HUMBOLTS REISE roman copyright by Franz Krahberger ISBN 3-900647-11-9 part.1 Alles ist zur Kunst geworden, alles, und die Flucht aus der Kunst ist ebenso Kunst. Die wildwchsige Natur ist zu einer l„cherlichen Farce gegenber dem menschlichen Ordnungsgeist geworden. Die wildwchsige Natur ist tot, tr„umt Humbolt in grossen Lettern. brig bleibt der Dschungel menschlicher Empfindung. Auf der Flucht sein bedeutet, nicht mehr eingreifen k”nnen. Die Ereignisse und Verh„ltnisse mssen hingenommen werden, wie sie eben sind. Sie mssen als wirklich genommen werden, ohne mit ihnen weiteres gemein zu haben. Die Flucht, die ziellose Flucht, bewirkt eine Art Geisteskrankheit. Sie gleicht einem hilflosen Dahintreiben, ohne Ufer vor Augen, aber auch ohne zwingenden Grund des Sinkens. Die Flucht ist eine Entsinnung, eine Entleibung aller Begriffe. Durch den Hochwald gehen, bis unter den Kamm des Berges. Sich eine Mulde suchen, angefllt mit Farnen, Gr„sern und Moos. Sich hinlegen, in das Licht des Himmels sehen, an dem Ge„st der aufragenden B„ume vorbei und nach den aus dem Wald hervorbrechenden T”nen und Ger„uschen h”ren. Er sprt die Luft in die Lunge str”men, sich in Atem verwandeln, er sprt die Ausdehnung des K”rpers. Ausweiten, aufgehen ohne das Bewusstsein zu verlieren. Bis dahin, wo es vollkommen gleich ist, ob das Innere nach aussen oder das „ussere nach innen str”mt. Humbolt tr„umt weiter und steht vor einer Mar aus roten Ziegelsteinen, die pl”tzlich in sich zusammenf„llt. Dahinter unz„hlige Autowracks, Schwaden von Staub, zertrmmerte Fabrikshallen, zerbr”ckelnde Asphaltstrassenzge, die sich nutzlos in der Ebene verlieren. Unter dem Horizont h„ngt ein Spruchband. Er bemht sich, den Text zu entziffern und zu verstehen. >Am 5.M„rz des Jahres schlug der Kosmos zu. In den magellanschen Wolken, 180.000 Lichtjahre von der Erde entfernt, fand eine Umordnung der Materie statt, die s„mtliche bislang bekannten Explosionen in ein milderes Licht rckt. Die Intensit„t der gemessenen Strahlung war um das fnfzigfache st„rker, als die Dosis bislang bekannt gewordener kosmischer Katastrophen.< Die Schrift erlischt. Die ersten Sonnenstrahlen wecken Humbolt. Sein Blick f„llt auf die Titelseite der New York Herald Tribune. Humbolt entdeckt das Prinzip der Unsicherheit, die Unsicherheit dringt in sein Leben ein. Ordnungen werden zu Unordnungen. Bestimmte Wirkungen lassen sich nicht mehr auf bestimmte Ursachen zurckfhren. Der kausale Zusammenhang erscheint pl”tzlich in einem anderen Licht, s„mtliche Schriften ber die Natur mssen umgeschrieben werden. Dogmatiker gehen scharenweise ber Bord. Der Weltenplan entpuppt sich als neurotisches Hirngespinst. Der Weltenbau ger„t in Unordnung und die Weltregierung geht kl„glich zugrunde. Die Gr”ssen stimmen nicht mehr und die Strahlen des Morgenlichtes l”sen in Humbolts Augen diffuse Farbtemperaturen aus, ineinander bergehend, sich aufzehrend, neubildend und wieder zerfliessend. Mit violetter Farbe gefllte Vogelfedern dringen ins Gehirn und verf„rben es nach Blasslila hin. Humbolt ist zwiesp„ltig. Das Einssein mit der Natur ist ein Gedanke, die Wirklichkeit ein anderer. B„ume, die mit Ausdar Marn durchdringen, berzogen von Efeu. Seine Liebe gilt dem Einfall der Pflanzen in die knstliche Welt des Menschen. Humbolt hat Angst, Angst vor dem Tod der Natur. Auf einer Brcke stehen und warten, bis das Wasser still steht und die Landschaft in Bewegung ger„t. Mit dem Auto durch das Land fahren und Bild an Bilder reihen. Sich der Bewegung ausliefern, sich dem freien Spiel von Form und Ton hingeben, sich hineinfallen lassen. Die Zeit still stehen lassen, keine Inhalte, keine Botschaften, keine Erkl„rungen erwarten. Die Stille h”ren und den Gedanken an den Tod verdr„ngen. Der Wind weht durch das Dickicht und hebt den Nebel auf, der ber der Landschaft liegt. Ostern verbrachte Humbolt mit Nona im Norden. W„hrend der Fahrt erz„hlte er seine Gedanken zur Leidensgeschichte Christi, eine Theorie, die ihm auf dieser Reise einfiel und sich in seltsamer Weise mit alten Mythen verknpfte. Sie erschien als eine vollkommene Verkehrung aller religi”sen Werte. Jener Werte, denen er in seiner Kindheit glauben schenken musste. Der Tod Christi stellte sich ihm dar als der Tod der Jugend, des jungen Mannes. Eine Hinrichtung, die zugunsten des Vaters vollzogen wurde. Marshall McLuhan notierte in einer seiner Schriften, dass die „ltere Generation die jngere, ihre Nachkommenschaft, in Krieg und Verderben strze, um sich zu rechtfertigen. Nicht ”dipus erschl„gt seinen Vater, ”dipus wird von seinem Vater hingerichtet. Die Mythen sind Tore zum Unterbewussten. Die Geschichte, die sie erz„hlen, ist die Geschichte unserer Verdr„ngungen, unseres Zornes, unser er m”rderischen Urtriebe. Diese Geschichte steht im steten Widerspruch zur Kuppel humaner Haltungen, die wir ber diesem Abgrund errichtet haben. Die beiden fahren durch eine Landschaft, in der alles gegenw„rtig ist. Der Gekreuzigte, die ausgelaugten Alten, die unterdrckten Jungen. Eingebettet in dunkle W„lder, unendliche Landstriche, K„lte. Karge H„user in tiefer Stille. Und wieder flchten wollen, zurck in die Kind heit, zurck an den ursprnglichen Ort und darin nichts mehr finden als eine Art Lagebestimmung der Herkunft. Das nicht mehr Dortsein wird durch Geschichte ersetzt, wird zur Erinnerung. In Bildern und Worten festgelegt. berraschend an den Strand des Bewusstseins gesplt. Alte S„tze tauchen auf, l„ngst durch Leben berholtes Sein, tektonischen Schichten gleich, l„ngst von v”llig anderer, in anderer Richtung verlaufender Entwicklung berlagert. So wird Leben zur Erinnerung. Das Wesen von Geschichte und Leben stellte sich als Gegens„tzliches dar, einander ausschliessend. Geschichte erweist sich als retrospektive Konstruktion von Vorf„llen. Leben hin gegen als eine Art Seefahrt, die manchmal dazu n”tigt, das Schiff auf hoher See umzuban, ohne ein Dock anlaufen zu k”nnen. Geschichte liegt hinter uns. Noch einmal den Berg hinaufgehen, den steilen Weg in raschen, zgigen Schritten hinter sich bringen. Der Ort wird bei jeder offenen Wegbiegung berschaubarer, bis er klein, einem Relief gleich, in der Tiefe liegt. Bevor der Weg sich ins Hochtal krmmt, wird er ber die Landschaft hinwegschan, ber Bergketten und massiv aufgerichtete Kalksteingebirge und die Landschaft wird sein wie gefaltete, lederne Gesichtshaut mit grossen Poren, wie eine menschliche Fleisch-, Haar- und Hautlandschaft. Er wird an Lenz denken, an Lenz im Gebirg, auf der Flucht aus den St„dten. Aufsteigen bis in den Talkessel, bis zu den Knien in Schnee versinken. Die Sonne wird aussehen wie eine weissglhende Scheibe. Der Schnee, der glatte, weisse, kristalline Schnee, wirft das Licht in vielfach gesteigerter Intensit„t zurck und blendet das Auge. All die Klarheit dieser unwirtschaftlichen Land schaft in sich aufnehmen, diese in gleissendes Licht gehllte Leere aus Stein und kargem Baumbestand. So wie die Entfernungen mit zunehmendem Alter abnehmen, verliert die Welt an Unendlichkeit. Die kindliche Sehweise verwandelt sich in sch„tzbaren Massstab. Unberbrckbare Entfernungen werden gangbar, bis sich der unendliche Kosmos aufs Ne enthllt. Der Tod im Garten des Zen, einem alten aufgelassenen Steinbruch, in dessen Mulde grn leuchtendes Wasser steht. Zwei, drei Steinbl”cke ragen aus dem Tmpel. Dahinter ruhiges, unbewegtes Schilf. Daumengrosse Fr”sche tummeln sich am Rand mit weiten Schwimmbewegungen. Der Blick f„llt auf eine K”nigskerze. In ihr haben sich ein Dutzend Wespen festgekrallt. Bei n„herem Hinsehen bemerkt er, dass sie tot sind. Vereinzelte K”pfe, von denen die K”rper abgefallen sind, haben sich in den gelben Blten der Pflanze festgebissen. Ein Hirschk„ferweibchen liegt auf dem Rcken. Es zappelt noch, w„hrenddem die Ameisen sich daran machen, es bei lebendigem Leib aufzuzehren. In den Tag zieht die D„mmerung ein. Die Ersch”pfung nimmt zu. Seit Tagen rufen die geringfgigsten Bewegungen unertr„gliche Schmerzen hervor. Zusammenhanglose Satzteile, Worte ohne erkenntliche Zugeh”rigkeit dr„ngen ins Bewusstsein, ohne Einsicht zu hinterlassen. Das Gesicht Humbolts wirkt starr, verschlossen. Die Augen ins Leere gerichtet. Alle auf ihn ein dringenden Augenreize setzen sich zu Irrlichtern um. Humbolt hat die Kontrolle ber sich, ber seine Umwelt verloren. Er ist hoffnungslos diesem unerkl„rlichen Zustand ausgeliefert. Nona liest einen Zeitungsartikel. Der Scheintote liegt auf einer Bahre in einer der Kammern der Prosektur, auf Wachsleinen gebettet. Die H„nde schlaff neben den Schenkeln. Aus seinem scheintoten Zustand wieder zum Leben erwacht, erz„hlt er, dass er einen Traum gehabt habe. Er h„tte stundenlang an ein bronzenes Tor geklopft, ohne dass das Metall einen Ton von sich gegeben habe.. Nachher habe ihm der Prosektur diener, der rein zuf„llig vorbeigekommene Prosekturdiener, erz„hlt, dass sein kleiner linker Finger in unregelm„ssigen Abst„nden gezuckt habe. Nur so w„re man draufgekommen, dass der Scheintote nicht tot, sondern, im Gegenteil, noch am Leben sei. Nona schreit Humbolt an, sie schreit ihm ins Ohr, ins Ohr des in sich gekehrten, regungslos Verharrenden. Auf dem Tisch liegen Speisereste, auf dem Boden zerbrochenes Glas. Das Kind stammelt. Kurzarbeit fhrt zum Verdienst ausfall. Die Katze krmmt sich. Der Baum ist abgebrochen, glatt vom Blitz durchschlagen. Die Nachtarbeiter schrecken zu Mittag aus dem Schlaf. Der Erdrutsch hat den Weg versperrt, ber den Hang rieselt Sand und kollert Ger”ll. Nes Erdreich schiebt nach. ber dem Weg liegt ein Windwurf, die Wurzeln zeigen drohend bergw„rts. Der Devisenh„ndler unterbricht sein Gespr„ch und greift zum n„chsten H”rer. Humbolt l„uft die abfallende Dorfstrasse hinunter, l„uft, stolpert, rafft sich auf, hastet, stolpert. Seine Arme deuten wahllos auf Hauseing„nge, Hausnummern, Wirts- und Gesch„fts- schilder. Hinter kleinen Fenstern, fnfzig mal fnfzig im Quadrat, stehen schwarzgekleidete Fran mit schlohweissen, im Nacken geknoteten Haaren. Sie sehen zu, wie Humbolt der L„nge nach auf dem geschotterten Asphalt aufschl„gt, danach ziehen sie die Vorh„nge vor die kleinen Fenster scheiben. Nona geht in die Kche. Sie nimmt das Huhn und legt es auf das helle, von Schnitten gezeichnete, durchzogene, r”tliche Brett. Ihr Daumen gleitet prfend ber das grosse Tranchiermesser mit dem schwarzen Holzgriff, aus dem die Nieten hell hervorleuchten. Sie h„lt das Messer in Richtung des Kchen fensters, in das eindringende Sonnenlicht und trennt mit raschen und sicheren Bewegungen die Teile des Huhns. Nur kurz sieht sie in die starren Augen des Hhnerkopfs, die schmal unter den herabgefallenen Lidern liegen. Mit einer fahrigen Bewegung teilt sie die Innereien und schneidet mitten in die Galle. ber die rote Leber breitet sich die dunkle, grnliche Gallenflssigkeit aus. Nona nimmt die Innereien , die Hhnerkrallen und wirft sie Humbolt vor die Fsse. Humbolt hatte vor Tagen pl”tzlich sein Fahrzeug im Kreisverkehr angehalten, war ausgestiegen und hatte den Schlsel weggeworfen. Hinter ihm ballte sich drohend der Stossverkehr der Hauptstadt. Alle wollten auf dem raschesten Weg nach Hause, um das Vorabend programm des Staatsrundfunks nicht zu vers„umen. Nona ”ffnet die Betten, schliesst die offenen Fenster. Dann hilft sie Humbolt aus dem Stuhl und fhrt ihn vorsichtig zu Bett. Sie deckt ihn frsorglich zu und l”scht das Licht. Humbolt liegt im Dunkeln und wehrt verzweifelt den Schlaf ab. Er stemmt sich dagegen, bis er vollends ermdet und unter der H”rschwelle in den Schlaf versinkt. part.2 Humbolt begegnete Aussteigern erstmals auf einer Reise durch Frankreich. Er besuchte einen Freund, der Jahre zuvor die Grazer Szene verlassen hatte, um fr immer nach Frankreich zu gehen, dort zu studieren, zu leben und zu schreiben. Anstatt jedoch seine Studien an einer sdfranz”sischen Universit„t voranzutreiben, schloss er sich einer Gruppe von Aussteigern an, deren einziger Schutzmantel gegenber der Gesellschaft die Ablehnung derselben war. Es war die Zeit, in der Mao Tse Tung und vor allem dessen Idee der Kulturrevolution in v”llig irrationaler Weise zu einem Idol und Ideal der Jugend der westlichen L„nder wurde. Der Freund lebte in einem Seitental der Rhone und betrieb mit Gleichgesinnten einen kleinen Handwerks- und Dienstleistungsbetrieb. Ihre freie Zeit verbrachten sie mit der Suche nach anderen Seinsformen. Sie hingen ihren Vorstellungen von Befreiung und Leben nach. Nach dem ersten Erstaunen ber sein berraschendes Auftauchen entwickelte sich ein mhseliger Dialog, der die Mar zwischen den Auffassungen immer deutlicher werden liess. Humbolt bemerkte rasch, dass man in ihm einen Angepassten sah, obwohl man bemht war, ihn dies nicht merken zu lassen. Er vermerkte die Bitterkeit jener Freundschaften, die sehr freimtig, aber doch eben nur auf intellektller Grundlage gebaut waren. Die Fran hatten einander, ausser zu l„cheln und sprachloser, geradezu hilfloser Gestik, nichts mitzuteilen. Am n„chsten Tag, es war ein Samstag, fuhren sie in die n„here Umgebung. Ihr Ziel war ein relativ niedriges, durch die Zeiten abgetragenes Urgestein. Humbolt versenkte sich in die Betrachtung der uralten, erodierten Felsbruchstcke und versprte das erstemal ein schmerzhaftes Wissen. Er vollzog in Gedanken den Tod der Erde und dachte die Dinge bis an jene schmerzhafte Grenze , an der alles Leben zur Fremde wird. Tage zuvor hatten sie ihr Zelt am Fuss des Mont Saint Michel aufgeschlagen. Er war pl”tzlich aus dem Tiefschlaf getaucht und vermeinte auf der einige hundert Meter entfernten Strasse das Rollen unz„hliger Panzer zu vernehmen. In seiner Angst drang er in Nona und vergrub sich in ihr. Am n„chsten Tag war sie sehr zutraulich zu ihm und erst die Erz„hlung des n„chtlichen Erlebens, von dem er nicht wusste, ob es Traum oder Wirklichkeit gewesen war, lies Distanz aufkommen. Er lief stundenlang allein ber die watt„hnliche Kstenlandschaft. Erst nachdem seine Unruhe vergangen war, kehrte er zum Zelt zurck. Sie n„chtigten im Haus des Freundes und wieder vergrub er sich in Nona. Diesmal schlief er nicht aus Angst mit ihr, nicht aus dem Verlangen nach Geborgenheit. Die reine Lust trieb ihn an, mit ihr zu schlafen und noch nie waren ihm Sinn und K”rper so klar eingegangen und er begriff, dass nicht die Erde, nicht die Sinne , sondern dass es sein Bewusstsein war, das jenes Gefhl ber die Natur aufkommen liess. Dieses Gefhl wrde ihn jedoch niemehr verlassen. Das wusste er damals noch nicht. Am n„chsten Morgen fand er sich auch dem Freunde n„her und nach einem ausgelassenen Picknick im Felde verliessen sie den Ort, um ber Lyon in die Schweiz zu reisen. Nachdem sie Lyon durchqrt hatten, fiel ihm wieder jener junge Deutsche ein, den sie in Avignon getroffen hatten und der ihnen erz„hlte, dass ihm unter LSD Einfluss seine ganze Habe und seine ganzen Dokumente abhanden gekommen waren. Humbolt glaubte nicht, ihm helfen zu k”nnen, denn wie h„tte er ihn ohne Pass ber die Grenze bringen k”nnen. Um so mehr Humbolt an den jungen Deutschen dachte, um so st„rker regte sich in ihm die Empfindung menschlicher Unf„higkeit und um so stiller und verbissener wurde er. Nona bezog diese Verstimmung auf sich. Erst als er sie ber die wahren Beweggrnde aufkl„rte, verlor sie ihre Unsicherheit und meinte, er brauche sich keine Gedanken zu machen. Der junge Mann wrde sich schon durchschlagen. Obendrein wrden doch bei jeder Hilfeleistung nur Schwierigkeiten entstehen. Er wurde ernstlich zornig auf sie. Nachdem er das Gefhl hatte, ihr mehr denn je nahe zu sein, machte ihn die unterschiedliche Auffassung des Vorfalls umso betroffener und er bemerkte, dass sie ihn in wesentlichen Dingen eben doch nicht verstnde. Er verfluchte seine Feigheit und Passivit„t. Eine Passivit„t und Ignoranz, die von den H„ndlern des schnellen Glcks , die n„chtlichen Erlebens, von dem er nicht wusste, ob es Traum oder Wirklichkeit gewesen war, liess Distanz aufkommen. Er lief stundenlang allein ber die watt„hnliche Kstenlandschaft. Erst nachdem seine Unruhe vergangen war, kehrte er zum Zelt zurck. In einem kleinen Ort hielt er vor einem Lebensmittelgesch„ft und kaufte, wie er meinte, eine Flasche Mineralwasser. Nachdem er sie ge”ffnet und daraus getrunken hatte, las er aufmerksam das Etikett, dass ihm nun best„tigte, dass es bloss abgeflltes Wasser, Bergqllwasser war. Dies erinnerte ihn an den Dialog mit einem ”sterreichischen TV-Manager, der ihm einmal erkl„rt hatte, dass man knftighin die Natur vor dem Menschen schtzen msse, mit elektrischen Z„unen und bewaffneten Wachorganen. Man werde diese Natur nur mehr unter Kontrolle aufsuchen k”nnen. Nur mehr unter Beantragung eines mit Kosten verbundenen Passierscheines sollte es m”glich sein, die wildwchsige Natur aufzusuchen. Der Schutz der Natur vor dem Menschen er”ffnet gleichzeitig die Vermarktung und allumfassende Kontrolle der Natur. Der Staat enthalte sich aller Sorgfalt fr den positiven Fortschritt der Brger und gehe keinen Schritt weiter, als zu ihrer Sicherstellung vor sich selbst und gegen ausw„rtige Feinde notwendig ist; zu keinem anderem Zwecke beschr„nke er die Freiheit. Die Sicherstellung des Brgers sichert vor allem die Allmacht des Staates. In Wahrheit gibt es nur mehr den Staat und nichts als den Staat. Die Parteien, die sozialen Organisationen, die Gewerkschaften, die Bnde, die Kammern, die staats- und gemeindeeigenen Banken, die Kinderg„rten und die Schulen bilden die Greifarme des Staates. Und dies alles wiederum wird kontrolliert vom umfassenden Umweltamt. Und alle brgen fr diesen Staat. Der Staat der Nichteinmischung, wie es ihm einmal vorschwebte, der Staat des freien Brgers fr Freie unter Freien, war eine Utopie, ein blosses Hirngespinst. Der Staat selbst hebt den freien Brger auf. Was w„re schon passiert, wenn er den jungen Deutschen in Avignon aufgelesen h„tte. Es h„tte nur einer Erkl„rung bedurft, warum dieser junge Mann s„mtliche Papiere verloren habe, um die Maschinerie des Staates in Bewegung zu setzen. Und die Staatsmaschine h„tte die Staatsmaschinerie des anderen Staates in Bewegung gesetzt. Und wenn dabei herausgekommen w„re, dass Drogen mit im Spiel gewesen waren, w„ren die Schwierigkeiten unabsehbar geworden. Man h„tte den jungen Deutschen gefragt, warum er nicht schon in Marseille eine Verlustanzeige aufgegeben habe. Natrlich hatte er dies vermieden, weil eben Drogen mit im Spiel waren. Und da ihm die franz”sischen „mter ebenso fremd wie die Gesetzeslage waren, dachte er nicht im entferntesten an eine positive L”sung. Der Fall h„tte immer weitere Kreise gezogen, bis zur n„chsten Instanz und immer h”her, bis er in den H„nden der deutschen Vertretung gelandet w„re. Immer wieder steht in Tageszeitungen zu lesen, dass drogenschtige Ausl„nder zu drakonischen Strafen verurteilt werden. Die ursprnglichen Regungen sind durch Verordnungen gesperrt. Folgen wir den Verordnungen, ist scheinbar alles in Ordnung. Helfen bringt Schwierigkeiten. Der geringste Ausbruchsversuch erregt Unordnung, Aufsehen, wirkt verwerflich. Wer das Gesetz bricht, lebt ausserhalb, vogelfrei. part.3 Wien schm„lert den Blick und d„mpft die Stimmung. Diese Erfahrung war ihm nichts nes. Weiss Gott, warum er gerade hier lebte. Wien stellte fr ihn die Abwesenheit vieler seiner wesentlichen Empfindungen dar. Nur eines, mit den Menschen konnte er hier reden, Gedanken wechseln. Die Welt als abhanden gekommen sehen, und die Sehnsucht danach wieder verspren. Der Winter war angebrochen. Eine berm„ssig lange F”hnperiode h„tte es ihm anzeigen k”nnen, aber er nahm es wie jeder in dieser Stadt nicht wahr. Die Windb”en, die den Smog aus der Stadt jagten, die B”en, die an den Fenstern rttelten, die B”en , die D„cher entbl„tterten und die Ferwehren ausrcken liessen, hatte er verschlafen. Und als er auf die Strasse trat, von seinem Arbeitsraum weg hin zu Nona ging, sprte er die K„lte und nahm erschrocken die Ver„nderung wahr, die sich an den Menschen vollzog. Die Farbe der Kleider und die Gesichter verschoben sich ins Dstere und Bleiche. Als er dann abends bei Nona sass, einen Fernsehfilm vor sich und Nona und das Kind schon lange schliefen, dachte er daran, dass nun die langen N„chte kommen wrden, die N„chte des Wartens nach dem Wiederaufleben der Natur, und er sprte, dass er ein Jahr „lter geworden war. Der Wechsel der Jahreszeiten l„sst das Altern verspren. Wie wenig die technologische Welt auf diese Bewegungen eingeht. Der asynchrone Takt der Natur zur Zivilisation l„sst die Natur als fremd und st”rend erscheinen. Der Kultkalender der Barn ist zu fragwrdigen Symbolen, deren Bedeutung niemand mehr nutzt, verkommen. ber das Leben wacht die digitalisierte Zeit, die uns glauben machen soll, dass es Kontinuit„t und Dar g„be. ber die einfache Asynchronit„t, dem Fehlen von bereinstimmung, von chronologischer Zeit und sinnlicher Naturwahrnehmung soll nicht nachgedacht werden. Das gef„hrdet die knstliche Ordnung der Zivilisation. Die knstliche Ordnung der selbstkonstruierten Maschinen, das Spinnennetz aus Technologie und Verwaltung, das zur realen Welt geworden ist. Sie hatten die Welt der Natur verlassen und waren zur technokratischen Ordnung bergegangen. Erst die Verschmelzung von Wahrnehmung und Sprache l„sst den Begriff entstehen. Die Reduktion der Welt, ihrer vielf„ltigen Erscheinungsformen fhrt zur Verkmmerung der Sprache. Der gefgte Begriff ist ein Analogon des Wirkenden. Die Vielfalt der Sprachen der Welt sind Ausdruck unterschiedlicher Umwelterfahrung und Umweltreaktion. Sich wieder dem Kosmos sprachlicher Nuancierung ann„hern. Den Gesang verstehen, jenes syn„sthethische Erlebnis von Farbe, Klang und Sinn. Aus der K„lte der Zivilsation in die Tiefen des Dschungels eindringen, voll von schwirrenden, surrenden, sausenden T”nen, in ein atomares Echo, sich unendlich reflektierend in immer nen Variationen. Er erinnerte sich an den Vers, den er bei Dante gelesen hatte, an jenes Bild ber den Verlauf von Wasserwellen, die von der Mitte zum Rand und vom Rand zurck zur Mitte eilen. Alle Bilder und alle Sprache ist blosse Spreu gegenber dem wirklichen Erleben. Er glaubte damals, in das Wesen der mittelalterlichen Meditationstechniken eingedrungen zu sein, eine Vorstellung von der Reizung und Entfaltung der Sinne gewonnen zu haben. Er hatte sich zur selben Zeit der Sprache bem„chtigt . Sie st”rte nicht mehr. Der Sinn begann mit der Sprache zu spielen. Die Familie ist beherrscht von sinnlichen Genssen und der Gier nach materiellen Gtern, Friede ist ausgeschlossen; st„ndig versinkt sie im Sumpf der Leidenschaften; Geiz, Hass, Entt„uschung, Zorn, Hochachtung, Selbstsucht. So Carlos Fntes in >Nichts als das Leben<. Hier lebt eine grosse Familie, nur dass aus Zorn Verschlagenheit, aus Hochachtung Ver„chtlichkeit und aus Selbstzucht Gleichgltigkeit wurde. Die Bewohner dieser Stadt waren leicht zu irritieren, weil die wenigsten von ihnen Klarheit ber ihr Leben hatten. Und waren sie einmal oder im schlimmeren Fall mehrmals verfhrt worden, verschlossen sie sich knftig jeder Nerung um so mehr. Die Tr„gheit der Bewohner und ihre geradezu rckst„ndig zu nennende Bildung leistet den entschiedensten, allerdings passiven Widerstand gegen jeden, fast jeden Versuch der Nerung. Die gr”ssten Traumt„nzer kamen hier zu Achtung und Einfluss, ohne dass ihre Leistungen wirklich von Wert gewesen w„ren. Es gengte vollkommen, auf den richtigen Festen zu tanzen und die einzige Form von Aufnahmsprfung ist, auf den richtigen Festen zu tanzen, die richtigen Leute und damit den richtigen Weg zu kennen. Dieser Stadt war mit Qualit„t nicht beizukommen. Der Schm„h, die denunziatorische Gerchteb”rse, der Tratsch in den Lokalen der inneren Stadt, verzerrten alle Ereignisse unter dem Deckmantel lauteren Moralisierens bis zur Unkenntlichkeit. Die klarsten Einsichten wurden durch mangelndes Verstehen verstmmelt. Mit Kunst konnte man diese Stadt berhaupt am leichtesten t„uschen. Dies lag allein schon daran, dass Kunst bloss als gesellschaftlicher Aufputz und nicht als ernstzunehmende T„tigkeit anerkannt wurde. Die Energie, die Humbolt auf seinen Reisen speicherte, verlor sich nach drei, vier Tagen Anwesenheit in dieser Stadt. In der ”sterreichischen Literatur kursiert eine Theorie, die besagt, dass es nur im Zustande des Leidens m”glich w„re, zu schreiben. Eine Theorie, die in anderer Form, bei Young anklingt. Er behauptet, dass Erkenntnis dem Sterben gleichk„me. Das todesselige, prunkvolle Barock bildet den kulturhistorischen Rahmen dieses eigenartigen Wiens, das dieser seltsam verqren Weltbetrachtung, die offensichtlich nur den Trarnden die Welt richtig sehen l„sst, so verfhrerisch entgegenkommt. Humbolt nahm einen Apfel vom Bord, biss hinein und erkannte. Der Alte hatte einmal in einem Gespr„ch erw„hnt, dass Kunst eben deswegen Kunst sei, weil sie nicht Natur ist. Die Natur ist das eine und der Begriff ein anderes. Das Trugbild von der Gleichstellung von Wissenschaft, Kunst und politischer Theorie, die Grundlage des Denkens der sechziger und siebziger Jahre, l”ste sich in nichts auf. Naturwissenschaftliches Denken schliesst Kunst aus. Die Objekte verstellen den Weg. Die Verben verschwinden im Untergrund. Jenseits und dahinter kann Humbolt nichts ausmachen. Wien und Salzburg, Hochburgen des Spiels auf Leben und Tod, pr„gen mit ihrem barocken Denken die Erziehung des Landes. Das Spiel der Moral von Leben und Tod hat sich in den buntesten und sattesten Farben ber der Landschaft in den K”pfen der Bewohner niedergelassen. Die Kirchen Lateinamerikas gleichen denen in den habsburgischen Erblanden. Die Konquistadoren der Freiheit sind ber den ganzen Erdball verstreut. Die traurigen Gestalten der Indios durchziehen das peruanische Hochland. Die Pl„tze vor den Kirchen sind ver”det. Den Skulpturen wurden H„nde, Insignien und die K”pfe abgeschlagen. Der Schamane schttet auf dem heiligen Berg dreimal gebrannten Schnaps in alle Windrichtungen und verbrennt den F”tus des Lammes auf einem Haufen getrockneten Kuhdungs. Die Ger”llhalden der alpinen Gebirgsmassive, die knapp unter dem Gipfel hervorbrechenden Steinbl”cke, erzeugen vollkommen andere Gedanken, wecken Empfindungen, die ausserhalb der menschlichen Kultur stehen. Jetzt, auf dem Bahnsteig, auf dem Bahnhof von Gstatterboden, hinter mir das Totenk”pfl, vor mir der Zug, der mich aus dieser Gegend wegbringen wird, auf dieser verlassenen Bahnhofszeile, berf„llt mich eine Leere, die ich nicht mehr auszuloten weiss. Johnsbach; hier liegen die begraben, die sich am Berg versuchten und zu Tode strzten, deren Familien nicht die Mittel aufbringen konnten oder auch nicht wollten, um den Leichnam in den Heimatort zu berfhren. Hier liegen ihre Reste, ohne Beziehung zum Ort, abgesehen von jenem einen Tag im Berg, der ihr letzter sein sollte. Menschen aus der Fremde. Vor vierhundert Jahren wurde dieser Ort dem Erdboden gleichgemacht. Kaiserliche Kohorten brannten die H„user nieder, schlachteten das Vieh, r„derten und henkten die M„nner, erstachen die Fran und erdrosselten die Kinder. Die Johnsbacher Barn, Bergleute und Holzknechte, waren Wiedert„ufer gewesen. Die Enns teilt das Gebirge, gl„ttet die Steine und fliesst in Richtung Ober”sterreich. Die Waggons sind mit Holzst„mmen beladen. Auf dem Platz davor sind grosse Mengen Holz zum weiteren Transport gelagert. Mich friert, die Spitzen der Berge sind in Nebel gehllt. Regen nieselt ins Ges„use. Ich wage nicht, mich in den Warteraum zu setzen, in diesen Warteraum, der nach mit ”l eingelassenem Holz riecht, nach schwellendem Koks, nach Abfallresten. Ich wrde hier nichts anderes tun k”nnen, als hin und wieder nach dem Bahnbeamten hinter dem kleinen Schalterfenster sehen und auf die Fahrplantafel starren. Hier heraussen gibt es wenigsten Regen und etwas Wind. Die H„nde habe ich in meinen Manteltaschen vergraben. Warter„ume beunruhigen mich. Der Novembernebel kriecht den Berghang herab. Nebelfetzen verfangen sich in den Spitzen der Nadelb„ume. Vor mir leuchten die Signallampen des Bahnhofes, sie leuchten rot. Die Leere ist nichts anderes als Alleinsein. Ich werde Tage brauchen, um den Menschen wieder nahe zu kommen. Der Zug f„hrt ein, Humbolt ”ffnet die Tr, klettert die Metalltreppe hoch und setzt sich in den leeren Waggon. Der Adler verl„sst den dunklen Bereich der steinernen Wand und h„lt nach Beute Ausschau. ber dem Sinai tobt ein Sturm. Humbolt liegt auf einer ledernen Bahre, der Schamane streut ber seiner Brust Kokabl„tter aus. Er umtanzt den K”rper Humbolts in knappen, verhaltenen Bewegungen. Danach spuckt er ein Gemenge aus Regenwrmern und Lammblut vor den Augen Humbolts aus. Die Landschaft dehnt sich. Den L„mmern wird roter Wein eingefl”sst, das Fell wird mit Confetti bestreut. Die Regenschar waschen das Holz der Brcken ber den Schluchten rein. Die Gew„sser branden weiss und sch„umend zu Tal. Die B„ume ”ffnen ihre Poren und saugen das Wasser in sich auf. Donnerschl„ge grollen ber die Landschaft hinweg. Auf das Dach des Waggons prasseln Hagelschlossen. Alle Erinnerung kommt sentimentalem Rckfall gleich. Die Familie l„sst uns nie mehr los. Die Einbildungen verhllen die Wirklichkeit. Gegen den Strom schwimmen zehrt an den Kr„ften. Mit dem Strom treiben und am Ufer stranden. Aus dem Ritual ausbrechen und von den Priestern als warnendens Beispiel benutzt werden. Sie erwarten das Scheitern ohne innere Ungeduld. Sie haben nichts anderes zu tun , als hinzuweisen. Denn nichts l„sst sich leichter zeigen als ein Bild des Menschen. Als Humbolt am Ende der Sackgasse angelangt ist, sieht er an den W„nden hoch und bemerkt, dass er in einem anderen Land angekommen ist. Einem Land, das viel „lter ist, als er angenommen hatte. In diesem Land wurden Kinder nur geboren, um die leergewordenen Pl„tze aufzufllen, um dem berkommenen Geb„ude den lebendigen Zusammenhalt zu geben. Ver„nderung wurde hier als Erziehung begriffen, als Anpassung an das Gegebene. An eine Ver„nderung der Einrichtungen wagte hierzulande keiner zu denken. Die, die es trotzdem taten, mussten mit den schlimmsten Folgen rechnen. Jeden Angreifer erwartete Demtigung. Die St„dte, die Organisationsform der modernen St„dte bt einen ungeheuren Druck auf die in ihnen lebenden Menschen aus. Die Kraft dieses Druckes kam Humbolt auf seinen Reisen, in entfernte, unberhrte Landstriche immer wieder zu Bewusstsein. Mit der Entfernung von den St„dten nahmen die Verpflichtungen, Einschr„nkungen und Regulative, die der zwischenmenschliche Verkehr in eben diesen grossen Ballungen fordert, immer mehr ab und wurden durch jenes Gefhl, das eben nur Befreiung ausl”sen kann, berwunden, vergessen gemacht und als eben nur den St„dten zugeordneter Zustand erkannt. part.4 Er hatte Karger wieder getroffen. Er war vor der Auslage eines Gesch„ftes gestanden und hatte die ausgestellten Waren betrachtet. Karger war auf ihn zugegangen, hatte ihm ins Gesicht gesehen und gebeten, ihn doch auf ein Bier einzuladen. Humbolt wusste, dass es Karger nicht um das Bier ging. Karger wollte mit ihm reden. Karger hielten sie alle fr einen nutzlosen und haltlosen Trunkenbold. Sie setzten sich in eines der Gasth„user der inneren Stadt. Das Gasthaus war gut besucht. Die Kellner eilten mit Krgeln Bier, Gl„sern Wein, Blutwrsten, Schweinsbraten und Gulasch durch den Raum, von Tisch zu Tisch. Sie nahmen Bestellungen auf, von den G„sten in knappen S„tzen hingesagt, servierten, brachten ne Getr„nke, holten ihre grossen Brieftaschen hervor, um zu kassieren. Humbolt bestellte zwei Bier. Karger schwieg. Humbolt wusste, dass er erst nach dem ersten Bier zum Reden anfangen wrde. Er brauchte den Alkohol, um sein Hirn in Fahrt und seine Zunge zum Reden zu bringen. Vor Jahren noch war er einer im Vorfeld gewesen. Er war zwar nie Wortfhrer, hatte aber rasch den Zug der Zeit verstanden und versuchte auf seine Art, den m”glichen Weg zu finden. Karger hatte mit allem gerechnet, nur mit dem Unverstand seiner Weggenossen hatte er nicht gerechnet. In jener Zeit wurde man sich schnell einig. Einigkeit bedeutete damals Widerstand gegen das System. Die Beweggrnde und die Motivationen des einzelnen konnten leicht ber den Kamm geschoren werden. Es gengte der Ruf nach Ver„nderung des Bestehenden, um eine ganze Generation in den Bann zu ziehen. Die Losungen waren einfach, die politischen Verh„ltnisse schnell erkl„rt, der Bruch mit der Elterngeneration von vornherein gegeben. Wer A sagt, muss nach B gehen, um Z zu erreichen. Nachdem der ersten Deutung der Widersprche zugestimmt war, musste auf den weiteren spielen gelernt werden. Die Huhn und Ei, Ei und Huhnakrobaten erlebten einen weiteren kurzen Frhling und machten sich das allgemeine Unbehagen zunutze. Es ging um ein h”heres Ziel. Haschisch war in, Lieben war in, Trinken war in, und Revolution wurde zum geflgelten Wort. Nur verstand unter diesem Wort jeder seine ganz pers”nliche Version. Das Proletariat erlebte einen ungeahnten, historischen Aufschwung. Ein Umsturz jagte den anderen; in den K”pfen. Die Sprache des Deals vermischte sich nahtlos mit politischer Agitation. Die Drogen machten es einem leicht, ber die tristen Verh„ltnisse und die kaum aussichtsreichere Zukunft hinwegzusehen. Die politische Analyse hatte das bestehende System l„ngst auf den Misthaufen der Geschichte geworfen. Man glaubte sich in dem Zeitalter, in dem jeder nach seinen Bedrfnissen befriedigt wurde. Das Dunkel der Geschichte lag hinter ihnen, die Alten hatten unrecht gehabt, und die Tage ohne Zwang schienen angebrochen zu sein. ber Kargers Redaktionsschreibtisch in einer linksorientierten Tageszeitung war einmal ein Bild gehangen. Das Bild zeigte ein nacktes M„dchen mit ge”ffneten Schenkeln, den Oberk”rper abgesttzt und den Kopf in den Nacken gebeugt. Auf das Geschlecht des M„dchens zeigte ein Pfeil, und darber stand Freud geschrieben, und auf den Kopf der Frau zeigte ein Pfeil und darber stand Marx geschrieben. Jetzt, nachdem er den einen eingehend gelesen und den anderen in die Praxis umsetzen wollte, wsste er endlich, wie widersprchlich dieses Bild sei, meinte Karger und verzerrte hastig eine Semmel. Manchmal komme es ihm vor, dass seine Liebesbeziehungen an der Revolution und die Revolution an der Liebe gescheitert seien. brig geblieben w„re nichts als blosse Aggression und darauf folgende Resignation. Darber k”nne ihm auch der Alkohol nicht hinweghelfen. Er h„tte sein Leben in fremden K”pfen verschwendet, seine Regungen von vornherein durch Ideen anderer zensuriert. Er habe sich selbst abgewrgt. Er msse sich eingestehen, dass seine sozialen F„higkeiten verkmmert, von Anfang an verkmmert gewesen seien. Und damit lasse sich weder eine Revolution, noch ein Staat machen. Da h„tten auch systemver„ndernde Ansprche und Modelle nichts gentzt. In den meisten F„llen w„ren es blosse Einf„lle gewesen, um das Versagen im Zwischenmenschlichen zu kaschieren, und daraus w„ren Moden geworden. Aus der Familie in die Gruppe, der Traum von der kollektiven Lust. Aus der Gruppe in die Zweierbeziehung, daraus wieder zur Familie und nach deren Scheitern zum Single. Und brig bliebe nichts anderes, als Peeps, versoffene Wichser und mrrische Einzelg„nger. Verbl”dete do it yourself Entertainer, die sich ihr Versagen von lautstarken Diskokanonen aus dem Hirn treiben liessen und sich in den Trend angebenden Zeitschriften als Selbstdarsteller feiern liessen. Der gesellschaftliche Anspruch habe sich auf das Festhalten an den Theken reduziert. Sie tr„fen sich nur mehr, um einander zu zeigen, dass sie auch noch auf der Welt w„ren. Politik und Gesellschaft w„ren zu einem schlechten Biertischwitz verkommen. Und die Ansicht von der Familie als kleinbrgerliches Relikt sei ja nichts anderes als Selbstt„uschung, die vor der Tatsache des Alleinseins schtze. Ihr ganzer Glaube an Marx und an das Kollektiv h„tte doch nur ein paar Theatertruppen und Filmschauspielern zu einem eintr„glichen Gesch„ft verholfen und jener obskuren Thekenkraft aus dem Cafe Bojodar zu einem gutgehenden Speiserestaurant, aus dem sie jetzt die Exlinken nach Belieben hinausfern k”nne. Vor einem halben Jahr w„re er wieder bei ihr gewesen und sie h„tten weit ber die Sperrstunde hinaus gesoffen. In einem pl”tzlichen Anfall von Spendiererei stellte sie ein paar Flaschen Rose auf den Tisch und nach der vierten Flasche sprang sie selbst auf den Tisch, schttelte die Faust und forderte brllend die Weltmacht der Frau. Glcklich die, die berleben, sich frh genug anpassen und besitzen. Denn nun gilt es nur mehr, den Besitz revolution„r zu verteidigen. Er wolle gar nicht dran denken, wieviele N„chte er in dieser und „hnlicher Weise sinnlos verbracht habe. Die Beziehung zu seiner Frau, und die liebe er denn doch, h„tte darunter mehr als gelitten. Aber auch er leide an dieser Liebe. Er komme sich vor wie in einem Fahrzeug, das ziellos dahinfhre und auf dessen Sterung er keinen Einfluss mehr habe. Die Befreiung sei zu einem Satyrspiel geworden. Freie Sexualit„t nichts anderes als das alte Nuttentum. Freiheit, Liebe, Offenheit, Gewaltlosigkeit, die Begriffe l„gen jeder Wirklichkeit fern. Als ob sie nur ein bler Taschenspielertrick gewesen w„ren, den Partner ber die wahren Absichten hinwegzut„uschen. Er selbst habe oft genug die Hoffnungen anderer missbraucht. Er k”nne sich nur mehr als eine j„mmerliche Karikatur eines menschlichen Traums begreifen. Er h„tte es sich viel zu leicht gemacht und keinerlei Widerstandskraft bewiesen, nun msse er wohl oder bel die Folgen tragen. Nichts gegen ihn, Humbolt, nein, gegen den allgemein gebten geistigen Verkehr, den vorherrschenden Gedankenaustausch, den Bewusstseinshandel. Natrlich erm”gliche eine vielf„ltige Wirklichkeit eine vielf„ltige Sprache. Und natrlich w„re die Sprachverarmung aus einer Verarmung der Wirklichkeit hervorgegangen. Die Sprache w„re der Wirklichkeit gegen- ber verantwortlich und nicht umgekehrt. Je ereignisarmer die Wirklichkeit w„re, desto „rmer sei auch der sprachliche Ausdruck. Das sei doch ein eindeutiger Fall. Er beginne diese Sprach- und Sozialmaschinisten immer mehr zu verachten. Diese Auswendiglerner, diese Aufsager, diese Wiederholer, diese Erfller, diese Nachfahren ihrer indolenten Vorfahren, diese theatralischen Redner, diese Wortedreher, diese Gestenmacher. Im besten Falle br„chten sie es zum Leitartikler einer renommierten Tageszeitung. Zum Vork„r der Wiederk„r. Schluss mit den Leitartiklern! Er k”nne das alles nicht mehr lesen und nicht mehr h”ren; die Mama hat gesagt, der Papa hat gesagt, der Lehrer hat gesagt, der Vorgesetzte hat gesagt, der Minister hat gesagt, der Kanzler. Ja warum haben sie denn das alle gesagt? Und sie lassen Christi, Lenin, Marx und die ganze abendl„ndische Philosophie aus ihrem Munde ert”nen. Sie machen sich zu Sprachr”hrern der gesamten Friedh”fe des menschlichen Denkens. Sie verlassen sich auf die Worte anderer, wie ein Angestellter auf seinen Gewerkschaftsfunktion„r. Da denken sie nach ber Sprache und Verhalten, die Nachfahren des guten Benehmens und des guten Tons. Jeder von ihnen hat seine Verhaltensikonen im Kopf, von links bis rechts eifern sie im Wettbewerb um die bessere Vergegenst„ndlichung der Welt. An Sinn fr die Gegenwart fehlt es ihnen entschieden. Und selbst wenn sie nur eine Spur Sinn h„tten, wrden sie bloss ihre Nichtswrdigkeit ahnen. Humbolt bestellt sich noch ein Bier, und denkt daran, dass die B„ume jedes Jahr blhen, auf den Feldern jedes Jahr wieder das Korn w„chst und die Fran im Frhjahr sinnlicher aussehen als im Winter. Die Geschichte dieser Stadt ist st„rker als ihre Gegenwart. Und daran zu rhren k„me einer Grabmalsch„ndung gleich. Die Fsse ruhen fest auf dem Boden der Kaffeeh„user und die Welt wiederholt sich im Kopf. Humbolt frchtet um Karger. Er hat Angst davor, dass Karger vollends zugrunde gehen k”nne. Zu einem Sozialfall werden wrde. Zu einem Fall fr Frsorger und Psychiater. Karger s„uft den n„chsten Schnaps in sich hinein. Humbolt ist sich im klaren darber, dass Karger dies tut, um sein Hirn Schluck fr Schluck zu paralysieren. Von den Normalbrgern war er l„ngst schon zu einem armseligen Alkoholiker erkl„rt worden. Seinen Gedankeng„ngen, jenen ozeanischen Reisen durch die unvorstellbarsten Strme menschlichen Einfalls, hatten sie so nie folgen k”nnen und so hielten sie sich lieber an den Sprachschatz der „rztekammer. Humbolt hatte schon vor einiger Zeit festgestellt, dass in dieser Stadt die Sprache der Analytiker und Verhaltensforscher Platz gegriffen hatte. Und die Soziologen leisten ihnen, obwohl als Gegner auftretend, Schtzenhilfe. Karger versuchte, sich von den g„ngigen Wortkonstellationen loszul”sen. Er bewegte sich hin zu Bildern reiner Anschauung, hin zu Sprachformeln, die den Sinn im Gang hielten. Die allt„gliche Sprache ist doch nur ein hohles Gerst, ein l”chriges Sieb. Und, fuhr Karger fort, umso enger, umso feiner wir dieses Netz aus Sprache ber die Wirklichkeit werfen, umso schmerzvoller beginnt sich unsere Seele dagegen zur Wehr zu setzen. Diese verdammten Vorbilder mssen endlich von einem reissenden, alles mit sich reissenden Strom berflutet werden. Die Entfernung zum Menschen nimmt zu. Die Architektur tritt klar hervor . Im Hintergrund pfeift die Kaffeemaschine und der Ober l„sst eine Tasse fallen. Am Gipfel des Berges angelangt, zeigt sich dieser meist im tiefen Nebel. Karger wird mit seiner Vergangenheit nicht fertig. Mitten im Gespr„ch stockt er, sieht auf den Tisch oder sieht die Wand an, verkriecht sich, nickt manchmal bejahend, h”rt aber offensichtlich nicht mehr zu und l„sst den ausreden, der gerade redet, bis er den Faden und das Interesse an weiteren Mitteilungen vollkommen verloren hat. Manchmal ersucht er , einen Satz wiederholt zu h”ren, der schon einige Minuten vorher gefallen war, nur um seine scheinbare Teilnahme zu bekunden. Der kann reden was er will, er h”rt so oder so nur mit einem halben Ohr hin, das alles hat mit ihm nichts zu tun, aber schon gar nichts zu tun. Warum k”nnen sie ihre Angelegenheiten nicht im eigenen Kopf behalten. Er selbst hat gengend Schwierigkeiten, wieder Boden unter den Fssen zu bekommen. Er bel„stigt sie ja auch nicht mit seinen Schwierigkeiten. Selbst wenn er ihre Dummheiten kritisiert und dabei einen sch„rferen Ton anschl„gt, kommen sie mit ihren Banalit„ten, wie intolerant, wie agressiv und weiss der Teufel noch was er w„re. Den meisten geht so oder so der Zusammenhang w„hrend des Redens verloren. Muss man sich wirklich jeden Schwachsinn anh”ren, um nur als freundlicher Mensch zu gelten zu wollen. Nur mit Humbolt k”nne er noch reden, da spre er noch etwas. Karger sagt, dass er keinerlei Ordnung mehr vertragen k”nne. Jeder geregelte, vorhersehbare Ablauf mache ihn unruhig. Jede Handlung, die er schon einmal erlebt habe und der er wiederum beiwohnen msse, mache ihn unruhig. Er h„tte es satt, zwei Abschnitte zu h”ren und die restlichen zehn vorhersagen zu k”nnen. Das erwecke tiefes Unbehagen in ihm. Er selbst wolle keine Regeln mehr erfllen, das sei ihm zu billig. Er grsse deswegen auch nur mehr „usserst selten. Er sehe sich dazu auch nicht veranlasst. Er sei auch nicht mehr f„hig, sich anzupassen. Er erachte Anpassung fr etwas Widerw„rtiges, fr ein bel und die Grnde, die zugunsten von Anpassung hervorgebracht wrden, seien fr ihn ohne Gewicht. Das sei zwar verwunderlich, da ja gerade er sich jahrelang fr Recht und Ordnung eingesetzt habe. Aber es w„re in ihm Widerwillen entstanden und von dann an habe er nach Grnden zu suchen begonnen, nach Grnden der Rechtfertigung. Er habe aber keinen zureichenden Grund gefunden, Regeln, die ihm urpl”tzlich grundlos erschienen, weiterhin zu befolgen. Er habe jahrelang versucht, sich an die Verh„ltnisse anzupassen, sie hinzunehmen, aber das sei ihm jetzt nicht mehr m”glich. Er k”nne sich an die Verh„ltnisse eben nicht gew”hnen und damit basta. Ja, mit dem Grssen, da w„re es ihm aufgefallen. Er h„tte nicht mehr einsehen k”nnen, Menschen zu grssen, mit denen er doch kein weiteres Wort wechseln konnte.. Das sei ihm gegen den Strich gegangen. Von H”flichkeit habe er nie viel gehalten. Obendrein w„ren die Menschen ins Gesicht hinein freundlich, aber in Wahrheit w„re ausser dem Schein der Freundlichkeit doch keine Gemeinsamkeit vorhanden, und das sei ihm zuwenig und das w„re berhaupt die oberfl„chlichste und belste Form der Anpassung. Er h„tte ein fr allemal damit aufger„umt. ber die Konseqnzen sei er sich im klaren. Dass sein Verhalten zu Streitereien, Widrigkeiten und auch zu v”lliger Vereinsamung fhren k”nne, sei ihm letzlich egal. Er sehe keinen Grund mehr, dieses H”flichkeitsspiel mitzuspielen. berraschend fgte er hinzu, dass er nicht die Absicht habe, Selbstmord zu begehen. Das sei ihm zutiefst zuwider. Er sei geboren , um zu leben, daran halte er auch weiterhin fest. Jedoch an diese Umwelt k”nne er sich nie mehr gew”hnen. Er wrde sich knftig mehr dem Zufall berlassen, aber da h„tte er die gr”ssten Schwierigkeiten. Der Begriff des Zufalls, ein zuf„lliges Ereignis, widerspr„che vollkommen seiner Erziehung. Wie oft w„re er in seinem Leben schon daran vorbeigegangen, gegen seine Wnsche, gegen seinen Willen, nur um einem anerzogenen Gesetz zu folgen, und wie schmerzhaft w„re es gewesen, wenn er daran zurckd„chte, und sich ausmalte, wie es sich entwikkeln h„tte k”nnen, wenn er nur auf die verschiedenen Aufforderungen eingegangen, einem zuf„lligen Ruf gefolgt w„re. Auch diese berlegungen h„tten sein Weltbild ins Wanken gebracht. Ihm, der sei> ------------------------------------------------------------------------ Transfer interrupted! , war es nicht m”glich gewesen, die Ereignisse zu bestimmen, die gefolgt w„ren, wenn er einer derartig zuf„lligen Stimmung oder Aufforderung nachgegeben h„tte. Und das erstemal w„re ihm klar geworden, dass es in ihm unbestimmte Gefhle, Empfindungen gab, die ausserhalb seines klaren Bildes von der Welt und von sich selbst standen. Ja, der Zufall, auf den wolle er jetzt setzen und von dem organisierten Geschw„tz habe er ein fr allemal genug. Und man solle ihn doch, verdammt seien sie alle, in Ruhe lassen. Ruhe sei das n”tigste, das er jetzt brauche. Er komme mit der Welt nicht mehr zu Rande, er habe zulange nach den Regeln, nach den Bestimmungen dieser Welt gelebt und zu sp„t erkannt, dass diese Bestimmungen falsch seien, ja geradezu gegen ihn selbst liefen, und damit wrde er nicht fertig. Er, nur er, habe sich diesen Weg gesucht, keinen anderen gefunden, und wenn Jemandem das nicht passe, msse er auch nicht mit dem reden. berhaupt gehe ihm jedes Gespr„ch ab einem gewissen Punkt auf die Nerven, und er msse dann zu streiten beginnen, ob er wolle oder nicht. Es zwinge ihn direkt, einen Streit anzufangen, den anderen seine Meinung aufs entschiedenste zu sagen, und die Meinung fiele nie gnstig fr den anderen aus. Es sei eben so und liesse sich nicht „ndern. Er habe ja nicht um Ansprache gebeten, sondern man h„tte ihn ja angesprochen. Nur an ihn wrden Forderungen gerichtet, und nie h„tte er welche an Andere gestellt. Diese Forderungen, da k”nne er direkt in Wut geraten. Man msse ihm nur sagen >das musst du tun< und er ginge schon in hellstem Zorn auf. Das habe ihn schon manche Freundschaft gekostet. So, wie er manche aufgegeben habe, da er doch Dummheit nicht ausstehen k”nne. Gegen diese Natur sei nichts zu machen. Er habe jahrelang dagegen angek„mpft und sich immer wieder gesagt, man msse doch aus den Fehlern lernen. Er k”nne jedoch nicht mehr unterscheiden, ob es seine Fehler oder die der Anderen w„ren. Und jetzt sei endlich Schluss damit. Was aus ihm werden wrde ? Das sei ihm v”llig gleichgltig. Er schere sich keinen Deut darum, und er gehe jetzt stur diesen Weg, den er sich vorgenommen, der ihm letztendlich aufgezwungen worden w„re. Er habe sich in der Gesellschaft, in die er da hineingeboren worden war, verheddert und verstrickt, und er wrde sich jetzt mit allen Mitteln davon l”sen, wenn n”tig, daraus ausbrechen. Dieses Leben, so wie sich herausgestellt hat, dieses Leben, wie er es in Wirklichkeit vorgefunden habe, das habe er nicht, entschieden nicht gewollt. Er komme sich vor wie ein Fisch, der in einem Netz zapple, und er w„re wtend auf sich, wenn er nur daran d„chte, dass er an diesem Netz selbst mitgewoben habe. Er msse raus, raus mit allen Mitteln, ansonsten msste er untergehen. Er lasse sich nicht mehr unterdrcken, bevormunden, gebieten, auch nicht mehr leiten, er habe zutiefst Abscheu davor. Er h„tte das Netz ja nicht wirklich geschaffen. Er sei zwar eine Zeitlang dafr gewesen, aber er sehe nicht mehr ein, warum er in einem solchen Netz leben solle. Er verlange das ja von anderen, zumindest jetzt auch nicht mehr. Er meine ja nicht ein Netz, das tats„chlich existiere, und er w„re ja in einem solchen auch nicht wirklich verfangen. Er habe sich nur ein anschauliches Wort ausgesucht, und Netz habe eben fr ihn diese Bedeutung, er verwende es nur in einem bestimmten Sinne und es w„re bloss ein Krzel fr weitl„ufige Zusammenh„nge gesellschaftlicher Natur. Mit den Worten sei das so eine Angelegenheit. Er fhle sich auch in einem Netz von Worten verfangen. Er wisse zwar genau, dass die Worte fr Vorg„nge, Objekte und Eigenheiten stnden, quasi ein Bild der Zust„nde darstellten, aber er h„tte mit Entsetzen bemerken mssen, dass seine Worte, sein Begriffsverm”gen nicht immer mit der Wirklichkeit, das heisst, seiner Wahrnehmung von Wirklichkeit, bereinstimmten. Worte h„tten immer schon fr ihn eine ganz bestimmte Bedeutung gehabt. Er habe einmal in der Schule das Wort >Verhaltensmuster< geh”rt und dieses Wort habe ihn seither nicht mehr losgelassen, besser gesagt, das Nachdenken darber habe ihn nicht mehr losgelassen. Es sei seltsam. Fr ihn sei das nicht nur ein Wort. Es sei daraus eine sehr konkrete Erfahrung entstanden. Die Bedeutung, der Sinn, die Vergegenst„ndlichung, sei ihm zutiefst eingegangen. Nur frage er sich nun, ob ihn dieses Wort nicht auf die Wirklichkeit hingewiesen, ihn darauf gestossen habe. Ja, dass er erst dadurch die Wirklichkeit wahrgenommen habe. Und aus dem Wort >Verhaltensmuster< w„re fr ihn sinngem„ss das Wort >Netz< erwachsen. Nein, er h„tte ein Wort durch ein anderes ersetzt. Er habe eine Zeit lang auch nach anderen W”rtern gesucht. Er habe danach getrachtet, seine Eindrcke eindeutiger, umfassender in Worte zu kleiden, und dabei w„re er auf das Netz der Worte gestossen, und nun k„me es ihm manchmal vor, dass er ebensowenig aus seiner Haut, wie aus seiner Sprache heraus- k”nne und das treibe ihn manchmal fast zum Wahnsinn. Denn noch immer nicht stimmten seine Eindrcke, seine Wahrnehmungen mit den Worten berein. Denn dieses Netz bestnde zwar, wie jedes Netz, aus Maschen, aber diese Maschen w„ren nicht fix miteinander verbunden. Ja es g„be berhaupt nichts Fixes an diesem Netz. Er h„tte sich das frher immer fix vorgestellt, eine klare, unver„nderliche, geometrische Konstruktion, an der es nichts zu rtteln gebe. Und es verst”re ihn besonders, dass er dieses Netz nicht einmal zerreissen k”nne, da doch die Maschen nicht einmal direkt miteinander verbunden w„ren, aber doch w„re es ein ganzes Netz. Nur gingen die Maschen, auch Maschen seien kein treffender Begriff mehr, es falle ihm jedoch jetzt nichts anderes ein, wie gesagt, die Maschen in einem verwirrenden Wechselspiel ineinander ber, und das Netz wrde sich immer wieder ver„ndern und nie die v”llig gleiche Figuration aufweisen. Obwohl es den Anschein habe, dass sich manche Vorg„nge wiederholen und trotz der Ungereimtheiten ergebe sich fr ihn immer wieder der Eindruck eines Netzes. Er msse da ganz klar zwischen Eindruck und gew„hltem Begriff unterscheiden, der in diesem Fall im eigentlichen Sinne nicht zu begreifen ist. Jedenfalls sei es mit seiner bisherigen Auffassung, seinem bisherigen Verst„ndnis von Welt vorbei. Es g„be keine starre Ordnung. Dies sei meistens Einbildung durch Bildung. Nur wisse er nicht, was er denn mit seiner nen Erfahrung anfangen k”nne. Er wisse es noch nicht. Sich in dieser Unsicherheit bewegen, Bewegung im ungewiss Bewegten, das bereite ihm Schwierigkeiten und habe schon zu frchterlichen Ausbrchen von hilflosem Zorn und ungezgelter Wut gefhrt. Er habe sich schon verflucht, diesen Weg jemals gegangen zu sein. Aber jetzt k”nne er nicht mehr zurck. Er habe schon die verschiedensten Figurationen und Formen von Netzen und Gittern kennengelernt. Er msse wohl oder bel auf diesem Gedankenweg bleiben. Er werde auf alle F„lle bis zum Ziel durchhalten, obwohl da kein Ziel zu erkennen sei. Eine zeitlang habe er nach Partnern gesucht, da w„re ihm klar geworden, dass er damit selbst ein Netz geschaffen h„tte, und das wolle er auf keinen Fall. Seitdem er dies begriffen habe, komme er sich vor wie ein Fremder im eigenen Land. Nicht nur, dass er sich denen, die dem Netz noch verbunden waren, nicht verst„ndlich machen konnte, nein, er k”nne auch keines dagegen errichten, da ihm ja das Netz an sich zutiefst zuwider geworden sei. Die Welt w„re ihm fremd geworden. Aber in der Fremde k”nne er nicht leben, und so bliebe ihm nichts brig, als immerw„hrend zu fliehen, und selbst das wrde immer schwieriger, da sich das Netz zunehmend verdichte, zusammenziehe. Manchmal msse er deswegen vor sich selbst fliehen, nur um die Aussenwelt nicht mehr wahrzunehmen. Aber das strze ihn in ne Schwierigkeiten. Er habe es auch aufgegeben, die Welt ber ihren Zustand aufzukl„ren. Es h„tte keinen Sinn, ihr, der Welt, die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern. Dieses Netz msse sich selbst vernichten. Er habe es satt, weiterhin Fisch zu sein. Nein, nun habe er die Absicht Fischer zu werden. Nein, das ginge auch nicht. Denn gerade als Fischer h„tte er eine besondere Beziehung zum Netz. Er wolle mit diesem verdammten Netz nichts mehr zu tun haben. Er msse mit allen Gesetzen brechen, mit allen bisherigen und zuknftigen. Mit all den Gesetzen, die nicht aus ihm selbst k„men. Als er dies gesagt hatte, begann er zu z”gern und laut darber nachzudenken, welche Gesetze aus ihm und welche nicht aus ihm k„men. Daraufhin sagte er, diese berlegung wrde ihn in die gleiche Verzweiflung treiben, wie dies schon einmal in Zusammenhang mit berlegungen zur Konspiration der Fall gewesen war. Er habe einmal beabsichtigt, die Wahrheit konspirativ zu verbreiten. Aber er habe die Unm”glichkeit dieses Unterfangens eingesehen, da sich die Wahrheit, vor allem die befreiende Wahrheit, konspirativ nicht sagen liesse. Obendrein habe er diese Vorgangsweise auf mangelnden Mut zurckgefhrt. Die Prfung durch die Wirklichkeit w„re dabei einfach nicht zustande gekommen. Und es w„re doch nur die Angst des Einzelnen, die Wahrheit nicht zu sagen. Die Angst vor dem Klgeren, die Angst vor dem Gesetz, die Angst vor der Ideologie, ja schliesslich die Angst vor der Macht. Diese Angst habe ihn jahrelang verfolgt. Sie habe ihn dazu gebracht, Systeme zu erfinden. Systeme, um die Wahrheit zu sagen und zu verbreiten. Er w„re daran fast irre geworden, wenn er nicht die Unsinnigkeit seines Unterfangens rechtzeitig erkannt h„tte. Seit damals habe er ein nes Verh„ltnis zur Wahrheit. Die Wahrheit sei fr ihn schon l„ngst kein absoluter Begriff mehr. Ja, er k”nne mit einer gewissen Sicherheit sagen, dass ihm das und jenes passieren k”nne, wenn er dies und das machen wrde. Aber dieses Sagen stehe doch in engem Zusammenhang mit der bestehenden Ordnung. Und niemand k”nne mit wirklich gutem Recht behaupten, dass das vorliegende Netz das einzig m”gliche Netz sei.