ostw„rts um die H”hen fhrte. Als wir vier dann auch aufsaáen, ritt ich zun„chst nach Santers Nachtlager und suchte mir von da aus eine Stelle, wo der Huf des Pferdes, welches ich geritten hatte, tief in den Boden gedrungen war. Von diesem sehr deutlichen Eindrucke nahm ich mir eine genaues Maá auf Papier. Sam Hawkens schttelte den Kopf darber und meinte l„chelnd: ¯Geh”rt das auch zur Kunst eines Surveyors, Pferdefáe abzumalen?® ¯Nein; aber ein Westmann sollte es kennen.® ¯Der? Warum?® ¯Weil es ihm vorkommenden Falls von groáem Nutzen sein kann.® ¯In welcher Weise?® ¯Werdet es wohl nachher sehen. Wenn ich eine Pferdespur finde, vergleiche ich die Stapfen mit dieser Zeichnung.® ¯Ah! Hm! Richtig! Ist gar nicht so bel! Habt Ihr das auch aus Euern Bchern?® ¯Nein.® ¯Woher denn?® ¯Der Gedanke ist mir selbst gekommen.® ¯Also gibt es wirklich Gedanken, die sich das Vergngen machen, zu Euch zu kommen? H„tte das gar nicht gedacht hihihihi!® ¯Pshaw! Bei mir befinden sie sich jedenfalls wohler als unter Eurer Percke, Sam!® ¯Recht so, recht so!® rief Dick Stone. ¯Laát Euch nur nichts mehr von ihm gefallen! Man sieht ja stndlich, daá Ihr ihn berflgelt habt, Sir.® ¯Schweig!® herrschte ihn Sam in komischem Zorne an. ¯Was willst du vom Fliegen verstehen, und gar vom Ueber- - 423 - fliegen [Ueberfliegen] ! Es ist eine Beleidigung, mich immer bei der Percke zu nehmen; ich kann das gar nicht l„nger dulden.® ¯Was willst du dagegen machen?® ¯Ich schenke sie dir; dann bin ich sie los, und du erf„hrst, was fr Gedanken darunter wohnen. Uebrigens habe ich ja zugegeben, daá die Ansicht unsers Greenhorns gar keine so ble ist; nur h„tte er den zehn Apachen, welche die Berge auf der andern Seite zu umreiten haben, auch ein solches sch”nes Pferdefuábild mitgeben sollen.® ¯Ich habe dies nicht getan, weil ich es fr unn”tig hielt,® antwortete ich. ¯Unn”tig? Warum?® ¯Weil es ihnen nicht zuzutrauen ist, eine Hufspur mit dieser Zeichnung zu vergleichen. Sie sind doch immerhin Wilde, denen man eine Zeichnung vergeblich in die H„nde geben wrde. Und sodann bin ich berzeugt, daá sie gar nicht auf Santers F„hrte treffen werden.® ¯Und ich behaupte das Gegenteil. Nicht wir, sondern sie werden sie finden. Es versteht sich ja ganz von selbst, daá Santer westw„rts reiten wird.® ¯Das halte ich gar nicht fr so selbstverst„ndlich.® ¯Nicht? Seine Richtung, als wir ihn trafen, war ja nach Westen; das ist sie jetzt nun wieder.® ¯Schwerlich. Er ist ein durchtriebener Kerl, wie ich aus seinem spurlosen Verschwinden ersehe, und wird sich also sagen, daá wir den Gedanken haben werden, den Ihr jetzt ausgesprochen habt. Das heiát, er wird denken, daá wir ihn westw„rts suchen, weil er bei unserer Begegnung nach Westen wollte. Aus diesem Grunde wird er sich nach einer andern Richtung, wahrscheinlich ostw„rts, retirieren. Das ist doch leicht einzusehen.® ¯Wenn Ihr es in dieser Weise sagt, so ist es freilich leicht einzusehen. Wollen nur hoffen, daá es zutrifft.® Nun gaben wir unsern Pferden die Sporen und jagten ber die Pr„rie dahin, so reitend, daá wir die verh„ngnisvollen Berge stets zur linken Hand liegen hatten. Natrlich suchten wir es so einzurichten, daá wir immer auf weichem Boden ritten, wo Santer, wenn er dagewesen war, eine deutliche Spur - 424 - hatte zurcklassen mssen. Dabei waren unsere Augen stets zur Erde gerichtet; denn je schneller wir ritten, desto sch„rfer muáten wir aufpassen, weil die F„hrte uns sonst entgehen konnte. So verging eine Stunde und noch eine halbe, und wir hatten unsern Halbkreis um die Berge fast zu Ende gebracht, da endlich bemerkten wir einen dunkeln Strich, welcher vor unserer Richtung quer durch das Gras lief. Es war eine F„hrte, und zwar die Spur eines einzelnen Reiters, also sehr wahrscheinlich die, welche wir suchten. Wir stiegen ab, und ich schritt eine Strecke ihr entlang, um einen recht deutlichen Eindruck zu finden. Als mir dies glckte, verglich ich ihn genau mit der Zeichnung, und beide waren einander so kongruent, daá es Santer ohne allen Zweifel gewesen sein muáte. ¯So eine Zeichnung ist wirklich auáerordentlich praktisch,® meinte Sam. ¯Werde mir das merken.® ¯Ja, merke es dir!® stimmte Parker bei. ¯Und merke dir noch Eins recht gut dazu!® ¯Was?® ¯Daá es schon so weit gekommen ist, daá der Lehrer, der du ja gewesen sein willst, nun von seinem Schler lernt!® ¯Willst mich wohl „rgern, alter Will? Das wird dir nicht gelingen, hihihihi!® lachte Sam. ¯Es ist doch wohl eine Ehre fr den Lehrer, wenn er den Schler so weit bringt, daá dieser schlieálich klger und geschickter als der Lehrer ist. Mit dir freilich muá man auf solche Erfolge gleich von vornherein verzichten. Wie viele, viele, lange Jahre habe ich mich bemht, einen Westmann aus dir zu machen, und es ist alles vergeblich gewesen. Du wirst in deinen alten Tagen nichts verlernen k”nnen, weil du in den jungen Tagen nichts gelernt hast.® ¯Weiá schon! M”chtest mich gern ein Greenhorn nennen, weil du ohne dieses Wort nicht leben kannst und unserm Old Shatterhand nicht mehr damit kommen darfst.® ¯Bist auch eins, und was fr eins! N„mlich ein altes, welches sich vor diesem jungen hier zu sch„men hat, weil dieses dem alten schon weit berlegen ist, wenn ich mich nicht irre.® Trotz dieses Wortgefechtes stimmten wir darin berein, daá die F„hrte Santers nicht viel ber zwei Stunden alt war. Wir w„ren ihr gern sogleich gefolgt, muáten aber auf die zehn - 425 - Apachen warten. Das dauerte leider drei Viertelstunden. Ich schickte einen von ihnen zu Winnetou, um diesen wissen zu lassen, daá wir die Spur gefunden h„tten; er konnte bei ihm bleiben; dann ritten wir, nun in ”stlicher Richtung, weiter. Wir hatten in dieser vorgerckten Jahreszeit nicht mehr ganz zwei Stunden bis zum Abende und muáten uns sehr beeilen. Es galt, bis zur Dunkelheit eine m”glichst groáe Strecke zurckzulegen, weil wir dann bis zum Morgen warten muáten. Wir konnten doch nicht reiten, ohne die Spur zu sehen. Dagegen war als ganz gewiá anzunehmen, daá Santer den Abend und wohl auch die Nacht dazu bentzen werde, uns recht weit vorauszukommen, denn daá man ihn verfolgen werde, das muáte er sich doch unbedingt sagen. Wir hatten dann morgen einen heiáen Ritt vor uns, welcher dadurch erschwert und verlangsamt wurde, daá wir auf die F„hrte achten muáten, w„hrend er eine solche Verz”gerung nicht n”tig hatte. Glcklicherweise muáte er, wenn er w„hrend der Nacht ritt, dann frh ermdet sein und nicht nur sich, sondern noch viel mehr seinem Pferde eine l„ngere und ausgiebige Ruhe g”nnen, ein Umstand, welcher den Unterschied so ziemlich ausglich. Die von Winnetou und seinem Vater Nuggetberge genannten H”hen verschwanden schnell hinter uns, und wir hatten nun immerfort die ebene Pr„rie vor uns, welche erst strauchig war und dann nur Rasen, erst noch grnen und sp„ter verdorrten, zeigte. Die Spur war sehr deutlich zu sehen, denn Santer war meist scharf geritten, und so hatten die Hufe seines Pferdes deutliche Eindrcke hinterlassen. Als es zu dunkeln begann, stiegen wir ab und folgten der Spur, die wir im Gehen deutlicher als reitend sahen, noch so lange, bis sie gar nicht mehr zu erkennen war. Da blieben wir halten, glcklicherweise an einer Stelle, wo das Gras wieder einmal einiges Grn zeigte. Da konnten die Pferde fressen. Wir hllten uns in Decken und legten uns gleich so nieder, wie wir standen. Die Nacht war sehr khl, und ich bemerkte, daá meine Begleiter deshalb oft aufwachten. Ich h„tte ohnedem nicht schlafen k”nnen. Der gewaltsame Tod Intschu tschunas und seiner Tochter hielt mir die Augen offen, und wenn ich sie ja - 426 - einmal schloá, so sah ich ihre Gestalten in der Blutlache vor mir liegen und h”rte Nscho-tschis letzte Worte. Nun machte ich mir Vorwrfe darber, daá ich nicht freundlicher mit ihr gewesen war und mich in jenem Gespr„ch mit ihrem Vater nicht anders ausgedrckt hatte. Es war mir, als ob ich sie dadurch in den Tod getrieben h„tte. Gegen Morgen wurde es noch k„lter, und ich stand auf, um mich durch Hin- und Hergehen zu erw„rmen. Sam Hawkens merkte das und fragte: ¯Friert Euch wohl, verehrter Sir? H„ttet eine W„rmflasche mit nach dem Westen bringen sollen. Greenhorns pflegen sich doch gern mit solchen S„chelchen zu versehen. Da lobe ich mir meinen alten Rock; kann kein Indianerpfeil und auch keine K„lte hindurch. Soll ich ihn Euch borgen, hihihihi?® Wegen dieser unangenehmen Khle waren alle schon vor der Morgend„mmerung munter, und kaum konnten wir die F„hrte nur einigermaáen wieder erkennen, so saáen wir auf und setzten den Ritt fort. Unsere Pferde hatten ausgeruht und des Nachts wohl auch gefroren; sie griffen daher, weil sie das erw„rmte, wacker aus, ohne daá wir sie anzutreiben brauchten. Noch immer hatten wir Pr„rie; sie wurde wellig. Auf den Wellenh”hen war das Gras trocken und hart, in den Wellent„lern mehr grn und auch weicher. Ja, es gab da zuweilen eine Wasserlache, wo wir anhielten und unsere Tiere trinken lieáen. W„hrend die Spur bisher eine fast genau ”stliche Richtung gehabt hatte, wendete sie sich zur Mittagszeit mehr sdlich. Als Hawkens dies bemerkte, machte er ein bedenkliches Gesicht. Ich fragte ihn nach der Ursache und erhielt die Antwort: ¯Wenn es so ist, wie ich vermute, werden unsere Bemhungen wahrscheinlich vergeblich sein.® ¯Aus welchem Grunde?® ¯Der Kerl ist pfiffig. Er scheint sich zu den Kiowas wenden zu wollen.® ¯Das wird er doch nicht tun!® ¯Warum nicht? Soll er etwa Euch zuliebe mitten in der alten Pr„rie stehen bleiben und sich beim Schopfe nehmen lassen? Was Ihr denkt! Er tut sein M”glichstes, sich zu retten. Er - 427 - hat jedenfalls die Augen offen gehabt und gesehen, daá unsere Pferde besser waren als die seinigen. Darum vermutet er, daá wir ihn wohl bald einholen werden, und ist auf den ganz guten Gedanken gekommen, bei den Kiowas Schutz zu suchen.® ¯Ob ihn diese aber freundlich aufnehmen werden?® ¯Daran ist keinen Augenblick zu zweifeln. Er braucht bloá zu erz„hlen, daá er Intschu tschuna und Nscho-tschi erschossen hat, da jubeln sie ihm zu. Wollen uns recht dazuhalten, daá wir vielleicht noch vor Abend an ihn kommen.® ¯Wie alt sch„tzt Ihr die heutige F„hrte?® ¯Darauf kommt es nicht an. Diese hier hat er in der Nacht geritten. Mssen warten, bis wir dahin kommen, wo er gelagert hat. Dann wollen wir sehen, wie alt seine neue, seine heutige Spur ist. Je l„nger er ausgeruht hat, desto eher werden wir ihn einholen.® Gegen Mittag zeigte es sich, wo Santer Halt gemacht hatte. Man sah, daá sich sein Pferd niedergelegt hatte; es war sehr mde gewesen; das hatten wir schon bisher den Spuren angesehen. Wahrscheinlich war er nicht weniger angegriffen gewesen, denn wir sch„tzten seine neue Spur unter zwei Stunden alt; er mochte l„nger geschlafen haben, als er gewollt hatte. Der Vorsprung, den er durch den Nachtritt gewonnen hatte, war also eingeholt; ja, wir waren ihm jetzt wohl eine halbe Stunde n„her als gestern beim Beginn der Verfolgung. Seine Spur strebte nun noch mehr nach Sden. Er schien das Gebiet des Canadian verlassen und sich dem Red River n„hern zu wollen. Wir lieáen unsere Pferde nur von Zeit zu Zeit verschnaufen, denn wir nahmen uns vor, ihn, wenn nur irgend m”glich, noch vor Abend einzuholen. Am Nachmittage hatten wir wieder grne Pr„rie, und sp„ter trafen wir sogar Buschwerk an. Nach der sorgf„ltigsten Beurteilung der F„hrte konnte der Vorsprung nun nur noch eine halbe Stunde betragen. Vor uns f„rbte sich der Horizont dunkel. ¯Das ist Wald,® erkl„rte Sam. ¯Ich vermute, daá wir auf ein Nebenfláchen des Nordarmes stoáen. Wollte, wir h„tten noch l„nger Pr„rie; das w„re besser fr uns.® Freilich w„re dies besser gewesen, denn auf der Savanne sah man alles vor sich, w„hrend man im Walde leicht auf einen - 428 - Hinterhalt stoáen konnte. Und bei der Eile, mit welcher wir ritten, war es unm”glich, das Terrain zu untersuchen, bevor wir es betraten. Sam hatte Recht. Es gab einen kleinen Fluá, der aber kein flieáendes Wasser fhrte, sondern nur hier und da welches in einer Vertiefung zeigte. An den Ufern standen Bsche und B„ume, doch gab dies keinen eigentlichen Wald, sondern nur, um mich so auszudrcken, gr”áere oder kleinere Baumgruppen, welche in verschiedenen Intervallen an den Ufern lagen. Kurz vor Abend waren wir dem Verfolgten so nahe, daá er jeden Augenblick vor uns auftauchen konnte. Das machte uns eifriger, als wir bisher gewesen waren. Ich ritt allein voran, weil mein Rotschimmel sich am besten gehalten und seine Kr„fte noch beisammen hatte. Auch folgte ich, wenn ich mich so an der Spitze hielt, einem innern Triebe. Ich hatte die Ermordeten vor mir liegen sehen und wollte den M”rder haben. Es war nicht das, was man mit Grimm, mit Durst nach Rache bezeichnet, aber doch ein dringendes Verlangen, den M”rder bestraft zu sehen. Wir ritten wieder durch eine jener Baumgruppen, welche am linken Ufer des Fláchens lag. Als ich, den andern voran, die letzten B„ume erreichte, sah ich, daá die F„hrte rechts ab, hinunter in das wasserleere Bette fhrte. Ich hielt einen Augenblick an, um dies den hinter mir Herankommenden mitzuteilen, und dies war ein Glck fr uns, denn als ich, einige Augenblicke auf sie wartend, dem Fluábette mit meinen Augen folgte, machte ich eine Entdeckung, welche mich veranlaáte, schleunigst vom Rande des W„ldchens zurckzuweichen und mich zu verstecken. Wenn man von diesem W„ldchen aus nur fnfhundert Schritte zu Fuáe ging, kam man wieder an ein W„ldchen, welches aber drben auf dem rechten Ufer lag. Vor demselben tummelten Indianer ihre Pferde. Ich sah Pf„hle in der Erde stecken, welche mit Riemen verbunden waren, an denen Fleisch hing. W„re ich nur noch eine Pferdel„nge weitergeritten, so h„tten mich die Roten gesehen. Ich stieg vom Pferde und zeigte unsern Leuten die vor uns liegende Szene. ¯Kiowas!® sagte einer der Apachen. - 429 - ¯Ja, Kiowas,® stimmte Sam ihm bei. ¯Der Teufel muá diesen Santer sehr lieb haben, daá er ihn noch im letzten Augenblicke diese Hilfe finden l„át. Ich streckte schon alle zehn Finger nach ihm aus; aber er soll uns trotzdem nicht entgehen.® ¯Es ist keine starke Abteilung der Kiowas,® bemerkte ich. ¯Hm! Wir sehen nur die, welche sich diesseits der B„ume befinden; jenseits derselben gibt es jedenfalls auch welche. Sind auf der Jagd gewesen und machen nun hier ihr Fleisch.® ¯Was tun wir, Sam? Kehren wir um, um uns m”glichst weit zurckzuziehen?® ¯F„llt mir nicht ein! Wir bleiben hier.® ¯Aber das ist gef„hrlich!® ¯Gar nicht!® ¯Wie leicht kann ein Roter hierher kommen!® ¯F„llt keinem ein. Erstens befinden sie sich drben am andern Ufer, und zweitens wird es gleich dunkel werden; da entfernen sie sich nicht mehr aus ihrem Lager.® ¯Aber je gr”áer die Vorsicht, desto besser!® ¯Und je gr”áer die Angst, desto greenhornlicher! Ich sage Euch, daá wir vor diesen Kiowas so sicher sind als ob wir uns in New York bef„nden. Die denken nicht daran, hierher zu kommen; aber wir werden zu ihnen gehen. Ich muá diesen Santer haben und wenn ich ihn aus tausend Kiowas herausholen máte!® ¯Ihr seid heut das, was Ihr immer an mir tadelt, n„mlich unvorsichtig!® ¯Wie? Was? Unvorsichtig? Sam Hawkens und unvorsichtig! Da muá ich lachen, hihihihi! Das hat mir noch kein Mensch vorgeworfen! Sir, Ihr habt doch sonst keine Angst und geht sogar dem Grizzly mit dem Messer zu Leibe; warum da heut diese Bangigkeit!® ¯Es ist nicht Bangigkeit, sondern Vorsicht. Wir befinden uns zu nahe bei den Feinden.® ¯Zu nahe? L„cherlich! Ich denke sogar, daá wir ihnen noch n„her rcken werden. Wartet nur bis es dunkel ist.® Er war heut anders als gew”hnlich. Der Tod der "sch”nen, lieben, guten, roten Miá" hatte ihn so emp”rt, daá er nach Rache lechzte. Die Apachen gaben ihm recht; Parker und Stone stimm- - 430 - ten [stimmten] ihm auch bei, und so konnte ich nichts dagegen tun. Wir banden unsere Pferde an und setzten uns nieder, um den Anbruch der Dunkelheit zu erwarten. Ich muá freilich gestehen, daá die Kiowas sich so bewegten, als ob sie sich v”llig sicher fhlten. Sie ritten oder liefen auf dem offenen Plane umher, riefen einander zu, kurz und gut, taten so unbefangen, als ob sie sich daheim in ihrem sichern, gut bewachten Indianerdorfe bef„nden. ¯Seht Ihr, wie ahnungslos sie sind!® sagte Sam. ¯Bei denen gibt es heut keinen einzigen argen Gedanken.® ¯Wenn Ihr Euch nicht irrt!® ¯Sam Hawkens irrt sich nie!® ¯Pshaw! Ich k”nnte Euch das Gegenteil beweisen. Ich habe etwas in mir wie eine Ahnung, daá sie sich verstellen.® ¯Ahnung! Alte Squaws haben Ahnungen, sonst niemand. Merkt Euch das, verehrter Sir! Welchen Zweck k”nnte es denn haben, sich zu verstellen?® ¯Um uns anzulocken.® ¯Das ist ganz unn”tig, denn wir werden auch ohne Lockung kommen.® ¯Ihr nehmt doch an, daá Santer bei ihnen ist?® ¯Natrlich. Als er hier an diese Stelle kam, hat er sie gesehen und ist ber das leere Fluábette hinber zu ihnen.® ¯Und denkt Ihr, daá er ihnen erz„hlt hat, was geschehen ist und warum er Schutz bei ihnen sucht?® ¯Welche Frage! Es versteht sich ganz von selbst, daá er ihnen das gesagt hat.® ¯So hat er ihnen auch mitgeteilt, daá seine Verfolger ihm wahrscheinlich sehr nahe seien.® ¯Meinetwegen auch das.® ¯Dann wundert es mich, daá sie so gar keine Vorsichtsmaáregeln getroffen haben.® ¯Ist gar nicht zu verwnndern [verwundern]. Sie halten es einfach fr unm”glich, daá die N„he, von welcher Ihr redet, eine so bedeutende ist, und erwarten uns wohl erst morgen. Sobald es dunkel genug ist, schleiche ich mich hinber und sehe mir die Gelegenheit an. Dann wird sich finden, was wir tun. Ich muá diesen Santer haben!® - 431 - ¯Nun gut, so gehe ich mit!® ¯Ist nicht n”tig.® ¯Ich halte es fr sehr n”tig.® ¯Wenn Sam Hawkens auf Kundschaft geht, so braucht er keinen Gehilfen. Ich nehme Euch nicht mit. Ich kenne Euch und Eure zwecklose Humanit„t. Wahrscheinlich wollt Ihr diesem M”rder das Leben erhalten.® ¯F„llt mir nicht im Traume ein!® ¯Verstellt Euch nicht!® ¯Ich spreche so, wie ich denke. Auch ich will diesen Santer haben; ich will ihn lebendig fangen, um ihn Winnetou zu bringen. Und sobald ich sehe, daá dies unm”glich ist, daá ich ihn lebend nicht bekommen kann, so gebe ich ihm eine Kugel in den Kopf. Darauf k”nnt Ihr Euch verlassen.® ¯Daá ist es eben: eine Kugel in den Kopf! Ihr wollt nicht, daá er gemartert werden soll. Auch ich bin ein Feind von solchen Hinrichtungen; diesem Schurken aber g”nne ich einen solchen qualvollen Tod von ganzem Herzen. Wir fangen ihn und bringen ihn Winnetou. Muá nur erst wissen, wie viel Kiowas es sind; denn daá es mehr sind, als sich uns hier zeigen, das ist ausgemacht.® Ich zog es vor, zu schweigen, denn seine Worte hatten die Apachen miátrauisch gemacht. Sie wuáten, daá ich mir fr Rattler Mhe gegeben hatte, und so lag fr sie der Gedanke nahe, daá ich jetzt eine „hnliche Absicht hege. Ich tat also, als ob ich mich in Sams Willen fge, und streckte mich neben mein Pferd auf die Erde nieder. Die Sonne war schon l„ngere Zeit verschwunden, und nun senkte sich die D„mmerung nieder. Drben bei den Kiowas wurden mehrere Feuer angezndet. Die Flammen derselben loderten hoch empor. Dies ist gar nicht Gebrauch bei den vorsichtigen Roten, und so setzte sich in mir der vorhin ausgesprochene Gedanke fester, daá sie es darauf abgesehen h„tten, uns anzulocken. Wir sollten glauben, daá sie von unserm Hiersein nichts ahnten, und auf die Idee kommen, sie zu berfallen; taten wir dies, so liefen wir ihnen in die ge”ffneten H„nde. W„hrend ich so nachdachte, war es mir, als h„tte ich ein Ger„usch vernommen, welches von keinem von uns verursacht - 432 - worden war; es war hinter mir, wo niemand von uns lag, weil ich den „uáersten Platz eingenommen hatte. Ich lauschte und das Ger„usch wiederholte sich; ich h”rte es deutlich und unterschied es genau. Es war ein leises Bewegen z„her Ranken, an denen drre Bl„tter hingen, ungef„hr so, wie wenn man einige Halme aus einem Strohbndel zieht. Es war nicht die Bewegung eines glatten Zweiges, sondern, wie gesagt, einer Ranke, und diese muáte Stacheln oder Dornen haben, denn das Ger„usch war in einzelnen Rucken geschehen, von Stachel zu Stachel verursacht worden. Dieser Umstand sagte mir sofort, wo ich die Ursache zu suchen hatte. N„mlich hinter mir gab es zwischen drei einander nahestehenden B„umen ein Brombeergestr„uch, von welchem eine Ranke bewegt worden sein muáte. Es konnte ein kleines Tier da stecken, aber unsere Lage riet zur Vorsicht. Es konnte auch ein Mensch sein, und das muáte ich untersuchen, muáte es sehen. Sehen? In dieser Dunkelheit? Ja, doch! Ich habe gesagt, daá drben bei den Kiowas hohe Feuer loderten. Sie konnten ihren Schein zwar nicht herberwerfen, aber ich muáte jeden Gegenstand sehen, den ich zwischen sie und mein Auge brachte. Dies konnte ich mit der Brombeerhecke dadurch erreichen, daá ich die andere Seite derselben aufsuchte, was aber unbemerkt zu geschehen hatte. Ich stand also von meinem Platze auf und schlenderte langsam fort, nicht nach der Richtung, in welche ich eigentlich wollte. Als ich weit genug weg war, wendete ich mich um und n„herte mich dann dem W„ldchen von der richtigen Seite. Nahe herangekommen, legte ich mich nieder und kroch leise, leise nach der Beerenhecke, welche ich, sogar unbemerkt von meinen Leuten, erreichte. Sie lag grad vor mir; ich konnte sie mit der Hand erreichen, und in derselben Richtung brannten drben die Feuer. Ich konnte durch einige wenige Stellen blicken, sonst aber war die Hecke zu dicht. Da ja, wirklich, da gab es wieder das erw„hnte Ger„usch, und zwar nicht in der Mitte, sondern an der Seite der Hecke. Ich rutschte dorthin und sah nun freilich das, was ich geahnt hatte. Es hatte ein Mensch, ein Indianer, in der Hecke gesteckt und wollte sich nun entfernen. Dies muáte natrlich ein Ger„usch - 433 - verursachen, welches er auf verschiedene Zeitabst„nde zu verteilen trachtete, und er brachte dies in wahrhaft meisterhafter Weise fertig, denn anstatt eines einzigen lauten Raschelns gab es nun von Minute zu Minute nur ein leises, strohartiges Knistern, welches nur von mir geh”rt worden war, weil ich so nahe gelegen hatte. Das schwere Kunststck war ihm beinahe gelungen. Sein ganzer K”rper befand sich schon im Freien, und nur die eine Schulter mit dem Arme, der Hals und der Kopf steckten noch in der Hecke. Ich kroch zu ihm hinan, so daá ich hinter seinem Rcken lag. Er befreite sich mehr und mehr. Er bekam die Schulter frei, den Hals, den Kopf und hatte nun nur noch den Arm herauszuziehen. Da richtete ich mich auf die Kniee empor, faáte mit der Linken seinen Hals und hieb ihm die rechte Faust zwei-, dreimal an den Kopf; da lag er still. ¯Was war das?® fragte Sam. ¯Habt ihr nichts geh”rt?® ¯Old Shatterhands Pferd stampfte,® antwortete Dick. ¯Er ist fort. Wo er sein mag? Er wird doch keine Dummheiten machen!® ¯Dummheiten? Der? Der hat noch keine gemacht und wird auch niemals welche machen.® ¯Oho! Er ist imstande und sucht die Kiowas heimlich auf, um sie zu alarmieren und diesem Santer das Leben zu erhalten!® ¯Nein, das tut er nicht. Lieber erwrgt er den M”rder, als daá er ihn entkommen l„át. Der Tod der beiden Ermordeten ist ihm riesig nahe gegangen; das muát du ihm doch angesehen haben.® ¯Mag sein. Aber ich nehme ihn nicht mit, wenn ich nachher die Kiowas beschleiche; er kann mir auch gar nichts dabei ntzen. Ich will die Kerls z„hlen und die Oertlichkeit sehen; dann l„át es sich bestimmen, wie wir angreifen mssen. Er macht seine Sache als Greenhorn oft ganz gut, aber sich bei solchen Feuerflammen dem Lager der Kiowas zu n„hern, das bringt er doch nicht fertig. Diese Kerls wissen, daá wir kommen; sie sind also vorsichtig und werden die Ohren so spitzen, daá nur ein alter Westmann an sie kommen kann; ihn aber wrden sie gewiá sehen und auch h”ren.® - 434 - Da stand ich auf, trat schnell zu ihm und sagte: ¯Da irrt Ihr, lieber Sam. Ihr glaubt mich fort, und ich bin doch da. Verstehe ich es also oder nicht, mich anzuschleichen?® ¯Alle Wetter!® antwortete er. ¯Ihr seid wirklich da? Man hat Euch doch gar nicht bemerkt!® ¯Das ist ein Beweis, daá Euch das mangelt, was mir nach Euern Worten mangeln soll. Es sind berhaupt, ohne daá Ihr es wiát, noch ganz andere Leute da als ich.® ¯Wer denn, wer? Wen meint Ihr?® ¯Geht hin zu den Brombeeren dort; da werdet Ihr ihn sehen, Sam!® Er stand auf und folgte meiner Weisung; die andern taten nach seinem Beispiele. ¯Hallo!® rief er aus. ¯Da liegt ein Kerl, ein Indianer! Wie kommt der hierher?® ¯Das laát Euch von ihm selbst sagen!® ¯Er ist ja tot!® ¯Nein. Ich habe ihn nur bet„ubt.® ¯Wo denn? Doch nicht etwa hier? Ihr waret fort. Ihr habt ihn irgendwo berrascht, ihm einen Eurer Jagdhiebe gegeben und ihn dann hierher gebracht.® ¯Das denkt nicht! Er lag hier in den Brombeeren versteckt, und ich habe ihn bemerkt. Als er heraus wollte, um sich davonzuschleichen, gab ich ihm den Hieb. Ihr habt diesen Hieb auch geh”rt, denn Ihr fragtet danach, und er wurde fr ein Stampfen meines Pferdes gehalten.® ¯Alle Teufel, das stimmt! Er ist also wirklich dagewesen, hat im Busche gesteckt und alles geh”rt, was wir gesprochen haben. Welch ein Unheil fr uns, wenn es ihm gelungen w„re, unbemerkt fortzukommen! Wie gut, daá Ihr ihn unsch„dlich gemacht habt! Bindet und knebelt ihn, wenn ich mich nicht irre! Aber warum ist er nicht drben bei seinen Leuten? Was hat er hier zu tun gehabt? Er muá doch eher dagewesen sein als wir?® ¯Ihr sprecht solche Fragen aus und nennt andere Leute Greenhorns? Das sind doch so recht eigentliche Greenhornsfragen! Natrlich ist er eher dagewesen als wir. Die Kiowas wuáten, daá wir kommen; sie nahmen an, daá wir der Spur - 435 - Santers folgen und also hier erscheinen wrden. Sie wollten uns empfangen, und um den richtigen Zeitpunkt nicht zu vers„umen, stellten sie hier einen Posten aus, der sie benachrichtigen sollte. Aber weil wir zu schnell ritten oder weil er grad nicht gut aufpaáte oder aber weil er grad hier ankam, als wir auch kamen, haben wir ihn berrascht, so daá er sich in die Brombeeren verstecken muáte.® ¯Er h„tte doch fliehen k”nnen, hinberfliehen zu den Seinen!® ¯Dazu fand er keine Zeit, denn wir h„tten ihn noch laufen sehen und also erraten mssen, daá die Kiowas von uns wáten und von ihm gewarnt worden seien. Es ist auch m”glich, daá er von vornherein entschlossen war, sich hier zu verstecken, um uns zu belauschen.® ¯Dies ist alles ganz gut und m”glich. Mag es nun sein, wie es will, es ist ein Glck, daá wir ihn erwischt haben. Nun wird er beichten und alles gestehen mssen.® ¯Er wird sich hten, etwas zu sagen. Ihr bringt nichts aus ihm heraus.® ¯Kann sein. Es ist auch gar nicht n”tig, daá wir uns Mhe mit ihm geben. Wir wissen doch ohnedem, woran wir sind, und was ich noch nicht weiá, das werde ich bald erfahren, denn ich gehe jetzt hinber.® ¯Um vielleicht nicht wieder herberzukommen!® ¯Warum?® ¯Weil Euch die Kiowas behalten werden. Ihr habt ja selbst gesagt, daá es bei diesen vielen groáen und hellen Feuern sehr schwer sei, sich anzuschleichen.® ¯Ja, fr Euch, fr mich aber nicht. Darum wird es so, wie ich Euch gesagt habe: ich gehe hinber, und Ihr bleibt da.® Er sagte das in einem so bestimmten, gebieterischen Tone, daá ich ihm nun denn doch entgegnete: ¯Ihr seid heute ganz ausgewechselt, Sam. Ihr glaubt doch nicht etwa, mir Befehle erteilen zu k”nnen? Oder solltet Ihr doch?® ¯Natrlich glaube ich das.® ¯Nun, da muá ich Euch in aller Freundschaft sagen, daá Ihr Euch irrt. Als Surveyor stehe ich ber Euch, denn Ihr seid uns nur als Sicherheitswache zukommandiert gewesen. Sodann wiát Ihr, daá ich unter Zustimmung des ganzen - 436 - Stammes von Intschu tschuna zum H„uptling erkl„rt worden bin. Ihr m”gt also Eure Stellung zu mir von welcher Seite betrachten, wie Ihr wollt, so stehe ich ber Euch und bin es, der zu befehlen hat.® ¯Mir hat kein H„uptling etwas zu sagen,® behauptete er. ¯Und auáerdem bin ich ein alter Westmann, w„hrend Ihr ein Greenhorn und mein Schler seid. Das solltet Ihr nicht vergessen, wenn Ihr nicht fr undankbar gehalten werden wollt. Es bleibt dabei: Ich gehe jetzt, und Ihr bleibt hier!® Er ging wirklich. Die Apachen murrten ber ihn, und auch Stone meinte verdrossen: ¯Er ist heut wirklich ganz anders als sonst. Euch Undankbarkeit vorzuwerfen! Wir sind es doch, die sich bei Euch zu bedanken haben, denn ohne Euch lebten wir nicht mehr. Hat er Euch denn auch einmal das Leben gerettet!® ¯Laát ihn!® antwortete ich. ¯Er ist ein kleiner, pr„chtiger Kerl, und grad sein heutiges Auftreten spricht fr ihn. Es ist die Wut ber Intschu tschunas und Nscho-tschis Tod. Gehorchen werde ich ihm allerdings nicht. Ich gehe jetzt auch. In der Aufregung, in welcher er sich befindet, kann er sich leicht zu etwas hinreiáen lassen, was er bei gew”hnlicher Stimmung vermeiden wrde. Bleibt hier, bis ich wiederkomme, und selbst wenn Ihr Schsse h”ren solltet, geht Ihr nicht vom Platze. Nur dann, wenn Ihr meine Stimme h”rt, welche bis hierher zu vernehmen ist, kommt Ihr mir zu Hilfe.® Ich lieá meinen B„rent”ter liegen, ebenso wie Sam seine alte Liddy dagelassen hatte, und entfernte mich. Ich hatte bemerkt, wie Hawkens gleich von uns weg durch das Fluábett gegangen war; er wollte sich also von drben anschleichen. Ich hielt dies fr falsch und beabsichtigte, es anders und besser zu machen. Die Kiowas wuáten, daá wir fluáaufw„rts von ihnen zu suchen waren, und richteten also ihre Aufmerksamkeit ganz besonders dorthin; darum handelte Hawkens sehr falsch, indem er sich von dorther ann„hern wollte. Ich dagegen nahm mir vor, von der entgegengesetzten Seite zu kommen. Darum ging ich am diesseitigen Ufer abw„rts, doch so weit von demselben, daá mich der Schein der jenseits brennenden Feuer nicht treffen konnte, bis das W„ldchen drben zu Ende - 437 - war. Da unten war kein Feuer angezndet worden, und die B„ume hielten den Lichtschein ab. Es war hier also so dunkel, daá ich unbemerkt hinunter in das Fluábett und jenseits wieder hinaufgelangen konnte. Nun befand ich mich unter den B„umen, legte mich nieder und kroch vorw„rts. Es brannten acht Feuer. So viele wurden nicht gebraucht, denn ich z„hlte nur gegen vierzig Indianer; sie waren also nur angebrannt, um uns zu zeigen, wo die Kiowas lagerten. [Illustration Nr. 19: Das Lager der Kiowas] Diese saáen unter den B„umen in verschiedenen Gruppen beisammen und hatten ihre Gewehre schuáfertig in den H„nden. Wehe uns, wenn wir so unvorsichtig gewesen w„ren, in die uns gestellte Falle zu laufen! Diese war brigens eine so bemerkbar und dumm gelegte, daá nur ganz unerfahrene Menschen in dieselbe h„tten gehen k”nnen. Die Pferde der Roten sah ich drauáen auf der freien Pr„rie weiden. - 438 - Ich h„tte gar zu gern eine der Gruppen belauscht, wom”glich die, bei welcher sich der Anfhrer befand, weil dort sicherer zu h”ren war, was ich wissen wollte. Aber wo war der Anfhrer zu suchen? Jedenfalls bei der Gruppe, bei welcher auch Santer saá; so sagte ich mir. Also schob ich mich von Baum zu Baum, um den letzteren zu entdecken. Nach einigem Suchen sah ich ihn; er saá mit vier Indianern zusammen, von denen allerdings keiner das Abzeichen der H„uptlingswrde trug; das war auch gar nicht n”tig, denn nach den Gebr„uchen der Roten muáte der Aelteste dieser vier der Anfhrer sein. Leider konnte ich mich nicht so nahe hinwagen, wie ich gern wollte, denn es gab kein Unterholz, in dem ich Schutz und Deckung gefunden h„tte. Aber einige B„ume standen so, daá ihr Gesamtschatten mir eine, wenn auch nur zweifelhafte Sicherheit bot. Da acht Feuer brannten, warf jeder Baum mehrere Schatten, Halbschatten, welche hin und her zitterten und dem Innern des W„ldchens ein gespenstisches Aussehen verliehen. Zu meiner Freude sprachen die Roten nicht leise, sondern laut miteinander, denn es lag doch nicht in ihrer Absicht, heimlich zu tun; wir sollten sie nicht nur sehen, sondern auch h”ren. Ich erreichte den erw„hnten Schatten und blieb dort liegen, vielleicht zw”lf Schritte von Santers Gruppe entfernt. Es war kein geringes Wagnis von mir, da ich von den andern Roten viel leichter als von dieser Gruppe aus entdeckt werden konnte. Ich h”rte, daá Santer das groáe Wort hatte. Er erz„hlte von dem Nuggetberge und forderte die Roten auf, mit ihm dorthin zu ziehen und den Schatz zu heben. ¯Weiá mein weiáer Bruder den Ort, an dem er zu finden ist?® fragte der „lteste der vier Indianer. ¯Nein. Wir wollten ihn erfahren, aber die Apachen kamen zu schnell zurck. Wir glaubten, sie wrden sich so lange verweilen, daá wir sie belauschen k”nnten.® ¯Dann ist alles Suchen vergeblich. Es k”nnen zehnmal hundert Mann hingehen, um nachzuforschen; sie werden nichts finden. Die roten M„nner verstehen es sehr gut, solche Stellen v”llig unkenntlich zu machen. Aber da mein Bruder den gr”áten unserer Feinde und seine Tochter erschossen hat, so werden wir - 439 - ihm den Gefallen tun, sp„ter mit ihm hinzureiten und ihm suchen helfen. Vorher aber mssen wir deine Verfolger fangen und dann auch Winnetou t”ten.® ¯Winnetou? Der wird doch bei ihnen sein!® ¯Nein, denn er darf nicht von seinen Toten fort und wird auch die gr”áere H„lfte seiner Krieger bei sich behalten. Die kleinere H„lfte ist dir nach und wird von Old Shatterhand, dem weiáen Hunde, angefhrt, welcher unserm H„uptlinge die Knie zerschmettert hat. Diese Schar werden wir heute berw„ltigen.® ¯Dann reiten wir nach dem Nuggetberge, um Winnetou kalt zu machen und nach dem Golde zu suchen!® ¯Das ist nicht so m”glich, wie mein Bruder denkt. Winnetou hat seinen Vater und seine Schwester zu begraben, wobei er nicht gest”rt werden darf, denn der groáe Geist wrde uns dies nie verzeihen. Aber dann, wenn er fertig ist, berfallen wir ihn. Er wird nun nicht nach den St„dten der Bleichgesichter ziehen, sondern heimkehren. Da legen wir ihm einen Hinterhalt oder locken ihn so heran, wie wir es heut mit Old Shatterhand tun, der ganz gewiá dabei ist. Ich warte nur, daá mein Sp„her zurckkehrt, der sich drben versteckt hat. Und auch die W„chter, welche sich weit drauáen hingelegt haben, haben mir noch keine Meldung gesandt.® Als ich dies h”rte, erschrak ich. Es lagen also Posten vor dem W„ldchen. Wenn Sam Hawkens diese nicht bemerkte und zwischen sie geriet! Kaum hatte ich dies gedacht, so h”rte ich ein kurz ausgestoáenes Geschrei mehrerer Stimmen. Der Anfhrer sprang auf und lauschte. Auch alle andern Kiowas waren still und horchten. Da n„herte sich dem W„ldchen eine Gruppe, welche aus vier Roten bestand, die einen Weiáen geschleppt brachten. Er str„ubte sich, doch ohne Erfolg; er war zwar nicht gefesselt, wurde aber von den vier Messern seiner Besieger in Schach gehalten. Dieser Weiáe war mein unvorsichtiger Sam! Mein Entschluá stand sofort fest: ich durfte ihn nicht stecken lassen, obwohl ich dabei mein Leben wagte. ¯Sam Hawkens!® rief Santer, der ihn erkannte. ¯Good evening, Sir! Habt wohl nicht geglaubt, mich hier wiederzusehen?® - 440 - ¯Schuft, R„uber, M”rder!® antwortete ihm der furchtlose Kleine, indem er ihn bei der Gurgel packte. ¯Gut, daá ich dich habe; nun bekommst du deinen Lohn, wenn ich mich nicht irre.® Der Angegriffene wehrte sich. Die Roten griffen zu und rissen Sam von ihm weg. Das gab einen kurzen Tumult, den ich schnell benutzte. Ich zog die beiden Revolver, sprang nach der Stelle hin und mitten unter die Indianer hinein. ¯Old Shatterhand!® schrie Santer, indem er erschrocken davonrannte. Ich schickte ihm zwei Kugeln nach, die aber wohl nicht trafen, gab die brigen Schsse auf die Roten ab, welche zurckwichen, und rief Sam zu: ¯Fort, mir nach, genau hinter mir her!® Es war, als ob die Roten vor Entsetzen unf„hig zur Bewegung seien; sie standen starr, obgleich ich auf sie geschossen hatte, doch absichtlich nach ungef„hrlichen K”rperstellen. Ich faáte Sam beim Arme und riá ihn mit mir fort, in das W„ldchen hinein, durch dasselbe hindurch und in das Fluábette hinab. Das ging alles so schnell, daá von dem Augenblicke meines Angriffes an bis jetzt kaum mehr als eine Minute vergangen war. ¯All devils, war das zur rechten Zeit!® meinte Sam, als wir unten angekommen waren. ¯Ich wurde von diesen Schurken ® ¯Schwatzt nicht, sondern folgt mir,® unterbrach ich ihn, indem ich seinen Arm fahren lieá und mich nach rechts wandte, um im Fluábette abw„rts zu rennen, denn es galt zun„chst, auáer Schuáweite zu kommen. Nun erst kamen die v”llig berrumpelten und verblfften Roten zu sich. Ihr Geheul erscholl hinter uns her, so daá ich Sams Schritte nicht mehr h”ren konnte. Schrille Rufe erschallten, Schsse krachten; es war ein wahrer H”llenl„rm. Warum flchtete ich nicht fluáaufw„rts, unserm Lager zu, sondern abw„rts, demselben grad entgegengesetzt? Aus einem sehr triftigen Grunde. Die Roten konnten uns zun„chst nicht sehen, weil es unten im Fluábette dunkel war, und rannten jedenfalls aufw„rts, weil sie als sicher annahmen, daá wir in dieser Richtung geflohen seien; wir befanden uns also, indem - 441 - wir abw„rts rannten, so ziemlich in Sicherheit und konnten dann in einem Bogen nach unserm Lager zurckkehren. Als ich glaubte, weit genug gelaufen zu sein, hielt ich an. Das Geheul der Roten ert”nte immer noch in der Ferne; da wo ich stand, regte sich nichts. ¯Sam!® rief ich mit unterdrckter Stimme. Es erfolgte keine Antwort. ¯Sam, h”rt Ihr mich?® fragte ich lauter. Er antwortete auch jetzt nicht. Wo steckte er? Er muáte mir doch gefolgt sein! War er vielleicht gestrzt und hatte sich verletzt? Denn meine Flucht war ber rissigen, vertrockneten Schlamm und tiefe Wasserlachen gegangen. Ich nahm Patronen aus dem Grtel, lud die Revolver wieder und kehrte dann um, langsamen Schrittes nach ihm zu suchen. Der H”llenl„rm, den die Kiowas machten, w„hrte noch immer fort; dennoch wagte ich mich n„her und n„her, bis ich wieder unter dem W„ldchen an der Stelle stand, wo ich Sam aufgefordert hatte, mir zu folgen. Ich hatte ihn nicht gefunden. Er war wohl anderer Ansicht als ich gewesen und gleich an das andere Ufer gestiegen, ohne auf meine Worte zu achten. Aber da muáte ihn der Schein der Feuer getroffen und beleuchtet haben, und er hatte sich nicht nur den Augen der Kiowas, sondern auch ihren Kugeln preisgegeben. Welche Unbedachtsamkeit von dem kleinen, heut so obstinaten Kerlchen! Es wurde mir abermals angst um ihn; ich entfernte mich wieder von dem W„ldchen, bis ich von demselben aus nicht bemerkt werden konnte, und lief in einem Bogen auf unser Lager zu. Dort fand ich alles in groáer Aufregung. Die roten und weiáen Gef„hrten dr„ngten sich an mich heran, und Dick Stone rief in vorwurfsvollem Tone aus: ¯Sir, warum habt Ihr uns verboten, Euch nachzukommen, selbst wenn Schsse fallen sollten! Wir haben mit wahrer Gier gewartet, daá Ihr rufen wrdet. Gott sei Dank, daá wenigstens Ihr wieder da seid, und zwar unverletzt, wie ich sehe!® ¯Wo ist Sam? Nicht hier?® erkundigte ich mich. ¯Hier? Wie k”nnt Ihr nur so fragen! Habt Ihr denn nicht gesehen, wie es ihm ergangen ist?® ¯Wie denn?® - 442 - ¯Als Ihr fort waret, warteten wir. Nach l„ngerer Zeit h”rten wir einige Rote rufen; dann wurde es wieder still. Da auf einmal h”rten wir Revolverschsse und kurz darauf ein entsetzliches Geheul. Dann krachten Flintenschsse, und wir sahen Sam erscheinen.® ¯Wo?® ¯Drunten beim W„ldchen, am diesseitigen Ufer.® ¯Dachte es mir! Sam ist heut so unvorsichtig gewesen wie noch nie. Weiter, weiter!® ¯Er kam auf uns zugelaufen, aber es war eine ganze Menge Kiowas hinter ihm her, die ihn ereilten und festnahmen. Wir sahen dies deutlich, weil die Feuer hell brennen, und wollten ihm Hilfe bringen; aber ehe wir die Stelle erreichen konnten, waren sie mit ihm schon ber das Fluábette hinber und verschwanden unter den B„umen. Wir hatten groáe Lust, ihnen nachzufolgen, um sie anzugreifen und Sam zu befreien; aber wir dachten an Euer Verbot und unterlieáen es.® ¯Daran habt ihr sehr klug getan, denn ihr elf Mann h„ttet nichts erreicht und w„ret alle ausgel”scht worden.® ¯Aber was tun wir, Sir? Sam ist gefangen!® ¯Leider ja, und zwar nun zum zweitenmal!® ¯Zum zweiten ?!® rief er erstaunt. ¯Ja. Nach dem ersten Male hatte ich ihn schon wieder frei; er brauchte mir nur zu folgen, so st„nde er jetzt grad so hier wie ich; aber er hat heut eben seinen Kopf fr sich.® Ich erz„hlte ihnen, was geschehen war. Als ich geendet hatte, sagte Will Parker: ¯Da trifft Euch keine Schuld, Sir! Ihr habt weit mehr getan, als was jeder andere gewagt h„tte. Sam hat sich selbst in diese Tinte geritten; aber wir drfen ihn deshalb doch nicht drin sitzen lassen!® ¯Nein; er muá heraus. Das wird uns aber nun weit schwerer werden, als es mir zum erstenmal geworden ist; denn wir k”nnen uns darauf verlassen, daá die Kiowas doppelt scharf aufpassen werden.® ¯Das ist gewiá. Aber vielleicht ist es dennoch m”glich, ihn noch einmal herauszuhauen!® ¯Hm, m”glich ist alles; aber zw”lf Mann gegen fnfzig, - 443 - die nur darauf warten, berfallen zu werden! Und doch ist dies wahrscheinlich die einzige Art und Weise, denn am Tage drfen wir den Angriff auf das W„ldchen noch viel weniger wagen.® ¯Well, so greifen wir noch in dieser Nacht an!® ¯Langsam, langsam! Das will berlegt sein.® ¯Ueberlegt es, Sir; aber gebt mir inzwischen die Erlaubnis, mich einmal hinberzuschleichen, um nachzuforschen, wie es steht.® ¯Das m”gt Ihr tun, doch nicht jetzt, sondern sp„ter, wenn einige Zeit verflossen ist und ihre Aufmerksamkeit sich vermindert hat. Und dann geht Ihr nicht allein, sondern ich begleite Euch, und wahrscheinlich nehmen wir auch die andern alle mit.® ¯Sch”n, sehr gut, Sir! Das will ich gelten lassen. Die andern auch gleich mitnehmen, das klingt schon ganz wie Ueberfall. Wir werden unsere Pflicht tun. Sechs bis acht Kiowas nehme ich auf mich allein, und Dick Stone wird nicht weniger haben wollen. Nicht, alter Dick?® ¯Yes, hast's getroffen, alter Will,® antwortete der Gefragte. ¯Es kommt mir auf einige mehr oder weniger gar nicht an, wenn es sich darum handelt, Sam loszumachen. Ist sonst ein kleiner Pfiffikus; hat aber heut grad seinen schwachen Tag gehabt.® Ja, allerdings, an diesem Tage war Sam recht schwach gewesen. Ich ging im stillen mit mir zu Rate, auf welche Weise er am besten zu befreien sei. Mein Leben hatte ich fr ihn wagen drfen, aber war ich berechtigt, seinetwegen auch dasjenige der Apachen auf das Spiel zu setzen? Vielleicht konnte man auf dem Wege der List leichter und ungef„hrlicher an das Ziel gelangen. Das muáte sich nachher ergeben, wenn wir uns hinberschlichen. Um fr alle F„lle gerstet zu sein, wollte ich da die Apachen auch mitnehmen. Vielleicht stellte es sich heraus, daá ein pl”tzlicher Angriff Vorteile bot, welche wir mit keinen groáen Wagnissen erreichen konnten. Jetzt muáten wir noch warten, denn wir machten die Bemerkung, daá es drben noch sehr lebhaft zuging. Bald aber wurde es ruhiger, und diese Stille wurde nur durch kr„ftige, weithin schallende Tomahawkhiebe unterbrochen. Die Roten - 444 - schlugen Holz von den B„umen; wahrscheinlich hatten sie die Absicht [,] Feuer bis zum Morgen in der jetzigen, ungew”hnlichen Weise zu unterhalten. Dann h”rten auch die Axtschl„ge auf. Die Sterne deuteten Mitternacht an, und ich hielt es fr an der Zeit, ans Werk zu gehen. Zun„chst sorgten wir dafr, daá die Pferde, welche wir zurcklassen muáten, gut angebunden waren und nicht loskommen konnten; dann sah ich noch einmal nach den Fesseln und dem Knebel des gefangenen Kiowa. Hierauf verlieáen wir unsern Lagerplatz und schlugen genau denselben Weg ein, auf welchem ich vorhin nach dem Fluábette gegangen war. Als wir unterhalb des W„ldchens in demselben standen [,] befahl ich den Apachen, unter der Anfhrung Dick Stones hier zurckzubleiben und ja jedes Ger„usch zu vermeiden. Dann stieg ich mit Will Parker leise zu den B„umen empor. Als wir die Uferh”he erreicht hatten, legten wir uns nieder und lauschten. Es herrschte tiefste Stille ringsumher. Nun krochen wir langsam vorw„rts. Die acht Feuer brannten noch immer so hoch. Ich sah, daá ganze Haufen starker Aeste in dieselben geworfen worden waren. Das machte mich stutzig. Wir rckten weiter und weiter vor und sahen keinen Menschen. Endlich berzeugten wir uns, freilich unter Beachtung aller Vorsicht, daá das W„ldchen leer war. Es gab keinen einzigen Kiowa mehr da. ¯Sie sind fort, wirklich fort, heimlich fort!® sagte Parker erstaunt. ¯Und doch haben sie die Feuer noch so geschrt!® ¯Um ihren Rckzug zu maskieren. So lange die Feuer brennen, mssen wir denken, daá sie noch da sind.® ¯Aber wohin sind sie? Ganz fort?® ¯Ich vermute es, weil Sam fr sie eine gute Beute ist, die sie in Sicherheit bringen wollen. Aber es ist auch m”glich, daá sie eine Teufelei beabsichtigen.® ¯Welche?® ¯Uns drben zu berfallen, wie wir sie jetzt hier hben angegriffen h„tten.® ¯Wetter, das ist freilich m”glich! Da mssen wir schleunigst vorbeugen, Sir!® - 445 - ¯Ja; wir mssen hinber und unsere Pferde in Sicherheit bringen, auch wenn es sich sp„ter als unn”tig erweisen sollte. Besser ist besser.® Wir stiegen zu den Apachen hinab und eilten nach unserm Lagerplatze, wo wir alles in Ordnung fanden. Doch die Kiowas konnten auch noch sp„ter kommen; darum stiegen wir auf und ritten ein tchtiges Stck in die Prairie hinein, wo wir uns lagerten. Wenn die Kiowas ja noch kamen, so fanden sie uns nicht am alten Platze und muáten den Tag abwarten, um uns zu sehen. Den Gefangenen hatten wir natrlich nicht liegen lassen, sondern mitgenommen. Nun blieb auch uns nichts anderes brig, als uns bis zum Morgen zu gedulden. Wer schlafen konnte, der schlief; wer das nicht fertig brachte, der wachte. So verging die Nacht, und als der Morgen zu d„mmern begann, setzten wir uns auf die Pferde und ritten zun„chst nach unserem Lagerplatz zurck. Es war niemand dagewesen, und wir hatten uns also ohne Grund entfernt; doch das schadete nichts. Dann ging es ber den Fluá nach dem W„ldchen hinber. Die Feuer waren niedergebrannt und hatten Aschenhaufen hinterlassen als die einzigen Zeichen davon, daá es gestern hier so lebhaft zugegangen war. Nun untersuchten wir die Spuren. Von der Stelle, an welcher ich die Pferde gesehen hatte, fhrte die Gesamtspur der Kiowas fort; sie waren hier aufgestiegen, und hatten sich in sd”stlicher Richtung entfernt. Es lag klar, daá sie es aufgegeben hatten, sich in einen Kampf mit uns einzulassen, welcher ihnen keinen Nutzen bringen konnte, weil es ihnen nicht mehr m”glich war, uns zu berraschen. Und Sam? Den hatten sie mitgenommen, was Dick Stone und Will Parker auáerordentlich in das Gemt griff. Auch mir tat das liebe Kerlchen herzlich leid, und ich war gern bereit, alles halbwegs Vernnftige zu seiner Befreiung zu unternehmen. ¯Wenn wir ihn nicht losmachen, so werden sie ihn am Pfahle martern,® klagte Dick Stone. ¯Nein,® tr”stete ich ihn. ¯Wir haben ja auch einen Gefangenen, eine Geisel fr ihn.® ¯Aber ob sie das wissen!® - 446 - ¯Jedenfalls. Sam ist unbedingt so klug gewesen, es ihnen zu sagen. Wie man es ihm macht, so machen wir es mit unserm Gefangenen.® ¯Aber wir mssen diesen Indsmen nachreiten, es mag stehen, wie es will!® ¯Nein.® ¯Was? Ihr wollt ihn im Stiche lassen?® ¯Auch nein.® ¯Aber wie reimt Ihr dieses beides zusammen?® ¯Dadurch, daá ich mich von diesen roten Kerls nicht an der Nase in der Savanne herumfhren lasse.® ¯An der Nase? Ich verstehe Euch nicht.® ¯Nun, seht Euch einmal ihre F„hrte an! Wie alt ist sie wohl?® ¯Sie sind schon vor Mitternacht fort, wie es den Anschein hat.® ¯Das denke ich auch. Von da an bis jetzt sind gegen zehn Stunden vergangen. Denkt Ihr, daá wir diesen Vorsprung heut einholen k”nnen?® ¯Nein.® ¯Oder morgen?® ¯Auch nicht.® ¯Und wohin meint Ihr, daá sie geritten sind?® ¯Nach ihrem Dorfe.® ¯So kommen sie dort an, ehe wir sie einholen k”nnen. Seid Ihr nun vielleicht der Ansicht, daá wir zw”lf Personen uns mitten in das weite Gebiet der Kiowas wagen k”nnen, um eines ihrer D”rfer zu berfallen und einen Gefangenen zu befreien?® ¯Das wrde Wahnsinn sein.® ¯Sch”n! Wir sind also einer Meinung; wir reiten ihnen nicht nach.® Da kratzte er sich hinter dem Ohre und murmelte ratlos und „rgerlich: ¯Aber Sam, Sam, Sam! Unser alter Sam, was wird mit dem? Wir k”nnen ihn doch nicht aufgeben!® ¯Nein, das tun wir nicht, sondern wir werden ihn im Gegenteile befreien.® - 447 - ¯Hol Euch der Teufel, Sir! Ich bin nicht dazu geschaffen, diese Art von R„tseln zu l”sen. Einmal sagt Ihr, daá wir den Roten nicht folgen wollen, und gleich darauf behauptet Ihr, daá ihr Gefangener befreit werden soll. Das ist doch ganz so, als ob Ihr einen Esel in einem Atem erst ein Kamel und dann einen Affen nennt! Das mag begreifen, wer will, ich aber nicht!® ¯Es ist schon etwas anderes, denn Euer Beispiel trifft nicht zu. Die Kiowas wollen n„mlich gar nicht nach ihrem Dorfe.® ¯Nicht? Wohin denn?® ¯Erratet Ihr das nicht?® ¯Nein.® ¯Hm! Was fr alte, erfahrene Westm„nner ihr doch seid! Da lobe ich mir doch die Greenhorns, welche solche Nsse knacken, ohne sich die Z„hne daran auszubeiáen! Die Roten wollen n„mlich nach dem Nuggetberg.® ¯Nach dem behold! Sollte das die Wirklichkeit sein, Sir?® ¯Sie ist es; darauf k”nnt Ihr Euch verlassen.® ¯Zuzutrauen w„re es ihnen wirklich!® ¯Ich traue es ihnen nicht nur zu, sondern ich behaupte es mit Bestimmtheit.® ¯Aber sie drfen doch das Begr„bnis nicht st”ren!® ¯Das beabsichtigen sie auch nicht. Sie werden warten, bis es vorber ist. Sie sind uns und den Apachen feindlich gesinnt; sie streben nach Rache. Da war ihnen Santers Ankunft sehr willkommen. Sie erfuhren den Tod Intschu tschunas und seiner Tochter und freuten sich darber. Wie gern werden sie Winnetou und uns das gleiche Schicksal wnschen. Sie hatten es uns zugedacht, als sie h”rten, daá Santer Verfolger hinter sich habe. Wir aber waren vorsichtig und gingen, Sam ausgenommen, nicht in die Falle. Nun versuchen sie es anders. Sie tun, als ob sie die Absicht h„tten, nach ihrem Dorfe zu reiten; das h„lt uns ihrer Ansicht nach davon ab, ihnen zu folgen; sie nehmen also an, daá wir zu Winnetou zurckkehren werden. Wenn sie aber einige Zeit sd”stlich geritten sind und dabei, wenn der Zufall es bietet, noch mehr - 448 - Krieger an sich gezogen haben, wenden sie um und gehen nach dem Nuggetberge, wo wir, wie sie denken, uns ahnungslos berfallen und abschlachten lassen werden.® ¯Sch”nes Exempel, jawohl, sch”nes Exempel! Werden aber dafr sorgen, daá es ein anderes Fazit ergibt!® ¯Ja, das werden wir. Wahrscheinlich ist ihnen dieser Plan von Santer eingegeben worden, welcher diese Gelegenheit bentzen will, sich Gold zu holen. Kurz und gut, ich bin vollst„ndig berzeugt, daá der Stock so schwimmt, wie ich es jetzt erkl„rt habe. Wollt Ihr nun noch hinter den Kiowas her?® ¯F„llt mir nicht ein. Eure Berechnung erscheint mir zwar etwas gewagt, aber so lange ich Euch kenne, habt Ihr Euch noch nie geirrt, sondern stets recht gehabt; darum denke ich, daá es diesmal auch so zutreffen wird. Was meinst du dazu, alter Will?® ¯Ich meine, daá es genau so ist, wie Old Shatterhand sagt. Wir mssen fort von hier, augenblicklich fort, um Winnetou rechtzeitig warnen zu k”nnen. Seid Ihr einverstanden, Sir?® ¯Ja.® ¯Und den Gefangenen nehmen wir mit?® ¯Natrlich. Wir binden ihn auf Sams Mary, was ihm freilich keinen groáen Genuá bereiten wird. Nachdem ihr das besorgt habt, brechen wir gleich auf. Vorher jedoch wollen wir unten im Flusse einen Wassertmpel suchen, um unsere Pferde zu tr„nken.® Eine halbe Stunde sp„ter waren wir unterwegs, keineswegs sehr zufrieden mit dem Erfolge unseres Rittes. Anstatt Santer zu fangen, hatten wir Sam Hawkens verloren, aber durch seine eigene Schuld, und wenn meine Voraussetzung sich sp„ter bewahrheitete, so stand fast mit Sicherheit zu erwarten, daá wir Sam Hawkens befreien und Santer ergreifen wrden. Bei der Verfolgung des Letzteren waren wir natrlich gezwungen gewesen, auf seiner Spur zu bleiben, und hatten infolgedessen einen Umweg gemacht, weil er von seiner ursprnglichen Richtung abgewichen war, und einen stumpfen Winkel geritten hatte. Ich beschloá, diesen Winkel abzuschneiden, und die Folge davon war, daá wir schon kurz nach Mittag des n„chsten Tages vor der Schlucht hielten, welche hinauf nach der - 449 - Lichtung fhrte, auf der der Ueberfall und Doppelmord geschehen war. Wir lieáen die Pferde unter der Obhut eines Apachen unten im Tale und stiegen empor. Am Rande der Lichtung stand ein W„chter, der uns nur mit einer stillen Bewegung der Hand begráte. Wir sahen beim ersten Blicke, wie fleiáig die zwanzig Apachen gewesen waren, um das Begr„bnis ihres H„uptlings und seiner Tochter vorzubereiten. Ich sah eine Menge schlanker B„ume liegen, welche mit den Tomahawks gef„llt und zum Gerste bestimmt waren. Sodann gab es groáe Haufen von Steinen, welche herbeigeschleppt worden waren und noch immer herbeigetragen wurden. Zu diesen Arbeitern gesellten sich sogleich die Apachen, welche ich mit mir gehabt hatte. Ich erfuhr, daá das Begr„bnis am n„chsten Tage stattfinden sollte. Seitw„rts hatte man eine interimistische Htte errichtet, in welcher die beiden Leichen aufbewahrt wurden. Winnetou befand sich in derselben. Es wurde ihm gesagt, daá wir angekommen seien, und er trat heraus. Wie sah er aus! Er war ja berhaupt sehr ernst und nur in seltenen F„llen glitt einmal ein L„cheln ber sein Gesicht; laut lachen aber habe ich ihn niemals h”ren; jedoch lag auf seinen m„nnlich sch”nen Zgen trotz dieses Ernstes stets ein Ausdruck der Gte und des Wohlwollens, und sein dunkles Sammetauge konnte bei Gelegenheit sogar auáerordentlich freundlich blicken. Wie oft hat es auf mir mit einer Liebe und Z„rtlichkeit geruht, deren Licht man sonst nur in Frauenaugen zu finden pflegt! Heut aber gab es von alledem keine Spur. Sein Gesicht schien steinhart geworden zu sein, und sein Auge blickte dster innenw„rts. Seine Bewegungen waren langsam und schwer. So kam er auf mich zu, warf einen trben, forschenden Blick umher, schttelte mir matt die Hand, sah mir mit einem Ausdrucke, der mir tief in die Seele schnitt, in die Augen und fragte: ¯Wann ist mein Bruder zurckgekehrt?® ¯Soeben.® ¯Wo befindet sich der M”rder?® ¯Er ist uns entgangen.® - 450 - Die Aufrichtigkeit gebietet mir, zu gestehen, daá ich bei dieser Antwort den Blick zu Boden senkte. Ich m”chte beinahe sagen, daá ich mich sch„mte, diese Worte auszusprechen. Auch er sah zur Erde nieder. Ich h„tte in sein Inneres blicken m”gen! Erst nach einer langen Pause erkundigte er sich: ¯Hat mein Bruder die Spur verloren?® ¯Nein; ich habe sie noch jetzt. Er wird hierher kommen.® ¯Old Shatterhand mag mir erz„hlen!® Er setzte sich auf einen Stein; ich tat desgleichen und lieferte ihm einen genauen, wahrheitsgetreuen Bericht. Er h”rte ihn wortlos bis zu Ende an, schwieg auch noch darber hinaus und fragte dann: ¯So weiá mein Bruder nicht genau, ob der M”rder von den Revolverkugeln getroffen worden ist?® ¯Nein, ich m”chte aber annehmen, daá ich ihn nicht verwundet habe.® Er nickte leise, drckte mir die Hand und sagte: ¯Mein Bruder mag mir die Frage verzeihen, welche ich vorhin aussprach, die Frage, ob er die Spur verloren habe! Old Shatterhand hat alles getan, was er tun konnte, und am Schlusse noch auáerordentlich weise gehandelt. Sam Hawkens wird es sehr bedauern, unvorsichtig gewesen zu sein; wir werden es ihm verzeihen und ihn befreien. Ich denke auch wie mein Bruder: die Kiowas werden kommen; sie sollen uns aber anders finden, als sie uns zu finden hoffen. Der Gefangene mag nicht hart behandelt, aber scharf beobachtet werden. Morgen sollen die Gr„ber ber Intschu tschuna und Nscho-tschi errichtet werden. Wird mein Bruder dabei sein?® ¯Es wrde mich sehr schmerzen, wenn Winnetou es mir nicht erlaubte!® ¯Ich erlaube es nicht, sondern ich bitte dich darum. Deine Gegenwart wird vielleicht vielen S”hnen der Bleichgesichter das Leben erhalten. Das Gesetz des Blutes fordert den Tod vieler weiáer Menschen; aber dein Auge ist wie die Sonne, deren W„rme das harte Eis zerweicht und in erquickendes Wasser verwandelt. Du weiát, wen ich verloren habe. Sei du mir Vater, und sei du mir Schwester zugleich; ich bitte dich darum, Scharlih!® - 451 - Eine Tr„ne stand in seinem Auge. Er sch„mte sich ihrer, die er vor einem andern als mir unm”glich sehen lassen durfte, eilte davon und verschwand bei den Toten in der Htte. Er nannte mich heut zum erstenmal bei meinem Vornamen Karl und hat ihn auch in Zukunft nie anders als jetzt, n„mlich Scharlih, ausgesprochen. Nun sollte ich von dem Begr„bnisse erz„hlen, welches mit allen indianischen Feierlichkeiten vorgenommen wurde; ich weiá [Illustration Nr. 20: Zwei Grabmale] auch sehr wohl, daá eine eingehende Beschreibung dieser Feierlichkeiten gewiá interessieren wrde, aber wenn ich an jene traurigen Stunden denke, fhle ich noch heut ein so tiefes Weh, als ob sie erst gestern vergangen w„ren, und die Schilderung - 452 - derselben kommt mir wie eine Entweihung vor, nicht eine Entweihung der "Grabm„ler", welche wir den beiden Toten damals am Nugget-tsil erbauten, sondern des Denkmales, welches ich ihnen in meinem Herzen errichtete und stets treu gehtet habe. Darum bitte ich, die Beschreibung unterlassen zu drfen. Intschu tschunas Leiche wurde auf sein Pferd gebunden, worauf man um beide Erde h„ufte, bis sich das Tier nicht mehr bewegen konnte; dann bekam es eine Kugel in den Kopf. Der Erdhaufen wurde erh”ht, bis er den Reiter, seine Waffen und seine Medizin ganz bedeckte, und dann rundum mit mehreren Steinschichten bis zur Spitze bedeckt. Nscho-tschi erhielt auf meine Bitte ein anderes Grab. Ich wollte sie nicht so unmittelbar mit Erde bedeckt haben. Wir richteten sie an dem Stamme eines Baumes in sitzende Stellung auf und fgten dann um sie herum Steine zu einer festen, hohlen Pyramide zusammen, aus deren Spitze der Gipfel des Baumes ragte. Ich bin sp„ter einigemal mit Winnetou am Nugget-tsil gewesen, um die Gr„ber zu besuchen. Wir haben sie immer unverletzt gefunden. - 453 - [unpag.] Sechstes Kapitel. Sams Befreiung. Es l„át sich denken, welch groáen Schmerz Winnetou ber den Verlust seines Vaters und seiner Schwester empfand. W„hrend des Begr„bnisses durfte er demselben noch Ausdruck geben, dann aber muáte er ihn streng in seinem Innern verschlieáen; dies wurde ihm einesteils durch die indianische Sitte und andernteils durch die Notwendigkeit geboten, seine ganze Aufmerksamkeit auf die erwartete Ankunft der Kiowas zu richten. Er war jetzt nicht mehr der durch den herben Verlust fast niedergeschmetterte Sohn und Bruder, sondern der Anfhrer seiner Kriegerschar, mit welcher er den Angriff der Feinde abzuweisen hatte und den M”rder Santer fangen wollte. Er schien mit dem Plane dazu schon fertig zu sein, denn gleich nach dem Begr„bnisse befahl er den Apachen, sich zum Aufbruche bereit zu machen und darum die Pferde, welche sich unten im Tale befanden, heraufzuholen. ¯Warum erteilt mein Bruder diese Weisung?® fragte ich ihn. ¯Das Terrain ist so schwierig, daá es sehr viel Mhe machen wird, die Tiere hierher zu bringen.® ¯Das weiá ich,® antwortete er; ¯aber es muá dennoch geschehen, weil ich die Kiowas dadurch berlisten will. Sie haben sich des M”rders angenommen und werden alle sterben mssen alle!® Sein Gesicht hatte bei diesen Worten einen drohenden, entschlossenen Ausdruck; wenn er seinen Vorsatz zur Ausfhrung brachte, waren die Kiowas verloren. Ich hegte mildere Gesinnungen als er. Sie waren allerdings unsere Feinde, trugen aber doch nicht die Schuld an dem Tode Intschu tschunas und - 454 - seiner Tochter. Durfte ich es wagen, ihn anders zu stimmen? Vielleicht lud ich dadurch seinen Zorn auf mich; aber die Gelegenheit zu einer solchen Bitte war gnstig, weil wir uns ganz allein auf der Lichtung befanden. Die Apachen hatten seinen Befehl sofort befolgt und sich entfernt, und Stone und Parker waren mit ihnen gegangen. Es h”rte es also niemand, wenn er mir in der Erzrnung eine Antwort gab, welche mich in Gegenwart anderer h„tte beleidigen mssen. Ich sprach ihm also die soeben erw„hnte Ansicht aus, und zu meiner Ueberraschung trat die Wirkung nicht ein, welche ich befrchtet hatte. Er sah mich zwar mit groáen, finstern Augen an, antwortete aber in ruhigem Tone: ¯Das muáte ich freilich von meinem Bruder erwarten; er h„lt es nicht fr eine Schwachheit, dem Feinde auszuweichen.® ¯So habe ich es nicht gemeint, von einem Ausweichen kann keine Rede sein; ich habe sogar schon daran gedacht, wie wir sie alle festnehmen werden. Aber sie sind nicht an Dem schuld, was hier geschehen ist, und es w„re ungerecht, sie die Strafe dafr mittragen zu lassen.® ¯Sie haben sich des M”rders angenommen und kommen hierher, um uns zu berfallen! Ist das nicht Grund genug fr uns, sie ohne Schonung zu behandeln?® ¯Nein, es ist kein Grund, wenigstens fr mich nicht. Es tut mir leid, zu h”ren, daá mein Bruder Winnetou in den Fehler fallen will, welcher die Ursache zum Untergange aller roten Nationen ist.® ¯Welchen Fehler meint Old Shatterhand?® ¯Den, daá die Indsmen sich gegenseitig zerfleischen, anstatt einander gegen den allgemeinen Feind beizustehen. Erlaube mir, recht aufrichtig zu dir zu reden! Wer meinst du wohl, wer im allgemeinen listiger und klger ist, der rote Mann oder das Bleichgesicht?® ¯Das Bleichgesicht. Ich sage dies, weil es die Wahrheit ist. Die Weiáen haben mehr Kenntnisse und Geschicklichkeiten als wir; sie sind uns fast in allem berlegen.® ¯Das ist richtig; wir sind euch berlegen. Du aber bist kein gew”hnlicher Indianer. Der groáe Geist hat dir Gaben verliehen, welche auch unter den Weiáen nur selten einer besitzt, - 455 - und darum m”chte ich haben, daá du anders denkst als ein gew”hnlicher roter Mann. Dein Verstand ist scharf, und dein Blick reicht weit, viel, viel weiter als das k”rperliche und geistige Auge eines gew”hnlichen Kriegers. Wie oft ist der Tomahawk des Kampfes unter euch ausgegraben! Du muát einsehen, daá dies ein fortgesetzter, gr„álicher Selbstmord ist, den der rote Mann an sich selbst begeht, und wer in derselben Weise handelt, nimmt an diesem Selbstmorde teil. Intschu tschuna und Nscho-tschi sind get”tet worden, nicht von roten, sondern von weiáen M„nnern; einer der M”rder hat sich zu den Kiowas geflchtet und sie beredet, euch zu berfallen; das ist wohl Grund, sie hier zu erwarten und mit ihnen zu k„mpfen, rechtfertigt es aber nicht, sie wie gefangene, tolle Hunde niederzuschieáen. Sie sind rote Brder von dir, bedenke das wohl!® In dieser Weise fuhr ich noch einige Zeit fort. Er h”rte mir ruhig zu, reichte mir, als ich das letzte Wort gesprochen hatte, die Hand und sagte: ¯Old Shatterhand ist ein wirklicher, aufrichtiger Freund aller roten M„nner, und er hat recht, wenn er vom Selbstmorde spricht. Ich werde tun, was er wnscht; ich will die Kiowas gefangen nehmen, sie dann aber wieder freigeben und nur den M”rder festhalten.® ¯Gefangen nehmen? Das wird schwer halten, denn sie werden in Ueberzahl kommen. Oder solltest du denselben Gedanken haben wie ich?® ¯Welchen?® ¯Die Kiowas an einen Ort zu locken, wo sie sich nicht wehren k”nnen?® ¯Ja, das ist mein Plan.® ¯Der meinige auch. Du kennst die hiesige Gegend, und ich wollte dich fragen, ob es hier wohl einen solchen Ort gibt.® ¯Es gibt einen, und er liegt gar nicht weit von hier, n„mlich eine enge Felsenschlucht, welche einem schmalen Kañon gleicht. Da hinein will ich die Feinde locken.® ¯Hoffst du, daá es dir gelingt?® ¯Ja. Wenn sie sich in dieser Schlucht befinden, welche zu beiden Seiten nicht erstiegen werden kann, werden wir sie von vorn und auch von hinten angreifen, und sie mssen sich er- - 456 - geben [ergeben], wenn sie sich nicht wehrlos niederschieáen lassen wollen. Ich werde ihnen das Leben schenken und damit zufrieden sein, daá ich Santer in meine Hand bekomme.® ¯Ich danke dir! Mein Bruder Winnetou hat fr ein gutes Wort ein offenes Herz. Vielleicht denkt er in einer andern Angelegenheit ebenso milde.® ¯Was meint mein Bruder Old Shatterhand?® ¯Du wolltest allen Weiáen Rache schw”ren, und ich bat dich, dies nicht gleich zu tun, sondern bis nach dem Begr„bnisse zu warten. Darf ich erfahren, was du nun beschlossen hast?® Er blickte eine kurze Zeit zur Erde nieder, richtete dann sein Auge hell auf mich, deutete auf die Htte, in welcher die Leichen gelegen hatten, und antwortete: ¯Ich habe die vergangene Nacht dort bei den Toten zugebracht und im Kampfe mit mir selbst gelegen. Die Rache gab mir einen groáen, khnen Gedanken ein. Ich wollte die Krieger aller roten Nationen zusammenrufen und mit ihnen gegen die Bleichgesichter ziehen. Ich w„re besiegt worden. Aber in dem Kampfe gegen mich selbst heut in der Nacht bin ich Sieger geblieben.® ¯So hast du diesen groáen, khnen Gedanken fallen lassen?® ¯Ja. Ich habe drei Personen, welche ich liebe, befragt, zwei Tote und einen Lebenden; sie rieten mir, diesen Plan fallen zu lassen, und ich beschloá, ihrem Rate zu folgen.® Ich sprach eine Frage aus, nicht durch Worte, sondern durch den Blick, welchen ich auf ihn richtete; da fuhr er fort: ¯Mein Bruder weiá nicht, von welchen Personen ich spreche? Ich meine Klekih-petra, Nscho-tschi und dich. Euch drei habe ich in Gedanken befragt und eine dreifache, aber gleichlautende Antwort erhalten.® ¯Ja, wenn beide noch lebten und du sie fragen k”nntest, sie wrden dir ganz gewiá dasselbe sagen, was ich dir rate. Der Plan, den du hegtest, war groá, und du w„rest der Mann dazu gewesen, ihn auszufhren, doch ® ¯Mein Bruder mag bescheidener von mir denken und sprechen,® unterbrach er mich. ¯Sollte es wirklich einem roten H„uptlinge gelingen, die Krieger aller St„mme unter sich zu - 457 - vereinigen, so k”nnte es doch nicht so schnell geschehen, wie ich es wnschte, sondern es wrde eines langen, mhevollen Menschenlebens bedrfen, um an dieses Ziel zu gelangen, und es w„re dann, am Schlusse dieses Lebens, zu sp„t, den Kampf zu beginnen. Einer allein, und w„re er ein noch so groáer und berhmter roter Mann, kann diese Aufgabe nicht l”sen, und nach seinem Tode wrde der wrdige Nachfolger fehlen, der imstande w„re, das Werk fortzusetzen und zu Ende zu fhren.® [Illustration Nr. 21: Unterredung mit Winnetou] ¯Es freut mich, daá mein Bruder Winnetou zu dieser Ansicht gekommen ist; sie ist die richtige. Einer reicht nicht aus, und ein Nachfolger wrde sich schwerlich finden. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, so wrde der Kampf der Roten gegen die Weiáen fr euch unglcklich enden.® - 458 - ¯Ich weiá es; er wrde unsern Untergang nur beschleunigen. Und wenn wir aus allen K„mpfen als Sieger hervorgingen, so sind der Bleichgesichter so viele, daá sie immer neue Scharen gegen uns senden k”nnten, w„hrend es uns unm”glich w„re, unsere Verluste zu ersetzen. Die Siege wrden uns zwar langsamer aber doch grad auch so aufreiben, als wenn wir geschlagen wrden. Das habe ich mir gesagt, als ich w„hrend der Nacht bei meinen Toten saá, und den Entschluá gefaát, auf die Ausfhrung meines Planes zu verzichten. Ich wollte mich damit begngen, den M”rder zu fangen und mich an denen zu r„chen, welche ihm Hilfe geleistet haben und nun mit ihm kommen, uns zu berfallen. Aber auch dies hat mir mein Bruder Old Shatterhand ausgeredet, und so soll meine Rache denn nun nur darin bestehen, daá ich Santer festnehme und ihn bestrafe. Die Kiowas lassen wir laufen.® ¯Diese deine Worte machen mich stolz auf die Freundschaft, welche uns verbndet; ich werde sie dir nie vergessen. Wir beide sind, obgleich wir es nicht mit Sicherheit behaupten k”nnen, doch berzeugt, daá die Kiowas kommen werden. Es handelt sich nun darum, den Zeitpunkt ihrer Ankunft zu erfahren.® ¯Der Tag ihrer Ankunft hier ist heut,® behauptete er in einem so sichern Tone, als ob es sich um eine vollst„ndig festgestellte Tatsache handle. ¯Wie ist es dir m”glich, dies so bestimmt zu sagen?® ¯Ich schlieáe es aus dem, was du mir von eurem letzten Ritte erz„hlt hast. Die Kiowas sind scheinbar nach ihrem Dorfe gezogen, um euch hinter sich her zu locken, wollen aber eigentlich hierher; sie haben also einen Umweg gemacht, sonst h„tten sie schon gestern eintreffen k”nnen. Sie haben auch noch andere Abhaltungen gehabt, durch welche ihre Ankunft verz”gert worden ist.® ¯Andere Abhaltungen? Welche?® ¯Wegen Sam Hawkens. Den bringen sie natrlich nicht mit hierher, sondern sie haben ihn heim zu den Ihrigen geschickt; dazu muáte ein passender Ort und der geeignete Zeitpunkt abgewartet werden, vielleicht auch eine Gelegenheit, welche sich zuf„llig bot. Ebenso war es n”tig, einen Boten abzusenden, welcher eure Ankunft zu melden hatte.® - 459 - ¯Ah, du meinst, daá die Krieger des Dorfes uns entgegenreiten sollten?® ¯Ja. Die Krieger, mit denen ihr es dort am ausgetrockneten Flusse zu tun hattet, haben euch hinter sich her ziehen wollen, hatten aber, weil sie beabsichtigten, hierher zu reiten, nicht die n”tige Zeit, dann mit euch anzubinden. Sie haben also jedenfalls einen oder einige Boten an die Ihrigen abgeschickt, damit man euch vom Dorfe aus entgegenziehe. Diesen Boten ist Sam Hawkens mitgegeben worden. Dann, nachdem dies geschehen ist, sind die Kiowas von ihrer Richtung abgewichen und haben den Weg nach dem Nugget-tsil eingeschlagen. Diese Schwenkung durftet ihr aber nicht entdecken; darum muáte sie an einer Stelle vor sich gehen, an welcher keine Spuren zurckbleiben konnten. Dergleichen Stellen sind selten; sie liegen meist nicht am Wege und mssen extra aufgesucht werden. Auch das ergibt einen Zeitverlust. Darum konnten die Kiowas unm”glich schon gestern hier sein. Sie sind auch bis jetzt noch nicht angekommen, werden aber ganz gewiá heut noch eintreffen.® ¯Woher weiát du, daá sie jetzt noch nicht da sind?® Er deutete nach der n„chsten Bergkuppe. Der Wald, welcher sie bedeckte, wurde von einem sehr hohen Baume berragt. Dort war der h”chste Punkt der Nuggetberge, und wer auf dem Baume saá und ein scharfes Auge hatte, der konnte rundum die angrenzende Prairie berblicken. ¯Mein Bruder weiá nicht,® antwortete er, ¯daá ich einen Krieger dort hinaufgeschickt habe, welcher aufpassen soll und die Ankunft der Kiowas bemerken wird, denn er besitzt die Augen eines Falken. Sobald er sie kommen sieht, steigt er herab, um es mir zu melden.® ¯Das ist gut. Die Meldung ist noch nicht erfolgt, also sind sie noch nicht da. Und du meinst aber, daá sie ganz bestimmt heut noch kommen?® ¯Ja, denn l„nger drfen sie nicht z”gern, wenn sie uns antreffen wollen.® ¯Sie hatten aber nicht die Absicht, bis zum Nugget-tsil vorzugehen, sondern sie wollten dir in der N„he desselben einen Hinterhalt legen, um euch auf eurer Heimkehr zu berfallen.® - 460 - ¯Dies w„re ihnen vielleicht gelungen, wenn du sie nicht belauscht h„ttest; nun ich es aber weiá, wird aus dem Hinterhalte nichts, sondern ich locke sie hierher. Die Heimkehr h„tte mich nach Sden gefhrt, und in dieser Richtung h„tten sie sich also lagern mssen; nun tue ich aber, als ob ich nordw„rts gegangen sei, und locke sie hinter mir her.® ¯Ob sie dir folgen werden! [werden?]® ¯Gewiá. Sie mssen auf alle F„lle einen Sp„her senden, um zu erfahren, ob wir berhaupt noch da sind. Diesem Kundschafter tun wir natrlich nichts, sondern lassen ihn unbel„stigt zu ihnen zurckkehren. Seinetwegen habe ich den Befehl gegeben, die Pferde hier heraufzubringen. Das sind ber dreiáig Tiere; er muá trotz des harten Bodens und trotz des Steinger”lls ihre Spuren unbedingt sehen und wird ihnen folgen. Wir suchen von hier aus die Schlucht auf, welche die Falle sein soll, in der wir sie fangen wollen. Dorthin wird er uns nicht nachgehen, sondern er wird unserer F„hrte nur eine kurze Strecke folgen, um sich zu berzeugen, daá wir wirklich fort sind, und dann schnell wieder umkehren, um den Seinen zu melden, daá wir nicht sdw„rts, sondern nach Norden davongeritten sind. Stimmt mein Bruder mir da bei?® ¯Ja. Sie werden dadurch gezwungen, auf den beabsichtigten Hinterhalt zu verzichten, und es l„át sich beinahe mit Sicherheit erwarten, daá sie dann hierherkommen und uns von hier aus nachreiten.® ¯Das werden sie; ich bin berzeugt davon. Santer, den ich haben muá, wird noch heut in meinen H„nden sein.® ¯Was wirst du mit ihm machen?® ¯Ich bitte meinen Bruder, mich nicht danach zu fragen. Er wird sterben; das ist genug.® ¯Wo? Hier? Oder transportierst du ihn nach dem Pueblo?® ¯Das ist noch unbestimmt. Hoffentlich ist er nicht so ein Feigling wie Rattler, dem wir den schnellen Tod einer hndischen Memme gew„hren muáten. Horch! Ich h”re den Hufschlag unserer Pferde. Wir werden diesen Ort verlassen, um ihn dann mit unsern Gefangenen wieder aufzusuchen.® Die Pferde wurden gebracht. Das meinige und die Mary - 461 - Sams waren auch mit dabei. Aufsteigen konnten wir nicht, dazu war der Weg nicht bequem genug; es muáte ein jeder sein Tier am Zgel fhren. [Illustration Nr. 22: Die Falle] Winnetou ging voran. Er brachte uns nordw„rts von der Bl”áe weg in den Wald hinein, welcher in einer ziemlich - 462 - steilen Senkung niederfiel. Unten gab es einen offenen Wiesenplan; wir bestiegen die Pferde und ritten ber denselben hinber nach einer Bergwand, welche wie eine hohe, senkrechte Felsenmauer vor uns lag. Sie war durch eine schmale Schlucht gespalten. Winnetou deutete auf dieselbe und sagte: ¯Das ist die Falle, von welcher ich sprach. Wir reiten jetzt hindurch.® Der Ausdruck Falle paáte sehr gut auf den engen Durchgang, den wir nun passierten. Die W„nde desselben stiegen zu beiden Seiten fast lotrecht himmelan, und es gab keine Stelle, an welcher sie erklimmt werden konnte. Wenn die Kiowas so dumm waren, hier herein zu reiten, und wir besetzten die beiden Eing„nge dieser Schlucht, so w„re es Wahnsinn von ihnen gewesen, sich zur Gegenwehr zu setzen. Der Weg fhrte nicht in gerader Richtung, sondern er wand sich bald nach rechts, bald nach links, und es w„hrte wohl eine Viertelstunde, bis wir den Ausgang erreichten. Dort blieben wir halten und stiegen ab. Kaum war dies geschehen, so sahen wir den Apachen kommen, welcher von dem Baume auf der Bergkuppe aus nach den Kiowas ausgelugt hatte. ¯Sie sind gekommen,® meldete er. ¯Ich wollte sie z„hlen, konnte dies aber nicht, weil sie nicht einzeln ritten und sehr entfernt waren.® ¯Haben sie die Richtung nach dem Tale genommen?® erkundigte sich Winnetou. ¯Nein. Sie hielten drauáen auf der Prairie an, wo sie sich zwischen Bschen gelagert haben. Aber dann trennte sich ein einzelner Krieger von ihnen; er war zu Fuáe, und ich sah ihn nach dem Tale gehen.® ¯Das ist der Sp„her. Wir haben grad noch Zeit, die Falle zu ”ffnen, um sie dann zu schlieáen. Mein Bruder Shatterhand mag Stone, Parker und zw”lf meiner Krieger mit sich nehmen und hier links um den Berg gehen. Sobald er eine sehr starke, hohe Birke erblickt, dringt er in den Wald ein, welcher langsam empor- und jenseits wieder niedersteigt. Kommt mein Bruder drben an, so befindet er sich in der Verl„ngerung des Tales, von welchem aus wir nach dem Nugget-tsil emporgestiegen sind. Geht er dieses Tal hinab, so erreicht er bald - 463 - die Stelle, an welcher wir unsere Pferde zurcklieáen; der fernere Weg ist ihm bekannt. Er darf aber nicht im offenen Tale gehen, sondern muá an der Seite desselben im Walde verborgen bleiben. Old Shatterhand steckt also hben im Walde, wo jenseits drben unsere Schlucht nach oben fhrt. Er wird den feindlichen Sp„her bemerken, ihm aber nicht hinderlich sein. Dann wird er die Feinde kommen sehen und sie in die Schlucht eindringen lassen.® ¯Das ist also dein Plan,® fhrte ich seine Rede fort. ¯Du bleibst hier, um den Ausgang der Falle besetzt zu halten, und ich kehre auf dem Umwege, den du mir jetzt beschrieben hast, nach dem Fuáe des Nugget-tsil zurck, um die Feinde zu erwarten und ihnen heimlich zu folgen, bis sie hier in die Falle eingedrungen sind?® ¯Ja, so meine ich es. Wenn mein Bruder Old Shatterhand keinen Fehler begeht, so wird uns der Fang ganz gewiá gelingen.® ¯Ich werde so vorsichtig wie m”glich sein. Hat Winnetou mir noch weitere Winke zu erteilen?® ¯Nein. Ich berlasse alles weitere dir.® ¯Wer verhandelt mit den Kiowas, wenn es uns gelungen ist, sie einzuschlieáen?® ¯Ich. Old Shatterhand hat nichts zu tun, als sie nicht aus der Felsenschlucht zu lassen, wenn sie mich und meine Krieger bemerken und dann umkehren wollen. Aber sputet euch! Der Nachmittag ist fast vorber, und die Kiowas werden nicht bis morgen warten, uns zu folgen, sondern dies noch heut, bevor es dunkel wird, tun wollen.® Die Sonne hatte ihren Tagesbogen allerdings schon fast vollendet, und der Abend war in nicht viel ber einer Stunde zu erwarten. Ich machte mich also mit Dick, Will und den mir zugeteilten Apachen auf den Weg, zu Fuáe, wie sich ganz von selbst versteht. Nach einer kleinen Viertelstunde sahen wir die Birke stehen und drangen in den Wald ein. Wir fanden die Gegend genau so, wie Winnetou sie beschrieben hatte, und erreichten jenseits unser Tal und in demselben die Stelle, wo unsere Pferde geweidet hatten. Uns gegenber ”ffnete sich die Seitenschlucht, welche hinauf nach der Lichtung und den beiden Gr„bern fhrte. - 464 - Da, wo wir uns unter den B„umen niedersetzten, konnten wir die Kiowas kommen sehen wenn sie berhaupt kamen, hatten aber nicht zu befrchten, von ihnen bemerkt zu werden, denn es war ja anzunehmen, daá sie nicht herber nach unserer Seite kommen, sondern drben der Seitenschlucht folgen wrden. Die Apachen verhielten sich schweigsam; Stone und Parker sprachen leise miteinander. Wie ich h”rte, waren sie berzeugt, daá die Kiowas, und mit ihnen Santer, in unsere H„nde fallen wrden. Ich war dieser Sache nicht so sicher wie sie. Wir hatten nun h”chstens noch zwanzig Minuten Tag, und die Kiowas kamen noch nicht; ich glaubte also, daá erst der n„chste Morgen die Entscheidung bringen werde, zumal von dem Sp„her, den die Feinde nach dem Tale geschickt hatten, auch nichts zu sehen war. Bei uns unter den B„umen wurde es schon dunkel. Das Flstern zwischen Parker und Stone hatte aufgeh”rt; ein Luftzug strich ber die Wipfel und verursachte jenes monotone Rauschen, welches eigentlich kein Rauschen, sondern besser ein ununterbrochener, leise und tief klingender Hauch zu nennen ist, von welchem man jedes andere, noch so unbedeutende Ger„usch leicht zu unterscheiden vermag. So auch jetzt. Es war mir, als ob etwas hinter mir auf dem weichen Waldboden hinstreife. Ich horchte sch„rfer; ja, es bewegte sich etwas. Was war es? Ein vierfáiges Tier h„tte sich nicht so nahe zu uns herangewagt. Ein Reptil? Nein, auch nicht. Ich drehte mich schnell um und legte mich nieder, um von unten herauf besser sehen zu k”nnen. Dies geschah noch zur rechten Zeit, um mich einen dunklen Gegenstand bemerken zu lassen, welcher wohl hinter mir gelegen hatte und nun zwischen den B„umen fortschlpfte. Ich sprang auf und eilte ihm nach. Wie einen dunklen Schlag- im helleren Halbschatten sah ich ihn vor mir und griff zu, wobei ich ein Stck Zeug in die Hand bekam. ¯Away!® rief eine erschrockene Stimme, und das Zeug wurde mir aus der Hand gerissen. Der Schatten war nicht mehr zu sehen; und ich blieb stehen und horchte, um ihn wenigstens zu h”ren. Aber meine Gef„hrten hatten meine schnellen Bewegungen bemerkt und den Ausruf vernommen. Sie sprangen auf und fragten mich, was es gebe. - 465 - ¯Still, seid still!® antwortete ich und lauschte von neuem. Es war nichts zu h”ren. Es war ein Mensch gewesen, welcher uns belauscht hatte, und zwar ein Weiáer, wie der englische Ausruf bewies, vielleicht gar Santer selbst, weil sich auáer diesem kein anderes Bleichgesicht bei den Kiowas befand. Ich muáte ihm unbedingt nach, trotz der Dunkelheit nach! ¯Setzt euch wieder nieder und wartet, bis ich zurckkehre!® gebot ich meinen Leuten und rannte fort. Welche Richtung ich einzuschlagen hatte, darber gab es keinen Zweifel; natrlich hinaus nach der Prairie zu, wo sich die Kiowas befanden; der Lauscher ging zu ihnen, nirgends wo anders hin. Es galt, seine Flucht zu verlangsamen; wollte ich dies erreichen, so muáte ich ihn „ngstlich machen. Ich rief ihm also zu: ¯Halt, bleib stehen, sonst schieáe ich!® Und einige Sekunden sp„ter gab ich zur Bekr„ftigung dieser Drohung zwei Revolverschsse ab. Dies war kein Fehler, weil unsere Anwesenheit nun doch einmal verraten war. Jetzt konnte ich annehmen, daá der Flchtling aus Angst vor mir tiefer in den Wald eindringen werde, wo sich seine Flucht verz”gern muáte, weil es dort nun v”llig dunkel war. Ich hingegen, der ihm zuvorkommen wollte, sprang nach dem Waldesrande, wo ich noch sehen konnte, und eilte an demselben hin. Ich wollte in dieser Weise das ganze Tal hinab, bis es auf die Prairie mndete, und mich dort verstecken. Wenn der Mann dann kam, muáte er an mir vorber, und ich konnte ihn fassen. Dieser Plan war wohl ganz gut, konnte aber nicht zur Ausfhrung kommen, denn eben als ich einer Krmmung des Tales folgen wollte und um eine vorstehende Buschgruppe bog, sah ich Menschen und Pferde vor mir und konnte es kaum erm”glichen, mich noch rechtzeitig wieder nach rckw„rts zu werfen und unter die B„ume zu schlpfen. Die Kiowas hatten hier hinter den Bschen ihr Lager aufgeschlagen, warum, das war gar nicht schwer zu erraten. Erst hatten sie drauáen auf der Prairie Halt gemacht und einen Kundschafter ausgesandt. Dieser hatte gar keine schwierige - 466 - Arbeit zu verrichten, wie ich bald erfuhr. Santer war n„mlich, weil er die Oertlichkeit schon kannte, den Indianern weit vorausgeritten, um die Gegend nach uns zu durchsp„hen und ihnen gleich bei ihrer Ankunft Nachricht zu geben; er war aber, als sie kamen, noch nicht wieder da, und so schickten sie einen roten Sp„her aus, welcher nur seiner Spur zu folgen brauchte und keine Gefahr zu frchten hatte, weil im Falle einer solchen Santer jedenfalls zurckgekehrt w„re, um die Indianer zu warnen. Der Kundschafter schritt also in das Tal hinein, so weit es ihm gut dnkte, fand keinen Feind und ging wieder zurck, um dies zu melden. Da das Tal fr die Nacht einen besseren Aufenthalt bot als die freie Prairie, so entschlossen sich die Kiowas, diese letztere zu verlassen und das erstere aufzusuchen. Santer konnte sie nicht umgehen, sondern er muáte sie finden, sobald er vorberkam, obgleich sie aus Vorsicht kein Feuer brennen durften. Nun war es gewiá, daá wir sie heut nicht in unsere H„nde bekommen konnten, wahrscheinlich auch morgen nicht, wenn Santer so klug gewesen war, unsern Plan zu erraten. Was war zu tun? Sollte ich an meinen Posten zurckkehren und auf demselben warten, ob die Kiowas morgen frh doch in die Falle gehen wrden? Oder sollte ich Winnetou aufsuchen, ihm meine Entdeckung mitteilen und ihn um andere Verhaltungsmaáregeln bitten? Es gab noch ein drittes, was ich tun konnte; aber dies war gef„hrlich fr mich, n„mlich hier bleiben. Es war jedenfalls von groáem Werte fr uns, zu erfahren, was die Roten beschlieáen wrden, nachdem sie von Santer ber das, was er gesehen hatte, unterrichtet worden waren. Wenn ich sie belauschen konnte! Aber ich riskierte viel, sehr viel, sogar alles dabei. Santer sagte jedenfalls, daá ich hinter ihm her sei, und das konnte, ja es muáte beinahe zu meiner Entdeckung fhren. Dennoch beschloá ich, es zu wagen, falls nur irgend eine M”glichkeit des Gelingens abzusehen sei. Sie brannten kein Feuer, um nicht bemerkt zu werden; dieser Umstand, der sie schtzte, muáte auch mir Schutz gew„hren. Unter den B„umen lagen hohe Steinbl”cke, mit Moos bewachsen und von Farnkr„utern umgeben; vielleicht konnte ich mich hinter einen solchen verbergen. - 467 - Die Mehrzahl der Roten war noch mit den Pferden besch„ftigt, welche angepflockt wurden, damit sie sich nicht entfernen und das Lager verraten k”nnten; die brigen hatten sich am Waldesrande niedergesetzt oder -gelegt. An einer Stelle desselben ert”nte eine halblaute, befehlende Stimme; dort stand also der Anfhrer, und ich durfte vermuten, daá er diesen Punkt auch sp„ter beibehalten werde. Dorthin muáte ich, wenn es nur halbwegs m”glich war! Auf dem Boden liegend, schob ich mich in dieser Richtung fort. Nach Deckung brauchte ich nicht sehr zu suchen, denn es war rundum dunkel, und die Roten befanden sich meist jenseits der Stelle, welche ich erreichen wollte. Entdeckt konnte ich fr jetzt nur in dem Falle werden, daá einer mir in den Weg kam und ber mich stolperte. Glcklicherweise geschah dies nicht, und ich gelangte glcklich an mein Ziel. Da lagen zwei Felsbl”cke nebeneinander, der eine lang und hoch; [hoch,] der andere niedriger; da oben suchte man gewiá keinen Horcher; ich stieg von dem niedrigen auf den hohen und streckte mich auf demselben lang aus. Ich lag ber zwei Meter hoch in ziemlicher Sicherheit, denn es war wohl kein Grund vorhanden, welcher einen Roten veranlassen konnte, mir nachzusteigen. Die bis jetzt mit ihren Pferden besch„ftigten Indianer kamen nun auch herbei und setzten oder legten sich nieder. Da, wo ich den Anfhrer vermutete, wurden einige halblaute Befehle gegeben, welche ich nicht verstand, weil mir die Sprache der Kiowas fremd war. Hierauf entfernten sich einige Rote. Sie waren jedenfalls die Wachen, welche ausgestellt wurden. Ich bemerkte, daá sie nur die Talseite des Lagers, nicht aber auch den Wald besetzten, und dies war ein glcklicher Umstand fr mich, weil ich mich sp„ter entfernen konnte, ohne befrchten zu mssen, auf Vorposten zu stoáen. Die Lagernden sprachen miteinander, zwar in ged„mpftem Tone, doch immerhin so, daá ich jedes Wort h”ren konnte. Leider aber verstand ich es nicht. Wie vorteilhaft w„re es gewesen, wenn ich h„tte erfahren k”nnen, was sie sagten! Wie oft muá ich erz„hlen, daá ich w„hrend meiner Streifzge im Westen Indianer ganz verschiedener St„mme und auf meinen Reisen in anderen L„ndern wiederholt Lagerpl„tze angeschlichen - 468 - und die dort befindlichen Menschen belauscht habe. Dieser Angewohnheit verdanke ich viele meiner Erfolge, oft sogar auch das Leben. Wer es liest, denkt wohl nicht daran oder hat keinen Begriff davon, wie schwer und wie gef„hrlich ein solches Anschleichen ist. Und diese Schwierigkeit bezieht sich nicht nur auf die Anforderungen, welche dabei der k”rperlichen Gewandtheit, Kraft und Ausdauer gemacht werden, sondern auch und vor allen Dingen auf das geistige Gebtsein, auf die unerl„áliche Intelligenz und die Kenntnisse, welche man besitzen muá. Was ntzt es mir, wenn ich ein Indianer-, Beduinen- oder Kurdenlager, eine sudanesische Seribah oder eine sdamerikanische Gauchost„tte noch so meisterhaft zu beschleichen verstehe, aber der betreffenden Sprache nicht m„chtig bin und also nicht erfahren kann, was gesprochen wird! Und meist ist grad der Inhalt der Gespr„che viel wichtiger als alles andere, was man dabei erf„hrt. Darum ist es stets mein erstes Bestreben gewesen, die Sprache der Menschen, mit denen ich es zu tun bekam, kennen zu lernen. Winnetou beherrschte sechzehn Indianerdialekte und ist auch hierin mein hervorragendster Lehrer gewesen. Es ist mir sp„ter niemals vorgekommen, daá ich einen Lagerplatz beschlich, ohne zu verstehen, was auf demselben gesprochen wurde. Ich mochte ungef„hr zehn Minuten auf dem Steine gelegen haben, als ich einen Posten rufen h”rte; darauf erfolgte die fr mich sehr erwnschte Antwort: ¯Ich bin es, Santer. Ihr seid also herein in das Tal gekommen?® ¯Ja. Mein weiáer Bruder mag weitergehen; er wird die roten Krieger sogleich sehen.® Diese Worte konnte ich verstehen, weil mit Santer in dem aus indianischen und englischen Worten bestehenden Jargon, den ich nun auch kannte, gesprochen werden muáte. Er kam herbei; der Anfhrer rief ihn zu sich und sagte: ¯Mein weiáer Bruder ist viel l„nger fortgewesen, als vorher bestimmt worden war. Er wird wichtige Grnde dazu gehabt haben.® ¯Wichtiger, als ihr ahnen k”nnt. Seit wann befindet ihr euch hier?® - 469 - ¯Seit nicht ganz der Zeit, welche die Bleichgesichter eine halbe Stunde nennen.® ¯Ihr habt mein Pferd getroffen?® ¯Ja, denn wir sind ja deiner Spur gefolgt. Da, wo du es angebunden hattest, machten wir Halt, und als wir dann hierher ritten, haben wir es mitgenommen.® ¯Ihr h„ttet drauáen auf der Prairie bleiben sollen! Es ist hier nicht geheuer.® ¯Wir blieben nicht dort, weil es sich hier besser lagert und weil wir glaubten, daá hier keine Gefahr zu befrchten sei; du w„rest sonst ja schnell zurckgekommen, um uns zu warnen.® ¯Es ist umgekehrt. Ich blieb so lange aus, weil wir uns hier in groáer Gefahr befinden und ich lange Zeit brauchte, zu entdecken, worin dieselbe besteht. Old Shatterhand ist hier.® ¯Das dachte ich. Hat mein Bruder ihn gesehen?® ¯Ja.® ¯Wir werden ihn fangen und unserm H„uptling bringen, dem er die Beine zerschmettert hat. Der Tod am Marterpfahle ist ihm gewiá. Wo befindet er sich denn?® Also die Kiowas hatten uns nicht nach ihrem Dorfe locken wollen, sondern angenommen, daá wir zu Winnetou zurckkehren wrden. ¯Ob ihr ihn fangen werdet, das ist noch sehr ungewiá,® antwortete Santer. ¯Es wird geschehen, denn diese Hunde haben nur dreiáig Krieger bei sich, wir aber z„hlen ber fnfmal zehn, und sie wissen nicht, daá wir da sind. Wir werden sie also vollst„ndig berrumpeln.® ¯Da irrst du dich gewaltig. Sie wissen, daá wir kommen wollen; sie wissen vielleicht sogar schon, daá ihr da seid, denn sie haben uns jedenfalls Sp„her entgegengesandt.® ¯Uff! Sie wissen es?® ¯Ja.® ¯Dann k”nnen wir sie ja nicht berraschen!® ¯Freilich nicht.® ¯Es wird also, wenn wir sie angreifen, zum Kampfe kommen, welcher Blut kostet, denn Winnetou und Old Shatterhand sind jeder fr zehn Krieger zu rechnen.® - 470 - ¯Ja, das sind sie. Der Tod Intschu tschunas und seiner Tochter hat sie jedenfalls mit Wut erfllt; sie kochen Rache und werden sich wie tolle Hunde, wie wtende Raubtiere verteidigen. Aber unser mssen sie doch werden. Winnetou wenigstens muá ich auf alle F„lle fangen.® ¯Warum ihn?® ¯Der Nuggets wegen. Er ist nun wahrscheinlich der einzige, welcher den Fundort kennt.® ¯Und wird ihn keinem Menschen verraten.® ¯Auch dann nicht, wenn wir ihn gefangen nehmen?® ¯Nein.® ¯Ich martere ihn so lange, bis er mir das Geheimnis mitteilt.® ¯Er wird dennoch schweigen. Dieser junge Hund der Apachen spottet aller Qualen. Und wenn er weiá, daá wir kommen, wird er sich hten, in unsere H„nde zu fallen.® ¯O, ich weiá, wie wir es anfangen mssen, ihn in unsere Gewalt zu bekommen.® ¯Wenn du es weiát, so sage es uns!® ¯Wir brauchen nur die Falle, welche sie uns gestellt haben, schlau zu benutzen.® ¯Eine Falle haben sie uns gelegt? Welche?® ¯Sie wollen uns in eine enge Schlucht locken, in welcher wir keinen Platz zur Verteidigung haben, und uns da gefangen nehmen.® ¯Uff! Weiá mein Bruder Santer dies genau?® ¯Ja.® ¯Kennt er auch die Schlucht?® ¯Ich bin drin gewesen.® ¯Erz„hle mir, wie du es erfahren hast!® ¯Ich habe viel, sehr viel gewagt. Wenn man mich bemerkt h„tte, so w„re ich jedenfalls dem gr„álichsten Martertode verfallen, und ich bin verteufelt froh, daá es so glcklich abgelaufen ist. Diesen guten Erfolg habe ich nur dem Umstande zu verdanken, daá ich den Weg nach dem Nugget-tsil schon einmal gemacht hatte und die Oertlichkeit da oben, wo die Gr„ber stehen, kannte.® ¯Die Gr„ber? Winnetou hat also, so wie ich es vermutete, seine Toten da oben begraben?® - 471 - ¯Ja. Das war fr mich sehr vorteilhaft, denn dadurch ist die Aufmerksamkeit der Apachen abgelenkt worden. Ich sagte mir selbstverst„ndlich, daá sie droben auf der Lichtung seien, und nahm mich auáerordentlich in acht. Ich habe schon manches durchgemacht und darf mich rhmen, kein unerfahrener Westmann zu sein; aber so vorsichtig wie heut bin ich doch noch nie gewesen. Ich ging natrlich nicht im offenen Tale, sondern im Walde an der Lehne desselben. Da, wo es rechts in die Schlucht hinaufgeht, hatten die Kerls ihre Pferde. Es war keine Kleinigkeit, hinaufzukommen, ohne sich der Schlucht als Weg zu bedienen, aber es gelang mir doch. Droben muáte ich diese Vorsicht noch verdoppeln und alle meine Schlauheit zusammennehmen. Ich hielt es nicht fr m”glich, unbemerkt bis zur Bl”áe vordringen zu k”nnen; aber die Apachen hatten nur Augen und Ohren fr das Begr„bnis, und so wagte ich mich bis hinter einen Felsen, der am Rande der Lichtung liegt. Von dort aus konnte ich alles beobachten.® ¯Mein weiáer Bruder ist sehr khn gewesen; daá er noch lebt, hat er nur dem Begr„bnisse zu verdanken.® ¯Das sagte ich ja schon! Als die Gr„ber zugemacht worden waren, schickte Winnetou seine Leute fort, um die Pferde holen zu lassen.® ¯Dort hinauf? Ist das nicht schwer?® ¯Sehr mhevoll!® ¯Dann muá er einen Grund dazu gehabt haben!® ¯Allerdings. Wir sollen, wenn wir sehen, daá sie mit den Pferden da hinauf sind, ihnen mit den unserigen nachklettern und dann ihrer F„hrte weiter folgen, welche in die Falle fhrt.® ¯Warum vermutest du das?® ¯Ich vermute es nicht, sondern ich weiá es; ich habe es geh”rt.® ¯Von wem?® ¯Von Winnetou. Als er seine Leute nach den Pferden geschickt hatte, war er mit Old Shatterhand allein; sie standen gar nicht weit von meinem Verstecke, und was sie miteinander sprachen, das habe ich geh”rt.® ¯Uff! Es ist ein groáes Wunder geschehen! Winnetou ist - 472 - belauscht worden! Das ist nur dadurch m”glich geworden, daá seine Gedanken nicht bei uns, sondern bei seinem Vater und seiner Schwester waren.® ¯O, sie waren doch auch bei uns. Er hatte einen Sp„her auf die h”chste Bergesspitze geschickt, der von einem Baume aus unsere Ankunft erforschen sollte.® ¯Hat er sie bemerkt?® ¯Nein; ich weiá wenigstens nichts davon. Du siehst also, wie gut es ist, daá ich allein vorausgeritten bin; als einzelner Reiter bin ich dem Auge dieses Sp„hers entgangen.® ¯Ja, du hast sehr klug gehandelt. Erz„hle weiter!® ¯Als die Roten die Pferde brachten, wurde nicht l„nger gewartet; sie verlieáen die Lichtung, um jenseits derselben ins Tal herabzukommen. Ist man ber dasselbe hinber, so gelangt man in eine sehr schmale und lange Schlucht, deren Seiten nicht zu erklettern sind; da hinein sollen wir gelockt werden.® ¯So beabsichtigt Winnetou wohl, den Ein- und Ausgang derselben zu verschlieáen, zu besetzen?® ¯Ja. Natrlich aber erst dann, wenn wir hinein sind.® ¯Da muá er seine Leute teilen. Die eine H„lfte reitet durch die Schlucht und wartet am Ende derselben auf uns, w„hrend die andere H„lfte zurckbleibt und sich versteckt, um dann hinter uns her zu folgen.® ¯Das dachte ich auch.® ¯Ist der Boden felsig oder grasig dort?® ¯In der Schlucht felsig, vor derselben, also im Tale, aber grasig.® ¯So muá die zweite Abteilung der Apachen, wenn sie sich versteckt, Spuren hinterlassen, welche wir bemerken werden. Wir wrden also auf keinen Fall in die Falle gegangen sein.® ¯O doch! Diese Kerls sind pfiffiger, als du denkst. Die zweite Abteilung ist n„mlich nicht zurckgeblieben, sondern mit durch die Schlucht geritten.® ¯Uff! Wie wollen sie uns da hinten und vorn einschlieáen?® ¯Das fragte ich mich auch. Es gab nur eine einzige Antwort darauf, n„mlich die, daá diese Abteilung nun auf einem andern Wege uns in den Rcken und wieder an die Schlucht gelangen will.® - 473 - ¯Da hat mein Bruder abermals sehr klug gedacht. Hast du diesen andern Weg entdeckt?® ¯Ja. Ich bin zun„chst auch in die Schlucht hinein, obgleich dies gef„hrlich war; aber ich muáte sie doch kennen lernen. Ganz hindurch konnte ich natrlich nicht, weil ich da auf die Apachen getroffen w„re, welche sie hinten besetzt hatten. Ich kehrte also sehr bald um, hatte sie aber noch nicht ganz verlassen, als ich eilige Schritte h”rte. Glcklicherweise lagen mehrere hohe Steine an der Seite, hinter welche ich mich schnell niederducken konnte; ein Apache kam vorber, er sah mich nicht.® ¯Ob dies vielleicht der Sp„her von der Bergesh”he gewesen ist?® ¯Wahrscheinlich.® ¯So hat er uns kommen sehen und eilte, dies Winnetou zu melden.® ¯Vielleicht auch nicht. Winnetou hat, als er sein bisheriges Lager oben bei den Gr„bern verlieá, ihn davon benachrichtigt und ihm sagen lassen, daá er nachkommen soll.® ¯Nein, denn da w„re derjenige bei ihm gewesen, der ihm diese Nachricht zu bringen hatte; er kam aber allein. Es ist also so, wie ich denke. Er hat unsere Ankunft bemerkt und sich so beeilt, Winnetou davon zu benachrichtigen. Wie gut, daá du noch Zeit fandest, dich zu verbergen! Was tatest du dann?® ¯Ich berlegte. Wenn die Feinde uns in den Rcken kommen wollten, so geschah dies am leichtesten dadurch, daá sie an einer bequemen Stelle, wo wir vorber muáten, heimlich auf uns warteten. Welche Stelle konnte das sein? Jedenfalls dieses Tal hier, in welchem wir uns befinden, und zwar der hintere Teil desselben, wo rechts die Schlucht zur H”he geht. Wenn die Apachen sich dort diesseits unter den B„umen verstecken, so mssen sie uns kommen sehen und k”nnen uns unbemerkt bis zur Falle folgen und diese hinter uns verschlieáen. Das sagte ich mir, und darum kehrte ich nach hier zurck und schlich mich dahin, wo ich glaubte, daá ich sie finden werde, falls meine Berechnung richtig sein sollte.® ¯Und fandest du sie?® ¯Nicht gleich, denn ich war eher dort als sie; aber ich hatte noch nicht lange gewartet, so kamen sie.® - 474 - ¯Wer? Hast du sie deutlich gesehen und gez„hlt?® ¯Old Shatterhand war es, mit den beiden andern Weiáen und etwas ber zehn Indianern.® ¯So befehligt also Winnetou die andere Abteilung, welche das Ende der engen Schlucht besetzt h„lt.® ¯So ist es. Die Kerls setzten sich nieder. Ich hatte heut so viel gewagt und war glcklich dabei gewesen; darum wagte ich es auch noch, mich ganz nahe an sie hinanzuschleichen, um zu h”ren, was sie zu einander sagten.® ¯Was sprachen sie?® ¯Nichts. Als ich noch nicht ganz bei ihnen war, unterhielten sich die beiden anderen Weiáen miteinander, aber nicht laut genug fr mich; dann aber, als ich nahe genug war, sie zu verstehen, schwiegen sie. Die Apachen waren still, und auch Old Shatterhand sagte kein Wort. Ich lag so nahe hinter ihm, daá ich ihn beinahe mit der Hand berhren konnte. Wie wrde er sich „rgern, wenn er das wáte!® Da hatte Santer sehr recht. Ich „rgerte mich, und wie! Dieser Mensch war wirklich ein ebenso schlauer wie verwegener Kerl! Winnetou und mich zu belauschen, als wir oben bei den Gr„bern allein mit einander sprachen! Uns dann bis in die Schlucht zu folgen, unsern Plan vollends zu erraten und endlich gar noch da, wohin ich von Winnetou geschickt wurde, auf uns zu warten! Er hatte hinter mir gelegen, ja, ich hatte ihn sogar schon bei einem Zipfel seines Rockes festgehabt! Das war Pech, auáerordentliches Pech, so groáes Pech, wie sein Glck heut groá gewesen war! Wenn es mir gelungen w„re, ihn festzuhalten, so h„tten, wie ich jetzt weiá, die Ereignisse fr mich einen ganz andern Verlauf genommen; vielleicht h„tte mein Leben berhaupt eine v”llig andere Richtung bekommen. So h„ngt das Schicksal des Menschen scheinbar oft von einem Augenblicke, von einer einzigen, vielleicht gar nicht wichtigen Tat oder Unterlassung oder Begebenheit ab, aber auch nur scheinbar, denn ber jedem seiner Kinder wacht der groáe Weltenlenker, ohne dessen Willen keine Sonne sich bewegt und kein Schmetterling von Blte zu Blte flattert. Bei dem Aerger, den ich empfand, war es wenigstens eine - 475 - kleine Genugtuung fr mich, daá ich jetzt hier so viel erlauschte, w„hrend Santer bei uns gar nichts erfahren hatte. ¯So nahe bist du diesem Hunde gewesen?® rief der Kiowa aus. ¯Warum hast du ihm dein Messer nicht von hinten in das Herz gestoáen?® ¯Konnte mir nicht einfallen!® ¯Warum nicht?® ¯Weil ich dadurch alles verdorben h„tte. Welch einen L„rm h„tte das gegeben! Die Apachen w„ren zu Winnetou gerannt, und dieser h„tte erfahren, daá sein Plan verraten ist. Da w„re es mir nicht mehr m”glich gewesen, ihn zu fangen, und wie wollte ich dann zu den Nuggets kommen, welche ich haben muá!® ¯Du wirst sie berhaupt nicht erhalten. Befindet sich Old Shatterhand noch dort, wo du ihn verlassen hast?® ¯Ich hoffe es.® ¯Du hoffst es nur? So ist es also m”glich, daá er fort ist? Ich denke, er will auf uns warten!® ¯Das wollte er; aber nun kann es sein, daá er diesen Vorsatz aufgegeben hat.® ¯Welchen Grund k”nnte er dazu haben?® ¯Er weiá, daá er beobachtet worden ist.® ¯Uff! Wie konnte er es erfahren?® ¯Durch ein Loch, durch ein fatales, verfluchtes Loch, welches sich im Erdboden befand, vielleicht von irgend einem Tier gegraben.® ¯K”nnen L”cher sprechen?® ¯Unter Umst„nden, ja. Dieses wenigstens hat gesprochen. Ich wollte mich fortschleichen und drehte mich um. Dabei muáte ich das K”rpergewicht auf die H„nde legen und brach mit der rechten durch den weichen Boden in ein darunter befindliches Loch, wobei ein Ger„usch entstand, welches Old Shatterhand h”rte. Er drehte sich augenblicklich um und muá mich gesehen haben, denn als ich nun schnell aufsprang und fort wollte, war er ebenso rasch auf und hinter mir her. Beinahe h„tte er mich erwischt, denn er ergriff meinen Rock; ich riá mich aber los und huschte nach der Seite. Er rief zwar, daá ich stehen bleiben solle, sonst werde er schieáen, doch fiel es mir - 476 - natrlich nicht ein, diese Dummheit zu begehen. Ich machte mich im Gegenteile noch tiefer in den Wald hinein, wo mir das Dunkel Sicherheit gew„hrte, und setzte mich da nieder, um zu warten, bis ich ohne Gefahr weiter konnte.® ¯Was taten seine Leute?® ¯Sie wollten wahrscheinlich mit nach mir suchen; aber er verbot es ihnen. Er befahl ihnen, bis zu seiner Wiederkehr zu bleiben, und suchte dann weiter. Ich h”rte noch einige Augenblicke lang seine Schritte, dann wurde es still.® ¯Er ging also fort?® ¯Ja.® ¯Wohin?® ¯Das weiá ich nicht. Er wird nicht weit gelaufen sein und ist, als er einsah, daá ich nicht zu finden war, jedenfalls wieder umgekehrt.® ¯Hat er dich erkannt?® ¯Wohl kaum; dazu war es zu finster.® ¯Vielleicht ist er gar hierhergegangen und steckt nun irgendwo, um uns zu beobachten!® ¯Unm”glich! Er konnte ja gar nicht sehen, wohin ich dann ging. Er ist auf alle F„lle zu seinem Posten zurckgekehrt. Ich schlich, als ich lange genug gewartet hatte, mich fort, aus dem Walde hinaus und in das Freie, wo ich rascher laufen konnte. Da rief mich deine Wache an, und ich erfuhr, daá ihr euch hier befindet.® Es trat jetzt eine Pause ein. Der Anfhrer hatte erfahren, was er wissen muáte, und schien nun darber nachzudenken. Nach einiger Zeit h”rte ich ihn fragen: ¯Was gedenkt mein weiáer Bruder nun zu tun?® ¯Ich gedenke, zun„chst zu erfahren, was du beschlieáen wirst.® ¯Wie ich von dir h”rte, ist es ganz anders geworden, als wir vermuteten. Wenn es uns gelungen w„re, die Apachen zu berrumpeln, so w„ren sie tot oder lebendig in unsere H„nde gefallen, ohne daá es uns wohl Blut gekostet h„tte. Nun aber erwarten sie uns. Old Shatterhand hat dich bemerkt; er weiá also, daá sein Plan verraten ist, und wird die gr”áte Vorsicht anwenden. Es ist am besten, wir verlassen diese Gegend.® - 477 - ¯Verlassen? Fort willst du? Was f„llt dir ein! Frchtest du dich vor dieser handvoll Apachen?® ¯Mein weiáer Bruder wird mich nicht beleidigen wollen! Ich kenne keine Furcht; aber wenn ich einen Feind sowohl mit als auch ohne Blutvergieáen in meine Hand bekommen kann, so w„hle ich das letztere; das tut jeder kluge Krieger, auch wenn er sonst noch so tapfer ist.® ¯Meinst du etwa, daá wir durch das Verlassen dieser Gegend diese Weiáen und die Apachen fangen k”nnen?® ¯Ja.® ¯Oho! M”chte wissen, wie!® ¯Sie werden uns verfolgen.® ¯Das ist nicht so gewiá.® ¯Es ist gewiá. Winnetou muá sich an dir r„chen, und er weiá, daá du bei uns bist; er wird also keinen Augenblick von unserer F„hrte lassen. Wir machen diese Spur mit Absicht so deutlich, daá sie leicht zu erkennen ist, und reiten direkt nach unserem Dorfe, wohin ich das gefangene Bleichgesicht Sam Hawkens geschickt habe.® ¯Und du bist der Ansicht, daá die Apachen uns dorthin folgen werden?® ¯Ja, sie werden sogar mit sehr groáer Eile hinter uns her kommen.® ¯Ah! Um mich zu fangen? Soll mir das etwa Freude machen? Ich soll mich wieder von ihnen jagen lassen, w„hrend ich hier die beste Gelegenheit habe, meine Absichten zu erreichen!® ¯Du wirst hier nichts, gar nichts erreichen und befindest dich w„hrend unseres Rittes heimw„rts nicht in der allergeringsten Gefahr.® ¯Wenn sie uns aber einholen, ist die Gefahr fr mich so groá, wie sie nur sein kann!® ¯Sie werden uns aber nicht einholen, denn wir nehmen einen Vorsprung, welcher uns vor ihnen Sicherheit gibt. Wir brechen jetzt sofort auf, und sie k”nnen uns erst dann folgen, wenn sie bemerken, daá wir fort sind; das wird aber kaum vor morgen mittag sein.® ¯Jetzt fort, jetzt gleich? Das gebe ich nicht zu. Was wird euer H„uptling sagen, wenn er erf„hrt, daá du einen so groáen - 478 - Vorteil, den du hier in den H„nden hast, aufgibst, ohne dazu gezwungen zu sein. Bedenke das!® Der Anfhrer nahm diese Verwarnung auf, ohne eine Antwort zu geben; sie machte also Eindruck auf ihn. Santer merkte das gar wohl und fuhr fort: ¯Ja, wir befinden uns hier so im Vorteile, wie wir es durch deinen neuen Plan gar nicht erreichen k”nnen. Wir haben nichts weiter zu tun, als die Falle, welche man uns gestellt hat, umzudrehen, so daá die Apachen hineingehen.® ¯Uff! Wie sollen wir das machen?® ¯Wir greifen die beiden Abteilungen, welche uns in der Schlucht einschlieáen wollen, einzeln an, so daá wir gar nicht eingeschlossen werden k”nnen.® ¯Da máten wir erst Old Shatterhands Abteilung nehmen. Meinst du das?® ¯Ja.® ¯Wir ziehen also morgen an ihr vorber und tun so, als ob wir gar nicht wáten, daá sie uns folgt.® ¯Nein. So lange brauchen wir gar nicht zu warten. Wir vernichten sie schon heut.® ¯Uff! Mein weiáer Bruder mag mir sagen, wie er das anfangen will!® ¯Es ist so einfach und selbstverst„ndlich, daá es eigentlich gar nicht notwendig sein sollte, es dir zu erkl„ren. Ich kenne die Stelle, an welcher sich Old Shatterhand mit seinen Leuten jetzt befindet, doch ganz genau und fhre euch hin. Die Augen der Kiowas sind an die Dunkelheit gew”hnt, und ihre Bewegungen gleichen denen der Schlange, die nicht geh”rt werden kann, wenn sie durch das Moos des Waldes gleitet. Wir umzingeln die drei Weiáen mit ihren Apachen und fallen auf ein gegebenes Zeichen ber sie her. Es kann uns ganz gewiá keiner von ihnen entgehen. Wir stechen sie nieder, ehe es ihnen nur einf„llt, sich zur Wehr zu setzen.® ¯Uff, uff, uff!® lieáen sich einige der Zuh”rer zustimmend vernehmen. Der Vorschlag Santers gefiel ihnen also. Ihr Anfhrer war nicht so schnell mit seinem Urteile da, meinte aber auch nach einer kurzen Weile des Nachdenkens: - 479 - ¯Es kann allerdings gelingen, wenn wir recht vorsichtig verfahren.® ¯Es kann nicht, sondern es muá gelingen! Die Hauptsache ist, daá wir sie v”llig unh”rbar umzingeln, und das ist ja gar nicht schwer. Dann gibt es einige sichere Messerst”áe, und die Sache ist abgetan. Die Beute, welche wir diesen Kerls abnehmen, geh”rt euch; ich will nichts davon haben. Dann machen wir uns ber Winnetou her.® ¯Auch noch in der Nacht?® ¯Nein, sondern am Morgen. Seine Person ist mir so wichtig, daá ich sie beim Angriffe in den Augen haben muá; dies ist aber bei Nacht nicht m”glich. Wir machen es so, wie es die Apachen gemacht haben, wir teilen uns. Die eine H„lfte von uns fhre ich noch w„hrend der Nacht in die Schlucht, in welcher wir gefangen werden sollen. Sie bleibt da, bis der Tag zu grauen beginnt, und dringt dann weiter vor, bis sie am Ende der Schlucht von Winnetou angegriffen wird, denn dieser wird denken, daá sich Old Shatterhand mit seinen Leuten hinter ihr befindet. Die andere Abteilung sucht mit mir beim ersten Tagesscheine den Weg, auf welchem Old Shatterhand hierher ins Tal zurckgekehrt ist; ich weiá, daá ich ihn sicher finden werde. Ich bin berzeugt, daá er erst grad durch den Wald und dann um den Fuá des Berges herum nach dem Ausgange der Schlucht fhrt, wo Winnetou h„lt. Dieser wird alle seine Aufmerksamkeit nach dem Innern der Schlucht richten und unsere erste Abteilung bemerken. Dabei und dadurch wird es ihm entgehen, daá wir uns ihm von hinten n„hern. Er wird also so eingeschlossen, wie er uns einschlieáen wollte, und da er nur fnfzehn Mann oder wenig mehr bei sich hat, so muá er sich ergeben, wenn er nicht mit den Seinen vernichtet werden will. Das ist mein Plan.® ¯Wenn er so ausgefhrt werden kann, wie mein Bruder ihn entworfen hat, so ist er gut.® ¯Er hat also deine Zustimmung?® ¯Ja. Ich will Winnetou lebendig haben, um ihn dem H„uptling zu bringen, weiter nichts, und durch deinen Vorschlag k”nnen wir dies schon jetzt erreichen, ohne noch l„nger warten zu mssen.® - 480 - ¯So laá uns nicht zaudern, ihn auszufhren!® ¯Old Shatterhand im Dunkel des Waldes zu umzingeln, ohne daá er es bemerkt, das ist sehr schwer. Ich werde dazu diejenigen meiner Krieger ausw„hlen, welche auch des Nachts scharfe Augen haben und im Schleichen am gebtesten sind.® Er begann, die Namen dieser Leute zu nennen, und da wurde es hohe Zeit fr mich, zu meinen Leuten zurckzukehren, die ich sonst, wenn die Kiowas schnell aufbrachen, gar nicht warnen konnte. Ich glitt also von dem hohen Steine auf den niedrigen und von diesem auf den Boden herab und schlich mich fort. Als ich die oben erw„hnte, vorstehende Buschecke hinter mir hatte, trat ich aus dem Walde ins Freie hinaus und rannte, wobei der Sternenschimmer mir hinreichend leuchtete, das Tal hinauf, bis ich mich parallel mit meinen Leuten befand. Da durchquerte ich den Waldesrand und traf sie an, mit groáer Spannung meiner wartend. ¯Wer kommt da?® fragte Dick Stone, als er meine Schritte h”rte. ¯Seid Ihr es, Sir?® ¯Ja,® antwortete ich. ¯Wo habt Ihr denn so lange Zeit gesteckt? Nicht wahr, ein Kerl war da? Natrlich ein roter Kiowa, der auf einer Schleicherei zuf„llig auf uns stieá?® ¯Nein; Santer ist's gewesen.® ¯Alle Wetter! Dieser? Und wir haben ihn nicht ertappt! Rennt dieser Kerl uns da in die H„nde, und wir greifen nicht zu! Sollte man das fr m”glich halten!® ¯Es ist noch mehr vorgekommen, was eigentlich unm”glich sein sollte. Ich habe jetzt keine Zeit, es Euch zu sagen, denn wir mssen rasch von hier fort. Sp„ter werdet Ihr es h”ren.® ¯Fort von hier? Warum?® ¯Die Kiowas kommen, uns jetzt zu berfallen.® ¯Ist das Euer Ernst, Sir?® ¯Ja. Ich habe sie belauscht. Sie wollen uns jetzt hier ausl”schen und dann morgen frh Winnetou angreifen. Sie kennen unsern Plan. Darum schnell fort von hier!® ¯Wohin?® ¯Zu Winnetou.® - 481 - ¯Mitten durch den dunklen Wald? Das wird Kopfst”áe und Beulen geben.® ¯Nehmt die Augen in die H„nde! Also fort!® Ein Gang des Nachts durch den weglosen Urwald ist freilich fr die Sch”nheit des menschlichen Angesichts eine h”chst gef„hrliche Sache, weil sie anst”áig in des Wortes eigenster Bedeutung ist. Wir muáten, meiner Aufforderung gem„á, die "Augen in die H„nde nehmen", das heiát, uns weit mehr auf den Tastsinn als auf das Gesicht verlassen. Zwei tasteten mit ihren H„nden voran, und die anderen folgten ihnen in der Weise, daá sich der Hintermann immer an dem Vordermanne anhielt. Es w„hrte auf diese Weise ber eine Stunde, bis wir den Wald hinter uns hatten; das Schwerste dabei war, die Richtung einzuhalten. Als wir uns dann im Freien befanden, ging es besser und schneller. Wir gingen um den Berg herum und auf die Schlucht zu, an deren Ausgange Winnetou lagerte. Dieser hatte, wenigstens von der Seite aus, von welcher wir kamen, nichts Feindseliges zu erwarten, aber doch einen Posten ausgestellt, welcher uns mit lauter Stimme anrief. Ich antwortete ebenso laut; die Apachen erkannten diese Stimme und sprangen von der Erde auf. ¯Mein Bruder Old Shatterhand kommt?® fragte Winnetou im Tone der Befremdung. ¯Da muá etwas geschehen sein. Wir haben vergeblich auf die Kiowas gewartet.® ¯Sie wollen erst morgen frh kommen, doch nicht nur durch die Schlucht, sondern auch von dieser Seite, um euch zu vernichten.® ¯Uff! Um dies zu beschlieáen, máten sie erst dich besiegt haben und berhaupt wissen, was wir zu tun beabsichtigten.® ¯Sie wissen es.® ¯Unm”glich!® ¯Sie wissen es wirklich. Santer ist oben bei den Gr„bern gewesen und hat alles geh”rt, was du mir sagtest, als wir allein waren.® Ich konnte das Gesicht Winnetous nicht erkennen, aber er antwortete mir nicht. Dieses momentane Schweigen verriet mir die Gr”áe seines Erstaunens. Dann setzte er sich wieder nieder, forderte mich auf, neben ihm Platz zu nehmen, und sagte: - 482 - ¯Wenn du das weiát, muát du ihn ebenso belauscht haben wie er uns.® ¯Allerdings.® ¯So sind unsere Berechnungen zunichte. Erz„hle, was geschehen ist!® Ich folgte dieser Aufforderung. Die Apachen dr„ngten sich heran, um sich kein Wort entgehen zu lassen. Zuweilen wurde meine Rede durch ein erstauntes ¯Uff® unterbrochen; Winnetou aber schwieg, bis ich zu Ende war; dann fragte er: ¯Mein Bruder Shatterhand hielt es unter diesen Umst„nden fr das Allerbeste, seinen Posten aufzugeben?® ¯Ja. Ich h„tte allerdings noch zweierlei tun k”nnen, entweder das eine oder das andere, aber keins von beiden h„tte mit der Sicherheit, die ich fr notwendig hielt, zum Ziele gefhrt.® ¯Was h„tte dies sein k”nnen?® ¯Erstens h„tten wir, um nicht berfallen zu werden, uns nur eine Strecke zurckziehen und dann den Morgen abwarten k”nnen, anstatt uns ganz bis hierher zu entfernen.® ¯Das w„re falsch gewesen, denn am Morgen h„ttet ihr ber fnfzig Feinde gegen euch gehabt, und unser Plan w„re doch vereitelt gewesen. Was ist das zweite?® ¯Wir h„tten auf unserm Posten bleiben k”nnen. Als mir dieser Gedanke kam, h„tte ich ihn gar zu gern ausgefhrt. Santer wollte die Kiowas zu uns fhren; er schlich ihnen also voran und muáte der erste sein, der bei uns ankam. Wenn ich scharf aufpaáte, muáte ich ihn kommen h”ren, konnte ihn durch einen Faustschlag bet„uben und mich dann mit ihm davonmachen.® ¯Mein Bruder ist ein khner Krieger, aber eine solche Verwegenheit w„re ihm gewiá verderblich geworden. Mit Santer auf den Armen h„ttest du dich nicht schnell genug entfernen k”nnen und w„rest berw„ltigt und get”tet worden.® ¯Das stand freilich zu erwarten; auch war es nicht so ganz sicher und gewiá, daá Santer der vorderste sein werde. Er konnte die Kiowas nur bis in die N„he bringen und dann zurckbleiben, um sie die Arbeit machen zu lassen. Darum hielt ich es fr das Allerbeste, dich aufzusuchen.® - 483 - ¯Daran hast du sehr recht getan. Mein Bruder handelt stets so, wie ich handeln wrde, wenn ich mich an seiner Stelle bef„nde.® ¯Auch sagte ich mir, daá es geraten sei, zu dir zu gehen, weil wir nun besprechen k”nnen, was zu geschehen hat.® ¯Was zu geschehen hat! Was wird mein Bruder Old Shatterhand uns da vorschlagen?® ¯Hier kann man nicht eher einen Vorschlag machen, als bis man weiá, was die Kiowas unternommen haben, nachdem sie bemerkten, daá wir nicht mehr da waren.® ¯Muá man dies erst erfahren? Kann man es nicht vielleicht auch erraten?® ¯Ja, erraten kann man es, aber das Erraten bietet nie die Sicherheit wie das Sehen und H”ren, das wirkliche Erfahren. Man kann sich irren.® ¯Hier nicht. Die Kiowas sind keine Kinder, sondern erwachsene Krieger; sie werden von allem, was hier m”glich ist, das Klgste tun, und das ist nur eins.® ¯Sie reiten fort? Nach ihrem Dorfe?® ¯Ja. Wenn sie dich nicht angetroffen haben, so wissen sie, daá Santers Absicht nun nicht auszufhren ist, und der Anfhrer wird wieder auf seinen Vorschlag zurckkommen. Ich bin berzeugt, daá sie es aufgeben, uns hier noch anzugreifen.® ¯Santer wird doch versuchen, sie dazu zu bereden!® ¯Das tut er gewiá, aber niemand wird auf ihn h”ren. Sie reiten fort.® ¯Und wir? Was tun da wir? Reiten wir, wie sie erwarten, ihnen nach?® ¯Oder ihnen voran!® ¯Auch gut! Da kommen wir ihnen vor und k”nnen sie berrumpeln.® ¯Ja, das k”nnten wir; aber es gibt etwas weit Besseres. Wir mssen Santer haben, und wir wollen Sam Hawkens befreien. Unser Weg fhrt uns also nach dem Dorfe Tanguas, wo sich Hawkens in Gefangenschaft befindet; aber es braucht nicht ganz derselbe Weg zu sein, den diese Kiowas von hier aus einschlagen. Diesen mssen wir vermeiden, weil man uns auf demselben erwartet. Wenn wir ihn einschlagen, k”nnen - 484 - wir nicht unbemerkt bleiben, und dies ist doch erforderlich, wenn wir das, was wir beabsichtigen, erreichen wollen.® ¯Kennt mein Bruder Winnetou das Dorf des H„uptlings Tangua?® ¯Ja.® ¯Und weiát du ganz genau, wo es liegt?® ¯So genau, wie ich die Lage meines eigenen Pueblo kenne. Es liegt am Salt Fork des Red River-Nordarmes.® ¯Also sd”stlich von hier?® ¯Ja.® ¯So werden wir aus Nordwesten erwartet und sollten es erm”glichen, von der entgegengesetzten Richtung, also aus Sdosten, zu kommen.® ¯Das ist es, was auch ich will. Mein Bruder Shatterhand hat stets dieselben Gedanken wie ich. Es ist ganz so, wie Intschu tschuna, mein Vater, sagte, als wir das Blut der Brderschaft miteinander getrunken hatten: "Die Seele lebt im Blute. Die Seelen dieser beiden jungen Krieger m”gen ineinander bergehen, daá sie eine einzige Seele bilden. Was Old Shatterhand dann denkt, das sei auch Winnetous Gedanke, und was Winnetou will, das sei auch der Wille Old Shatterhands!" So hat er gesprochen, und so ist es geschehen. Sein Auge blickte in unsere Herzen und es sah unsere Zukunft offen. Es wird ihn auch in den ewigen Jagdgrnden freuen und seine Seligkeit erh”hen, daá seine Vorhersagung so eingetroffen ist. Howgh!® Er schwieg bewegt, und alle, die wir uns bei ihm befanden, achteten dieses Schweigen. Es war ein stummer und doch so beredter Ausdruck der Piet„t, die der Sohn seinem toten Vater widmete. Erst nach einigen Minuten r„usperte er sich wie verlegen ber die Rhrung, der er sich hingegeben hatte, und fuhr fort: ¯Ja, wir werden das Dorf Tanguas aufsuchen, doch nicht auf dem geraden und krzesten Wege, den die Kiowas einschlagen, sondern sein Gebiet umreiten, damit wir von der anderen Seite kommen. Diese ist unbewacht, und da kann uns das, was wir beabsichtigen, leichter gelingen. Es fragt sich nur, wann wir von hier aufbrechen sollen. Wie denkt Old Shatterhand hierber?® - 485 - ¯Wir k”nnten sogleich fortreiten; der Weg ist weit, und je frher wir ihn antreten, desto eher kommen wir an das Ziel. Aber ich m”chte doch nicht raten, dies zu tun.® ¯Warum nicht?® ¯Weil wir nicht wissen, wann die Kiowas diese Gegend verlassen.® ¯Wahrscheinlich schon heut abend.® ¯Das nehme auch ich als wahrscheinlich an; aber m”glich ist es doch, daá es erst morgen geschieht. Es erscheint mir auch als noch gar nicht so ausgeschlossen, daá sie doch wieder auf den Gedanken kommen, uns noch anzugreifen. Auf alle F„lle mssen wir, wenn wir eher fortgehen als sie, darauf gefaát sein, daá sie unsere F„hrte entdecken und derselben folgen. Dann merken oder erraten sie, was wir vorhaben, und vereiteln es.® ¯Mein Bruder spricht abermals meine Gedanken aus. Wir mssen hier bleiben, bis sie fort sind; dann sind wir sicher, daá sie uns nicht schaden k”nnen. Aber an dem Platze, wo wir uns jetzt befinden, drfen wir die Nacht nicht zubringen, denn wir mssen mit der M”glichkeit rechnen, daá sie uns hier aufsuchen; das darf ihnen nicht gelingen.® ¯Dann mssen wir uns aber nach einer Stelle begeben, von welcher aus wir, wenn es Tag wird, diesen Schluchtausgang beobachten k”nnen.® ¯Ich weiá einen solchen Ort. Meine Brder m”gen ihre Pferde bei den Zgeln nehmen und mir folgen!® Wir holten unsere Pferde, welche in der N„he weideten, und folgten ihm in die Prairie hinaus. Nach einigen hundert Schritten kamen wir an eine gr”áere Baumgruppe, hinter welcher wir wieder Halt machten. Hier konnten wir lagern, ohne von den Kiowas, wenn sie es ja noch in dieser Nacht auf uns abgesehen haben sollten, aufgefunden zu werden. Und wenn der Morgen anbrach, lag uns die Schlucht gegenber, und es war leicht, alles zu beobachten, was etwa dort geschah. Die Nacht war ebenso kalt wie die vorigen N„chte; ich wartete, bis mein Pferd sich legte, und lagerte mich dann so an seinen Leib, daá er mich erw„rmte. Das Tier lag so ruhig, als wáte es, welchen Dienst ich von ihm verlangte, und ich wachte bis zum Morgen nur einmal auf. - 486 - Wir kamen, als es hell geworden war, nicht hinter den B„umen hervor und beobachteten die Schlucht weit ber eine Stunde lang. Es regte sich nichts da drben. Darum hielten wir es nun fr angezeigt, nach den Kiowas zu forschen. Fr den Fall, daá sie doch noch da waren, muáten wir vorsichtig sein und uns ihnen heimlich n„hern; dies erforderte aber viel Zeit; darum machte ich Winnetou den Vorschlag: ¯Sie sind ber die Prairie nach dem Nugget-tsil gekommen und werden den Berg jedenfalls auf demselben Wege verlassen. Warum da mhsam nach ihnen suchen! Wenn wir die Berge bis nach der Stelle umreiten, auf welcher sie dein Sp„her gestern erblickte, mssen wir unbedingt sehen, ob sie fort sind oder nicht. Warum lange Zeit auf etwas verwenden, was man viel krzer und mhelos erreichen kann!® ¯Mein Bruder hat das Richtige getroffen. Wir werden nach seinen Worten handeln.® Wir stiegen auf unsere Pferde und ritten in einem nach Sden gerichteten und nach Westen ausgebogenen Halbkreise um die Berge. Dies war derselbe Weg, nur rckw„rts, den die Apachen geritten waren, als wir nach der Spur Santers suchten, nachdem er die Flucht ergriffen hatte. Als wir dann die sdlich von dem Nugget-tsil liegende Prairie erreichten, kam es so, wie ich gedacht hatte: Wir sahen zwei groáe, starke F„hrten; die von gestern fhrte in das Tal hinein, und die von heut nacht kam aus demselben heraus; die Kiowas waren also fort; darber war kein Zweifel m”glich. Trotzdem ritten wir, um ganz sicher zu gehen, in das Tal hinein und untersuchten dasselbe so weit nach hinten, bis uns auch die dortigen Spuren vollst„ndig berzeugten, daá es von den Kiowas verlassen worden war. Nun folgten wir ihrer neuen, von dem Nugget-tsil wegfhrenden F„hrte, welche mit der herbeifhrenden zusammenfiel und so scharf ausgepr„gt war, daá wir die Absicht, sie uns zu zeigen, gar nicht verkennen konnten. Sie wollten eben, daá wir ihnen folgen sollten, und hatten sich darum selbst an Stellen, an denen sonst keine Spur zurckgeblieben w„re, geradezu Mhe gegeben, deutliche Eindrcke zu hinterlassen. Winnetou lieá ein kleines L„cheln um seine Lippen spielen und sagte: - 487 - ¯Diese Kiowas sollten uns doch kennen und grad darum ihre Spur verbergen, die wir dennoch entdecken wrden. Daá sie dies nicht tun, muá doch unser Miátrauen erwecken. Sie wollen sehr klug handeln, tun aber das Gegenteil, weil sie kein Gehirn in den K”pfen haben.® Er sagte dies so laut, daá es auch der gefangene Kiowa h”rte, den wir selbstverst„ndlich noch immer bei uns hatten. Und sich direkt an diesen wendend, fgte er hinzu: ¯Du wirst wahrscheinlich sterben mssen, denn wenn wir Sam Hawkens nicht frei bekommen, oder wenn wir erfahren, daá er gequ„lt worden ist, werden wir dich t”ten; aber falls dies nicht geschieht und wir dir die Freiheit wiedergeben sollten, so sage euren Kriegern, daá sie wie kleine Knaben handeln, welche noch nichts gelernt haben und ausgelacht werden mssen, wenn sie sich als Erwachsene geb„rden. Es wird uns nicht einfallen, diesen ihren Spuren weiterzufolgen.® Er lenkte diesen Worten gem„á von der nach Sdosten fhrenden F„hrte ab, indem er sich grad ”stlich wendete. Wir befanden uns zwischen dem Quellgebiete des sdlichen Canadian und demjenigen des n”rdlichen Red River-Armes, und es war Winnetous Absicht, diesen letzteren aufzusuchen. Die Pferde derjenigen Apachen, welche Santer mit mir verfolgt hatten, waren ziemlich angegriffen; darum konnte unser Ritt nicht so schnell von statten gehen, wie wir es wnschten. Dazu kam, daá der Proviant, den wir mitgenommen hatten, fast zur Neige ging. Sobald er zu Ende war, sahen wir uns auf die Jagd angewiesen, und dies muáte bei der Absicht, welche wir verfolgten, uns zum groáen Nachteile gereichen, denn erstens nahm es unsere Zeit, von der wir eigentlich keine Stunde zu vers„umen hatten, in Anspruch, und zweitens konnten wir w„hrend der Jagd die Vorsicht nicht anwenden, welche unbedingt geboten war; wir waren gezwungen, Spuren zu machen und zurckzulassen, was wir sonst vermieden h„tten. Glcklicherweise trafen wir am Sp„tnachmittage auf einen kleinen Bisontrupp. Das waren Nachzgler der groáen Bffelherden, die ihre Wanderung nach Sden schon vollendet hatten. Wir schossen zwei Khe und bekamen von ihnen so viel Fleisch, daá wir fr eine ganze Woche versehen waren und nun nur - 488 - noch an den eigentlichen Zweck unsers Rittes zu denken brauchten. Am n„chsten Tage erreichten wir den n”rdlichen Arm des Red River, dem wir abw„rts folgten. Er fhrte wenig Wasser, doch waren die Ufer grn, w„hrend wir bisher verdorrtes Bffelgras unter uns gehabt hatten. Das gab Futter fr unsere Pferde. Der Salt Fork kommt aus westlicher Richtung und mndet also von rechts her in den Red River. In dem Winkel, der dadurch gebildet wird, lag damals das Kiowa-Dorf, dessen H„uptling Tangua war. Wir befanden uns auf der anderen, der linken Seite des "roten Flusses" und konnten darum wohl hoffen, nicht gesehen zu werden, ritten aber dennoch, als wir die Mndungsgegend des Salt Fork erreichten, einen weiten Bogen, um eine halbe Tagesreise unterhalb derselben wieder an den Red River zu kommen. Aus weiteren Vorsichtsgrnden benutzten wir dazu die Nacht, und es war am frhen Morgen, als wir den Fluá wieder vor uns sahen. Wir befanden uns nun so, wie wir beabsichtigt hatten, auf der entgegengesetzten Seite der Richtung, aus welcher wir von den Kiowas erwartet wurden, und suchten eine versteckte Stelle auf, um da von dem n„chtlichen Ritte auszuruhen. Nur fr Winnetou und mich gab es keine Erholung, denn er wollte rekognoszieren, und forderte mich auf, ihn zu begleiten. W„hrend unser bisheriger Weg uns stromabw„rts gefhrt hatte, muáte dieses Auskundschaften nun stromaufw„rts vorgenommen werden, und zwar auf dem jenseitigen Ufer. Wir muáten also ber den Fluá hinber, was uns selbst dann, wenn er mehr Wasser gehabt h„tte, nicht schwer geworden w„re. Natrlich bewerkstelligten wir den Uebergang nicht in der N„he unseres Lagers, weil dieses leicht entdeckt werden konnte, wenn sp„ter jemand auf unsere F„hrte traf und derselben aus irgend einem Grunde folgte. Wir ritten vielmehr noch ein Stck fluáabw„rts, bis wir an einen Wasserlauf kamen, welcher in den Red River mndete. In diesen trieben wir unsere Pferde und ritten im Wasser gegen den Strom desselben. Da gingen unsere Spuren verloren. Nach einer halben Stunde verlieáen wir dieses Gerinne und lenkten die Pferde auf die - 489 - Prairie, um, nun nach dem Red River zurckkehrend, diesen an einer Stelle zu erreichen, welche sich einige englische Meilen oberhalb unsers Lagers befand. Dieser Umweg mit seinem Spurenverbergen war zeitraubend gewesen, aber die Mhe, welche wir darauf verwendet hatten [,] wurde schneller belohnt, als wir hatten denken k”nnen. Wir hatten n„mlich den Fluá noch nicht wieder erreicht [,] sondern befanden uns noch auf der Prairie, da sahen wir zwei Reiter, welche wohl ein ganzes Dutzend Packtiere bei sich hatten. Sie kamen uns nicht gerade entgegen, sondern ihre Richtung fhrte sie rechts an uns vorber. Der eine ritt vor und der andere [Illustration Nr. 23: Ritt durchs Wasser] hinter den wohlbeladenen Mauleseln, und wenn wir ihre Gesichter auch nicht erkennen konnten, so muáten wir nach ihrer Kleidung Weiáe in ihnen vermuten. Sie sahen uns auch und hielten an. Es w„re h”chst auff„llig gewesen, wenn wir vorber geritten w„ren; wir konnten im Gegenteile Ntzliches von ihnen erfahren, denn sie kamen jedenfalls aus dem Dorfe der Kiowas. Schaden konnten sie uns wohl kaum, und unsere F„hrte zu suchen, um zu erfahren, woher wir gekommen waren, das fiel ihnen wohl auch nicht ein, da sie viel n”rdlicher auf den kleinen Wasserlauf treffen muáten als da, wo wir ihn verlassen hatten. Darum fragte ich Winnetou: - 490 - ¯Gehen wir hin?® ¯Ja,® antwortete er. ¯Es sind Bleichgesichter, H„ndler, welche mit den Kiowas ein Tauschgesch„ft gemacht haben. Aber sie drfen nicht wissen, wer wir sind.® ¯Gut! Ich bin der Unterbeamte eines Indianeragenten und muá in dieser Eigenschaft zu den Kiowas, verstehe aber ihre Sprache nicht; darum habe ich dich mitgenommen. Du bist ein Pawnee-Indianer.® [Illustration Nr. 24: Begegnung mit H„ndlern] ¯So ist es gut. Mein Bruder mag mit diesen beiden Bleichgesichtern sprechen.® Wir ritten auf sie zu. Sie hatten, wie man bei Begegnungen im wilden Westen stets zu tun pflegt, ihre Gewehre zur Hand genommen und sahen uns erwartungsvoll entgegen. ¯Tut eure Bchsen weg, Mesch'schurs,® forderte ich sie auf, als wir sie ziemlich erreicht hatten. ¯Wir haben nicht die Absicht, euch anzubeiáen.® - 491 - ¯Wrde euch auch schlecht bekommen,® antwortete der eine von ihnen. ¯Wir k”nnen n„mlich auch beiáen. Zu den Gewehren haben wir nicht etwa aus Angst gegriffen, sondern weil es so Gebrauch ist und weil ihr uns verd„chtig vorkommt.® ¯Verd„chtig? Wieso?® ¯Nun, wenn zwei Gentlemen, von denen der eine ein weiáer und der andere ein roter ist, so allein in der Pr„rie herumreiten, dann sind sie gew”hnlich Spitzbuben. Dazu ist euer Habit ein ganz indianisches. Sollte mich wundern, wenn ihr ehrliche Kerle w„ret!® ¯Danke Euch fr diese Aufrichtigkeit! Es ist immer ntzlich, zu wissen, was andere von einem halten. Kann Euch aber versichern, daá Ihr Euch irrt.® ¯M”glich. Eine Galgenvisage habt ihr nicht; das ist richtig. Kann mir auch ganz gleichgltig sein, ob ihr frher oder sp„ter irgendwo aufgehangen werdet, denn da bekommt ihr den Strick an euern und nicht an meinen Hals. Vielleicht habt ihr die Gewogenheit, uns zu sagen, woher ihr kommt?® ¯Ganz gern. Wir haben keinen Grund, heimlich damit zu tun. Wir kommen vom False Washita herber.® ¯So! Und wo wollt ihr hin?® ¯Ein wenig zu den Kiowas.® ¯Zu welchen?® ¯Zu dem Stamme, dessen H„uptling Tangua heiát.® ¯Das ist nicht weit von hier.® ¯Weiá es. Das Dorf liegt zwischen dem Red River und dem Salt Fork.® ¯Richtig! Aber wenn ihr einen guten Rat annehmen wollt, so kehrt schnell wieder um und laát euch vor keinem Kiowa sehen.® ¯Warum?® ¯Weil es eine schlechte Angewohnheit ist, sich von den Roten umbringen zu lassen.® ¯Pshaw! Habe mir das bisher noch nicht angew”hnt und werde es auch sp„ter niemals tun.® ¯Was sp„ter geschieht, kann niemand wissen. Meine Warnung ist gut gemeint und hat ihren Grund. Wir kommen n„mlich von Tangua. Derselbe hat die l”bliche Absicht, jeden - 492 - Weiáen, der in seine H„nde f„llt, auszul”schen und auch jeden Roten, der kein Kiowa ist.® ¯Dann ist er ja ein auáerordentlich wohlmeinender Gentleman! Hat er euch das selbst gesagt?® ¯Jawohl, und zwar wiederholt.® ¯Der Spaávogel!® ¯Oho! Es war ihm ungeheuer ernst dabei!® ¯Ernst? Wirklich? Wie komme ich da zu dem Vergngen, euch so hbsch lebendig und bei guter Gesundheit vor mir zu sehen? Er will jeden Weiáen umbringen und auch jeden Roten, wie ihr behauptet. Habe euch auch fr Weiáe gehalten. Solltet ihr vielleicht Neger sein?® ¯Macht keine dummen Witze! Uns tut er nichts; mit uns hat er eine Ausnahme gemacht, weil wir alte, gute Bekannte von ihm sind und schon viele Male in seinem Dorfe waren. Wir sind n„mlich Trader*), wie ihr wohl schon erraten habt, und zwar ehrliche Trader, nicht solche Halunken, welche die Roten mit ihren Waren betrgen und sich dann nicht wieder bei ihnen sehen lassen drfen. Darum heiát man uns berall willkommen. Die Roten brauchen doch unsere Waren und werden also nicht so dumm sein, einem ehrlichen Kerl, auf den sie sich verlassen k”nnen und von dem sie Nutzen haben, an den Kragen zu gehen. Euch aber werden sie kalt machen, darauf k”nnt Ihr Euch verlassen.® ¯Werde wohl warm bleiben, denn ich meine es auch ehrlich mit ihnen und suche sie eben jetzt auf, um ihnen Nutzen zu bringen.® ¯So? Dann sagt uns doch einmal, was Ihr seid und was Ihr bei ihnen wollt.® ¯Ich geh”re zur Agentur.® ¯Zur Agentur? H”rt, das ist ja noch viel schlimmer! Nehmt es mir nicht bel, aber ich will Euch um Euertwillen offen sagen, daá die Roten grad auf die Agenten gewaltig schlecht zu sprechen sind, weil weil ® Er z”gerte, fortzufahren, darum erg„nzte ich seine Rede: ¯Weil sie so oft von ihnen betrogen worden sind. Das meint Ihr wohl. Ich gebe dies zu.® *) H„ndler. - 493 - ¯Freut mich ungemein, aus Eurem eigenen Munde zu h”ren, daá ihr Agenten Spitzbuben seid!® lachte er. ¯Grad die Kiowas sind bei den letzten Lieferungen groáartig bers Ohr gehauen worden. Wenn Ihr die Absicht habt, ein wenig zu Tode gemartert zu werden, so reitet hin; es wird Euch sofort geholfen werden.® ¯Kann darauf verzichten, Sir. Ich sage Euch, daá die Kiowas mich zwar nicht gut empfangen, dann aber um so gr”áere Freude haben werden, wenn ich ihnen sage, was ich bei ihnen will. Ich habe es n„mlich durchgesetzt, daá der Fehler, welcher gemacht worden ist, ausgebessert wird. Sie werden nachgeliefert bekommen, und ich will ihnen eben sagen, wo sie die Waren in Empfang nehmen sollen.® ¯Alle Wetter, was seid Ihr da fr ein weiáer Rabe!® rief er erstaunt aus. ¯In diesem Falle werden sie Euch freilich nichts tun. Aber warum habt Ihr da einen Roten bei Euch?® ¯Weil ich den Dialekt der Kiowas nicht verstehe; er ist mein Dolmetscher, ein Pawnee, den Tangua auch kennt.® ¯Well! Dann ist ja alles in bester Ordnung, und meine Warnung war berflssig. Aber ich hatte guten Grund dazu, denn Tangua ist f”rmlich wtend auf alles, was nicht Kiowa heiát.® ¯Warum?® ¯Hat in letzter Zeit verdammt schlechte Erfahrungen gemacht. Die Apachen sind in sein Gebiet eingefallen und haben ihm mehrere hundert Stck Pferde gestohlen. Er hat sie natrlich verfolgt; aber weil sie drei- oder viermal mehr Krieger hatten als er, ist er geschlagen worden. Dies w„re trotz ihrer Uebermacht nicht geschehen, wenn nicht eine Gesellschaft von weiáen Westm„nnern den Apachen geholfen h„tte. Einer von diesen Leuten hat den H„uptling zum Krppel geschossen. Heiát Old Shatterhand, dieser Mann, ein Kerl, der den st„rksten Menschen mit der Faust zu Boden schl„gt. Wird ihm aber nicht gut bekommen.® ¯Nicht? Wollen sich die Roten r„chen?® ¯Natrlich. Tangua ist durch beide Knie geschossen worden, ein frchterliches Schicksal fr einen Kriegsh„uptling! Er - 494 - sch„umt f”rmlich vor Wut und wird nicht eher ruhen, als bis er diesen Old Shatterhand und Winnetou in seine H„nde bekommen hat.® ¯Winnetou? Wer ist das?® ¯Ein junger Apachenh„uptling, der mit einer kleinen Kriegerschar ungef„hr zwei Tagesritte von hier gelagert hat. Die Weiáen sind bei ihm, und eine Anzahl Kiowas ritten hin, um diese Kerls in ihr Dorf zu locken.® ¯Hm! Werden diese Weiáen und diese Apachen so dumm sein, in die Falle zu gehen?® ¯Wahrscheinlich. Tangua ist berzeugt davon und hat die Gegend, durch welche sie kommen mssen, besetzen lassen. Diese Leute sind unbedingt verloren. Mich geht das eigentlich gar nichts an, aber weil Weiáe dabei sind, habe ich mich aus dem Staube gemacht. Ich w„re wohl noch einige Tage bei Tangua geblieben, aber zuzusehen, wie Weiáe zu Tode gemartert werden, das ist mein Gusto nicht.® ¯W„re es Euch denn nicht m”glich gewesen, ihnen Hilfe zu bringen?® ¯Nein, selbst dann nicht, wenn ich gewollt h„tte. Aber warum soll ich meine gesunden H„nde, die ich brauche, in fremde Feuer stecken und sie mir verbrennen! Ich bin, sozusagen, Gesch„ftsfreund der Kiowas, und es f„llt mir nicht ein, mir dadurch bei ihnen zu schaden, daá ich mich ihrer Feinde annehme. Ich bin so gutherzig gewesen, einen kleinen Versuch zu riskieren, habe aber schleunigst davon ablassen mssen, denn Tangua bellte mich an wie ein wtender Kettenhund.® ¯Das l„át sich denken, denn es war ja noch gar nicht die Zeit dazu, sich der Gefangenen anzunehmen, weil sie eben noch nicht gefangen waren. Ihr h„ttet warten sollen.® ¯O, einer war doch schon gefangen, ein Weiáer von den Leuten Old Shatterhands. Ein sonderbarer Kerl, der immer nur lachte, und gar nicht so tat, als ob er den Tod vor Augen habe.® ¯Ihr habt ihn gesehen?® ¯Ich sah ihn bringen und wohl eine Stunde lang gefesselt an der Erde liegen. Dann wurde er nach der Insel gebracht.® ¯Nach einer Insel? Die also als Gef„ngnis dient?® - 495 - ¯Ja. Sie liegt im Salt Fork, einige Schritte vom Dorfe und wird gut bewacht.® ¯Habt Ihr mit dem Gefangenen gesprochen?® ¯Einige Worte. Ich fragte ihn, ob ich vielleicht etwas fr ihn tun k”nne. Da lachte er mich freundlich an und sagte, er h„tte so groáen Appetit nach Buttermilch, ob ich nicht nach Cincinnati reiten und ihm ein Glas voll holen wolle. Ein ganz n„rrischer Kerl. Ich sagte ihm, daá seine Lage nicht zum Lachen sei; da kicherte er mich wieder an und meinte, ich solle mich nur nicht um ihn sorgen, denn dazu seien ganz andere Leute da. Dennoch bat ich beim H„uptling fr ihn, wurde aber hundegrob abgewiesen. Er wird brigens nicht schlecht behandelt, denn Old Shatterhand hat einen gefangenen Kiowa als Geisel bei sich. Nur Santer gibt sich Mhe, ihm das biáchen Leben, welches er noch haben wird, schwer zu machen.® ¯Santer? Dem Namen nach ein Weiáer! Sind denn auáer euch noch andere Weiáe bei den Kiowas gewesen?® ¯Nur dieser eine, der sich Santer nennt. Ein Kerl, der mir widerw„rtig ist. Er kam gestern mit den Roten hier an, welche Winnetou herbeigelockt haben, und machte sich gleich ber den Gefangenen her. Werdet ihn ja auch kennen lernen, wenn Ihr nachher in das Dorf kommt.® ¯Wiát Ihr denn, was er eigentlich bei Tangua will?® ¯Nein. Habe ihn zwar begrát, aber dann nicht wieder beachtet, weil ihm meine Gegenwart nicht zu gefallen schien. H„tte es von den Roten erfahren k”nnen, habe aber nicht gefragt. Was mich nichts angeht, das nehme ich nicht in den Mund; das ist mein Grundsatz, mit welchem ich am besten vorw„rts komme.® ¯Ist dieser Santer der Gast des H„uptlings, oder hat er ein besonderes Zelt?® ¯Es ist ihm eines angewiesen worden, nicht etwa gleich neben demjenigen des H„uptlings, was die gew”hnliche Auszeichnung fr gern gesehene G„ste ist, sondern eine alte Lederhtte, die fast am Ende des Dorfes liegt. Er scheint also beim H„uptlinge nicht in besonderer Gunst zu stehen.® ¯Wiát Ihr vielleicht, wie der weiáe Gefangene heiát?® ¯Sam Hawkens, ein fast berhmter Westmann trotz seiner - 496 - Drolligkeit. Tut mir leid, daá er ausgel”scht werden soll, kann ihm aber nicht helfen. Vielleicht h”rt der H„uptling auf Euch mehr, als er auf mich geh”rt hat, wenn Ihr ein gutes Wort fr ihn einlegt.® ¯Werde es versuchen. K”nnt Ihr mir die Lage des Zeltes, in welchem Santer wohnt, nicht genauer angeben?® ¯Wozu? Ihr werdet es ja sehen, wenn Ihr hinkommt. Es ist das vierte oder fnfte, fluáaufw„rts gerechnet. Glaube nicht, daá Euch der Mann gefallen wird; hat ein Galgengesicht. Htet Euch vor ihm! Ihr seid trotz Eures Amtes noch sehr jung und werdet mir einen guten Rat nicht belnehmen. Ich muá nun weiter. Lebt wohl, und kommt heiler Haut wieder von hier fort!® Sollte ich ihn halten, um mehr zu erfahren? Da h„tte ich ihm aufrichtig sagen mssen, wer wir waren und was wir wollten, und das erschien mir doch gewagt. Winnetou war auch dieser Ansicht, denn er ritt weiter und sagte mit unterdrckter Stimme: ¯Es ist genug. Mein Bruder mag nicht weiter fragen, denn dies wrde diesen Leuten auffallen, welche Freunde der Kiowas sind.® ¯Ich glaube auch, daá wir genug erfahren haben. Wir wissen mit ziemlicher Genauigkeit, wo Hawkens steckt und auch wo Santer wohnt, und werden beide finden. Wie weit reiten wir jetzt?® ¯So weit, bis uns diese beiden H„ndler aus den Augen sind; dann kehren wir nach unserm Lager um. Das Zusammentreffen mit ihnen war fr uns sehr vorteilhaft. Um das auszukundschaften, was wir von ihnen erfahren haben, h„tten wir uns in groáe Gefahr begeben mssen. Nun wissen wir, woran wir sind, und werden heut abend miteinander das Dorf der Kiowas beschleichen.® Die beiden Trader kamen uns nach und nach aus den Augen. Sie muáten langsam reiten, weil sie so viele Packtiere bei sich hatten. Ich erfuhr sp„ter, wie verh„ngnisvoll ihnen das geworden war. Ebenso erfuhr ich, daá sie bei den Kiowas Felle verschiedener Pelztiere eingetauscht hatten. Der, welcher mit uns gesprochen hatte, war der eigentliche H„ndler, der andere - 497 - nur sein Gehilfe gewesen. Nun, da sie fort waren und uns nicht mehr sahen, kehrten wir auf demselben Wege, auf welchem wir gekommen waren, nach unserm Lager zurck und gaben uns unterwegs wieder alle Mhe, unsere Spuren zu verbergen. Dick Stone und Will Parker waren mit dem Erfolge unserer Rekognoszierung sehr zufrieden. Besonders freuten sie sich darber, daá ihr kleiner Sam sich verh„ltnism„áig wohl befand und seine unverwstliche gute Laune noch besaá. Sie baten uns, sie heut abend mitzunehmen, doch Winnetou schlug ihnen diesen Wunsch ab, indem er erkl„rte: ¯Meine beiden weiáen Brdern [Brder] m”gen heut noch dableiben, denn wir werden auf diesem Gange Sam Hawkens wohl schwerlich befreien k”nnen. Dies kann wahrscheinlich erst morgen geschehen, und da werdet ihr dabei sein.® Unser Versteck war ein verh„ltnism„áig gutes; aber wir befanden uns mitten auf feindlichem Gebiete, und der Zufall konnte leicht einen oder einige Kiowas an die Uferstelle fhren, wo wir lagerten. Darum schlug Winnetou vor: ¯Ich kenne eine Insel, welche eine kleine Strecke abw„rts mitten im Flusse liegt. Sie hat Bsche und B„ume, die uns verbergen werden. Dorthin wird niemand kommen. Meine Brder m”gen sich mit mir nach dieser Insel begeben.® Wir verlieáen also unser Lager und ritten am Flusse hinunter, bis wir die Insel sahen. Das Wasser war hier tief und hatte ein ziemliches Gef„lle, doch kamen wir auf unsern Pferden ganz gut hinber, wo es sich zeigte, daá Winnetou recht gehabt hatte: die Insel war groá und auch bewachsen genug, um uns und unsern Pferden vollst„ndige Deckung zu gew„hren. Ich machte mir zwischen den Bschen ein Lager zurecht und schlief, denn es war vorauszusehen, daá in der n„chsten Nacht von einem Schlafe keine Rede sein werde. Nicht daá es keine Zeit oder Gelegenheit dazu gegeben h„tte, sondern des Wassers wegen. Sam Hawkens war auf einer kleinen Insel interniert, die ich beschleichen wollte. Da muáte ich in das Wasser. Ja, schon vorher, gleich beim Aufbruche, muáte ich mit Winnetou von unserer Insel an das Ufer schwimmen, wobei wir voll- - 498 - st„ndig [vollst„ndig] durchn„át werden muáten. Wir standen in der Mitte des Dezember, und das Wasser war also kalt; wer h„tte da in den durchn„áten Kleidern schlafen k”nnen. Als es dunkel geworden war, wurden wir geweckt, denn auch Winnetou hatte geschlafen. Es war Zeit, nach dem Dorfe aufzubrechen. Wir legten die nicht durchaus notwendigen Kleidungsstcke ab und lieáen auch alles, was wir in den Taschen hatten, zurck. Von unsern Waffen nahmen wir nur die Messer mit. Dann sprangen wir in den Fluá und schwammen nach dem rechten Ufer desselben, weil wir von diesem aus an den Salt Fork gelangen konnten. Als wir eine kleine Stunde lang an diesem Ufer aufw„rts gegangen waren, kamen wir an die Stelle, wo der Salt Fork in den Red River-Arm mndete, und hatten dem ersteren nur wenige hundert Schritte nach links zu folgen, bis wir die Feuer des Dorfes sahen. Es lag hart am linken Ufer des Salt-Fork, w„hrend wir uns auf dem rechten befanden. Wir muáten also hinber. Dies taten wir aber nicht gleich, sondern wir schritten erst langsam, natrlich diesseits, die ganze L„nge des jenseits liegenden Dorfes ab. Das Wort Dorf bezeichnet hier nicht den europ„ischen Begriff, eine Ansammlung von festen H„usern, bei denen und um welche G„rten und Felder liegen. Von G„rten und Feldern gab es hier keine Spur, und die Wohnungen bestanden jetzt aus dicken Lederzelten, w„hrend die Roten im Sommer leinene zu bewohnen pflegen. Fast vor jedem Zelte brannte ein Feuer, an welchem die Bewohner saáen, um sich zu w„rmen und ihr Abendessen zu bereiten. Das gr”áte Zelt stand ungef„hr in der Mitte des Dorfes. Der Eingang war mit Lanzen geschmckt, an denen Adlerfedern und sonderbar gestaltete Medizinen hingen. An dem dort befindlichen Feuer saá Tangua, der H„uptling, mit einem jungen, vielleicht achtzehnj„hrigen Indianer und zwei Knaben, welche zw”lf und vierzehn Jahre z„hlen mochten. ¯Diese drei sind seine S”hne,® sagte Winnetou. ¯Der „lteste ist sein Liebling und wird ein tapferer Krieger werden. Sein Lauf ist so rasch, daá er den Namen Pida bekommen hat, was Hirsch bedeutet.® Auch Frauen gingen gesch„ftig ab und zu, doch ist es bei - 499 - den Indianern den Frauen und T”chtern nicht erlaubt, mit den M„nnern und S”hnen zu essen. Sie essen sp„ter und mssen nehmen, was brig bleibt, dafr aber alle, selbst die schwerste, Arbeit verrichten. Ich suchte nach der Insel. Der Himmel hing schwarz voller Wolken und kein Stern war zu sehen, doch die Feuer erm”glichten es uns, drei Inseln zu erkennen, welche in geringen Entfernungen voneinander am Ufer lagen. ¯Auf welcher mag sich Sam befinden?® fragte ich. ¯Wenn mein Bruder das wissen will, so mag er an das denken, was der Trader gesagt hat,® antwortete Winnetou. ¯Daá die Insel nahe am Ufer liege? Die erste und die dritte liegen weiter hben nach uns zu; es wird also die zweite, die mittlere, sein.® ¯Wahrscheinlich. Und da rechts ist das untere Ende des Dorfes, wo im vierten oder fnften Zelte Santer wohnt. Wir werden nicht beisammen bleiben, sondern uns trennen. Ich habe es auf den M”rder meines Vaters und meiner Schwester abgesehen und werde also seine Wohnung auskundschaften. Sam ist mehr dein Gef„hrte als der meinige, darum wirst du nach ihm forschen.® ¯Und wo treffen wir uns wieder?® ¯Hier, an der Stelle, wo wir auseinander gehen.® ¯Wenn nichts Ungew”hnliches geschieht, k”nnen wir das; aber wenn zuf„lligerweise einer von uns bemerkt werden sollte, wird ein groáer Aufruhr entstehen; da mssen wir einen andern Ort bestimmen, einen Ort, der weiter entfernt von dem Dorfe ist.® ¯Unser Vorhaben ist nicht leicht; deine Aufgabe ist noch schwerer als die meinige, denn du muát nach der Insel schwimmen, wo du von den W„chtern leicht gesehen werden kannst. Man wird dich also leichter entdecken als mich. Sollte man dich dabei ergreifen, so werde ich dir beispringen; kommst du aber frei, so kehrst du nach unserer Insel zurck, aber auf einem Umwege, damit sie die Richtung deiner Flucht nicht entdecken.® ¯Aber morgen frh werden sie die Spuren sehen!® ¯Nein, denn wir werden sehr bald Regen bekommen, welcher die Spuren ausl”scht.® - 500 - ¯Gut! Und wenn du Unglck haben solltest, haue ich dich heraus.® ¯Das wird nicht geschehen, wenn nicht ein b”ser Zufall spielt. Schau hinber! Vor der fnften Htte brennt kein Feuer; sie wird Santer geh”ren, denn er ist nirgends zu sehen und wird drinliegen und schlafen. Es ist also sehr leicht, zu erfahren, wie es mit ihm steht.® Nach diesen Worten ging er fort, rechts von mir weg, ein Stck den Fluá hinunter, um dann auáerhalb des Dorfbereiches hinberzuschwimmen und jenseits heimlich nach den Zelten zurckzukehren. Ich muáte es anders anfangen. Ich hatte ein Ziel, welches im Bereiche des Feuerscheines lag; das war b”s. Ich durfte mich nicht auf der Oberfl„che des Wassers sehen lassen, muáte die Insel also tauchend erreichen. Das ging aber auf direktem Wege sehr schwer. Unter Wasser bis hinber zu kommen, das getraute ich mir wohl, aber wie nun, wenn ich grad vor einem W„chter auftauchte? Nein, ich muáte erst nach der benachbarten Insel, auf welcher sich wahrscheinlich niemand befand. Sie, die erste, lag vielleicht zwanzig Meter von der zweiten, mittlern, auf welche ich es abgesehen hatte, entfernt. Also konnte ich von ihr aus wahrscheinlich sehen, wie die Verh„ltnisse auf der zweiten waren. Ich ging also eine Strecke fluáaufw„rts und richtete mein Auge so scharf wie m”glich nach der obersten Insel. Es war dort nicht die geringste Bewegung zu bemerken; also befand sich wahrscheinlich niemand drben. Da stieg ich langsam in das Wasser, tauchte unter und schwamm hinber. Ich kam glcklich drben an und schob zun„chst nur den Kopf bis an den Mund, um Atem zu holen, aus dem Wasser. Ich befand mich am oberen Ende der ersten Insel und sah da, daá es eine noch bessere Weise, meine Aufgabe zu l”sen, gab, als ich drben gedacht hatte. Die Insel, an deren Rande ich im Wasser stand, war vielleicht auch zwanzig Meter vom Fluáufer entfernt, wo eine ganze Reihe von Kanoes angebunden waren. Diese K„hne konnten mir vortrefflich Deckung geben. Ich tauchte also wieder unter und schwamm nach dem ersten Kanoe, von da nach dem - 501 - zweiten, dritten und so weiter, bis ich, hinter dem sechsten steckend, der mittlern Insel so nahe war, daá ich sie berblicken konnte. Sie lag dem Lande n„her als die beiden andern Inseln und hatte niedriges Buschwerk, welches zwei B„ume berragten. Von dem Gefangenen und seinen W„chtern konnte ich nichts sehen. Eben wollte ich wieder untertauchen, um hinberzuschwimmen, als ich ber mir auf dem hohen Ufer ein Ger„usch h”rte. Ich sah hinauf. Ein Indianer kam herabgestiegen. Es war Pida, der "Hirsch", der H„uptlingssohn. Glcklicherweise stieg er schr„g herab nach einem weiter abw„rts h„ngenden Kanoe, so daá er mich nicht sah. Er sprang in dieses Boot, band es los, und ruderte sich nach der mittlern Insel. Da konnte ich noch nicht hinber; ich muáte warten. Bald h”rte ich Leute drben sprechen und erkannte die Stimme meines kleinen Sam. Ich muáte h”ren, was sie redeten, und schwamm unter Wasser nach einem weiteren Kanoe. Es gab deren so viele da, daá jeder selbst„ndige Dorfbewohner eines zu besitzen schien. Als ich wieder auftauchte und, hinter diesem Kanoe verborgen, dem Gespr„che lauschte, h”rte ich den Sohn des H„uptlings sagen: ¯Tangua, mein Vater, will es wissen!® ¯F„llt mir nicht ein, es zu verraten!® antwortete Sam. ¯Dann wirst du zehnfache Qualen erdulden mssen!® ¯Laá dich nicht auslachen! Sam Hawkens, und Qualen erdulden, hihihihi! Dein Vater hat mich schon einmal martern lassen wollen, dort am Rio Pecos, bei den Apachen. Was ist die Folge davon gewesen? Kannst du mir das sagen?® ¯Daá Old Shatterhand, dieser Hund, ihn zum Krppel gemacht hat!® ¯Well! So „hnlich wird es auch hier werden. Ihr k”nnt mir nichts anhaben.® ¯Wenn du das im Ernste sagst, so ist der Wahnsinn in deinem Kopfe eingezogen. Wir haben dich fest, und du kannst uns nicht entrinnen. Bedenke, daá dein ganzer K”rper mit Riemen umschnrt ist, so daá du kein Glied bewegen kannst!® ¯Ja; diese Fesselung habe ich dem guten Santer zu verdanken und befinde mich ganz wohl dabei!® - 502 - ¯Du leidest Schmerzen, ich weiá es; aber du gibst es nicht zu. Auáer dieser Umschnrung bist du an den Baum festgebunden, und es sitzen bei Tag und bei Nacht vier Krieger hier, dich zu bewachen. Wie willst du entkommen?® ¯Das ist meine Sache, geliebter Junge! Jetzt gef„llt es mir noch hier; warte also, bis ich fort will; dann k”nnt ihr mich nicht halten.® ¯Wir wrden dich frei lassen, wenn du uns sagtest, wohin er gehen wird.® ¯Ich sage es aber nicht. Ich weiá schon, wie es geht [geht]. Der gute Santer ist so freundlich gewesen, mir die Geschichte zu erz„hlen, um mir Angst zu machen, was ihm aber nicht gelungen ist. Ihr seid nach dem Nugget-tsil geritten, um Old Shatterhand und Winnetou zu fangen. L„cherlich! Old Shatterhand zu fangen, der mein Schler ist hihihihi!® ¯Aber du, sein Lehrer, hast dich doch von uns fangen lassen?® ¯Nur so zum Zeitvertreib. Ich wollte gern einmal einige Tage bei euch sein, weil ich euch so lieb habe, wenn ich mich nicht irre. Also ihr habt den Ritt vergeblich gemacht und bildet euch nun ein, daá Winnetou mit seinen Apachen und Old Shatterhand euch nachlaufen werden. So ein unsinniger Gedanke ist mir doch noch nicht vorgekommen! Heut seht Ihr [ihr] ein, daá ihr euch verrechnet habt. Sie sind nicht gekommen, und ihr wiát nicht, wo sie stecken. Da soll ich euch nun sagen, wohin Old Shatterhand geritten sein kann. Ihr denkt, daá ich das wissen muá. Und ich will es dir aufrichtig sagen, daá ich es auch weiá.® ¯Nun, wohin?® ¯Pshaw! Du wirst es sehr bald erfahren, ohne daá ich es dir sage, denn ® Er wurde durch ein lautes Geschrei unterbrochen; ich verstand leider die Worte nicht, aber der Tonfall war so, wie wenn man bei uns hinter einem Flchtlinge her: "Haltet ihn auf, haltet ihn auf!" ruft, und dazu wurde der Name Winnetou gebrllt. ¯H”rst du, wo sie sind!® rief Hawkens frohlockend. ¯Wo Winnetou ist, da ist auch Old Shatterhand. Sie sind da sie sind da!® - 503 - Das Gebrll verdoppelte sich im Dorfe, und ich h”rte die Indianer laufen. Sie hatten Winnetou gesehen, aber noch nicht erwischt. Das machte mir einen groáen Strich durch die Rechnung. Ich sah, daá der Sohn des H„uptlings sich auf der Insel hoch aufrichtete und nach dem Ufer blickte. Dann sprang er in sein Kanoe und rief den vier W„chtern zu: ¯Nehmt die Gewehre zur Hand und t”tet dieses Bleichgesicht sofort, wenn sich jemand sehen l„át, es zu befreien.® Dann ruderte er sich dem Ufer zu. Ich hatte Sam schon heut, falls es nur einigermaáen m”glich war, losmachen wollen; dies konnte nun freilich nicht geschehen. Selbst wenn ich es h„tte wagen wollen, nur mit dem Messer bewaffnet, mit den vier Roten anzubinden, so h„tte das seinen augenblicklichen Tod zur Folge gehabt; sie h„tten Pida gehorcht und Hawkens ermordet. Aber da kam mir ein Gedanke, noch viel schneller, als Pida das Ufer erreichen konnte. Er war der Lieblingssohn des H„uptlings. Wenn ich ihn in meine Hand bekam, konnte ich ihn dann gegen Sam auswechseln. Dieser Gedanke war wohl beinahe verrckt, aber das kam in diesem Augenblicke nicht in Betracht. Es galt nur, den jungen H„uptling so, daá es niemand sah, zu ergreifen. Ein einziger Blick zeigte mir, daá die Situation gnstig sei. Winnetou war nach dem Red River zu entflohen, also nach links, w„hrend unser Lager sich rechts unten auf der Insel befand. Das war klug von ihm, denn er fhrte dadurch die Verfolger irre. Von dorther, wohin er floh, erscholl das Geschrei der Roten, die ihm nachrannten, und dorthin hatten die vier W„chter ihre Gesichter gerichtet; sie kehrten mir fast ihre Rcken zu, und weiter war niemand da. Der H„uptlingssohn erreichte mit seinem Kanoe das Ufer, wollte es anbinden und dann forteilen; er bckte sich. Da tauchte ich bei ihm auf; ein Fausthieb streckte ihn nieder; ich warf ihn ins Kanoe, sprang selbst hinein und ruderte fort, gegen den Strom und hart am Ufer hin. Der tolle Streich war gelungen. Oben im Dorfe gab es keinen Menschen, der auf mich achtete, und die W„chter blickten noch immer in die entgegengesetzte Richtung. - 504 - Ich legte mich mit allen Kr„ften in das Zeug, um m”glichst schnell aus dem Bereiche des Dorfes zu kommen; dann, als der Schein der Feuer mich nicht mehr traf, ruderte ich mich an das rechte Ufer des Salt Fork, wo ich den ohnm„chtigen H„uptlingssohn in das Gras legte. Dann schnitt ich [Illustration Nr. 25: Pida wird berw„ltigt] den Riemen, mit welchem das Kanoe angebunden zu werden pflegte, los, um mit demselben den Gefangenen zu fesseln, und gab dem Kahne einen Stoá, daá er fortschwamm; er sollte nicht zum Verr„ter an mir werden. Als ich Pidas Arme ihm fest an den Leib gebunden hatte, nahm ich ihn auf die Achsel und trat die Rckkehr nach unserer Insel an. - 505 - Das war ein schweres Stck Arbeit, nicht etwa, weil mir die Last, die ich trug, zu schwer wurde, sondern weil er mir nicht gutwillig folgen wollte, als er wieder zu sich gekommen war. Ich muáte ihm ”fters mit dem Messer drohen. Seine Waffen hatte ich ihm natrlich abgenommen. ¯Wer bist du?® fragte er endlich wtend. ¯Ein r„udiges Bleichgesicht, welches Tangua, mein Vater, schon morgen ergreifen und verderben wird!® ¯Dein Vater wird mich nicht ergreifen; er kann ja gar nicht gehen,® antwortete ich. ¯Aber er hat unz„hlige Krieger, welche er nach mir aussenden wird!® ¯Eure Krieger verlache ich. Es kann leicht jedem von ihnen so ergehen, wie es deinem Vater ergangen ist, als er es wagte, mit mir zu k„mpfen.® ¯Uff! Du hast mit ihm gek„mpft?® ¯Ja.® ¯Wo?® ¯Da, wo er niederstrzte, als er meine Kugel in beide Beine bekam.® ¯Uff, uff! So bist du Old Shatterhand?® fragte er erschrocken. ¯Wie kannst du da erst fragen! Ich habe dich doch mit der Faust niedergeschlagen. Wer anders als Winnetou und Old Shatterhand konnten es wagen, mitten in euer Dorf zu dringen und den Sohn des H„uptlings herauszuholen!® ¯Uff! So werde ich sterben; aber ihr sollt keinen Laut des Schmerzes aus meinem Munde h”ren.® ¯Wir t”ten dich nicht. Wir sind keine solchen M”rder wie ihr. Wenn dein Vater die beiden Bleichgesichter herausgibt, welche sich bei euch befinden, lassen wir dich frei.® ¯Santer und Hawkens?® ¯Ja.® ¯Er wird sie herausgeben, denn sein Sohn ist ihm mehr wert als zehnmal zehn Hawkens, und auf Santer wird er gar nicht achten.® Von jetzt an weigerte er sich nicht mehr, mit mir zu gehen. Die Prophezeiung Winnetous ging in Erfllung, denn es be- - 506 - gann [begann] zu regnen, und zwar so sehr, daá es ganz unm”glich fr mich war, die Uferstelle zu finden, welche unserer Insel gegenberlag. Ich suchte also einen recht dicht belaubten Baum auf, um unter demselben entweder das Ende des Regens oder den Anbruch des Tages zu erwarten. Das war eine sehr langweilige Geduldsprobe. Der Regen wollte nicht aufh”ren und der Morgen nicht erscheinen. Ich hatte nur den einen Trost, daá ich n„sser, als ich war, nicht werden konnte, n„mlich bis auf die Haut; aber diese N„sse war so kalt, daá ich zuweilen aufstand, um mich durch freiturnerische Bewegungen zu erw„rmen. Mich dauerte der junge H„uptlingssohn, der so still liegen muáte; aber er war viel abgeh„rteter als damals ich. Endlich wurden meine beiden Wnsche zu gleicher Zeit erfllt: der Regen h”rte auf, und der Tag begann zu grauen. Aber es lag ein dichter, schwerer Nebel ringsumher. Doch wurde es mir nicht schwer, die Uferstelle zu finden. Ich rief ein lautes Hallo hinber. ¯Halloo!® antwortete sofort die Stimme Winnetous. ¯Ist's mein Bruder Shatterhand?® ¯Ja.® ¯So komm! Warum rufst du erst! Das ist gef„hrlich.® ¯Ich habe einen Gefangenen. Schicke einen guten Schwimmer und einige Riemen herber!® ¯Ich komme selbst.® Wie freute ich mich darber, daá er nicht in die H„nde der Kiowas gefallen war! Bald sah ich seinen Kopf zwischen Nebel und Wasser erscheinen. Als er an das Ufer trat und den Indianer sah, sagte er erstaunt: ¯Uff! Pida, der Sohn des H„uptlings! Wo hat mein Bruder ihn ergriffen?® ¯Am Fluáufer, nicht weit von Hawkens' Insel.® ¯Hast du Hawkens gesehen?® ¯Nein; aber ich h”rte ihn mit diesem schnellen "Hirsch" reden. Ich h„tte noch mit ihm gesprochen und ihn wohl auch befreit, aber da wurdest du entdeckt, und ich muáte also fort.® ¯Es war ein b”ser Zufall, fr den ich nicht konnte. Ich hatte Santers Zelt fast erreicht, da kamen einige Kiowas, - 507 - welche vorber wollten. Ich durfte nicht aufspringen und w„lzte mich zur Seite. Da blieben sie stehen und sprachen miteinander; dabei fiel das Auge des einen auf mich und sie taten die vier Schritt zu mir hin. Da muáte ich freilich auf und fort. Der Schein der Feuer zeigte ihnen meine Gestalt, und sie erkannten mich. Ich floh aufw„rts anstatt abw„rts, um sie irre zu fhren, schwamm ber den Fluá und entkam. Aber Santer habe ich freilich nicht gesehen.® ¯Du wirst ihn bald zu sehen bekommen, denn dieser junge Krieger hier ist darauf eingegangen, sich gegen Santer und Sam Hawkens auswechseln zu lassen, und ich bin berzeugt, daá der H„uptling darauf eingehen wird.® ¯Uff! Das ist gut; das ist sehr gut! Mein Bruder Shatterhand hat khn, ja fast tollkhn gehandelt, indem er Pida gefangen nahm, aber es war das Beste, was fr uns geschehen konnte.® Wenn ich gesagt hatte, daá er Santer bald zu sehen bekommen werde, so sollte dies noch viel eher geschehen, als ich gedacht hatte. Wir banden den Gefangenen so an und zwischen uns fest, daá seine Schultern die unserigen berhrten und sein Kopf also, obgleich ihm die Arme gebunden waren, ber Wasser bleiben muáte; mit den Beinen konnte er uns beim Schwimmen helfen. Dann gingen wir in den Fluá. Pida leistete uns dabei keinen Widerstand, sondern stieá, als wir den Grund unter den Fáen verloren hatten, in gleichem Takte mit den Beinen kr„ftig aus. Der Nebel lag so dicht auf dem Wasser, daá wir nicht sechs Mannesl„ngen weit sehen konnten, aber bekanntlich h”rt man im Nebel um so besser. Wir waren noch gar nicht weit vom Ufer entfernt, da sagte Winnetou: ¯Mach leise! Ich habe etwas geh”rt.® ¯Was?® ¯Ein Ger„usch wie von Rudern, welche in das Wasser getaucht werden, da aufw„rts von uns.® ¯So bleiben wir halten!® ¯Ja; horch!® Wir machten jetzt nur diejenigen geringen Bewegungen, welche notwendig waren, uns ber Wasser zu halten, und ver- - 508 - ursachten [verursachten] also kein Ger„usch. Ja, Winnetou hatte richtig geh”rt; es kam jemand den Fluá herabgerudert. Er muáte Eile haben, da er trotz des Gef„lles, welches der Fluá hier hatte, sich auch noch der Ruder bediente. Er kam rasch n„her. Sollten wir uns sehen lassen oder nicht? Es konnte ein feindlicher Sp„her sein; vielleicht aber war es vorteilhaft fr uns, zu wissen, wer er war. Ich warf Winnetou einen fragenden Blick zu; er verstand denselben und antwortete leise: ¯Nicht zurck! Ich will wissen, wer er ist. Er wird uns wohl nicht sehen, weil wir ganz still auf dem Wasser liegen.® Es stand allerdings zu erwarten, daá wir unbemerkt bleiben wrden, denn wir hatten ja nur die K”pfe ber Wasser. Wir schwammen also nicht zurck. Pida war ebenso gespannt wie wir; er h„tte uns durch einen Hilferuf verraten k”nnen, tat dies aber nicht, weil er wuáte, daá ihm ohnedies die Freiheit sicher war. Jetzt war uns der Ruderschlag ganz nahe, und ein indianisches Kanoe tauchte aus dem Nebel auf. In diesem saá wer? Wir hatten still bleiben wollen, aber als Winnetou den Mann erblickte, stieá er den lauten Ruf aus: ¯Santer! Er entflieht!® Mein sonst so ruhiger Freund wurde durch das so pl”tzliche Erscheinen seines Todfeindes so aufgeregt, daá er die Arme und Beine mit aller Gewalt ausstieá, um auf das Kanoe zuzuschwimmen, wurde aber dadurch zurckgehalten, daá er mit uns oder vielmehr mit Pida zusammengebunden war. ¯Uff! Ich muá los; ich muá hin, muá ihn haben!® rief er, indem er sein Messer zog und den Riemen zerschnitt, mit welchem er an Pida hing. Santer hatte natrlich den Ausruf Winnetous geh”rt; er richtete sein Gesicht sofort zu uns herber und sah uns. ¯Thousand devils!® schrie er erschrocken auf. ¯Da sind ja diese ® Er hielt inne. Der Ausdruck des Schreckes wich aus seinem Gesicht und machte dem der Schadenfreude Platz; er hatte unsere Situation erkannt, warf das Ruder ins Kanoe, griff nach seinem Gewehre, richtete es auf uns und rief: - 509 - ¯Eure letzte Wasserpartie, ihr Hunde!® Er drckte glcklicherweise grad in dem Augenblicke los, in welchem sich Winnetou von uns freigemacht hatte und mit gewaltigen St”áen auf das Boot zuschoá; dadurch erhielt ich mit Pida einen Ruck, welcher uns von dem Punkte, nach welchem Santer gezielt hatte, entfernte, und die Kugel ging fehl. Das was ich jetzt von Winnetou sah, war kein Schwimmen, sondern viel eher ein auf dem Wasser Hinschnellen zu nennen. Er hatte sein Messer zwischen die Z„hne genommen und flog auf den Feind in weiten S„tzen zu, wie ein ricochettierender Stein, den man flach gegen das Wasser wirft. Santer hatte im zweiten Lauf noch einen Schuá, hielt dem Apachen die Mndung entgegen und rief hohnlachend: ¯Komm her, verdammte Rothaut! Ich schicke dich zum Teufel!® Er glaubte, leichtes Spiel zu haben und nur losdrcken zu brauchen, hatte sich aber in Winnetou geirrt, denn dieser tauchte sofort unter, um von unten an das Kanoe zu kommen und es umzustrzen. Wenn ihm dies gelang, so konnte dem in das Wasser strzenden Santer sein Gewehr nichts mehr helfen, und es muáte zu einem Ringkampf kommen, in welchem der gewandte Apache jedenfalls Meister blieb. Das sah er ein, legte die Bchse schnell weg und ergriff das Ruder wieder. Es war die h”chste Zeit fr ihn gewesen, denn kaum hatte er es in Bewegung gesetzt, so kam Winnetou an der Stelle empor, an welcher sich das Kanoe im vorhergehenden Augenblicke befunden hatte. Santer gab den Angriff auf, brachte sich durch einige kr„ftige Ruderschl„ge aus der gef„hrlichen N„he seines ergrimmten Feindes und schrie: ¯Hast du mich, Hund? Ich heb' die Kugel auf frs n„chste Wiedersehen!® Winnetou arbeitete mit allen Kr„ften, ihn doch noch zu erreichen, doch vergeblich. Kein Schwimmer, und w„re er der erste Champion der Welt, kann ein Boot einholen, welches durch Ruder im reiáenden Wasser abw„rts getrieben wird. Der ganze Vorgang hatte sich in Zeit von kaum einer halben Minute abgespielt, und doch erschienen, als Santer eben im Nebel wieder verschwand, schon einige Apachen, welche die - 510 - lauten Rufe und den Schuá geh”rt hatten und sofort von der Insel in das Wasser gesprungen waren, um uns zu Hilfe zu kommen. Ich rief sie zu mir, um mir zu helfen, Pida nach der Insel zu bringen. Als wir diese erreichten und ich den Kiowa von mir losbinden lieá, gebot Winnetou seinen Leuten: ¯Meine roten Brder m”gen sich alle schnell fertig machen! Santer ist soeben in einem Kanoe den Fluá hinunter, und wir mssen ihm nach.® Er war so aufgeregt, wie ich ihn noch nicht gesehen hatte. ¯Ja, wir mssen ihm nach, augenblicklich nach,® stimmte ich bei. ¯Aber was wird aus Sam Hawkens und unsern beiden Gefangenen?® ¯Die berlasse ich dir,® antwortete er. ¯So soll ich hier bleiben?® ¯Ja. Ich muá diesen Santer, den M”rder meines Vaters und meiner Schwester, haben; du aber bist verpflichtet, Sam Hawkens, der dein Gef„hrte ist, zu befreien; wir mssen uns also trennen.® ¯Auf wie lange?® Er berlegte nur einige Augenblicke und sagte dann: ¯Wann wir uns wiedersehen werden, das weiá ich jetzt nicht. Des Menschen Wunsch und Wille ist dem groáen Geist untertan. Ich glaubte, l„nger bei meinem Bruder Shatterhand sein zu k”nnen, doch Manitou hat jetzt pl”tzlich dagegen gesprochen; er will es anders haben. Weiát du, warum Santer fort ist?® ¯Ich kann es mir denken. Wir sind nicht in die uns gestellte Falle gegangen, und man hat dich gestern abend gesehen. Man weiá also, daá wir hier sind und nicht ruhen werden, bis wir Santer ergriffen und Hawkens befreit haben. Da hat Santer Angst bekommen und sich aus dem Staube gemacht.® ¯Ja; aber es kann sogar noch anders sein. Der Sohn des H„uptlings ist verschwunden, und dies bringen die Kiowas natrlich mit unserm Erscheinen in Verbindung; sie nehmen an, daá er in unsere H„nde geraten ist. Darber ist Tangua ergrimmt und hat seinen Zorn an Santer, der an allem schuld ist, ausgelassen und ihn fortgejagt.® ¯Auch das ist wahrscheinlich. Santer wird haben h”ren mssen, daá ihm die Kiowas keinen Schutz mehr gew„hren.® - 511 - ¯Und warum hat er den Wasserweg gew„hlt und auf sein Pferd verzichtet?® ¯Aus Furcht vor uns. Er hatte Sorge, auf uns zu treffen, und wenn dies auch nicht geschah, so konnten wir seine F„hrte entdecken und ihr folgen. Darum ist er im Kanoe fort, welches er wohl gegen sein Pferd ertauscht hat. Er ahnte natrlich nicht, daá wir uns hier auf der Insel befinden und gerade durch seine Vorsicht zur Kenntnis seiner Flucht gelangen wrden. Nun er uns gesehen hat, weiá er, daá wir ihm folgen werden, und wird tchtig rudern, um schnell fortzukommen. Glaubst du, daá ihr ihn zu Pferde einholen k”nnt?® ¯Es ist schwer, aber doch m”glich. Wir mssen die Windungen des Flusses abschneiden.® ¯Das geht aber nicht. Ich mache meinen Bruder Winnetou darauf aufmerksam, daá dies ein Fehler sein wrde.® ¯Warum?® ¯Weil er leicht auf den Gedanken kommen kann, den Fluá zu verlassen und die Flucht zu Lande fortzusetzen; da ist die Gewiáheit, euch zu entgehen, gr”áer. Da ihr nun nicht wiát, nach welcher Seite er in diesem Falle aus dem Wasser geht, so mát ihr euch teilen, um dem Red River auf beiden Ufern zu folgen.® ¯Mein Bruder hat recht. Wir werden das tun, was er gesagt hat.® ¯Ihr mát dabei sehr aufmerksam sein, damit euch die Stelle, an welcher er landet, nicht entgehe, und das erfordert leider Zeit. Auch k”nnt ihr die Krmmungen nicht abschneiden, denn was fr das eine Ufer eine Ausbiegung ist, das ist fr das andere eine Einbiegung, und w„hrend die eine Abteilung von euch einen Bogen abschnitte, wrde die andere am gegenberliegenden Ufer einen desto gr”áeren Umweg zu machen haben, und ihr k„met infolgedessen auseinander.® ¯Es ist so, wie mein Bruder sagt, und wir sind also gezwungen, allen Krmmungen des Flusses zu folgen. Da drfen wir jetzt keine Minute vers„umen.® ¯Wie gern wrde ich mit euch reiten; aber es ist wirklich meine Pflicht, fr Sam Hawkens zu sorgen; ich darf ihn nicht verlassen.® - 512 - ¯Ich werde nie etwas von dir wnschen, was gegen deine Pflicht ist. Du darfst nicht mit. Aber wenn der groáe Geist es will, werden wir uns in einigen Tagen wiedersehen.® ¯Wo?® ¯Wenn du von hier fortreitest, so richte deinen Weg nach dem Zusammenflusse dieses Stromes hier mit dem Rio Bosco de Natchitoches. Da, wo der vereinte Strom beginnt, am linken Ufer desselben, wirst du einen meiner Krieger finden, falls ein Zusammentreffen m”glich ist.® ¯Und wenn ich keinen Krieger dort sehe?® ¯Da bin ich noch hinter Santer her und weiá nicht, wohin er flieht, kann dir also auch nicht sagen lassen, wohin du kommen sollst. Dann reise mit deinen drei Gef„hrten nach St. Louis zu den Bleichgesichtern, welche den Pfad des Feuerrosses bauen wollen. Aber ich bitte dich, zu uns zurckzukehren, sobald der gute Manitou es dir erlaubt. Du bist im Pueblo am Rio Pecos stets willkommen, und sollte ich nicht dort sein, so wirst du erfahren, wo ich zu finden bin.® W„hrend dieses unseres Gespr„ches hatten seine Apachen sich zum Ritte bereit gemacht. Er gab Dick Stone und Will Parker die Hand, um sich von ihnen zu verabschieden, und wendete sich dann mir wieder zu: ¯Mein Bruder weiá, wie froh unsere Herzen waren, als wir unsern Ritt am Rio Pecos begannen; er hat Intschu tschuna und Nscho-tschi den Tod gebracht. Wenn du einst zu uns zurckkehrst, wirst du nicht die Stimme der sch”nsten Tochter der Apachen h”ren, welche anstatt nach den St„dten der Bleichgesichter in das Land der Abgeschiedenen gegangen ist. Nun treibt mich die Rache fort von dir, aber die Liebe wird dich wieder zu uns fhren. Ich wnsche sehr, daá ich dir unten an der Mndung des Rio Bosco Nachricht geben kann; sollte dies aber nicht der Fall sein, so verweile dich nicht allzu lange in den St„dten des Ostens, sondern kehre recht bald zu mir zurck. Du weiát, wen du mir zu ersetzen hast. Willst du mir versprechen, bald zu kommen, mein lieber, lieber Bruder Scharlih?® ¯Ich verspreche es dir. Mein Herz geht mit dir, mein lieber Bruder Winnetou. Du weiát, welches Versprechen ich dem sterbenden Klekih-petra gegeben habe; ich werde es halten.® [Tafel Nr. 10: "Bd. VII. "Eure letzte Wasserpartie, ihr Hunde!" (Zu S. 509.)"] - 513 - ¯So leite der gute Manitou alle deine Schritte und beschtze dich auf allen deinen Wegen. Howgh!® Er umarmte und káte mich, gab seinen Leuten einen kurzen Befehl und stieg auf sein Pferd, um es in das Wasser zu treiben. Der Befehl hatte zur Folge, daá seine Apachen sich teilten; die eine Abteilung schwamm nach dem rechten und Winnetou mit der andern nach dem linken Ufer des Flusses. Ich blickte meinem Winnetou nach, bis er im Nebel verschwand. Es war mir, als sei ein Teil meines eigenen Ich von mir gegangen, und auch ihm war der Abschied schwer geworden. Stone und Parker sahen mir an, wie wehmtig ich gestimmt war. Der erstere meinte in seiner geraden, treuherzigen Weise: ¯Laát's Euch nicht so zu Herzen gehen, Sir! Wir werden die Apachen schon bald wieder erwischen. Wir reiten ihnen ja nach, sobald Sam frei ist. Wollen darum mit der Auswechslung unserer Gefangenen nicht lange warten. Wie denkt Ihr wohl, wie wir es anzufangen haben. [?]® ¯Laát mich erst Eure Ansicht h”ren, lieber Dick. Ihr seid erfahrener als ich.® Er streichelte sich, von diesem Lobe geschmeichelt, den Bart und erkl„rte: ¯Ich halte es fr das Einfachste, den gefangenen Kiowa jetzt gleich zu Tangua zu senden und ihm mitteilen zu lassen, wo sich sein Sohn befindet und unter welcher Bedingung er freigegeben werden soll. Was meinst du dazu, alter Will?® ¯Hm!® brummte Parker. ¯Hast noch niemals so einen dummen Gedanken gehabt wie eben jetzt.® ¯Dumm? Ich? Alle Wetter! Wieso dumm?® ¯Wenn wir sagen, wo wir stecken, so schickt Tangua seine Leute her, und diese nehmen uns Pida ab, ohne daá wir Sam dafr herausbekommen. Ich wrde es anders machen.® ¯Wie denn?® ¯Wir machen uns hier von der Insel fort und ein gutes Stck in die Prairie hinein, wo wir freie Gegend haben, die wir berblicken k”nnen. Dann schicken wir den Kiowa ins Dorf und stellen die Bedingung, daá nur zwei Krieger, mehr ja nicht, kommen sollen, um uns Sam zu bringen, wofr sie dann Pida - 514 - mitnehmen drfen. Kommen mehr Leute als nur zwei, etwa um uns zu berw„ltigen, so sehen wir sie von weitem und k”nnen uns salvieren. Meint Ihr nicht, daá dies das Beste ist, Sir?® ¯Ich m”chte noch sicherer gehen und gar keinen Boten senden,® antwortete ich. ¯Keinen Boten? Aber wie soll da Tangua erfahren, daá sein Sohn ® ¯Er erf„hrt es ja,® unterbrach ich ihn. ¯Durch wen?® ¯Durch mich.® ¯Durch Euch? Wollt Ihr etwa selbst ins Dorf?® ¯Ja.® ¯Das laát bleiben, Sir! Das ist ein gef„hrliches Ding. Man wrde Euch sofort festnehmen.® ¯Glaube es nicht.® ¯Ganz gewiá ganz gewiá!® ¯Dann w„re Pida verloren. Ich habe nicht Lust, von zwei Gefangenen den einen als Boten zu schicken und dadurch einen Geisel zu verlieren.® ¯Das ist freilich richtig; aber warum wollt Ihr es sein, der in das Dorf geht? Ich kann es doch auch machen!® ¯Ich glaube gern, daá Ihr den Mut dazu besitzet, halte es aber fr besser, wenn ich selbst mit Tangua spreche.® ¯Bedenkt aber, welche Wut er auf Euch hat! Wenn ich zu ihm komme, geht er wohl eher auf unsere Bedingung ein, als wenn er sich ber Euern Anblick „rgern muá.® ¯Grad darum will ich selber zu ihm. Er soll sich „rgern; er soll wtend darber sein, daá ich es wage, zu ihm zu kommen, ohne daá er mir etwas anhaben darf. Wenn ich einen andern schicke, denkt er vielleicht, daá ich mich vor ihm frchte, und in einen solchen Verdacht will ich doch nicht kommen.® ¯So macht, was Ihr wollt, Sir! Wo bleiben wir inzwischen? Hier auf der Insel? Oder suchen wir uns eine andere, eine bessere Stelle?® ¯Es gibt keine bessere.® ¯Well! Aber wehe unsern Gefangenen, wenn Euch im Dorfe etwas geschieht! Wir wrden in diesem Falle keinen Pardon geben. Wann werdet Ihr aufbrechen?® - 515 - ¯Heute abend.® ¯Erst? Ist das nicht zu sp„t? Wenn es gut geht, kann die Auswechslung bis Mittag geschehen sein, und wir eilen dann hinter Winnetou her.® ¯Und die Kiowas folgen uns in Masse und l”schen uns aus!® ¯Meint Ihr?® ¯Ja. Tangua wird uns Sam gern geben, um seinen Sohn wieder zu bekommen; dann aber, wenn er ihn hat, wird er alles aufbieten, sich an uns zu r„chen. Darum soll die Auswechslung am Abend geschehen, und dann reiten wir fort, um w„hrend der Nacht, wo man uns nicht folgen kann, einen tchtigen Vorsprung zu bekommen. Daá wir bis zum Abend warten, ist auch schon deshalb besser, weil die Angst des H„uptlings um seinen Sohn bis dahin immer gr”áer wird. Das wird ihn gefgiger machen.® ¯Das ist wahr. Aber wenn man uns vorher hier entdeckt, Mr. Shatterhand?® ¯So ist es auch nicht schlimm.® ¯Es wird natrlich nach Pida gesucht werden, und da kommen die Roten vielleicht auch nach der Insel!® ¯Nach der Insel nicht; aber am Ufer werden wir sie sehen. Da mssen sie Winnetous F„hrte entdecken und werden denken, daá wir mit Pida fort sind. Das wird Tangua in noch gr”áere Sorge versetzen. Horch!® Es erklangen menschliche Stimmen. Der Nebel begann sich zu heben, und wir konnten die Ufer sehen. Dort standen mehrere Kiowas, welche sich laut ihre Ansichten ber die Pferdespuren, die sie eben entdeckt hatten, mitteilten; dann verschwanden sie schnell, ohne nur einen Blick herber nach der Insel geworfen zu haben. ¯Sie sind fort; sie schienen es sehr eilig zu haben,® sagte Dick Stone. ¯Jedenfalls sind sie nach dem Dorfe, um Tangua von der F„hrte zu benachrichtigen. Er wird sofort einen Reitertrupp schicken, welcher der Spur folgen soll.® Diese Prophezeiung best„tigte sich nach nicht ganz zwei Stunden. Es kam eine Reiterschar drben am Flusse herunter, - 516 - setzte sich auf die F„hrte und jagte dann auf derselben fort. Daá diese Kiowas Winnetou einholen wrden, war nicht zu befrchten, da er wenigstens dieselbe Schnelligkeit wie sie zu entwickeln hatte. Es ist selbstverst„ndlich, daá wir drei leise gesprochen hatten; die Gefangenen brauchten nicht zu h”ren, was wir einander sagten. Sie hatten auch nicht gesehen, was am Ufer geschah, denn sie lagen gebunden hinter Str„uchern im Grase. Am Vormittage machte die Sonne uns die Freude, recht warm auf uns herabzuscheinen; das machte nicht nur unsern Lagerplatz, sondern auch uns selbst trocken, und erh”hte die Behaglichkeit, mit welcher wir uns bis zum Abend der Ruhe hingaben. Kurz nach Mittag sahen wir einen Gegenstand geschwommen kommen, welcher seine Richtung nach der Insel nahm und von dem nieder in das Wasser h„ngenden Gestr„uch derselben festgehalten wurde. Es war ein Kanoe, in welchem ein Paddelruder lag; der Riemen, mit welchem es der Besitzer anzubinden pflegte, war abgeschnitten. Es war also das Kanoe, in welchem ich Pida entfhrt hatte; es war aus dem Salt Fork in den Red River getrieben und wohl nur deshalb so sp„t zur Insel gekommen, weil es unterwegs auch irgendwo h„ngen geblieben war. Da es mir sehr willkommen kam, zog ich es auf die Insel, um mich am Abend seiner zu bedienen; ich brauchte mich da nicht durch das Ueberschwimmen des Flusses wieder zu durchn„ssen. Sobald es dunkel geworden war, schob ich das Boot wieder in das Wasser und ruderte mich fluáauf; Stone und Parker gaben mir ihre besten Wnsche mit. Ich sagte ihnen, daá sie sich erst dann um mich beunruhigen sollten, wenn ich am n„chsten Morgen nicht zurckgekehrt sein wrde. Es ging langsam gegen den Strom, so daá ich erst nach einer Stunde aus dem Red River in den Salt Fork lenkte. Als ich in der N„he des Dorfes angekommen war, ruderte ich mich an das Ufer und band das Kanoe, welches ich mit einem Riemen versehen hatte, an einen Baum. Ich sah wieder, wie gestern, die Feuer brennen, die M„nner an denselben sitzen und die Frauen gesch„ftig hin und her - 517 - laufen. Ich hatte geglaubt, daá das Dorf heut scharf bewacht sein werde, fand aber, daá dies nicht der Fall war. Die Kiowas hatten die F„hrte der Apachen gefunden und ihnen Krieger nachgesandt, glaubten sich also in Sicherheit. Tangua saá auch heut vor seinem Zelte, hatte aber nur die zwei jngeren S”hne bei sich. Er hielt den Kopf gesenkt und starrte dster in das Feuer. Ich befand mich heut auf dem linken Ufer des Salt Fork, an welchem das Dorf lag, schlich mich im rechten Winkel von dem Flusse fort und dann hinter den Zelten hinauf, bis dasjenige des H„uptlings vor mir lag. Ich hatte Glck, denn es war kein Mensch in der N„he, der mich h„tte entdecken k”nnen. Da legte ich mich auf den Boden nieder und kroch nach der hinteren Seite des Zeltes. Dort angekommen, h”rte ich den tiefen, monotonen Klagegesang des H„uptlings; er trauerte in dieser indianischen Weise um den Verlust seines Lieblingssohnes. Nun kroch ich um das Zelt, nach der andern Seite, richtete mich auf und stand pl”tzlich neben dem H„uptling. ¯Warum singt Tangua die T”ne der Klage?® fragte ich. ¯Ein tapferer Krieger soll doch keinen Laut der Klage h”ren lassen; das Jammern ist nur fr die alten Squaws.® Es l„át sich gar nicht beschreiben, wie mein Erscheinen ihn erschreckte. Er wollte sprechen, brachte aber kein Wort heraus; er wollte aufspringen, muáte aber seiner verletzten Kniee wegen sitzen bleiben. Er starrte mich mit weit aufgerissenen Augen wie ein Gespenst an und stammelte endlich: ¯Old Old Shat Shat uff, uff, uff! wie kommst wo bist Ihr seid noch da nicht fort?® ¯Wie du siehst, ich bin noch da. Ich bin gekommen, weil ich mit dir zu reden habe.® ¯Old Shatterhand!® brachte er endlich meinen Namen ganz heraus. Als seine beiden Knaben ihn h”rten, flohen sie in das Zelt. ¯Old Shatterhand!® wiederholte er, noch immer unter dem Eindrucke des Schreckens; dann jedoch nahm sein Gesicht den Ausdruck der Wut an und er schrie, gegen die anderen Zelte - 518 - gerichtet, irgend einen Befehl, den ich nicht verstand, weil er sich seines Dialektes bediente; doch kam mein Name dabei vor. Einen Augenblick sp„ter gab es im Dorfe ein Wutgeheul, daá ich glaubte, die Erde zittere unter meinen Fáen, und was an Kriegern anwesend war, kam mit geschwungener Waffe auf uns zugerannt. Da zog ich mein Messer und schrie Tangua in das Ohr: [Illustration Nr. 26: Bei Tangua] ¯Soll Pida erstochen werden? Er schickt mich zu dir!® Er verstand meine Worte trotz des Geheules seiner Leute und erhob die eine Hand. Eine Bewegung derselben gengte, und es trat Stille ein; aber die Kiowas umringten uns. Wenn es nach den Blicken ging, mit welchen sie mich verschlingen zu wollen schienen, so kam ich nicht lebendig von hier fort. Ich - 519 - setzte mich zu Tangua nieder, sah ihm ruhig in das vor Erstaunen ber meine Khnheit starre Gesicht und sagte: ¯Es herrscht Todfeindschaft zwischen mir und Tangua; ich bin nicht schuld daran, habe aber auch nichts dagegen; mir ist es sehr gleich, ob ich mit meinen Freunden einen seiner Krieger oder seinen ganzen Stamm verderben soll. Ob ich mich vor ihm frchte, mag er daraus ersehen, daá ich mich jetzt mitten in sein Dorf begeben habe, um mit ihm zu reden. Wir wollen es kurz machen: Pida befindet sich in unseren H„nden und wird an einem Baume aufgeh„ngt, wenn ich nicht zur bestimmten Zeit zurckgekehrt bin.® Kein Wort, keine Bewegung der rundum stehenden Roten, von denen ich viele erkannte, verriet den Eindruck, welchen meine Worte machten. Die Augen des H„uptlings funkelten vor Wut darber, daá er mir, ohne das Leben seines Sohnes zu gef„hrden, nichts anhaben konnte. Er stieá zwischen knirschenden Z„hnen die Frage hervor: ¯Wie wie ist er in eure Gewalt geraten?® ¯Ich war gestern dort an der Insel, als er mit Sam Hawkens sprach, und habe ihn niedergeschlagen und mitgenommen.® ¯Uff! Old Shatterhand ist der Liebling des b”sen Geistes, der ihn abermals beschtzt hat. Wo befindet sich mein Sohn?® ¯An einem sicheren Orte, den du jetzt nicht erfahren wirst; er mag ihn dir sp„ter selber sagen. Aus diesen meinen letzten Worten wirst du ersehen, daá ich nicht die Absicht habe, Pida zu t”ten. Wir haben auch noch einen andern Kiowa bei uns, den wir gefangen nahmen; ich zog ihn aus dem Dorngebsch hervor, in welchem er uns belauschte. Er soll mit deinem Sohne frei sein, wenn du mir Sam Hawkens dafr gibst.® ¯Uff! Du sollst ihn haben. Bring nur erst Pida und den andern Kiowakrieger!® ¯Bringen? F„llt mir nicht ein! Ich kenne Tangua und weiá, daá ihm nicht zu trauen ist. Ich gebe zwei fr einen, bin also auáerordentlich billig und gtig gegen euch. Dafr muá ich fordern, daá ihr euch jeder Hinterlist enthaltet.® ¯Beweise mir vorher, daá Pida wirklich bei euch ist!® ¯Beweisen? Was f„llt dir ein! Ich sage es, und so ist es - 520 - wahr. Old Shatterhand ist kein Tangua. Laá mich Sam Hawkens sehen! Er wird nicht mehr unten auf der Insel sein, wo ihr ihn nicht mehr fr sicher haltet. Ich muá mit ihm reden.® ¯Was willst du reden?® ¯Ich will aus seinem Munde wissen, wie es ihm bei euch ergangen ist. Danach wird sich das weitere richten.® ¯Ich muá mich da vorher mit meinen „ltesten Kriegern beraten. Entferne dich bis zum n„chsten Zelte; dann wirst du erfahren, was wir zu tun gedenken.® ¯Gut! Aber macht es kurz, denn wenn ihr mich aufhaltet und ich nicht zur bestimmten Zeit zurckgekehrt bin, wird Pida aufgeh„ngt.® Aufgeh„ngt zu werden, ist der schmachvollste Tod fr einen Roten. Man kann sich denken, wie wtend Tangua war! Ich ging zum n„chsten Zelte und setzte mich dort nieder, natrlich auch da grad so von Kriegern umringt wie vorher. Tangua rief seine alten Leute zu sich und beriet sich mit ihnen. Es brannte in jedem auf mich gerichteten Auge ein Feuer, welches nur aus Rcksicht auf Pida nicht verderblich wurde. Dabei bemerkte ich freilich auch, daá meine Furchtlosigkeit allgemein imponierte. Nach einiger Zeit schickte der H„uptling einen Roten fort; dieser verschwand in einem Zelte und brachte dann meinen kleinen Sam aus demselben gefhrt. Ich sprang auf und ging ihm entgegen. Als er mich erblickte, rief er jubelnd: ¯Heig-day [Heigh-day], Old Shatterhand! Habe es ja gesagt, daá Ihr unbedingt kommen wrdet! Wollt wohl Euern alten Sam wieder haben?® Er hielt mir die gefesselten H„nde entgegen, um mich zu begráen. ¯Ja,® antwortete ich ihm, ¯das Greenhorn ist gekommen, um euch das Zeugnis zu geben, daá Ihr der gr”áte Meister im Anschleichen seid, wie Ihr bewiesen habt. Man mag Euch sagen, was man will, Ihr rennt doch immer nach der verkehrten Seite!® ¯Macht mir Eure Vorwrfe sp„ter, mein heiágeliebter Sir, und sagt mir lieber, ob meine Mary noch vorhanden ist.® - 521 - ¯Sie ist bei uns.® ¯Und die Liddy?® ¯Der Schieáprgel? Den haben wir auch gerettet.® ¯Dann ist ja alles, alles gut, wenn ich mich nicht irre. Kommt, laát uns machen, daá wir von hier fortkommen! Es ist beinahe langweilig hier.® ¯Geduld, Geduld, bester Sam! Ihr tut ja, als ob es gar nichts auf sich h„tte und das reine Kinderspiel w„re, hierher zu kommen und Euch loszumachen.® ¯Das ist es auch, Kinderspiel, aber nur fr Euch. M”chte wissen, was Ihr nicht fertig br„chtet. Wrdet mich sogar vom Monde herunterholen, wenn ich mich hinauf verlaufen h„tte hihihihi!® ¯Lacht nur immer! Ich merke daraus, daá es Euch nicht allzu schlecht ergangen ist.® ¯Schlecht? Was f„llt Euch ein! Gut habe ich es gehabt, auáerordentlich gut! Jeder Kiowa hat mich wie sein eigenes Kind geliebt; ich bin vor lauter Liebkosungen, Herzen und Kssen gar nicht zu Verstand gekommen; wie eine Braut haben sie mich gefttert, und wenn ich schlafen wollte, brauchte ich mich gar nicht erst niederzulegen, denn ich lag berhaupt stets auf dem Rcken.® ¯Hat man Euch ausgebeutelt?® ¯Allerdings. Die Taschen sind mir leer gemacht worden.® ¯Werdet alles wiederbekommen, falls es noch da ist. Die Beratung scheint zu Ende zu sein.® Ich erkl„rte dem H„uptlinge, daá ich nun nicht mehr l„nger warten drfe, wenn sein Sohn am Leben bleiben solle, und es begann nun eine zwar kurze, aber auáerordentlich energische Verhandlung, aus welcher ich als Sieger hervorging, weil ich nicht im geringsten nachgab und der H„uptling Angst um seinen Sohn hatte. Die Schluábestimmung war, daá vier bewaffnete Krieger in zwei Kanoes mich und Sam begleiten und unsere beiden Gefangenen in Empfang nehmen sollten. Fr den Fall, daá uns noch mehrere Kiowas heimlich folgen sollten, drohte ich mit Pidas Tode. Es war eigentlich viel von mir verlangt, mir Sam mitzugeben; ich konnte doch den vier uns begleitenden Indianern ein Schnippchen schlagen; aber man glaubte meinen Worten - 522 - und hat Old Shatterhand auch sp„ter stets geglaubt. Wohin wir rudern wrden, das sagte ich natrlich nicht. Als dem kleinen Sam die H„nde entfesselt worden waren, warf er die kurzen Arme in die Luft und rief: ¯Frei, wieder frei! Das werde ich Euch nie vergessen, Sir! Und werde auch nie wieder nach links hinaufrennen, wenn Eure gesegneten Beine nach rechts hinunterlaufen.® Als wir uns zum Gehen anschickten, gab es hier und dort ein zorniges Gemurmel. Die Indsmen „rgerten sich doch gewaltig, daá sie den Gefangenen und sogar mich fortlassen muáten, und Tangua zischte mir noch zu: ¯Bis zur Rckkehr meines Sohnes bist du sicher; dann aber wird der ganze Stamm hinter dir her sein und dich verfolgen. Wir werden deine Spur finden und dich ergreifen, und wenn du durch die Luft davonreiten solltest!® Ich hielt es nicht fr n”tig, auf diese bissige Drohung eine Antwort zu geben, und fhrte Sam und die vier Kiowas nach dem Flusse, wo wir je zwei und zwei, ich natrlich mit Sam, in ein Kanoe stiegen. Von dem Augenblicke an, wo wir vom Ufer stieáen, folgte uns ein Geheul, bis wir so weit fort waren, daá wir es nicht mehr h”ren konnten. W„hrend ich steuerte, muáte ich Sam erz„hlen, was seit seiner Gefangennahme geschehen war. Er bedauerte es, daá Winnetou sich hatte von uns trennen mssen, beklagte es aber auch nicht allzu sehr, weil er sich vor den Vorwrfen des Apachen gefrchtet hatte. Wir landeten trotz der Dunkelheit glcklich an der Insel und wurden von Dick Stone und Will Parker jubelnd in Empfang genommen. Sie waren sich erst nach meiner Entfernung der Gr”áe meines Wagnisses recht bewuát geworden. Wir lieferten die beiden Gefangenen ab, die uns kein Wort des Abschiedes sagten, und warteten, bis wir die Ruderschl„ge der zurckkehrenden Kanoes nicht mehr h”rten; dann stiegen wir auf unsere Pferde und lenkten sie nach der linken Seite des Flusses hinber. Es galt, in dieser Nacht einen tchtigen Ritt zu tun, und da war es gut, daá Sam die Gegend leidlich kannte. Er richtete sich auf seiner Mary im Sattel auf, erhob die Faust, nach rckw„rts drohend, und sagte: - 523 - ¯Jetzt stecken sie da droben die K”pfe und die Sch„del zusammen, um zu beraten, wie sie uns wieder in ihre Vorderfáe bekommen. Sollen sich wundern! Sam Hawkens ist nicht wieder so dumm, in einem Loche stecken zu bleiben, aus welchem ihn ein Greenhorn herausziehen muá. Mich f„ngt kein Kiowa wieder, wenn ich mich nicht irre!® Ende des 1. Bandes.